Acht geweißelte Betonstufen sind es, die man zu den hellen Galerieräumen im Keller hinabsteigt. Der „Klassenfeind“- Schriftzug erinnert stark an die Schilder der Mauerzeit. „Sie verlassen jetzt West-Berlin.“
Doch stattdessen betritt man hier eine ganz eigene, kleine Welt zwischen Street-Art, Kapitalismuskritik, 3D-Collagen, und Souvenirshop. In einem Nebenraum kann man eine kleine Zeitreise unternehmen und ins mittlerweile geschlossene, legendäre Künstler- und Alternativkulturhaus „Tacheles“ zurückkehren. Gestaltet wurde dieser komplett von Tim Roeloffs, selbst ehemaliger „Tacheles“-Bewohner und Hauptkünstler der Galerie. Seine Werke zieren einen Großteil der aufgelassenen Backsteinwände, hauptsächlich erwähnte Collagen, die eine bunte Berliner Mischwelt aus Bierflaschen, Plattenbau, Recyclingkartons und Hundeköpfen bilden. „Tim liebt seine Hunde. Dementsprechend verarbeitet er sie auch in einem Großteil seiner Bilder“, lacht Fabiola Hummel, Leiterin der Galerie. Sie ist eine große, elegante Frau, deren Augen strahlen, wenn sie erzählt. Studiert hat sie ursprünglich Soziologie, Politologie, hat dann über mehrere Jahre Firmen beraten, war auch im Consumer Business. „Die Idee zur Galerie kommt von meinem Vater, ich wurde dann quasi mit der Realisierung beauftragt. Er war selbst ein begeisterter „Tacheles“-Fan und fasziniert von Tims Kunst. Als es dann 2012 schließen musste, hat er nach einer Möglichkeit gesucht wenigstens einen Teil dieses Kunstgeistes zu retten.“
Um dies zu realisieren gründete er das Kunstlabel „Berlin Affordable Art“, dessen Ziel es auch ist Kunst anzubieten, die für jeden erschwinglich ist. „Im vorderen Bereich ist hauptsächlich eher Souvenirware, wie Poster, Pins, kleinere Drucke und Postkarten, in den hinteren Räumen dann vor allem hochwertigere Prints, Semioriginale, die der Künstler auch persönlich nachgestaltet und signiert, sowie natürlich die Originale. Dementsprechend sind auch die Preise – von einem bis 5.000 Euro ist alles dabei. „Die Leute sollen in der Lage sein, die Kunst, die ihnen gefällt, auch mit nach Hause zu nehmen. Das war meinem Vater wichtig, als er das Label gründete“, erklärt Fabiola. „Die hier“, sie zeigt auf eine Originalcollage Roeloffs an der Wand, „wurde erst kürzlich verkauft. Die geht demnächst nach Houston, Texas.“
Auch die anderen Künstler kommen vor allem aus dem „Tacheles“. Da ist Txus Parras, der „Banksy von Berlin“ oder Volker Wagner, dessen Metallskulpturen aus alten Werkzeugen, wie Zangen, Schlösser, Zahnräder und ähnlichem den Betrachter zu ganz eigenen Interpretationen anregen.
„Ja geht denn bei dem Regen nicht das schöne Bild kaputt?“, ruft es auf einmal von der Tür, ein älterer Herr steht da und verweist auf die Collage die draußen neben dem Eingang hängt, ebenfalls ein Werk von Roeloffs. Mit einem Lachen springt Fabiola auf und eilt zu ihm, um ihm seine Sorge zu nehmen. „Nein, da brauchen Sie keine Angst haben, die ist extra für draußen gemacht.“, erklärt sie freundlich. Mit schnellem Schritt kommt sie wieder zurück, setzt sich auf eine der beiden Bänke in der Raummitte, die aus alten Paletten gezimmert sind. Auch hier findet sich wieder der Urban Art-Geist.
Gegründet wurde die Galerie erst vor einem Jahr. „Dafür sind wir allerdings bereits ganz gut etabliert.“ Der nächste Schritt sei jetzt noch mehr Bekanntheit zu erlangen, bei anderen, größeren Galerien, bei Sammlern.
Drei Frauen betreten den Laden, ihr Englisch ist von einem starken, kanadischen Akzent geprägt. Sie schauen sich kurz um, kaufen ein paar Postkarten. „Natürlich sind viele Touristen unter den Kunden, aber auf der anderen Seite haben uns mittlerweile auch die Berliner entdeckt“, meint Fabiola. „Einmal kam eine Frau zu mir in den Laden und war begeistert, weil sie auf einer der Collagen von Roeloffs ihr altes Haus wiederentdeckte. Da war sie ganz glücklich.“ Sie lacht wieder ihr angenehmes, helles Lachen.
Draußen zeigt sich wieder die Sonne, lädt ein, für einen kurzen Augenblick auf einem der beiden mit Kronkorken verkleideten Stühle neben dem Eingang zu verweilen, welche, wenig verwunderlich, ebenfalls Werke Roeloffs sind. Im gleichen Stil gehalten sind auch die Hirschgeweihe im vorderen Galerieteil. Und so hat sich ein Stück „Tacheles“ doch noch hinüber und vor dem Verschwinden retten können, in diese Kellergalerie, die gar nicht so feindlich ist, wie ihr Name vermuten lässt.
von Moritz Wessely