Neue Kulturkämpfe? Wege aus der Polarisierung
Einmal mehr übertrafen sich im Januar 2021 die Bekundungen des Entsetzens über eine antidemokratische Schandtat. Die Pöbel- und Gewaltszenen im amerikanischen Kongressgebäude verlangten nach besonders starken Worten; leider sind sie gleichermaßen Ausdruck von Ohnmacht: Fast die Hälfte der amerikanischen Wählerschaft hatte im November 2020 für den damaligen Präsidenten gestimmt, der das Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen und ihren Vertretern ebenso sehr verkörpert wie befeuert. Politik ist existenziell auf ihr Grundsatzproblem zurückgeworfen, auf das Verhältnis von Ordnung und Störung. Wo verlaufen die Ränder, wo sind Grenzüberschreitungen notwendig? Offenbar sind es viel zu viele Wähler, die außerhalb stehen oder sich abseits stellen. Nicht allein in den USA werden Streitfragen im Modus moralischer Überlegenheit debattiert. Diese Kulturkämpfe sind Menetekel für plurale Gesellschaften, in denen bei aller Auseinandersetzung und Abgrenzung gegenüber Extremisten der Sinn für das Öffentliche und Gemeinschaftliche (Sensus communis) nicht verloren gehen darf.