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John Steedman, CC BY 2.0 via Wikimedia Commons: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:General_view_of_Shusha.jpg

Interviews

Der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

Ein Gepräch mit Dr. Thomas Schrapel, Direktor KAS Regionalprogramm Südkaukasus

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Der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

Dr. Thomas Schrapel, Direktor des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung und aus Tiflis zugeschaltet, erläuterte eingangs die komplizierte Lage vor Ort. Mehrere Stiftungen, auch die Konrad-Adenauer-Stiftung, mussten 2014 ihre Büros in Baku schließen, da kein verbindlicher Rechtsstatus gefunden werden konnte. Dies habe negative Auswirkung auf die Arbeit in der Region, bei der es um Förderung des Dialogs in allen südkaukasischen Staaten geht, Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Bis 2016 seien gleichwohl in Georgien noch Veranstaltungen mit vor allem jungen Teilnehmern aus allen drei Ländern durchgeführt worden.

Beim Thema Nagorny Karabach sei es in den vergangenen Jahren immer schwerer geworden, eine neutrale Position einzunehmen. Da entweder die aserbaidschanische oder die armenische Seite diese dann als „einseitig“ betrachte. Eine verbreitete Erfahrung. Das Interesse an dem Konflikt in Deutschland sei relativ gering gewesen, so der Eindruck bei Aserbaidschanern wie Armeniern. Dieser Eindruck treffe zu. Obwohl Aserbaidschan und Armenien Mitglieder der Östlichen Partnerschaft der Europäischen Union seien und über ein vertieftes Verhältnis zur EU verfügen, wäre dem Krieg zwischen zwei Mitgliedern dieser Partnerschaft kaum Aufmerksamkeit gewidmet worden. Allerdings machten die beiden Akteure es Dritten nicht einfach, sich zu positionieren. Die offiziellen Narrative stünden sich diametral gegenüber, mittlerweile derart verfestigt, dass ein Kompromiss kaum noch möglich scheine. Auch im Deutschen Bundestag sei diese Spaltung zwischen Abgeordneten festzustellen, die jeweils eher zum Narrativ einer der beiden Seiten neigen. Eine gemeinsame Position könne in dieser Frage derzeit kaum gefunden werden.

Ein „Jahrhundertkonflikt“

Um diesen „Jahrhundertkonflikt“ zu erklären, müsse man weit in die Geschichte zurückgehen. Zumal Beispiele aus der Geschichte für den politischen Standpunkt – auch hoher Politiker - in den beiden Ländern eine besondere Rolle spielten. Der Konflikt um Nagorny Karabach sei zudem nicht von der sowjetischen Geschichte zu lösen. Aserbaidschan und Armenien wurden in den 1920er Jahren besetzt und sowjetisiert. Am 5. Juli 1921 wurde offiziell beschlossen, dass Nagorny Karabach zur Sowjetrepublik Aserbaidschan gehöre, am Tag zuvor sollte es noch zu Armenien kommen, was auf Intervention Stalins rückgängig gemacht worden sei. Die Enklave, in der mehrheitlich Armenier leben, befand sich auf dem Territorium der Sowjetrepublik Aserbaidschan. Ende der 1980er Jahre wurden jedoch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Armenier immer stärker. Nach dem Rückzug der Zentralmacht Sowjetunion kulminierte die Auseinandersetzung um Nagorny Karabach in dem Krieg von 1991 bis 1994. Die Enklave und sieben Provinzen um die Enklave befanden sich seitdem in der Hand der Armenier. Nach dem Krieg 2020 hätten sich die Verhältnisse nun geändert. Aus Sicht der Aserbaidschaner wurde eigenes Territorium zurückgewonnen, aus Sicht der Armenier armenische Kulturlandschaft verloren, etwa die alte Hauptstadt Schuscha/Schuschi. Die Armenier bräuchten Sicherheit für die Bevölkerung in Karabach, mit Blick auf das Schicksal der Armenier im 20. Jahrhundert überaus nachvollziehbar. Ebenfalls nachvollziehbar sei das durch Aserbaidschan vorgebrachte Territorialprinzip.

Selbstbestimmungsrecht und Territorialprinzip

Diese komplizierte staatsrechtliche Problematik um Bergkarabach werde durch Völkerrechtler unterschiedlich bewertet. Für beide Ansichten finde man gut begründete Positionen. Zwei völkerrechtliche Prinzipien stünden sich gegenüber. Einerseits das Territorialprinzip, was die Aserbaidschaner vertreten, die auf die Zugehörigkeit der Enklave zu ihrem Territorium verweisen. Andererseits stützen sich die Armenier auf das völkerrechtliche Prinzip der Selbstbestimmung, etwa auf eine Abstimmung im Dezember 1991, in der sich die armenische Bevölkerung mehrheitlich für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatte. Tragisch sei, dass in den Auseinandersetzungen in der Regel das Leid beider Seiten übersehen werde, allein die wenigen Wochen des letzten Krieges forderten tausende Opfer. 1991 bis 1994 waren rund 30000 Tote und mehrere hunderttausend Vertriebene zu beklagen (Armenier und Aserbaidschaner). Auch vor diesem Hintergrund sei das vergleichsweise geringe Interesse an diesem Konflikt in Deutschland und der Europäischen Union bedauerlich. Zumal die mit einer Vermittlung in dem Konflikt beauftragte Minsk-Gruppe der OSZE in den letzten Jahren kaum Aktivitäten entfalte.

Truppen Russlands sollen nun die Sicherheit vor Ort gewährleisten. Man könne nur hoffen, dass dies weitere Opfer in den nächsten Jahren verhindere. Dr. Schrapel warnte zugleich vor einer Überschätzung der geopolitischen Hintergründe des Krieges und der Rolle anderer Mächte. Zweifellos habe sich etwa die Türkei stark engagiert, der türkische Präsident Recep T. Erdoğan besuchte die Siegesfeier in Baku. Gleichwohl empfehle er eine Konzentration auf die mit den Konfliktparteien verbundenen Interessen und Erfahrungen. Er sei sehr skeptisch hinsichtlich einer Versöhnung zwischen den beiden Staaten, da leider auch die junge Generation in beiden Ländern diesen Konflikt trage und sich wenig bereit zum Dialog zeige. Das, was die Konrad-Adenauer-Stiftung vor Ort besonders unterstütze. Hier seien die Optionen jedoch begrenzt, eine in seiner Sicht ernüchternde Erfahrung. Dr. Schrapel plädierte für Untersuchungen zum Umgang mit dem Konflikt in Schulen und Universitäten in Armenien und Aserbaidschan, außerdem müsse auf der Ebene der Zivilgesellschaft deutlich mehr Interesse an den Ländern gezeigt werden.

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Über diese Reihe

In unserer Reihe "Interviews" werden Gespräche und Diskussionen mit Expertinnen und Experten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zu unterschiedlichen Themen geführt.