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Interviews

Die Bundeswehr braucht Kampfdrohnen

Erfahrungen aus dem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

Gespräch mit dem Oberst der Luftwaffe a.D. Richard Drexl

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Der Einsatz von Drohnen im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

​​​​​​​​​​​​​​Oberst a.D. Richard Drexl verwies darauf, dass durch den Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan 2020 die Debatte um die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr neu angefacht wurde. Erstmals sei ein Krieg durch den massiven Einsatz von Kampfdrohnen geprägt gewesen, was auch für die Bundeswehr zahlreiche Fragen aus technischer, doktrinärer und struktureller Sicht aufwerfe. Die Bundesministerin der Verteidigung bezeichnete den Krieg als „ersten Drohnenkrieg der Geschichte“, der Generalinspekteur fordere die Schließung von Fähigkeitslücken auf diesem Sektor. Zu seiner Verwunderung, so Richard Drexl, sei bislang aber noch nichts zu den damit verbundenen fundamentalen Fragen zu hören, die diese neue Entwicklung aufwerfe. Dies seien beispielsweise Fragen nach Luftüberlegenheit oder gar Luftherrschaft wie auch die Luftnahunterstützung auf dem Gefechtsfeld. Diese Thematik stelle sich durch den nun offensichtlich möglichen Masseneinsatz von Drohnen auf dem Gefechtsfeld mit großer Dringlichkeit.

„Krieg des kleinen Mannes“ in neuer Form?

Nicht nur Aserbaidschan setzte Drohnen ein, sondern auch Armenien. Richard Drexl stellte u.a. anhand einer Studie der Bundesakademie für Sicherheitspolitik die verschiedenen Drohnentypen vor, die im Krieg zum Einsatz kamen (Gady, Franz-Stefan: Krieg um Berg-Karabach 2020: Implikationen für Streitkräftestruktur und Fähigkeiten der Bundeswehr, 3/2021, abrufbar unter www.baks.bund.de). Sie unterscheiden sich in Reichweite und Formen der Bewaffnung sowie den möglichen Einsatzrollen (Aufklärung, Kampf, Loitering). Loitering-Munition, Drohnen, die sich mehr oder weniger selbstständig auf Ziele stürzen (Kamikaze), gab es nach derzeitigem Kenntnisstand nur auf Seiten Aserbaidschans. Die aus Israel bezogene Harop-Drohne führt 23 Kilogramm Sprengstoff mit sich und kann sich auf ein ausgewähltes Ziel stürzen. Die türkische Bayraktar TB2-Drohnen könnten über 24 Stunden in Höhen bis über 8000 Meter in der Luft bleiben, was sie einem Einwirken der Luftabwehr teilweise entziehe. Die Mehrzahl der Flugabwehrsysteme seien für diese Flughöhen nicht ausgelegt. Diese Drohnen hatte Aserbaidschan aus der Türkei bezogen, und sie kamen relativ ungestört zum Einsatz, weil elektromagnetische Störmaßnahmen mutmaßlich nicht adäquat ausgelegt waren. Genauere Kenntnisse dazu fehlen. Zudem scheinen die Aufklärungsmittel der Aserbaidschaner bezüglich unverschlüsselter Mobiltelefone sehr effektiv gewesen zu sein. Zahlreiche armenische Soldaten konnten sensorisch erfasst und bekämpft werden. Armenische Flugabwehrsysteme, Kommandostände, Fahrzeuge, Panzer und Artilleriesystem fielen in großer Zahl Drohnen zum Opfer. Nach im Internet kursierenden Auflistungen seien ca. 75 Panzer ausgeschaltet worden. Durch die permanente Bedrohung bei Tag und Nacht sei das Nachführen von Munition und Verlegen von Truppen stark erschwert gewesen, ebenso hatten Gegenstöße kaum Erfolgsaussichten. Durch die permanente Bedrohung am Himmel, die kaum sichtbar war und nicht bekämpft werden konnte, sei es wiederholt zu Panikreaktionen armenischer Soldaten gekommen. Im Internet veröffentlichte aserbaidschanische Drohnenvideos dienten zugleich als Teil der Informationskriegführung, was auf der unterlegenen Seite zusätzlich demotivierend wirkte. Die Flugabwehr der Armenier habe sich als relativ machtlos gegen die Drohnen erwiesen, es fehlte ein gestaffeltes und vernetztes Verteidigungssystem mit Radargeräten, Eloka (Elektronische Kampfführung), Störsendern und entsprechenden Bekämpfungsmitteln.

Alte Vorstellungen von Luftherrschaft stehen zur Disposition

Drohnen erwiesen sich im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan als eine preisgünstige Variante der Luftnahunterstützung. Darunter ist der Einsatz von Luftstreitkräften zur Unterstützung von Bodentruppen zu verstehen. Im Vergleich zu den Kosten für teure Waffensysteme wie Kampflugzeuge und Kampfhubschrauber sind die Aufwendungen für einen Drohneneinsatz überschaubar. Der Übungsaufwand sinke beträchtlich, unbemannte Flieger verursachten nur einen Bruchteil der Beschaffungskosten bemannter Systeme. Der Einsatz der verbundenen Waffen und die Abdeckung des Gefechtsfeldes durch abgestimmt eingesetzte Waffensysteme bleibe dennoch entscheidend. Funktioniere das Gesamtsystem an einer Stelle nicht, etwa im Bereich der Luftabwehr, könne dies gravierende Folgen für die Gesamtoperation haben. Armenien sei im Krieg durch die Luftüberlegenheit der Azeris dazu gezwungen gewesen, mehr oder weniger nur noch in Kleingruppen zu agieren. Zu Operationen der Gesamtstreitkräfte waren die Armenier durch fehlenden Zugriff auf versprengte Truppen kaum mehr in der Lage.

 Die Drohnengefahr sei heute potentiell auf jedem Kriegsschauplatz gegeben. An die vierzig Staaten besäßen bereits bewaffnete Drohnen. Drohnenabwehrsysteme brauche deshalb jede Armee, zumal Drohnen in großer Zahl (Drohnenschwärme) zur Sättigung der Abwehrsysteme auf dem Gefechtsfeld führen könnten. Daher seien Präzisionskampfmittel im engen Zusammenwirkung mit präziser Gefechtsfeldaufklärung unerlässlich. Mit Mehrzweckkampflugzeugen wie dem „Eurofighter“ oder das in Planung befindliche europäische Future Combat Air System (FCAS) wie auch einem Kampfhubschrauber „Tiger“ seien derartige Szenarien nicht leistbar, weil derart aufwendige Waffensysteme zur permanenten Abdeckung eines Gefechtsfeldes über 24 Stunden kaum in der erforderlichen Anzahl verfügbar seien. Diese hätten eine sehr viel kürzere Verweildauer über dem Gefechtsfeld im Vergleich zu Drohnen. Ein dramatisch hoher finanzieller und logistischer Aufwand im Vergleich zum Einsatz von Drohnenschwärmen steht dem ebenfalls entgegen, vom immensen Ausbildungsaufwand der Besatzungen zu schweigen.

Im Zuge der letzten tiefgreifenden Strukturreform 2011/2012 habe die Bundeswehr leichtfertig die Heeresflugabwehr abgewickelt. Jetzt zeige sich, dass dies ein grundlegender Fehler war. Der Flugabwehrkanonenpanzer „Gepard“ und das Flugabwehrraketensystem „Roland“ seien teilweise sogar an andere Staaten verschenkt worden. Die Abwehrsysteme „Mantis“ und „Ozolot“ sowie weitere kleinere Projekte seien unzureichend, es werde Jahre dauern, bis neue Systeme entwickelt wären und der Truppe zur Verfügung stünden. Aktuell sei die Bundeswehr bis auf punktuelle Verteidigungsmöglichkeiten auf die alte „Fliegerabwehr aller Truppen“ zurückgeworfen, Soldaten müssten mit Maschinengewehren Luftziele bekämpfen. Dies könne heute keine Lösung mehr sein, was nicht zuletzt der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan eindrucksvoll zeigte. Zwar verfüge die Bundeswehr über verschiedene unbewaffnete Drohnensysteme, diese jedoch vor allem für Aufklärungszwecke. Israel könne als Gegenbeispiel gelten: Das Land besitze eine gestaffelte Flugabwehr für alle Höhenbänder, was tief- wie hochfliegende Bedrohungen erfasse. Großbritannien z.B. kooperiere in dieser Frage mit den USA und nutze etwa die Reaper-Kampfdrohne.

Kampfdrohnen im Interesse unserer Soldaten unabdingbar

Das Bundesministerium der Verteidigung bemühe sich seit Jahren um bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr. Dem Koalitionsvertrag von 2018 zufolge sollte über die Beschaffung bewaffneter Drohnen in dieser Legislaturperiode entschieden werden. Nach zahllosen Debatten habe die SPD ihre Zustimmung signalisiert, die dann überraschend durch die Parteiführung zurückgenommen worden sei. Nach seiner Bewertung, so Richard Drexl, wolle man vor der Bundestagswahl offenbar Wählerstimmen gewinnen, was auf diese Art und Weise zu Lasten unserer Soldaten hoffentlich nicht verfangen werde. Dabei sei absehbar, dass etwa selbst Gruppen wie die Taliban bald mit Drohnen agieren könnten, dies würde die Gefährdung der eigenen Truppen dramatisch erhöhen. Die Dynamik dieser Entwicklung sei durch deutsche Entscheidungen nicht aufzuhalten. Dadurch gefährde man allein unsere Soldaten im Einsatz. Ein Beispiel sei das Karfreitagsgefecht am 2. April 2010 in Afghanistan, bei dem drei Soldaten getötet und mehrere verwundet wurden. Wären damals derartige Drohnen verfügbar gewesen, hätten Verluste eventuell vermieden werden können.

In Deutschland gebe es große Bedenken gegen den Kauf und Einsatz unbemannter bewaffneter Systeme. Drohnen seien in der Tat ein Schritt zum automatisierten Waffeneinsatz. Aber auch Cruise Missiles (Marschflugkörper) seien nichts anderes. Zudem sei die Gefahr von Kollateralschäden beim Einsatz von Drohnen eher geringer einzuschätzen als beim Einsatz von Kampfflugzeugen. Aus Sicht der Bundeswehr gehe es dabei immer um Kriegseinsätze, nicht um die Verwendung von Drohnen zum Zwecke gezielter Tötungen von Terroristen. Die Vorgehensweise der USA sei mit dem Völkerrecht nicht vereinbar, dies komme für Deutschland unter keinen Umständen in Frage.

Klar sei auch, dass bewaffnete Drohnen durch Rüstungskontrollverträge nicht mehr vom Gefechtsfeld verbannt werden können. Weil die Technik existiere und preisgünstig sei. Die Bundeswehr habe bereits Einsatzgrundsätze für bewaffnete Drohnen, nach denen ein Einsatz außer im Fall der Selbstverteidigung erst nach Beteiligung eines Rechtsberaters zulässig sei. Noch größere Hürden würden einen Truppeneinsatz unmöglich machen. Zudem habe die Bundeswehr eine massive Fähigkeitslücke in der Flugabwehr. Ein Drohnenschwarm sei derzeit nicht abwehrbar. Es sei auch keine Lösung, lediglich auf die Fähigkeiten von Verbündeten zu setzen. Den Soldaten sei es schlicht nicht zumutbar, Jahre zu warten, bis endlich die Politik eigenen Lösungen zustimmen würde. Der Fortschritt in Deutschland sei eine Schnecke, die das Leben unserer Soldaten gefährde. Mit dem Schlagwort von der Parlamentsarmee sei dies unvereinbar.

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Über diese Reihe

In unserer Reihe "Interviews" werden Gespräche und Diskussionen mit Expertinnen und Experten der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. zu unterschiedlichen Themen geführt.