Sehr geehrter Herr General, als Nationaler Territorialer Befehlshaber sind Sie für die Koordinierung der Hilfeleistungen seitens der Bundeswehr für Bund und Länder verantwortlich. Wie funktioniert diese Nationale Territoriale Aufgabe?
Als Nationaler Territorialer Befehlshaber führe ich die Einsätze der Bundeswehr in Deutschland. Das beinhaltet den Heimatschutz, den Aufmarsch der Bundeswehr und hier stationierter Alliierter, die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit Deutschlands als strategische Drehscheibe in Szenarien, in denen unser Land als Transitland dient und eben Einsätze zur Amts- und Katstrophenhilfe. Mein Schwerpunkt liegt derzeit bei der Führung und Koordination der in Amtshilfe erbrachten Hilfeleistungen der Bundeswehr in der Corona-Krisenlage.
Bei der Wahrnehmung meiner Aufgaben als Nationaler Territorialer Befehlshaber steht mir eine Führungsorganisation auf mehreren Ebenen zur Verfügung. Das Kommando Streitkräftebasis koordiniert hierbei alle Hilfemaßnahmen der Bundeswehr (mit Ausnahme der Gesundheitsversorgung) auf operativer Ebene. In dieser Funktion wurden im Kommando Streitkräftebasis die Kräfte, Mittel und die Führungsstruktur „Hilfeleistung Corona" ausgeplant und vorbereitet.
Für die taktische Führung steht mir das Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin zur Verfügung. Dieses befehligt zum einen die vier eigens eingerichteten regionalen Führungsstäbe, die die ca. 15.000 abgestuft verfügbaren Einsatzkräfte führen, zum anderen die Landeskommandos, Bezirksverbindungs- und Kreisverbindungskommandos als Verbindungsstäbe zu den zivilen Behörden.
Unterstreichen möchte ich an dieser Stelle, dass die aktuelle Corona-Hilfeleistung eine subsidiäre Aufgabe ist. Das bedeutet, dass die Bundeswehr hilft, wenn die zuständige Behörde selbst nicht schneller und besser helfen kann. Dazu ist ein Amtshilfeantrag der zivilen Behörde erforderlich, der erläutert, warum eine Unterstützung durch die Bundeswehr notwendig ist. Die zivilen Behörden werden bei der Erstellung der Anträge durch die mit ihnen eng vernetzten Landeskommandos beraten und unterstützt. Anschließend werden die Amtshilfeanträge im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr auf Rechtmäßigkeit und Durchführbarkeit geprüft. Erst dann kann der Antrag gewährt und durch die Einsatzkräfte umgesetzt werden.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte und die Abschreckungsfähigkeit der NATO? Welche besonderen Maßnahmen trifft die Bundeswehr um ihre Soldatinnen und Soldaten im In- und Ausland zu schützen?
Wir haben sichergestellt, dass die Bundeswehr auch in dieser Corona-Krise handlungsfähig bleibt und ihren Einsatzverpflichtungen vollumfänglich nachkommt.
Dabei konzentrieren wir uns auf hochpriorisierte Aufgaben, zu denen die laufenden Auslandseinsätze, die Dauereinsatzaufgaben sowie die einsatzgleichen Verpflichtungen zählen.
Auch für den Grundbetrieb in Deutschland haben wir Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Wo immer möglich wurde die Vor-Ort-Präsenz reduziert und auf Telearbeit umgestellt. Nicht zwingend für die Auftragserfüllung erforderliches Personal hält sich zu Hause bereit. Auf diese Weise schützen wir die Bundeswehrangehörigen vor Infektionen und erhalten gleichzeitig die Durchhalte- und Reaktionsfähigkeit unserer Streitkräfte.
Darüber hinaus müssen für den Einsatz vorgesehene Soldatinnen und Soldaten eine 14-tägige Quarantänephase in eigens dafür angemieteten Hotels durchlaufen, um eine Infektion von deutschen Einsatzsoldaten auszuschließen. Die Unterbringung in den durch die Bundeswehr angemieteten Hotels orientiert sich an den Auflagen und Rahmenbedingen eines strengen Hygienekonzeptes. Auch im Einsatz werden die Vorsichtsmaßnahmen nach Möglichkeit umgesetzt. Sollte sich dennoch eine Soldatin oder ein Soldat im Einsatz infizieren, ist eine schnellstmögliche Rückverlegung nach Deutschland vorgesehen. Rückkehrer mit Infektionsverdacht müssen sich darüber hinaus ebenfalls in Quarantäne begeben.
Mit dem Einsatzkontingent Hilfeleistung Corona wurde erstmals in der Geschichte der Bundeswehr ein Kontingent für den „Einsatz der Bundeswehr im Inland“ aufgestellt. Welche Aufgaben übernimmt das Kontingent konkret und welche gesetzlichen Grundlagen gibt es derzeit hierfür?
Das eigens aufgestellte Einsatzkontingent für die „Hilfeleistung Corona“ steht als schnell verfügbare Reserve zur Unterstützung der originär zuständigen zivilen Stellen in Deutschland bereit. Die Bundeswehr hilft mit Fähigkeiten aus den Bereichen der Sanität und Logistik sowie Sicherung. Dazu zählt zum Beispiel die Bereitstellung von Lagerungs-, Transport-, Umschlag- und Distributionskapazitäten bis hin zum Einsatz „helfender Hände“ in Alten- und Pflegeheimen wie auch in Gesundheitsämtern zur Nachverfolgung von Infektionsketten. Zudem verfügen wir über Spezialfähigkeiten, wie die ABC- Abwehrtruppe, die z.B. bei der Herstellung von Desinfektionsmittel unterstützt.
Jeder Abruf richtet sich nach Artikel 35 GG und wird vor Umsetzung unter anderem auf Rechtmäßigkeit geprüft. Bisher wurde ausschließlich technisch-logistische Amtshilfe geleistet. Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren verbunden mit der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben stand bislang nicht an und ist derzeit auch nicht absehbar.
Ist die Bundeswehr für eine solche Art von Einsatz mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet und in wie fern wirkt sich hier eine nicht mehr vorhandene Wehrpflicht aus? Sollte nach der Krise nach Ihrer persönlichen Ansicht über irgendeine Art von Dienstpflicht nachgedacht werden?
Die Hilfeleistung in Deutschland ist eine subsidiäre Aufgabe. Die Bundeswehr unterhält dafür normalerweise keine eigenen Kräfte, noch bereitet sie sich gesondert darauf vor. Sie wird dafür auch nicht alimentiert!
Persönlich halte ich aus unterschiedlichsten Gründen viel von einem Gemeindienst für alle in Deutschland, der auch in der Bundeswehr abgeleistet werden kann.
Ich würde mich über eine zielgerichtete Diskussion darüber zu gegebener Zeit freuen. Die aktuelle Krise bewältigen wir aber auch ohne.
Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich aktuell konfrontiert? Wie groß sind Ihre Sorgen mit Blick auf die nächsten Wochen und Monate?
Aktuell geht es um die Beherrschung der Risiken, die mit der notwendigen Lockerung der Vorsichtsmaßnahmen einhergehen. Ich bin aber optimistisch, dass wir das in Deutschland gut hinbekommen werden.
Mehr Sorgen mache ich mir im Hinblick auf die Entwicklung in anderen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika und Asien. Die humanitären und sicherheitspolitischen Folgen werden wir sowohl in den Einsatzgebieten - möglicherweise werden wir hier zulegen müssen! - als auch in Deutschland zu spüren bekommen.
In nahezu allen Ländern in der Europäischen Union übernimmt das Militär aktuell eine tragende Rolle, um die Krisensituation zu bewältigen. Gibt es Zusammenarbeitsbeziehungen mit Partnern und Verbündeten und wie sieht die Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern aus?
Die Bundeswehr steht auch im Kampf gegen die Pandemie an der Seite ihrer Verbündeten. So holten wir beispielsweise aufgrund der schwierigen Corona Lage in Italien 12 schwer erkrankte italienische Patientinnen und Patienten aus Bergamo zur Behandlung in deutsche Krankenhäuser. Dafür flog ein als „fliegende Intensivstation“ eingerüsteter Airbus A310 der Flugbereitschaft zweimal nach Italien.
Auch bei der Lieferung von Beatmungsgeräten nach Großbritannien war die Bundeswehr aktiv.
Darüber hinaus bemühen sich NATO und EU um eine verstärkte multinationale Koordination und Kooperation.
Die deutsche Bevölkerung tut sich schwer, sich konkret mit dem Thema Sicherheitspolitik sowie mit der Rolle der Bundeswehr auseinanderzusetzen. Die Corona-Krise offenbart das große Unterstützungspotential der Bundeswehr in Krisensituationen und macht eine neue gesellschaftspolitische Debatte über das Thema Sicherheitspolitik und die Rolle des Militärs notwendig. Was wünschen Sie sich diesbezüglich persönlich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Rolle von Streitkräften als effektives Instrument der staatlichen Daseinsvorsorge auch in der freiheitlich-liberalen Gesellschaft breit anerkannt wird und dass sich dies auch in einer aufgabenangemessenen, langfristig stabilen und nachhaltigen Finanzierung niederschlägt.
Das Interview führte Paruvana Fiona Ludszuweit, Referentin Europäische Sicherheitspolitik.