Neben der Verkündung des Grundgesetzes im Mai und der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag im August 1949 erwiesen sich in der Zeit des demokratischen Aufbruchs nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwei weitere Ereignisse als entscheidend für die weitere Geschichte der Bundesrepublik, Entwicklungen, die der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bundestagspräsident a.D. Prof. Dr. Norbert Lammert, in seiner Einführung eine „doppelte Innovation“ nannte: „Die Gründung zweier neuer Schwesterparteien, die sich nicht nur unter dem Namen als Volkspartei neuen Typs verstanden haben, und die folgerichtige Bildung einer gemeinsamen Fraktion, die 75 Jahre deutschen Parlamentarismus nachhaltig geprägt haben.“
Diese Prägung bestätigte der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz im anschließenden Grußwort: „Die Geschichte unserer Fraktion ist untrennbar mit der Geschichte der Bundesrepublik verbunden“. Merz erinnerte an die Zeit der Bonner Republik, an die ersten Jahre, in denen „Demokratie gelernt, verbessert und verfeinert“ wurde, an die Zeit im gesamtdeutschen Bundestag seit Oktober 1990 sowie an die anhaltende, gute Zusammenarbeit von CDU und CSU: „Auch heute erwächst die Stärke unserer Fraktion aus der Einheit unserer beiden Schwesterparteien.“ Merz dankte dafür seinem Fraktionskollegen, dem Vorsitzenden der CSU im Deutschen Bundestag, Alexander Dobrindt. Dieser erwiderte in seinem Grußwort diesen Dank und verwies wiederum darauf, dass Sicherheit und Stabilität schließlich der Markenkern der Unionsparteien seien und es bei den Themen, die die Bundesrepublik und ihre Geschichte prägen, große Übereinstimmung gebe, darunter die Wiederbewaffnung, die Westbindung, die Soziale Marktwirtschaft und die europäische Einigung. Es herrsche tatsächlich, so Dobrindt, eine „pragmatische Harmonie“, wie Franz Josef Strauß es genannt hatte.
Konstruktiv und streitbar diskutierten am Abend Thorsten Frei (CDU) und Dorothee Bär (CSU) mit Vertretern der derzeitigen Regierungsfraktionen, Linda Teuteberg (FDP) und Omid Nouripour (Grüne) – moderiert von Mariam Lau (Die Zeit). Sie demonstrierten, wie politische Konkurrenten auch bei gänzlich unterschiedlichen Positionen fair und respektvoll miteinander streiten können. So sprachen sie nicht nur über umstrittene Themen wie die Migrationspolitik oder das Wahlrecht, sondern auch über das Verhältnis der Abgeordneten und Parteien untereinander, wie AfD und BSW den Politikbetrieb verändert und erschwert haben – und wie die Abgeordneten damit umgehen können.
Der politischen Diskussionsrunde ging ein umfassendes wissenschaftliches Symposium am Nachmittag voraus, bei dem die Teilnehmer und Teilnehmerinnen von Dr. Alexander Wolf, dem Leiter des Hauptstadtbüros der Hanns-Seidel-Stiftung, und Dr. Michael Borchard, dem Leiter des der Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik, begrüßt wurden. Prof. Dr. Horst Möller (München), würdigte in seinem einleitenden Vortrag die Zusammenarbeit von CDU und CSU im Deutschen Bundestag und den Beitrag der CDU/CSU-Fraktion zum Aufbau der deutschen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg. Ohne die Kooperation der beiden Parteien sei die Wahl Adenauers zum ersten Bundeskanzler nicht möglich gewesen, so Möller. Insofern verdankten sich auch wesentliche politische Grundsatzentscheidungen – die Westbindung, die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft und die Europäische Einigung – dem Miteinander der C-Parteien. Natürlich habe es in den 75 Jahren der Zusammenarbeit auch spannungsreiche Phasen gegeben, so Möller, man denke an den Kreuther Trennungsbeschluss von 1976 oder die Migrationskrise 2015/2016. Dennoch funktioniert die Zusammenarbeit auch aus der Sicht des Geschichtswissenschaftlers „überwiegend reibungslos und effizient“, und zwar auch aufgrund der „Integrationsleistung der beiden Vorsitzenden“. Schließlich benötigen beide Partner einander, so Möller: „Ohne CSU könnte die CDU schwerer einen Kanzler stellen, ohne CDU hätte die CSU in der Bundespolitik weniger Bedeutung.“
Im ersten Panel der Tagung referierten Prof. Dr. Heinrich Oberreuter (Passau), Prof. Dr. Dominik Geppert (Potsdam) sowie Prof. Dr. Manuela Glaab (Kaiserslautern-Landau) unter der Moderation von Dr. Christian Petrzik vom Archiv für Christlich-Soziale Politik in München. Sie beschäftigten sich mit den Handlungsspielräumen der Fraktion im politischen System der Bundesrepublik. Zur Sprache kamen hierbei die rechtlichen Voraussetzungen der Fraktionsarbeit und die Rolle der Fraktion bei der Kür von Kanzlerkandidaten und der Rekrutierung von Regierungsmitgliedern (Geppert), die wechselnde Bedeutung der Fraktion für die Stellung der Parteien insgesamt, denn bis zum Ende der Regierungszeit Adenauers existierte noch kein voll ausgebauter Parteiapparat der CDU (Oberreuter). Manuela Glaab wies auf die Europäisierung des Regierungssystems in den vergangenen beiden Jahrzehnten hin. Hiermit einher ging, so ihre These, eine stetige Aufwertung der Exekutive. Was die Rolle der Fraktion anbelangt, sei seit der Einführung der Direktwahlen zum Europäischen Parlament 1979 und dem Ausschluss von Doppelmandaten 2006 ein neues konkurrierendes Pendant zur Bundestagsfraktion auf europäischer Ebene entstanden.
Dr. Julia Reuschenbach (Berlin), Carsten Deitmer (Berlin) und Prof. Dr. Hans-Jörg Hennecke (Düsseldorf) bestritten zusammen mit Dr. Michael Borchard als Moderator das zweite wissenschaftliche Panel zum Thema „Ein Querschnitt der Bevölkerung? Die Bedeutung der regionalen und soziologischen Gruppen“. Reuschenbach zitierte politikwissenschaftliche Studien, die nahe legen, dass Teile der Bevölkerung im Parlament unterrepräsentiert sind. In der anschließenden Diskussion blieb offen, welche Schlüsse aus diesem Befund zu ziehen sind. Aus dem Publikum erfolgte der Hinweis auf Artikel 38 GG, der besagt, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestags Vertreter des ganzen Volkes sind, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Diese Verfassungsnorm widerspreche, so ein Argument, der in jüngster Zeit verschiedentlich vorgetragenen Forderung nach einer nach Gruppen und Identitäten festzulegenden Wahlordnung. Auch Hans-Jörg Hennecke betonte, dass die Abgeordneten jeweils verschiedene Identitäten repräsentierten, zum Beispiel als Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe, einer Religion, oder einer Region. Die „überlappenden Lebenslagen“ spiegelten sich in den soziologischen Gruppen der CDU/CSU-Fraktion. Carsten Deitmer berichtete von den Ergebnissen seiner Dissertation über die ostdeutschen CDU-Abgeordneten im Deutschen Bundestag in den 1990er Jahren. Er sprach von der „Entstehung einer systemstabilisierenden christdemokratischen Funktionselite“, wobei in den neuen Ländern ein „unterentwickelter vorpolitischen Raum“ zu beobachten sei.