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Entrevistas

„Der einzige Weg, Migration als Reizthema zu entschärfen, ist eine funktionierende Politik”

Interview mit Alexander Kustov

Prof. Dr. Alexander Kustov, Assistenzprofessor für Politikwissenschaften an der University of North Carolina, analysiert, warum Zuwanderungspolitik vor allem dann auf Zustimmung stößt, wenn sie das Gemeinwohl stärkt und die Anliegen der Bürger ernst nimmt.

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Die USA galten lange als Einwanderungsland par excellence. Inzwischen verfolgt die Trump Administration eine äußerst harte Migrationspolitik, die sich selbst gegen Hochqualifizierte richtet, die an US-amerikanischen Universitäten ausgebildet wurden. Wie kam es zu diesem Wandel?

Zunächst einmal muss man festhalten, dass die Einwanderungspolitik der Vereinigten Staaten schon lange vor dem Amtsantritt von Präsident Trump dysfunktional war. Jahrzehntelange erfolglose Reformversuche zur Ausweitung der legalen Zuwanderung in Kombination mit anhaltender illegaler Einwanderung über die südliche Grenze haben das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit der Regierung untergraben, Migration effektiv zu steuern. Trump hat keine neuen politischen Konzepte entwickelt oder bestehende verbessert. Stattdessen hat er – wie viele Rechtspopulisten in Europa – weit verbreitete gesellschaftliche Sorgen aufgegriffen, die von etablierten Parteien vernachlässigt wurden, und das Thema Einwanderung zu seinem Vorteil in den Vordergrund gerückt. Viele seiner Maßnahmen, wie die Trennung von Familien oder das Einreiseverbot für Muslime, stießen selbst bei vielen Konservativen auf Ablehnung. Unter dem Einfluss von offen einwanderungsfeindlichen Persönlichkeiten wie Stephen Miller wurde zudem die Anwerbung von Spitzenkräften erschwert. Die Biden-Regierung hat das Problem aber eher verstärkt als behoben, indem sie zwischen rhetorischer Härte und humanitären Gesten schwankte, ohne die zugrunde liegenden Dysfunktionalitäten zu adressieren. Das Ausbleiben wirksamer Reformen – sowohl unter Demokraten als auch Republikanern – hat viele Wähler daran zweifeln lassen, dass das System noch unter Kontrolle ist. Dieses Muster lässt sich in vielen wohlhabenden Demokratien beobachten: Wenn weder rechte noch linke Regierungen es schaffen, Zuspruch für ihre Migrationspolitik zu finden, profitieren populistische Bewegungen.

 

In Europa lässt sich ein ähnliches Muster beobachten. In mehreren Ländern richtet sich die Stimmung zunehmend gegen Zuwanderung per se und nicht nur gegen bestimmte Formen von Migration, die ungeordnet ablaufen oder mit besonderen Herausforderungen für den Sozialstaat oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt einhergehen. Wie lässt sich das erklären?

In einer idealen Welt würden Menschen klar zwischen verschiedenen Arten von Migration unterscheiden. In der Realität aber verschwimmen diese Grenzen in der öffentlichen Debatte und es werden ganz unterschiedliche Aspekte unter dem Sammelbegriff „Einwanderung“ gebündelt. Wenn dann eine bestimmte Krise die Schlagzeilen dominiert, richtet sich die negative Stimmung schnell gegen Zuwanderung insgesamt. Das erklärt, warum selbst Länder mit hohem Arbeitskräftebedarf zunehmend restriktiver werden. Hinzu kommt das weit verbreitete Misstrauen gegenüber der Fähigkeit von Regierungen, das komplexe Migrationsgeschehen wirksam zu steuern. In ganz Europa wie auch in den USA – haben Menschen wenig Vertrauen in den politischen Umgang mit Migration. Diese Haltung ist nicht unbegründet: Viele Systeme sind schlicht nicht darauf ausgelegt, ausländische Arbeitskräfte anzuziehen und zu halten, die sie dringend brauchen. Das verstärkt den Eindruck, dass Migration nicht im Sinne des Gemeinwohls gestaltet wird. In solchen Kontexten können selbst moderate Zuwanderungszahlen als überwältigend empfunden werden – und führen zu einer ablehnenden Haltung. Was wie ein grundlegender Wandel in den Einstellungen wirkt, ist oft eher eine Reaktion auf schwache Steuerung.

 

Ihre Forschung zeigt, dass die Zuwanderung bestimmter Gruppen trotz wachsender Skepsis weiterhin breite Akzeptanz finden kann. Um welche Art der Zuwanderung handelt es sich?

Länderübergreifend beobachten wir, dass die Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften die größte gesellschaftliche Akzeptanz findet. Ärzte, Ingenieure und andere Toptalente werden durchweg als Gewinn wahrgenommen, da ihre Beiträge für das Gemeinwohl sehr gut nachvollziehbar sind: Sie übernehmen wichtige Aufgaben, zahlen Steuern und integrieren sich meist gut. Viele empirische Studien zeigen, dass diese Zustimmung nicht nur auf fehlender Konkurrenz am Arbeitsmarkt beruht, sondern auf deren klar erkennbaren Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft. Auch familiär bedingte Migration oder andere Arten von Erwerbszuwanderung können Unterstützung finden – vorausgesetzt sie verlaufen geordnet.

 

Befürworterinnen und Befürworter einer auf humanitären Leitlinien basierenden Migrationspolitik äußern häufig die Sorge, dass eine Zuwanderungspolitik, die sich primär an volkswirtschaftlichen Nutzen orientiert, negative Auswirkungen auf besonders vulnerable Zuwanderungsgruppen haben könnte, die rein ökonomische Kriterien nicht erfüllen (können). Ist diese Sorge berechtigt?

Diese Sorge ist berechtigt – aber sie lässt sich durch kluge Politik abmildern. Der gemeinsame Nenner erfolgreicher Migrationspolitik sind nachweisbare Vorteile für die Aufnahmegesellschaft – sei es durch wirtschaftliche Beiträge oder gelungene Integration. Dabei geht es nicht darum, vulnerable Gruppen auszuschließen. Die Debatte sollte nicht auf „Nützlichkeit vs. Menschlichkeit“ reduziert werden. Zielführender ist es, konkrete Zugangswege zu schaffen, die auf unterschiedliche Anliegen abzielen – auch jenseits rein ökonomischer Kriterien. Die großzügige Aufnahme ukrainischer Geflüchteter zeigt beispielsweise, dass auch geopolitische Aspekte die Bereitschaft beeinflussen können. Es geht also nicht um den Nutzen einzelner Personen, sondern um nachvollziehbare Politik, die sich an gesellschaftlichen und politischen Interessen orientiert. Kanadas Migrationssystem – das von humanitären Organisationen oft für seine selektiven Auswahlkriterien kritisiert wird – konnte seine Akzeptanz bewahren und gleichzeitig mehr humanitäre Aufnahmen ermöglichen als viele andere Länder. Der gemeinsame Nenner ist dabei nicht unbedingt die Herkunft oder Gruppe von Migranten, sondern eine durchdachte Politik – mit Wegen, die organisiert, zielgerichtet und sinnvoll erscheinen.

 

Unter besonders zuwanderungsfreundlichen Akteuren ist das Argument verbreitet, dass vor allem eine veränderte Rhetorik in Politik und Medien, die die positiven Seiten von Zuwanderung stärker hervorhebt, die öffentliche Meinung verändern und Vorurteile gegenüber Zuwandernden abbauen könnte. Würden Sie dem zustimmen?

Positive Botschaften können Wirkung zeigen – aber sie reichen in einem so stark polarisierten und umkämpften Politikfeld nicht aus. Wählerinnen und Wähler interessiert nicht nur, ob Migration positiv dargestellt wird, sondern ob sie tatsächlich eine positive Wirkung auf das Gemeinwohl hat. Was dem kanadischen System Akzeptanz verleiht, ist nicht ein besonders positives Narrativ, sondern eine Politik, hinter der klar artikulierte Interessen stehen und die von einer Mehrheit als fair und geordnet aufgefasst wird. Das heißt aber nicht, dass Politikerinnen und Politiker auf eine positive Vision verzichten sollten. Migration wird auch in Zukunft ein entscheidendes Thema bleiben. Der oft geäußerte Vorschlag, das Thema einfach zu meiden, ist daher keine tragfähige Strategie. Rhetorik kann den Ton setzen – aber nachhaltige Überzeugung entsteht nur, wenn die politische Mitte durch sichtbare Maßnahmen konkrete Verbesserungen erzielt. Der einzige Weg, Migration als politisches Reizthema zu entschärfen, ist eine funktionierende Politik.

 

Welche Schlüsse lassen sich für eine konsensorientierte Migrationspolitik ziehen?

Die zentrale Erkenntnis lautet: In Demokratien sind Kompromisse unverzichtbar. Migration wird nie in der gesamten Bevölkerung beliebt sein – aber sie kann breite gesellschaftliche Legitimität erlangen, wenn politische Maßnahmen öffnende und kontrollierende Elemente verknüpfen und nachvollziehbare Vorteile bringen. Das bedeutet, dass vorrangig jene Zuwanderungskanäle gestärkt werden sollten, die nachweislich dem Gemeinwohl dienen: etwa qualifizierte Arbeitsmigration, internationale Studierende oder geordnete Aufnahmeprogramme. Über die Zeit kann so Vertrauen zurückgewonnen werden und damit auch politischer Spielraum für mehrheitsfähige humanitäre Verpflichtungen. Ziel ist nicht, das Thema Migration ein für alle Mal zu lösen, sondern Politik verantwortungsvoll zu gestalten. Wichtig ist dabei: Die Debatte verläuft nicht nur zwischen restriktiven und humanitären Positionen. Die größte Gruppe besteht vermutlich aus denjenigen, die fordern, dass Migration – wie jede andere Politik – dem öffentlichen Interesse dient. In einer Demokratie zählt weniger, was Einzelne über Prinzipien wie Asyl denken, sondern was die Mehrheit kollektiv für richtig hält, denn diese Mehrheit bestimmt letztlich die politischen Ergebnisse. Die bestehenden Repräsentationslücken in der Migrationspolitik schließen sich nicht von selbst. Eine gut ausgestaltete Migrationspolitik nimmt berechtigte Bürgeranliegen ernst, unterstützt Schutzbedürftige und fördert zugleich Wohlstand und Gemeinwohl.

 

Dieses Interview wurde in englischer Sprache geführt und ins Deutsche übersetzt.

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