Außergewöhnliche Notlage auch 2023
Für die Ampel blieben in der kurzen Frist vier mögliche Lösungsansätze: Um zusätzliche Einnahmen zu generieren, könnten erstens die Steuern erhöht werden. Doch fehlende Einnahmen sind das geringste Problem im Bundeshaushalt, sie steigen regelmäßig und absehbar schneller als die Löhne und die Wirtschaftsleistung. Zweitens wäre es möglich gewesen, die mit den Mitteln aus dem KTF vorgesehenen Projekte, zum Beispiel auch hohe Subventionen für Chipfabriken und „grünen Stahl“, konsequent zu kürzen. Drittens hätten einzelne Vorhaben ersatzweise aus Mitteln des Kernhaushaltes finanziert werden können, was eine Einsparung an anderer Stelle notwendig gemacht hätte.
Die Bundesregierung wählte die vierte Option und kündigte am 23. November 2023 an, rückwirkend eine „außergewöhnliche Notlage“ beschließen zu lassen, um die Schuldenbremse auszusetzen und die bereits verplanten Summen aufzubringen.[2] Damit widerspricht sie ihren eigenen Aussagen aus dem Juli dieses Jahres, als Finanzminister Lindner richtigerweise feststellte, dass der Haushalt zwar vor strukturellen Herausforderungen stehe, aber eben nicht in einer außergewöhnlichen Notsituation.[3] Man mag zu Recht die Frage stellen, welche dramatischen Veränderungen im Sinne der grundgesetzlichen Regelung seit dem Sommer vorliegen mögen, die nicht wieder den Anschein eines schlechten Taschenspielertricks erwecken.
Notstand ohne Ende?
Der so geschaffene Nachtragshaushalt ist jedoch nur ein Reparaturversuch und bietet keine Lösungsoption in der mittleren und langen Frist. Ja, die deutsche Wirtschaft ist durch vorangegangene Herausforderungen und Krisen aus den letzten Jahren noch immer geschwächt. Aber: Die geopolitische Lage wird zunehmend komplexer und so ließen sich wohl in jedem Jahr Gründe finden, um die Schuldenbremse auszusetzen. Und ja, das Land ächzt seit Jahren unter einer Investitionsschwäche. Doch die Gründe hierfür liegen an anderer Stelle. Die Spielräume, die auch mit den aktuellen restriktiven Vorgaben der Schuldenbremse durchaus bestehen, wurden in der Vergangenheit regelmäßig nicht ausgenutzt.
Verpasste Chance für mehr Effizienz und klare Priorisierung
Für die Bundesregierung hätte das Urteil aus Karlsruhe eine – zugegebenermaßen schmerzhafte – Gelegenheit sein können, die Priorisierung von Ausgaben im Haushalt kritisch zu überprüfen. Denn entgegen der kurzzeitigen Illusion sind bei solider Haushaltsführung nicht alle noch so wünschenswerten Vorhaben gleichzeitig umzusetzen. Das daraus notwendige Abwägen divergierender Interessen ist eine Kernaufgabe politischer Führung, vor der man sich nicht auf Dauer drücken kann.
Diese Priorisierung muss natürlich berücksichtigen, dass der Staat auch weiterhin Maßnahmen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit umsetzen kann und sollte - unabhängig von der konkreten Ausstattung eines KTF. Er sollte sich aber auch bewusst sein, dass mehr Subventionen nicht immer der beste Weg sind, um dieses Ziel zu erreichen. Marktwirtschaftliche Anreizsetzung kann in vielen Fällen das effizientere Mittel sein und bedeutet mitnichten eine Abkehr von den Zielen in der Klimapolitik.
Letztendlich benötigt Deutschland für die weiter anstehenden Herausforderungen haushaltspolitische Resilienz. Eine moderate Staatsverschuldung und eine Rückkehr zur Regelgrenze der Schuldenbremse sind nicht nur ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit, sie schaffen auch erst die finanziellen Freiräume für die nächste Krise, die ohne Zweifel kommen wird.
[1] Bundesverfassungsgericht (2023): Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 ist nichtig; Pressemitteilung Nr. 101/2023 vom 15. November 2023.
[2] Handelsblatt (2023): Finanzpolitik nach dem Schulden-Urteil – Ampel am Abgrund, Heft 228/2023 vom 24.11.2023.
[3] Interview mit Finanzminister Christian Lindner, 05.07.2023, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=fUA_f_ZP1n0 (zuletzt aufgerufen am: 24.11.2023).
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