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picture alliance/United Archives | Sven Simon

Nachruf

Unterhändler im Dienst der Freiheit

Zum Tod von Ludwig A. Rehlinger (23.9.1927 - 28.03.2023)

Es gibt Politiker und Amtsträger, die oft im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, deren Verdienste mit Blick auf die langfristige Wirkung ihrer Entscheidungen aber dahinter zurückfallen. Und es gibt Jene, die in der Öffentlichkeit wenig präsent sind, deren beharrliche Arbeit im Stillen dafür aber große und langfristige Wirkung entfaltet.

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Ludwig A. Rehlinger gehörte zur letzten Gruppe. In verschiedenen Ämtern und Positionen der „alten Bundesrepublik“ wirkte er zwischen 1963 und 1989 entscheidend an den geheimen Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und dem SED-Regime über den Freikauf von über 33.000 politischen Häftlingen und der Ausreise von über 200.000 Deutschen aus der DDR mit. Als „Gegenleistung“ für den Freikauf lieferte die Bundesregierung Waren im Wert von über 3,4 Milliarden D-Mark an die DDR. Diese „besonderen Humanitären Bemühungen“, die das Leid tausender vom SED-Regime verfolgter Menschen lindern sollte, gerieten erst nach der Wiedervereinigung 1990 ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Der Deal „Mensch gegen Ware“ und seine Protagonisten – darunter auch der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel – blieben zwar politisch umstritten, doch im Leben der Begünstigten hinterließ die „gekaufte Freiheit“ und damit auch Rehlingers politisches Wirken zweifellos positive Spuren. Viele der freigekauften ehemaligen politischen Häftlinge und aus der DDR Ausgereiste verdanken Rehlingers beharrlichem Mittun ein Leben in Freiheit. 

Rehlingers Motivation war biografisch und politisch begründet. 1927 in Berlin geboren, war er als „Schülersoldat“ und kurzem Kriegseinsatz während des Zweiten Weltkriegs in britische Gefangenschaft geraten und hatte nach der Rückkehr und dem Abitur Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin studiert. Dort erlebte er den Terror des SED-Regimes ganz unmittelbar, als Kommilitonen, die sich für eine freiheitliche Demokratie engagiert hatten, plötzlich „spurlos verschwanden“. Nach einer Zeit als Anwalt trat er 1957 in die Berliner Abteilung des Bundesministeriums für Gesamtdeutsche Fragen ein. Wie er in seinen Erinnerungen schilderte, zog ihn die Aufgabe, „mit dabei zu helfen, dass nicht erneut die politische Willkür in Deutschland […] Oberhand gewann“, „mit Macht an“. Rehlinger wurde 1963 Büroleiter des aufstrebenden CDU-Nachwuchstalents Rainer Barzel und organisierte in dieser Funktion die erste erfolgreiche „Transaktion“ über die Freilassung politischer Gefangener in DDR-Haft gegen Geld. Tausende weitere sollten in den Jahren bis 1989 auf diesem Weg in Freiheit gelangen. Als Leiter des Referates, dem Barzel und seine Nachfolger als Gesamtdeutsche Minister Erich Mende (FDP) und ab 1966 Herbert Wehner (SPD) die Verhandlungen mit den DDR-Emissären über die Freilassung politischer Gefangener übertrugen, hatte Rehlinger dabei entscheidenden Einfluss.

Nach der Bildung der Sozialliberalen Koalition 1969 wurde Rehlinger Präsident des neugegründeten „Gesamtdeutschen Instituts“, diente Barzel kurzzeitig erneut als Bürochef, schied jedoch 1973 aus der Politik aus und ging in die freie Wirtschaft. Ein „Comeback“ gelang ihm im 1982 mit dem Regierungswechsel in Bonn: Rainer Barzel, von Helmut Kohl zum Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen berufen, holte Rehlinger als beamteten Staatssekretär ins Ministerium, wo er bald als „Kohls Mann für drüben“ galt. Eberhard Diepgen betraute Rehlinger 1988 mit dem Justizressort im Berliner Senat, aus dem er nach der für die CDU verlorenen Wahl 1989 aus dem aktiven Dienst ausschied.

Rehlinger war 1963 in die CDU eingetreten. Dabei gestaltete er das Ringen zwischen Union und SPD um den Kurs der Bonner Ostpolitik in den 1960er Jahren bei dem zentralen Thema der humanitären Fragen mit, oft auch im Streit mit Herbert Wehner und dem sozialdemokratischen Konzept der „Neuen Ostpolitik“, das auf eine Wandlung des SED-Regimes durch eine Annäherung, also ein größeres Entgegenkommen gegenüber den Wünschen der DDR setzte. An der Frage, wie weit man dem kommunistischen Gewaltregime in Ost-Berlin und seinen Erpressungsversuchen nachgeben solle, um Menschen zur Freiheit zu verhelfen, schieden sich die Geister. Die Sorge darüber, dass das SED-Regime die humanitäre Motivation der Bundesregierung nutzen könnte, politisch unliebsame Personen absichtlich zu verhaften, um mit ihrem Verkauf die klammen Kassen des SED-Staates zu füllen, begleitete Rehlingers Arbeit bis zum Ende seiner politischen Tätigkeit. Trotz mancher Streitigkeiten blieb über die Parteigrenzen hinweg aber der gemeinsame Nenner, den humanitären Gewinn höher als den finanziellen Verlust und politische Risiken zu gewichten.

Mit seiner Arbeit trug Rehlinger auch entscheidend dazu bei, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen in Ost- und Westdeutschland aufrechtzuerhalten. Dies war eine der Voraussetzungen dafür , dass die Wiedervereinigung von den Deutschen auch gewollt war, als sie 1989/90 in greifbare Nähe rückte. Dass Ziel der Deutschen Einheit blieb für ihn dabei nicht nur ein Lippenbekenntnis. Noch ein Jahr vor dem Mauerfall, als andere politische Kräfte bereits auf die Aufgabe dieses im Grundgesetz verankerten Ziels drängten, setzte Rehlinger dieser Haltung das politische Bekenntnis der CDU entgegen:

„Realitäten muss man nehmen, wie sie sind. Aber es ist Aufgabe der Politik, dazu beizutragen, daß es morgen andere Realitäten gibt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Geschichte ein einheitliches Deutschland bringen wird, in welcher Form auch immer, eingebettet in die Wertegemeinschaft des Westens“.

Sein Lebensthema ließ ihn auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst nicht los. Rehlinger schrieb seine Erinnerungen und stand als Gesprächspartner und Zeitzeuge zur Verfügung, hielt sich jedoch mit öffentlichen Auftritten zurück. Im hohen Alter von 95 Jahren ist Ludwig A. Rehlinger am 28. März 2023 in Eichwalde bei Berlin verstorben.

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