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"Man hilft den Schwächeren"

Hans-Gert Pöttering über die Idee Europas

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Hans-Gert Pöttering fordert anhaltende Solidarität mit Griechenland. "Diejenigen Länder, die in Schwierigkeiten sind, müssen selbst Anstrengungen unternehmen, aber mit ihnen muss auch solidarisch verfahren werden", sagte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer Stiftung in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Sparpakete und EU - das wird in der öffentlichen Diskussion ja häufig zusammengeworfen, und dann heißt es häufig, die Sparpakete treffen kleinere und mittlere Einkommensschichten eher als die anderen. Sie muss das ja schmerzen, dass Europa ja quasi so als Institution der sozialen Kälte wahrgenommen wird. Woran liegt das? Ist die Wahrnehmung der Menschen so falsch, oder ist da irgendetwas auch falsch gelaufen?

Pöttering: Also zunächst einmal bedeutet Europa Offenheit für die Menschen, dass sie sich begegnen können. Wir haben nie in Europa eine Situation gehabt, dass wir als Völker jetzt mit 500 Millionen Menschen uns so nah waren. Wenn Sie daran denken, dass seit dem 1. Juli Polen die Präsidentschaft hat in der Europäischen Union, dann ist das ein Sieg für unsere Werte. Polen war noch vor 20 Jahren kommunistisch regiert, heute ist Polen Mitglied der Europäischen Union, unserer Wertegemeinschaft. Wir müssen das Positive auch in den Mittelpunkt stellen. Natürlich sind die Bedingungen in einigen Ländern der Europäischen Union wegen der Verschuldungskrise schwierig, und ich habe großes Verständnis für die Menschen, die demonstrieren, aber das ist auch Teil unserer freien Gesellschaft, besser, dass sie demonstrieren können für ihre Anliegen - mögen sie berechtigt sein oder nicht berechtigt sein - als dass dieses nicht möglich wäre. Alles in allem glaube ich sind wir in der Europäischen Union in einer Situation, die nie so positiv war wie heute, aber die Herausforderungen, vor denen wir stehen, müssen wir bewältigen, und da muss jedes Land zusammen mit den europäischen Institutionen nach den richtigen Lösungen suchen.

Ich glaube, niemand wird Ihnen widersprechen, dass das, was Sie gesagt haben, richtig ist und dass es ein großer Zugewinn an Freiheit ist, aber die Wahrnehmung der Menschen im Moment ist ja anders, oder ist es so falsch, zu beobachten, dass da auch eine gewisse soziale Schieflage drin ist und dass das dann eben möglicherweise aus falschen Gründen mit der Europäischen Union verbunden wird? Wir haben in der vergangenen Woche hier am Samstag mit Hans-Olaf Henkel gesprochen, der hat gesagt: Es ist ja furchtbar, dass die Griechen ihre Eurokrise und ihre Schuldenkrise nicht selbst in den Griff kriegen, dass jetzt quasi die Deutschen ein Stück weit in die Haftung genommen werden - also die internen Probleme werden natürlich zum Teil auch in Europa abgeladen. Ist das der Mechanismus?

Pöttering: Ich wehre mich gegen den Gedanken, dass man die Deutschen gegen die Griechen ausspielt, sondern die Grundlage der gegenwärtigen Schwierigkeiten in einigen Ländern der Europäischen Union besteht ja darin, dass die Politiker und die Regierungen eine Politik betrieben haben, die zu einer übertriebenen Verschuldung geführt haben. Und wir müssen jetzt eine Politik machen - oder die Länder, in denen es Verschuldungsprobleme gibt, und das sind ja sehr viele Länder -, ... sie müssen Sparmaßnahmen einleiten und diese Sparmaßnahmen müssen begleitet werden durch die Solidarität der anderen, also es gehören zwei Dinge zusammen: Solidarität in der Europäischen Union, Hilfe für diejenigen, die in Schwierigkeiten sind, aber diejenigen, die in Schwierigkeiten sind, müssen auch eigene Anstrengungen unternehmen, und man sollte jetzt nicht die verschiedenen Länder der Europäischen Union, wie das in dem Zitat, das Sie gebraucht haben von der Persönlichkeit, die Sie genannt haben, gegeneinander ausspielen.

Da wird Ihnen niemand widersprechen, da muss vieles passieren, aber die Frage ist doch: Geht die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander, und sind die Sparpakete, die aufgesetzt werden - zum Teil durch den IWF und zum Teil aber auch durch die europäischen Institutionen -, haben die eine soziale Schieflage aus Ihrer Sicht oder nicht?

Pöttering: Man kann sehr schnell natürlich immer von einer Schieflage sprechen. Ich möchte auf Folgendes hinweisen: Wenn beispielsweise in Griechenland - und ich möchte überhaupt nicht den Anspruch erheben jetzt, dass wir als Deutsche nun die Lehrmeister der Griechen seien, so etwas ist immer schlecht -, ... aber wenn viele einfache Menschen, die kein großes Einkommen haben, jetzt weiter Kürzungen hinnehmen müssen, dann ist das für diese Menschen schmerzhaft. Aber wenn man auch eine wohlhabende Schicht hat in Griechenland, die bisher steuerlich nicht oder kaum belastet ist, dann muss man auch an diese Schichten ran, und ich habe den Eindruck, dass dieses jetzt durch die Regierung Papandreou in Athen geschieht, sodass es ein Anliegen sein muss, eine gerechte Politik der Steuerbelastung herbeizuführen, um so zu einer Einsparung des nationalen Haushaltes zu kommen, um damit auch die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands wieder zu stärken. Also die Sparpakete müssen und sollten ausgewogen sein, sie dürfen nicht nur die sogenannten kleinen Leute treffen.

Es wird seit einiger Zeit über so was wie Finanztransaktionssteuer diskutiert. Das hat ökonomische Gründe, man will bestimmte Spekulationen aus dem Markt nehmen, aber es hat auch diesen Aspekt der Gerechtigkeit. Auch da, oder mögen Sie das bestreiten, haben die Menschen den Eindruck: Da wird zwar geredet, aber da passiert zu wenig. Könnte die Europäische Union mehr tun, oder müssen es am Ende dann doch die einzelnen Länder machen?

Pöttering: Es gibt kein Handeln der Europäischen Union, das isoliert ist, sondern die Hauptaufgabe liegt bei den Ländern, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Und ich möchte auch daran erinnern, dass es Deutschland und Frankreich waren, die im Jahre 2003 die Maastricht-Kriterien gebrochen haben: Wir sollten jede Attitüde, jede Haltung der Überlegenheit unsererseits vermeiden, sondern jetzt das Notwendige tun, damit die Länder wieder auf die Beine kommen. Und wir haben ja heute auch Programme in der Europäischen Union, große Hilfsprogramme durch die Regionalpolitik, durch die sogenannte Kohäsionspolitik, das heißt, man hilft den Schwächeren, die diese Solidarität zum Ausdruck bringen, und dieses wird auch in Zukunft so notwendig sein, und wir sind in der Europäischen Union eine Solidargemeinschaft: Wir wollen zusammenbleiben, aber das erfordert auch Anstrengungen derjenigen, die in der Vergangenheit und auch bis in die Gegenwart vieles falsch gemacht haben.

Auch angesichts der Herausforderungen, die da jetzt noch kommen werden: Haben Sie die Hoffnung, dass dieses positive Gefühl von Europa, was Sie ganz zu Beginn unseres Gespräches beschworen haben, dass das wieder überhand gewinnt, und wer müsste was tun, damit das mehr ins Bewusstsein der Menschen rückt?

Pöttering: Ja, dafür müssen wir arbeiten. Ich möchte folgendes Beispiel sagen: Ich war Anfang März auf dem Tahrirplatz in Kairo, bin dort mit vielen, vielen Jugendlichen zusammengekommen. Es war für mich eine wunderbare Erfahrung, weil diese jungen Menschen sagten, zu mir sagten, soweit sie Englisch sprechen konnten und wir uns auf Englisch unterhalten konnten: Wir möchten so leben wie ihr in der Europäischen Union, wir möchten, dass unsere Würde geachtet wird, wir möchten leben in einer Demokratie, wir möchten Lebenschancen haben. Und das war für mich als Europapolitiker eine große Ermutigung, dass außerhalb der Europäischen Union wir in der Europäischen Union als ein Vorbild, als ein Beispiel genommen werden. Und wir sollten selber, wir, in der Europäischen Union, uns wieder stärker auch darauf besinnen, was wir erreicht haben, und das wird uns auch die Grundlage, die Kraft geben, die Probleme, vor den die Europäische Union aber auch vor allen Dingen die Mitgliedsländer der Europäischen Union oder einige von denen stehen, wird uns die Kraft geben, den Mut geben, diese Probleme auch zu lösen. Und ich bin ganz zuversichtlich, dass dieses gelingen wird, denn Europa ist ein großes Projekt der Solidarität, des Friedens, der Freiheit, der Demokratie, und auch darüber sollten wir gelegentlich sprechen, und ich bin dankbar, dass Sie durch dieses Interview das tun.

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Hans-Gert Pöttering www.poettering.de

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