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IMAGO / Bernd Elmenthaler
Reportage sui paesi

Anerkennung im Alleingang

di Anja Czymmeck, Max Willem Fricke, Nele Katharina Wissmann

Beweggründe und Folgen der Anerkennung „Palästinas“ durch Frankreich im nationalen, europäischen und internationalen Kontext

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, dass Frankreich „Palästina“ als Staat anerkennen wird. Diese Mitteilung veröffentlichte er auf der Plattform X in drei Sprachen: Französisch, Englisch und Arabisch. Die formale Anerkennung soll im September während der nächsten Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York erfolgen. Dennoch wird dieser Schritt bereits jetzt als faktische Anerkennung „Palästinas“ gewertet. Frankreich wird offiziell „Palästina“ als unabhängigen Staat anerkennen – also als eigenständige völkerrechtliche Einheit mit Anspruch auf Souveränität, wahrscheinlich auf Grundlage der Grenzen von 1967 (Westjordanland, Gazastreifen und Ost-Jerusalem).  Macron veröffentlichte zudem ein Schreiben an Mahmud Abbas, den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde. In diesem Brief hebt Macron hervor, dass Abbas ihm bereits Anfang Juni bestimmte Zusagen gemacht habe, die eine Anerkennung ermöglichten – etwa die Entwaffnung der Hamas sowie die Ankündigung von Wahlen im kommenden Jahr.

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Gründe für das Vorpreschen des französischen Staatspräsidenten 

Macron hatte eine Anerkennung „Palästinas“ bereits in der Vergangenheit mehrfach in Aussicht gestellt. Ein wesentlicher Beweggrund dies genau jetzt zu tun, dürfte die sich dramatisch verschlechternde humanitäre Situation im Gazastreifen sein. Ursprünglich wollte er diesen Schritt im Rahmen einer internationalen Nahostkonferenz verkünden, die er gemeinsam mit Saudi-Arabien unter dem Dach der Vereinten Nationen geplant hatte. Diese Konferenz wurde jedoch aufgrund des eskalierenden Konflikts zwischen Israel und dem Iran zunächst abgesagt, aber inzwischen am 28. und 29. Juli 2025 nachgeholt. Hier wird deutlich, dass Frankreich als wichtiger Stimm- und Handlungsführer im internationalen Kontext auftreten will. Wenn europäische Partner sich zögerlich zeigen, prescht man gerne im Alleingang vor, auch wenn dies Konsequenzen für die von Macron geforderte europäische Souveränität haben könnte. Macron betonte stets, dass er den Schritt der Anerkennung im Einvernehmen mit anderen Ländern gehen wolle. Besonders richtete sich sein Blick dabei auf Großbritannien, das mittlerweile eine mögliche Anerkennung ebenfalls in Aussicht gestellt hat. Nach dem Treffen mit Friedrich Merz am 23. Juli scheint Macron, zumindest auf den ersten Blick, auch in Hinblick auf Deutschland „der Geduldsfaden“ gerissen zu sein.

Frankreich hofft nun auch, den diplomatischen Druck auf Israel und die USA erhöhen zu können. Gleichzeitig soll es ein Zeichen an die USA sein, dass Europa bereit ist, eigene Wege in der Nahostpolitik zu gehen, insbesondere wenn keine Fortschritte im Friedensprozess erzielt werden.

Kritiker verweisen auf die vorrangig innenpolitische Motivation von Macrons Vorgehen. Während Premierminister François Bayrou die Vorwehen der anstehenden Haushaltsdebatte auszuhalten hat, zieht sich der Staatspräsident wieder auf das Ressort zurück, das ihm angesichts der Spaltung der Nation bleibt: die Außenpolitik. Kritiker Macrons werfen ihm auch vor, angesichts des starken Drucks der eigenen muslimischen Bevölkerung und des linken Lagers, das sich im Konflikt klar für einen palästinensischen Staat positioniert hat, eingeknickt zu sein. Auf jeden Fall schlägt die Ankündigung der Anerkennung des palästinensischen Staates in Frankreich hohe Wellen. 

 

Uneinigkeit in Frankreichs Gesellschaft und bei den Parteien

Der Repräsentative Rat der jüdischen Institutionen in Frankreich (Conseil représentatif des institutions juives de France, Crif) kritisiert Macrons Ankündigung als moralisches Fehlverhalten, diplomatischen Irrtum und politisches Risiko. Die Entscheidung stärke symbolisch die Hamas, gefährde künftige Friedensverhandlungen und könne in Frankreich antisemitische Agitation befeuern. Eine Anerkennung ohne Vorbedingungen verhindere echten Frieden, so der Crif. Laut einer vom Crif in Auftrag gegebenen Ifop-Umfrage[1] lehnen 78 % der Franzosen eine sofortige und bedingungslose Anerkennung eines palästinensischen Staates ab. 47 % fordern eine Anerkennung erst nach Freilassung aller Geiseln und der Niederlage der Hamas, 31 % lehnen eine kurzfristige Anerkennung grundsätzlich ab. Mehr als die Hälfte der Befragten befürchtet dadurch einen Anstieg des Antisemitismus (51 %) und eine Stärkung der Hamas (50 %). Nur 42 % glauben, dass eine Anerkennung den Frieden im Nahen Osten fördern würde.

Die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron, im September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen, hat erneut die tiefgreifende ideologische Spaltung innerhalb der französischen Politik offengelegt. Während das linke Lager den Schritt prinzipiell befürwortet, fordert es ein entschlosseneres und zeitlich ambitionierteres Vorgehen. Die politische Rechte hingegen wertet die Entscheidung als gefährliche Aufwertung der Hamas. Die politische Mitte zeigt sich bislang zurückhaltend oder gespalten – ein Hinweis auf die innenpolitische Brisanz dieser Initiative und die potenzielle Belastung für die ohnehin fragile Regierungsmehrheit.

Insbesondere die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) signalisiert grundsätzliche Zustimmung, äußert sich jedoch kritisch hinsichtlich der praktischen Umsetzung. Parteigründer Jean-Luc Mélenchon bezeichnete Macrons Ankündigung als „moralischen Sieg“, kritisierte jedoch die Unverbindlichkeit und die Verzögerung der Maßnahme. Er forderte eine klare und umfassende außenpolitische Neuausrichtung gegenüber Israel – einschließlich eines Waffenembargos sowie der Beendigung bilateraler Kooperationen. Ähnlich äußerte sich Fraktionschefin Mathilde Panot, die den Schritt als überfällig bezeichnete, jedoch rasche und konkrete Maßnahmen noch vor September einforderte. Sie bewertete die Anerkennung als notwendige Antwort auf 22 Monate eines von ihr so bezeichneten „Genozids“. Auch die LFI-Europaabgeordnete Rima Hassan sowie die Parteivorsitzende der Grünen, Marine Tondelier, unterstützen die Anerkennung, mahnen jedoch ebenfalls zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung sowie politischen Druck auf die israelische Regierung an.

Unterstützung erhält diese Haltung auch von den anderen linken Parteien: Fabien Roussel (Kommunisten) sowie Olivier Faure (Parti socialiste) plädieren für ein rasches politisches Handeln, das sowohl auf eine Verbesserung der humanitären Lage in Gaza als auch auf die Befreiung der weiterhin festgehaltenen israelischen Geiseln abzielt.

Ganz anders fällt die Reaktion im rechten Spektrum aus. Marine Le Pen (Rassemblement National RN) warnte eindringlich davor, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates de facto einer politischen Legitimation der Hamas gleichkäme. Aus ihrer Sicht stellt die Entscheidung einen politischen und moralischen Irrtum dar, insbesondere vor dem Hintergrund der weiterhin andauernden Geiselnahmen durch die Hamas.

Auch der RN-Parteivorsitzende Jordan Bardella äußerte sich kritisch. Er bezeichnete Macrons Vorgehen als übereilt, wenngleich er formal an der Position einer Zwei-Staaten-Lösung festhielt. Die geplante Anerkennung wertet er jedoch als eine unangebrachte internationale Aufwertung der Hamas, die aus seiner Sicht als islamistische Terrororganisation betrachtet werden müsse.

Innerhalb der Regierungsmehrheit und im gemäßigten konservativen Lager herrschte zunächst weitgehend Schweigen – ein möglicher Ausdruck innerparteilicher Irritation oder taktischer Zurückhaltung angesichts des brisanten Themas. Lediglich Caroline Yadan, Abgeordnete der Partei Macrons Renaissance und profilierte Stimme im Kampf gegen Antisemitismus, äußerte sich öffentlich. Sie sprach von einem politischen, moralischen und historischen Fehler und warf dem Präsidenten vor, in dieser Frage zu stark von Emotionen und Ungeduld geleitet zu sein.

Auch innerhalb der Partei Les Républicains (LR) blieb eine offizielle Stellungnahme des Parteivorsitzenden Bruno Retailleau bislang aus – möglicherweise aufgrund bestehender Spannungen mit dem Élysée, die sich zuletzt auch in öffentlichen Äußerungen des Innenministers niederschlugen, der das Ende des Macronismus voraussagte und dafür in starker Kritik steht. An seiner Stelle meldete sich jedoch der stellvertretende Parteichef und Europaabgeordnete François-Xavier Bellamy zu Wort. In einem Interview vom 25. Juli[2] bezeichnete er Macrons Kurs als widersprüchlich und riskant. Er erinnerte daran, dass der Präsident noch vor wenigen Monaten vier konkrete Voraussetzungen für eine Anerkennung formuliert habe: die Freilassung der Geiseln, die vollständige Entmachtung der Hamas im Gazastreifen, die Anerkennung Israels durch die umliegenden arabischen Staaten sowie die Erneuerung der Palästinensischen Autonomiebehörde – keine dieser Bedingungen sei bislang erfüllt worden. Bellamy warnte, dass der Schritt entweder wirkungslos bleibe oder sogar kontraproduktiv sei, da er von radikalen Kräften als nachträgliche Rechtfertigung des Terrorakts vom 7. Oktober interpretiert werden könnte. Senatspräsident Gérard Larcher, ebenfalls von Les Républicains, äußerte sich wie folgt: „Auch wenn die Zwei-Staaten-Lösung unumgänglich ist, ist die Anerkennung eines palästinensischen Staates unter den gegenwärtigen Umständen ein zu großes Risiko, das einer dauerhaften Friedenslösung nicht dienlich ist. Das würde der Hamas einen politischen Sieg bescheren. Das ist inakzeptabel.“[3]

 

Folgen der französischen Initiative

Die Anerkennung des palästinensischen Staates durch Frankreich wird sowohl innen- als auch außenpolitische Konsequenzen nach sich ziehen. Innenpolitisch wurde die Entscheidung bereits kontrovers aufgenommen: Während Teile der Bevölkerung sie als wichtigen Schritt zur Wahrung von Menschenrechten und internationaler Gerechtigkeit begrüßten, führten die unterschiedlichen Haltungen innerhalb der jüdischen und muslimischen Gemeinschaften zu Spannungen und einer Intensivierung gesellschaftlicher Debatten. Außenpolitisch markiert Frankreichs Schritt eine klare Positionierung zugunsten einer Zwei-Staaten-Lösung und signalisiert das Bestreben, eine aktivere Rolle im Nahostkonflikt einzunehmen. Damit stärkt Frankreich seine Beziehungen zu arabischen und muslimischen Staaten sowie zu einigen europäischen Partnern wie Spanien, Irland und Norwegen, die einen ähnlichen Schritt unternommen haben. Frankreichs Anerkennung „Palästinas“ sorgte umgehend für diplomatische Spannungen mit den USA: Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt kritisiert der neue US-Botschafter in Paris, Charles Kushner, öffentlich Präsident Macrons Entscheidung. In einem Tweet nennt er dies ein „Geschenk an die Hamas“ und kündigt an, Macron bis September umstimmen zu wollen[4].

Der Schritt Frankreichs könnte auch Europas Verhandlungsposition in der Region schwächen. Anstatt gemeinsam vorzugehen und nach einer Lösung mit anderen wichtigen Staaten Europas zu suchen, prescht Macron augenscheinlich ohne Rücksicht darauf vor. Frankreich bewegt sich damit in einem komplexen Spannungsfeld zwischen wertebasierter Außenpolitik und strategischen Bündnisinteressen.  Es ist in der Tat irritierend, dass Staatspräsident Emmanuel Macron nur weniger Stunde nach seinem Treffen mit Bundeskanzler Friedrich Merz am 23. Juli 2025, das als wegweisend für die zukünftigen deutsch-französischen Beziehungen gilt, unilateral eine so wichtige Entscheidung verkündet hat. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zeigten in letzter Zeit zunehmend Divergenzen im Umgang mit dem Nahostkonflikt. Vertreter der Union reagierten kritisch auf Macrons Initiative zur Anerkennung „Palästinas“. Sie sehen darin ein falsches Signal, das der Hamas zugutekomme. Eine Zweistaatenlösung könne aus ihrer Sicht nur dann umgesetzt werden, wenn die Hamas entmachtet sei. Auch wird befürchtet, dass Macrons Schritt zwar symbolisch sei, aber international eher zu Spannungen als zu Fortschritten führen werde.

Es wäre jedoch vorschnell, von einer Krise der deutsch-französischen Beziehungen im außenpolitischen Kontext zu sprechen. Angesichts der akuten Lage in Nahost kristallisieren sich die in der Ausführung verschiedenen, aber im Ziel doch deckungsgleichen Positionen nur noch einmal stärker heraus. Ein wichtiger gemeinsamer Schritt wurde mit der gemeinsamen Erklärung Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens vom 25. Juli gemacht, in der sie Israel dazu auffordern, sämtliche Einschränkungen für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen unverzüglich aufzuheben. Die Erklärung unterstreicht, dass der diplomatische Austausch zwischen Deutschland und Frankreich in der Nahostfrage ein gemeinsames Anliegen verfolgt: eine Deeskalation des Konflikts und konkrete Schritte zur Linderung des menschlichen Leids in der Region.

Die Anerkennung „Palästinas“ durch ein wichtiges westliches Land wie Frankreich – und noch dazu als erstes G7-Land – soll aus französischer Sicht andere Länder zu einem ähnlichen Schritt bewegen. In einem Interview mit der französischen Zeitung La Tribune Dimanche am Sonntag, dem 27. Juli, erklärte Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot, dass weitere europäische Länder demnächst ihre Absicht bekräftigen würden, den Staat „Palästina“ offiziell anzuerkennen. Zudem betonte er, dass es erstmals zu einer gemeinsamen Verurteilung der Hamas durch arabische Staaten kommen werde.

Die nächsten Wochen werden nun zeigen, ob Macrons Vorstoß zielführend ist und einen Dominoeffekt auslöst.

 


 

[1] https://www.ifop.com/wp-content/uploads/2025/06/121708-Le-regard-des-Francais-sur-la-reconnaissance-par-la-France-Resultats.pdf    

[2] https://www.lefigaro.fr/politique/emmanuel-macron-voulait-organiser-une-coalition-anti-hamas-aujourd-hui-il-est-felicite-par-ceux-qui-ont-declenche-le-7-octobre-fustige-francois-xavier-bellamy-20250725?utm_content=photo&utm_term=lefigaro&utm_campaign=Nonli&utm_medium=Social&utm_source=Facebook

[3] https://x.com/gerard_larcher/status/1948786594296598852

[4] https://x.com/USAmbFrance/status/1948647158472925414

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Contatto Anja Czymmeck
Anja Czymmeck
Leiterin des Auslandsbüros Frankreich
anja.czymmeck@kas.de +33 1 56 69 15 00

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Informazioni su questa serie

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