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Reportage sui paesi

Chile im Reformfieber

di Holger Haibach, Tjark Marten Egenhoff

Zum Besuch von Staatspräsidentin Bachelet in Deutschland

An diesem Montag wird die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet in Berlin erwartet. Ihr Besuch in Deutschland fällt in eine Zeit, in der immer deutlicher wird, wie ambitioniert die Reformagenda der Regierung ist. Gleichzeitig zeigt das sie tragende politische Bündnis „Nueva Mayoria“ erste Verschleißerscheinungen.

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Steuerreform, Bildungsreform, Wahlrechtsänderung, eine neue Verfassung, grundlegende Änderungen im Arbeitsrecht, ein neuer Anlauf im Bereich der Dezentralisierung, Aufbau eigener Energiekapazitäten, neue Akzente in der Außen- und Nachbarschaftspolitik – die Agenda von Michelle Bachelet für ihre zweite Amtszeit als Präsidentin Chiles (2014-2018) ist ausgesprochen ehrgeizig und umfasst beinahe alle Themen, die seit dem Ende der Militärdiktatur und dem Übergang zur Demokratie den politischen Diskurs bestimmen.

Die Präsidentin trat ihre zweite Amtszeit mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuss an: Sie ist die erste Präsidentin, die im demokratischen Chile wiedergewählt wurde. Und dies nach einer politischen Pause von 4 Jahren, da eine direkte Wiederwahl des Präsidenten in Chile nicht möglich ist. Mit über 60% der Stimmen erzielte sie zudem das beste Ergebnis bei Präsidentschaftswahlen überhaupt. Unweigerlich sind mit ihrem Amtsantritt somit große Erwartungen und Hoffnungen verknüpft. Getrübt wurde der Triumph jedoch durch eine besorgniserregend niedrige Wahlbeteiligung, die bei der Stichwahl auf unter die Hälfte der Wahlberechtigten fiel. Dies ist Ausdruck eines anhaltenden Vertrauensverlustes der Bevölkerung in den politischen Prozess und deutet darauf hin, wie wichtig es sein wird, die versprochenen Reformen nun umzusetzen.

Herzstück der Reformagenda: Bildung für alle?

Die Regierung setzte seit Beginn an eindeutig auf Tempo. Neben vereinzelten Sofortmaßnahmen („50 Maßnahmen für die ersten 100 Tage“) wurde zügig an den Eckpunkten der notwendigen Steuerreform gearbeitet. Diese wurde bereits von beiden Kammern des Parlaments beschlossen und sieht eine schrittweise Anhebung der Körperschaftssteuer von 20 auf 25% und die Abschaffung der Steuerbefreiung von reinvestierten Unternehmensgewinnen vor. Flankiert wird dies durch die personelle Aufstockung der Steuerbehörde und einen Vorstoß zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und Steuerflucht. Die Steuerreform bildet die Grundlage für die Gegenfinanzierung der Bildungsreform, die das Budget in den kommenden Jahren erheblich belasten dürfte. Der chilenische Staat rechnet bei bisheriger Wirtschaftsentwicklung bis 2018 mit einer Steigerung der Steuereinnahmen um ca. drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

An der Reform des Bildungssystems käme keine Regierung in Chile vorbei. Bachelet stellte konsequenterweise sowohl die Qualität als auch den Zugang und die Bezahlbarkeit von Bildung in den Mittelpunkt der Reformdiskussion.

Das Bildungssystem in Chile ist für seine Nutzer eines der teuersten weltweit. Gerade Familien aus der Mittelschicht nehmen hohe Kredite auf, um ihren Kindern eine Erziehung in einer der privaten Schulen oder Universitäten des Landes zu ermöglichen. Die Alternative sind staatliche Schulen, die chronisch unterfinanziert sind. Jeder, der es sich leisten kann, wählt somit den einzigen Weg der sozialen Mobilität über die privaten Universitäten mit der ungewissen Aussicht, die privat aufgenommenen Schulden wieder zurückzahlen zu können.

Die Reform setzt hier ein klares Signal in Richtung öffentliche Bildung, die allen ermöglichen soll qualitativ hochwertige Bildung zu genießen. Bildungseinrichtungen sollen in Zukunft nicht mehr gewinnorientiert geführt werden dürfen, wobei staatliche Zuzahlungen an Privatschulen („copago“) schrittweise abgeschafft werden sollen.

Die Abgeordnetenkammer hat im Oktober einen entsprechenden Teilentwurf der Reform verabschiedet, der jetzt dem chilenischen Senat vorliegt. Allerdings mehren sich schon die kritischen Stimmen und es kann davon ausgegangen werden, dass der politische Entscheidungsprozess eines gemeinsamen Ausschusses bedarf, welcher dann einen Kompromissvorschlag erarbeiten müsste. Zu diesem Zeitpunkt scheint es noch nicht klar, inwieweit die Reformpläne der Regierung den politischen Entscheidungsprozess in ihrer jetzigen Form überstehen.

Um den politischen Druck zu erhöhen hat die Präsidentin seit Beginn ihrer zweiten Amtszeit klar auf den Druck der Straße – d.h. der Studenten-, Lehrer und Hochschulverbände – gebaut. Diese Taktik bedarf jedoch hoher Popularitätswerte: Bei abnehmendem politischen Kapital könnte sich der Protest der Studenten und Schüler schnell auch gegen die Regierung richten – insbesondere wenn kritische Punkte wie die Bezahlbarkeit von Bildung nicht nachhaltig in der Reform verankert werden.

Auch in der Frage der Finanzierung gibt es neue Unsicherheiten: Erschwert wird die Reform vor allem durch eine schwächelnde Konjunktur, die die Höhe der erwarteten Mehreinnahmen unrealistisch erscheinen lässt. Wirtschaftsexperten rechnen für dieses und das kommende Jahr mit einem Wachstum zwischen einem und höchstens drei Prozent – bei weitem weniger als die von der Regierung angenommene Projektion. Bei anhaltendem Trend des Kupferpreisverfalls auf dem Weltmarkt ist angesichts der Abhängigkeit der chilenischen Wirtschaft vom Kupferexport auch kaum mit einer schnellen Erholung zu rechnen. Weitere Engpässe werden sich auch daher ergeben, dass auch andere Ressorts – wie etwa Gesundheit – von den Mehreinnahmen profitieren sollen. Gleichzeitig wird immer stärker wahrgenommen, dass die Abstimmungsprozesse innerhalb der Regierungskoalition Nueva Mayoria sich als wesentlich schwieriger und langwieriger herausstellen als ursprünglich erwartet.

Verfassungs- und Wahlrechtsreform

Chile verfügt mit dem binominalen Wahlrecht über ein einzigartiges Konstrukt aus den Zeiten der Militärdiktatur. Das Wahlrecht zementiert die politischen Verhältnisse in einem Zwei-Lager System, welches die politische Heterogenität nicht mehr abbildet und einen gesunden politischen Wettbewerb in Chile verhindert hat. Glücklicherweise gibt es über Parteigrenzen hinweg einen breiten Konsens zur Einführung des Verhältniswahlrechts. Um ein fairere Repräsentation aller Regionen des Landes zu gewährleisten, soll die Zahl der Abgeordneten und Senatoren erhöht werden. Welche Auswirkungen eine Änderung des Wahlrechts auf die beiden Parteienbündnisse (Nueva Mayoria und Alianza por Chile) und ihre Mitglieder bei der Wahl 2017 haben wird, lässt sich bis hierhin noch nicht absehen. Allerdings lässt sich vermuten, dass Bewegung ins politische Systems Chile kommen wird, welches dann auf neuem Wege regierungsfähige Koalitionen produzieren muss.

Beobachter der Wahlrechtsreform – die als separates Paket im Verfassungsreformprozess behandelt wird – gehen davon aus, dass der Entwurf eine parlamentarische Mehrheit findet. Die anderen Eckpunkte der Verfassungsreform, die u.a. eine Verankerung von persönlichen Grundrechten vorsieht, beinhalten durchaus kontroverse Fragen in einer sehr traditionell geprägten Gesellschaft, die keineswegs auf einen Konsens hinweisen: Insbesondere erhitzen sich die Gemüter an der Debatte um Schwangerschaftsabbruch und den Rechten homosexueller Partnerschaften.

Der letzte Versuch die noch aus der Militärzeit stammende Verfassung zu ändern, ist unter der Präsidentschaft Lagos gescheitert. Wie damals ist die politische Debatte um die Kodifizierung der sozialen und politischen Veränderung emotional stark aufgeladen.

Kontinuität oder Neujustierung der Außenpolitik?

Außenpolitisch hat die neue Regierung recht schnell neue Akzente gesetzt. Auch wenn die Initiative einer Pazifikallianz aus der Feder der ersten Regierung Bachelet stammt, hat der Vorstoß Chiles zur Einbindung der Pazifikallianz in das bestehende Geflecht regionaler Organisationen in Lateinamerika für einige Irritationen gesorgt. Insbesondere die Suche nach Anknüpfungspunkten mit Argentinien und Brasilien wurde in Chile kritisiert, da die neue Allianz gerade in der pragmatischen Ausrichtung auf den intra-regionalen Freihandel ihre Stärke findet.

Die Regierung Bachelet hat angekündigt, die nicht unkomplizierte Nachbarschaftspolitik in den Mittelpunkt ihrer außenpolitischen Bemühungen zu stellen. Während sich die Beziehungen zu Peru nach dem Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zum Seerechtsstreit weiter normalisieren, ist das Verhältnis zu Bolivien weiterhin so angespannt, dass es nach wie vor keinen Austausch von Botschaftern gibt. Bolivien hat, dem Beispiel Perus folgend, Klage beim Internationalen Strafgerichtshof gegen Chile eingereicht. Dabei geht es aber, anders als im Falle von Peru, nicht im Wesentlichen um einen Seerechtsstreit, sondern um einen eigenständigen Zugang Boliviens zum Meer. Auch wenn der Klage Boliviens kaum Chancen eingeräumt werden, verstärkt der Blick auf die Auseinandersetzung die Notwendigkeit eine kohärente Nachbarschaftspolitik zu entwickeln. Wie sich das Verhältnis zu den großen Nachbarn Argentinien und Brasilien entwickeln wird, hängt nicht unwesentlich vom Ausgang der Wahlen in den beiden Ländern ab. Die Beziehungen zu Argentinien sind, nicht nur aufgrund zurückliegender Grenzstreitigkeiten, schwierig. Dies stellt für Chile eine besondere Herausforderung dar, da Argentinien zu den Hauptenergielieferanten gehört und in der Vergangenheit gezeigt hat, welchen Einfluss es auf die Energiesicherheit Chiles nehmen kann.

Als nicht ständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat (2014/2015) hat Chile bisher kaum ein eigenes Profil gezeigt – trotz der immer deutlicheren sicherheitspolitischen Herausforderungen auf dem lateinamerikanischen Subkontinent. Auch wenn Chile auf multilateraler Ebene durchaus im Sinne des Westens kooperiert, und sich unter der Präsidentin Bachelet stärker als bisher dem MERCOSUR verpflichtet fühlt, kann man an der außenpolitischen Schwerpunktsetzung auf Asien ablesen, dass sich die nationalen Interessen stetig gen Pazifik verlagern.

Alles auf dem Prüfstand…

Neben der Fortführung der Bildungsreform und dem Beginn der Arbeiten an der Verfassungsreform gibt es noch mehrere Reformprojekte, die sich bis jetzt bestenfalls im Anfangsstadium befinden. So soll eine Reform des Arbeitsrechts für einen gerechteren Ausgleich zwischen den Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sorgen. Im Bereich der Energieversorgung plant die Regierung durch die Förderung der erneuerbaren Energien die Abhängigkeit von Energieimporten zu drücken. Ziel ist es, den erneuerbaren Anteil am Energiemix bis zum Jahr 2020 auf 20% zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund wird die deutsche Energiewende mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Und schließlich hat sich die Präsidentin auch noch zum Ziel gesetzt, den ins Stocken geratenen Prozess der Dezentralisierung zu reaktivieren. Hierzu hat sie eine ihr direkt unterstellte Kommission eingesetzt, die inzwischen entsprechende Vorschläge unterbreitet hat. Inwieweit diese allerdings in einem doch mehr zur Zentralisierung neigenden politischen System und gegen erhebliche politische Widerstände durchzusetzen sind, bleibt fraglich.

Eine ambitionierte Agenda

Nach Ihrer Rückkehr aus Deutschland wird sich Präsidentin Bachelet wieder voll der innenpolitischen Reformagenda widmen müssen. Viel steht auf dem Spiel: Sie ist den Beweis angetreten, dass die chilenische Gesellschaft reformfähig ist. Sie weiß, dass das Vertrauen der Menschen in das politische System davon abhängen wird, in wieweit sich Eckpunkte der Reformen durchsetzen lassen. Und nicht zuletzt hängt von der erwarteten Umsetzung der Reformen auch die Glaubwürdigkeit der Präsidentin selbst ab.

Nach sieben Monaten ist es sicherlich zu früh, die Regierung anhand der bisherigen Ergebnisse zu evaluieren. Es erscheint jedoch nicht voreilig, um festzustellen, dass sich die Regierung einen ambitionierten Fahrplan für die zahlreichen und tiefgreifenden Reformen gesteckt hat. Größere Hindernisse liegen sicherlich auch in den Auseinandersetzungen im eigenen Lager der Nueva Mayoria, die den anfänglichen Schwung aus dem Reformeifer genommen hat. Bereits jetzt wird in Chile über eine Kabinettsumbildung spekuliert, ohne dass dies einen Befreiungsschlag bedeuten würde. Auch wenn bei vielen wichtigen Punkten der Reformdebatte noch Unklarheit herrscht, so kann man doch davon ausgehen, dass die Regierung Bachelet einen grundlegenden und wichtigen Reformprozess in Chile einleiten wird, der das Land noch auf geraume Zeit beschäftigen wird.

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