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Alex Lanz / flickr / CC BY - NC - ND 2.0

Reportage sui paesi

Die vergessene Krise

Die humanitäre Krise in Venezuela erreicht kurz vor Weihnachten einen neuen traurigen Höhepunkt

Die Welt spricht in diesen Tagen viel von den Flüchtlingen aus Mittelamerika, die sich Richtung USA bewegen, aber eine ganz andere humanitäre Krise gerät darüber völlig in Vergessenheit, obwohl die Situation in Venezuela äußerst dramatisch ist. Für viele Venezolaner wird das Weihnachtsfest 2018 eines der traurigsten in der neueren Geschichte des erdölreichsten Landes der Welt. Die anhaltende Hyperinflation, die faktische Dollarisierung und die hohe Arbeitslosigkeit stellen die meisten Venezolaner vor existentielle Herausforderungen. Vielen blieb daher als einziger Ausweg nur die Auswanderung. So müssen viele venezolanische Familien getrennt von ihren Verwandten und Freunden die Weihnachtszeit verleben. An Geschenke oder ein besinnliches Weihnachtsmahl ist zurzeit kaum zu denken. Auch 2019 verspricht keine positiven Veränderungen.

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Hyperinflation dauert an

In den letzten beiden Jahren durchlebt Venezuela eine humanitäre Krise, die sich durch eine katastrophale Wirtschaftspolitik und die damit verbundene Hyperinflation täglich verschlechtert. Vor allem die Jahre 2017 und 2018 waren von einer der höchsten je registrierten Hyperin­flation weltweit geprägt. Im November 2018 be­trug die tägliche Inflation drei Prozent, die mo­natliche Inflation 144,2 Prozent, die Inflation im Vergleich zum Vorjahr 1.299.724 Prozent und die Inflation bei den Preisen von Lebensmitteln und nicht-alkoholischen Getränken 171 Prozent.[i] Der Großteil der Bevölkerung hat keinen Zugang zu einer ausländischen Fremdwährung, vorrangig dem US-Dollar, und kann sich oft keine Grund-nahrungsmittel, Bildung, Transport und vor allem Medikamente leisten. Er ist praktisch zu 100 Prozent vom sozialistischen Regime, z. B. durch Lebensmittelkarten und Lebensmittel­boxen, abhängig. Hunger als politisches Druck­mittel und eine stärker werdende politische Re­pression sind damit eine alltägliche Realität. Die venezolanische Mittelschicht ist zu einem großen Teil bereits ausgewandert. So schreitet die Spal­tung der Gesellschaft in eine kleine sehr wohlha­bende Oberschicht, eine Mischung der neuen und alten Eliten, und eine bitterarme Unter­schicht unaufhaltsam voran.

Offizielle statistische Daten zur sozioökonomi­schen und humanitären Situation in Venezuela sind größtenteils nicht vorhanden. Studien von lokalen, nationalen sowie internationalen Organi­sationen zeigen jedoch, dass sich die sozio-öko­nomischen Verhältnisse rasend schnell ver­schlechtern. Eine der wichtigsten Umfragen ist die ENCOVI- Studie (Encuesta sobre las Condiciones de Vida en Venezuela), die zur Feststellung der Lebensbedingungen unter Beteiligung der Katho­lischen Universität Andrés Bello (UCAB) durchge­führt wird. Eine Vielzahl von Nichtregierungsor­ganisationen arbeitet außerdem gemeinsam mit der von der Opposition dominierten Nationalver­sammlung an der Erhebung von Daten zum Zu­stand des Gesundheitswesens und der Wirt­schaft.

Ein weiterer wichtiger Indikator für die Ver­schlechterung der Lebensbedingungen in Vene­zuela sind außerdem die steigenden Migrations­zahlen, die vom UNHCR (UN Refugee Agency) und der IOM (Internationale Organisation für Migra­tion) erhoben und geordnet werden.

Ernährungsunsicherheit

Die Bevölkerung verbringt einen Hauptanteil ihrer Zeit mit der Beschaffung von Lebensmitteln und Medikamenten. Selbst gut ausgebildete Venezolaner mit akademischen Abschlüssen können mit ihrem Gehalt den Warenkorb für eine normale Familie nicht mehr bestreiten und sind oftmals auf zusätzliche Einkünfte aus dem Aus­land angewiesen. Diese Zuwendungszahlungen aus dem Ausland (span. remesas) werden immer wichtiger, auch in den Armenvierteln des Landes. Mittlerweile sollen rund 25 Prozent der Bevölke­rung auf die remesas zurückgreifen können und müssen. Daran konnte auch die Währungsum­stellung vom 20.08.2018 nichts ändern, im Ge­genteil. Die Regierung strich einfach die letzten fünf Nullen der vorherigen Währung Bolívar Fuerte und bestimmte bei einem Großteil von Grundnahrungsmitteln subventionierte Fest­preise und erhöhte drastisch den Mindestlohn in der neuen Währung Bolívar Soberano. Die di­rekte Konsequenz war eine Preisexplosion und eine faktische Dollarisierung der Wirtschaft. Re­gulierte Produkte wie Fleisch, Eier, Butter, Milch sind kaum oder nur noch zu extrem hohen Prei­sen und auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Es kam und kommt zu regelmäßigen Plünde­rungen. Des Weiteren kommt es gerade im Vor­feld vom Weihnachtsfest zu einer Vielzahl von oft spontanen, über das ganze Land verteilten, Protestkundgebungen, die aus der Zivilgesell-schaft heraus organisiert werden. So gehen z. B. Rentner für ihre nichtgezahlten Pensionen auf die Straße und rufen Bürgerkomitees zum Protest gegen die katastrophalen Verhältnisse bei der Wasser- und Stromversorgung sowie beim öffentlichen Nahverkehr auf.

Die Lebensmittelproduktion kommt immer mehr zum Erliegen und das sozialistische Regime benö­tigt steigende Lebensmittelimporte aus dem Ausland. Viele kleine Betriebe und Un­ternehmen mussten im Zuge der Währungsum­stellung endgültig schließen. Ein weiterer harter Schlag für den kleinen verbleibenden Privatsektor im Land. Für Januar wird prognostiziert, dass die Knappheit an Grundnahrungsmitteln zunimmt.

In der ENCOVI-Umfrage von 2017 gaben 90 Pro­zent der befragten Haushalte an, dass ihr Ein­kommen nicht für die Lebensmittelgrundversor­gung ausreicht. Eine weitere erschreckende Zahl zeigt, dass 80 Prozent angaben, ihre Mahlzeiten zu verkleinern, da es an Lebensmitteln mangelt oder diese unerschwinglich sind. Die Studie geht davon aus, dass 80 Prozent der befragten Haus­halte im Jahr 2017 nicht als ernährungssicher eingestuft werden konnten.[ii] Alle beteiligten Experten sind sich sicher, dass die Zahlen für das Jahr 2018 und 2019 erheblich negativer ausfallen werden.

Zusammenbruch des Gesundheitssys­tems

Der traditionell gut ausgebildete Gesundheitssek­tor wurde besonders stark von der Migrations­bewegung getroffen. So haben 55 Prozent des registrierten medizinischen Personals, 24 Prozent der Krankenschwestern[iii] sowie 30 Prozent des technischen Laborpersonals ihren Job in Vene­zuela aufgegeben und migrierten vornehmlich in südamerikanische Nachbarländer.[iv][v] Gerade in Chile und Argentinien wird gut ausgebildetes medizinisches Personal für die entlegeneren Landesteile gesucht und benötigt.

Neben der extrem prekären Versorgungslage mit Grundnahrungsmitteln sowie der sich rapide verschlechterten hygienischen Situation aufgrund von immer größeren Ausfällen innerhalb der Wasser-, Strom- und Abfallentsorgung, ist wohl der weit beunruhigendere Aspekt der humanitä­ren Krise das komplett in sich zusammenfallende Gesundheitssystem. So brechen eigentlich gut unter Kontrolle gehaltene Krankheiten erneut aus und stellen aufgrund der starken Migration auch eine direkte Gefahr für die Region dar.

Die Krankenhäuser befinden sich in schlechten, desolaten Zuständen und kön­nen selbst eine medizinische Grundversorgung nicht leisten, da es an allem Notwendigen, vorrangig an Medikamenten und Verbandsmaterial mangelt. Die Krankenhausum­frage, die in Kooperation mit der legitimen, de­mokratischen Nationalversammlung auf den Weg gebracht wurde, zeigte im März 2018, dass von 134 befragten Krankenhäusern in 22 der 24 Bundesstaaten ein Großteil nicht vollfunktionsfähig war. 79 Prozent der Einrichtungen berichteten über Ausfälle bei der Wasserversorgung, 94 Prozent verfügten über keine oder nur teilweise funktio­nierende Röntgen-Apparate und 88 Prozent klag­ten über starke Engpässe bei der Medikamenten-versorgung (Encuesta Nacional de Hospitales 03/2018).[vi]

Die schlechten hygienischen Bedingungen, ge­paart mit der Knappheit von Standardmedika­menten, haben teilweise dramatische Entwick­lungen herbeigeführt. So stieg im Jahr 2016 die Kindssterblichkeit um 30 Prozent und die Mütter-sterblichkeit sogar um 65 Prozent im gleichen Zeitraum.[vii]

Diese Negativ-Liste lässt sich für eine Vielzahl von Krankheiten fortführen. So ist seit 2016 auch wieder eine Vielzahl von Fällen von Diphterie zu registrieren. Eine Krankheit, die in Venezuela eigentlich nicht mehr existierte. Man spricht mittlerweile von epidemischen Zuständen. Bis August 2018 wurden 1.217 Fälle bestätigt und über 2000 unter Verdacht registriert.[viii][ix][x]

Ähnliche Dimensionen sind bei Tuberkulose und Malaria festzustellen. Im Vergleich zu 2016 wurde bei Malariafällen 2017 ein Anstieg von 69 Prozent verzeichnet. Schätzungen gingen für 2017 von 406.000 Malariaerkrankten aus.[xi][xii] Die Zahlen sind alarmierend, denn aufgrund der fehlenden Behandlungsmöglichkeiten und der zusammen­brechenden Infrastruktur (Wasserversorgung, stehendes Wasser in der Kanalisation, etc.) wird von einer hohen Neuansteckungsrate von bis zu 700.000 Fällen und sogar von möglichen 1500 Toten ausgegangen.[xiii] Zwischen 2000-2018 ist ein Anstieg von 1.950 Prozent zu verzeichnen. Laut aktueller Zahlen der Nichtregierungsorganisation Alianza Salud liegt die Zahl der Malariafälle in diesem Jahr geschätzt bei über 610.000, bei bereits 450 Todesfällen.

Bei den Tuberkuloseneuerkrankungen wurden 10.952 Neuinfektionen registriert. Somit lag der Anstieg zwischen 2011 und 2017 laut WHO bei 67 Prozent.[xiv][xv]

Ebenfalls gehen Experten von einem bedrohli­chen Anstieg bei der Ansteckung von unter­schiedlichen Geschlechtskrankheiten aus. Die fehlenden Diagnose- und Behandlungsmöglich­keiten sowie die immer weniger vorhandenen Verhütungsmöglichkeiten sind alarmierende Indizien für die stärke Verbreitung von sexuell Übertragbaren Krankheiten, wie zum Beispiel HIV, Hepatitis C, etc.

So stieg die Neuansteckungsrate bei HIV zwi­schen 2010-2016 um 24 Prozent, wobei nur im Jahr 2016 6.500 neue Fälle bekannt sind. Auf­grund der fehlenden Ausstattung sind HIV-Test und die notwendige Behandlung kaum möglich.[xvi]

Bildungssystem leidet unter der Krise

Das Bildungssystem ist ebenfalls stark von der humanitären Krise in Venezuela betroffen. Die dieses Jahr erschienene ENCOVI-Studie zeigt, dass circa eine Million Schüler zwischen 3 -17 Jahren nicht mehr die Schule besuchen und zu­sätzlich 2,8 Millionen Kinder nur unregelmäßig am Unterricht teilnehmen.[xvii]

Die Gründe der Abwesenheit hängen meist direkt mit der schlechten Versorgungslage und Infra­struktur zusammen. Öffentliche und private Schulen leiden außerdem unter den starken Aus­wanderungsbewegungen innerhalb des Lehrperso­nals sowie der Schülerschaft. Dies trifft auch für die Universitäten zu. Die niedrigen Gehälter der Berufsgruppe der Lehrer sowie der Universitäts­professoren hat viele dazu bewegt, ins Ausland abzuwandern oder einer anderen Tätigkeit in Venezuela nachzugehen.

sogenannte brain drain stellt sich für Venezuela noch dramatischer dar, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht genügend gut ausge­bildete Nachwuchskräfte heranwachsen, die dem Land für einen möglichen Wiederaufbau fehlen werden.

Massenauswanderung steigt

Laut der IOM lebten Ende 2017 von 31,8 Millio­nen Venezolanern 1,6 Millionen außerhalb ihres Heimatlandes. 2014 waren es lediglich 700.000.[xviii] Im Laufe des Jahres 2018 haben sich die Aus­wanderungszahlen nochmals dramatisch erhöht. Im November 2018 lag laut UNHCR die Zahl von venezolanischen Migranten und Flüchtlingen bereits bei 3,3 Millionen. Der Großteil der Vene­zolaner sucht Zuflucht im Nachbarland Kolum­bien und weiteren Staaten Latein- und Mittel­amerikas. So leben mittlerweile über eine Million Venezolaner in Kolumbien, gefolgt von Peru, wo Ende 2018 über eine halbe Million Venezolaner eingetroffen sind.

Andere wichtige Aufnahmeländer sind Ecuador mit über 220.000, Argentinien 130.000, Chile über 100.000, Panama 94.000 und Brasilien, wo kurz vor dem Jahreswechsel 85.000 Venezolaner le­ben.[xix] In den USA gibt es außerdem schon seit vielen Jahren eine bedeutende venezolanische Gemeinde (circa 290.000 in 2016). Dasselbe gilt für Spanien, wo bereits 2017 mehr als 200.000 venezolanische Staatsbürger, hiervon viele mit doppelter Staatsangehörigkeit, registriert waren.[xx]

Der Leiter der kolumbianischen Migrationsbe­hörde, Christian Kruger, geht zum jetzigen Zeit­punkt davon aus, dass, wenn sich die drama­tische wirtschaftliche Lage nicht ändere, die Zahl, der in Kolumbien lebenden Venezolaner sich im Laufe des Jahres 2019 verdoppeln könnte. Eine ähnliche Perspektive schließt er für die anderen Hauptaufnahmeländer ebenfalls nicht aus.[xxi] Füh­rende Wissenschaftler des Center for Internatio­nal Development der Harvard University, unter der Leitung des venezolanischen Ökonom Ricardo Hausmann, schätzen, dass bereits jetzt über 5 Millionen Venezolaner außerhalb ihres Heimatlandes leben.[xxii] So scheint die Projektion, dass bis Ende 2019 mehr als 7 - 8 Millionen Vene­zolaner, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, ihr Land verlassen könnten, als nicht ganz unrealis­tisch.

Laut dem UNHCR verlassen die Migranten aus einer Vielzahl von Gründen Venezuela. Hierbei spielen politische Verfolgung, Lebensmittel- und Medikamentenknappheit eine wesentliche Rolle. Die Befragung von venezolanischen Migranten in den Grenzregionen Kolumbiens zeigte, dass 90 Prozent der Befragten aufgrund von Lebens­mittelknappheit emigriert sind, 82 Prozent gaben als Grund das Fehlen von Arbeitsplätzen an, die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von not­wendigen Medikamenten nannten 54 Prozent und für 49 Prozent war die allgemeine Unsicher­heit und Gewalt der Grund für das Verlassen ihres Heimatlandes.[xxiii] In Peru zeigten die Umfra­gen eine Verlagerung der Beweggründe. Aus wirtschaftlichen Gründen emigrierten hier 58 Pro­zent der Befragten, jedoch nur 8 Prozent auf­grund der Lebensmittel- und Medizinknappheit.[xxiv]

Diese Zahlen zeigen auch, wie unterschiedlich die Migration je nach Region ist. Ins südlicher gele­gene Peru sowie auch Argentinien, Uruguay und Chile sind zunächst vor allem gut ausgebildete Venezolaner aus der ehemaligen Mittelschicht eingewandert. War in den letzten 10 Jahren die Migrationsbewegung sehr stark vom Bildungs­bürgertum geprägt, wandern seit 1 - 2 Jahren ver­stärkt Menschen aus den oftmals ungebildeten ärmeren und sozialschwachen Teilen der Gesell­schaft aus. Die direkten Auswirkungen zeigen sich in den Nachbarländern, wo sich viele Vene­zolaner zunächst nicht den Traum von einem besseren Leben verwirklichen können, sondern in die nächste prekäre Armutssituation rutschen. Kolumbien und Brasilien haben bereits die inter­nationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten, da die nationalen Sozialsysteme mit der Massenmigra­tion schlicht weg überfordert sind. Die Auswir­kungen der Migrationskrise spürt man mittweile in ganz Südamerika. Somit hat sich die venezola­nische Diaspora zu einem regionalen Problem entwickelt.

Die Asylanträge von Venezolanern liefern eben­falls deutliche Zahlen. Waren es im Jahr 2014 nur knapp über 4000 Venezolaner, die Asyl beantrag­ten, stieg die Zahl bis Mitte 2018 auf 282.180; davon wurden alleine im Jahr 2017 113.000 Asyl­anträge gestellt.[xxv] Dies ist ein klares Anzeichen dafür, dass sich das Land in einer dramatischen humanitären, politischen und wirtschaftlichen Krise befindet. Bisher hat das sozialistische Re­gime in Caracas die Massenmigration und die interne humanitäre Krise jedoch als eine negative Propaganda aus dem imperialistischen Ausland, besonders Kolumbien und den USA, abgetan und negiert.

Politischer Ausblick

Die interne politische Krise spitzt sich zudem weiter zu. Der Tod des Oppositionspolitikers Fernando Albán (Primero Justicia) am 8.10.18 hat für große Aufregung in und außerhalb Vene­zuelas gesorgt. Albán wurde vor seinem Tod direkt nach seiner Rückkehr von einer Reise nach New York vom Geheimdienst SEBIN festgenom­men. Er wurde beschuldigt, an dem „mutmaß­lichen“ Attentat gegen Präsident Maduro am 4. August 2018 beteiligt gewesen zu sein. Die staat­lichen Behörden behaupteten, dass Albán Selbstmord begangen und sich aus dem 10. Stock des Geheimdienstgebäudes gestürzt habe.

Die gesamte Opposition zweifelt bis heute an dieser Version, da sich unterschiedliche offizielle Stellen widersprüchlich äußerten. Es wird davon ausgegangen, dass Albán während des Verhörs zu Tode kam und die Regierung diese Tatsache vertuschen wollte. Von vielen Regierungen welt­weit wurde eine transparente Aufklärung gefor­dert. So auch von der Bundesregierung. Das Regime reagierte sofort und ermahnte die deutsche Kanzlerin, die staatliche Souveränität Venezuelas nicht in Frage zu stellen.

Auch der UN-Menschenrechtsrat übte scharfe Kritik. Der venezolanische Staat sei seiner Ver­pflichtung, die Sicherheit von Inhaftierten zu gewährleisten, nicht nachkommen.

Seit bereits mehr als vier Monaten ist der Abge­ordnete der venezolanischen Nationalversamm­lung Juán Requesens (Primero Justicia) in Haft. Auch ihm wird vorgeworfen, maßgeblich am „mutmaßlichen“ Attentat beteiligt gewesen zu sein. Seine Immunität als Abgeordneter wurde aufgehoben. Zu Beginn seiner Verhaftung wur­den Videos veröffentlicht, die stark darauf hin­deuteten, dass er auf Drogen gesetzt und ver­mutlich auch gefoltert wurde. Bei vielen Oppo­sitionspolitikern hat sich die Angst vor politischer Verfolgung im Anschluss zunehmend vergrößert. Die Fälle zeigten, dass sich die Willkürlichkeit des Regimes erheblich erhöht hat. Die anhaltende Wirtschaftskrise sowie interne Scharmützel in der Führung des Regimes führen dazu, dass das Regime als einzigen Weg zur Machterhaltung die Verbreitung von Angst und stärkerer Unter­drückung sieht.

Die Koalition für Menschenrechte und Demokra­tie (Coalición por los Derechos Humanos y la Democracia), eine aus führenden Strafrechtlern und Menschenrechtsanwälten bestehende Orga­nisation, geht zu Beginn des Monats Dezember 2018 davon aus, dass zurzeit in Venezuela 401 Personen als politische Gefangene gehalten wer­den. Diese kommen meist aus der Zivilgesell­schaft und dem Militär sowie Politiker, Polizisten und Studenten. Seit mehr als einem Monat sitzt auch der deutsche Journalist Billy Six im Gefäng­nis des venezolanischen Geheimdiensts SEBIN, genannt „El Helicoide“, das früher einmal als Einkaufszentrum funktionierte. Six wird unter anderem Rebellion und Spionage vorgeworfen.

Die jüngsten Kommunalwahlen vom 9. Dezember 2018, wenn das Wort Wahlen überhaupt Ge­brauch finden kann, zeigten, dass das Regime selbst mit Sozialgeschenken keine Wähler mehr gewinnen kann. So lag die Wahlbeteiligung bei unter 28 Prozent. Selbst politischer Druck und Hunger als Druckmittel konnten die Bevölkerung nicht dazu bewegen, wählen zu gehen. Die Oppo­sitionsparteien hatten geschlossen zum Boykott aufgerufen. Nur in einigen Oppositionshochbur­gen traten Wählerbündnisse an, um die Mehrheit in den Stadträten zu verteidigen. Dies gelang jedoch merklich nur in der Gemeinde El Hatillo, einem Hauptstadtbezirk von Caracas.

Das Regime hat seine politische Macht nun, außer in der legitimen Nationalversammlung, im ganzen Land auf dem Papier manifestiert. Die große Siegesfeier blieb jedoch aus. Die noch nie da gewesene Wählerenthaltung hat wohl doch überrascht.

Die Opposition versucht sich derweil neu aufzu­stellen und zu ordnen. Auf zahlreichen Regi­onal-konferenzen und einer großen nationalen Abschlusskonferenz hat der Frente Amplio, ein Bündnis aus Teilen der ehemaligen Mesa de Unidad[xxvi] und der Zivilgesellschaft sowie der katho­lischen Kirche, versucht, Einigkeit zu demonstrie­ren. Die Ergebnisse sind vorsichtig zu bewerten. Aber es wurde dennoch deutlich, dass es immer noch eine große Anzahl von zivilgesellschaftlichen und politischen Kräften im Land gibt, die versuch­t, mit demokratischen Mitteln einen Regime­wechsel herbeizuführen und bereit ist dafür zu kämpfen.

Das nächste Schicksalsdatum ist der 10. Januar 2019. An diesem Tag ist die illegitime Amtsein­führung von Präsident Nicolás Maduro. Stellt sich die Frage, wie die internationale Gemeinschaft auf einen, dann wirklich, komplett illegitimen venezolanischen Präsidenten reagiert.

Aus diplomatischen Kreisen der Lima-Gruppe (Argentinien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Mexiko, Pa­nama, Paraguay und Peru) ist zu vernehmen, dass es Überlegungen gibt, sämtliche diploma­tische Beziehungen zu kappen, wenn der Präsi­dent sich erneut ins Amt heben lässt.

Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicher­heitspolitik, Federica Mogherini ließ verlauten, dass die EU-Mitglieder eine ein­heitliche, deutliche und klare Position bezüglich des 10. Januars gefunden haben. Mogherini be­tonte außerdem, dass die diplomatischen Bezie­hungen der EU normalerweise mit Staaten ver­bunden sind und nicht mit Regierungen.[xxvii] Aus Diplomatenkreisen ist zu vernehmen, dass keine Vertreter der EU an der „Amtseinführung“ teil­nehmen werden. Ob dies Eindruck bei den Machthabern in Caracas macht, scheint fraglich. So beauftragte der Präsident zuletzt seinen Außen­minister damit, dem diplomatischen Corps mitzuteilen, dass jegliche Kritik an der Regie­rungsführung unerwünscht sei. Diese Drohung richtete sich vor allem gegen den Erzfeind USA, aber auch gegen das verhasste Kolumbien und dessen Unterstützer in der Region. Wer die „Re­gierung“ in Caracas kritisiere, könne gerne seine Koffer packen.

Das sozialistische Regime in Caracas negiert wei­terhin die humanitäre Krise und verhöhnt damit Millionen Venezolaner, die sich zurzeit auf der Flucht bzw. auf der Suche nach einer besseren Zukunft in ganz Lateinamerika, den USA und Europa befinden. Ohne eine Kursänderung in­nerhalb der Regimeführung scheint ein Ausweg aus der wirtschaftlichen Katastrophe kaum er­reichbar und wird es für die internationale Ge­meinschaft extrem schwierig, humanitäre Hilfe zu leisten.

Doch der Druck auf das Regime wächst. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen sowie die UN-Generalversammlung haben das Thema Venezuela auf die aktuelle Agenda gesetzt. Eine Koalition von lateinamerikanischen Staaten (Ar­gentinien, Chile, Kolumbien, Paraguay, Peru) plus Kanada verfolgen die Strategie den Präsidenten Nicolás Maduro wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit von den Internationalen Strafge­richtshof in Den Haag zu bringen und hat die Voruntersuchung eingeleitet.

So wächst zwar der internationale Druck auf das angeschlagene Regime in Caracas, dieses kann jedoch weiterhin auf mächtige Verbündete aus Russland, China, Iran, Kuba und der Türkei

zählen. Obwohl anzumerken ist, dass China und Russland allmählich ungeduldig werden. Die chinesischen und russischen Wirtschaftsinte­ressen bzw. Forderungen kann das Regime in Caracas momentan nicht mehr bedienen und erfüllen. Zwar schickte Präsident Putin kürzlich zwei atomwaffenfähige Langstreckenbomber nach Caracas, hat diese jedoch, angeblich auf Druck der USA, schon wieder abgezogen. Somit konnte das Regime von Maduro nur kurz seine Muskeln spielen lassen. Dennoch scheint es in Caracas die militärische Kooperation mit Russland zu vertiefen. Überraschend war jedoch, dass Putin den G20-Gipfel in Argentinien nicht mit einem Besuch in Caracas verbunden hat, wie zum Beispiel der türkische Präsident Erdogan. Er reiste im Anschluss an den G20-Gipfel in die venezolanische Hauptstadt, mit dem Ziel, vor allem die wirtschaftlichen Bezie­hungen zu stärken. Gemeinsame Feindbilder, allen voran die USA, teilen beide Länder. Das Regime in Caracas scheint auf den ersten Blick in der Weltgemein-schaft isoliert, verfügt aber im­mer noch über enge Beziehungen zu vielen mächtigen Autokratien weltweit.

Die internationale Gemeinschaft muss in Zu­sammenarbeit mit den demokratischen Kräften in Venezuela den Dialog zu den heutigen Ver­bündeten des Regimes suchen und darf die hu­manitäre Krise und ihre Ausmaße nicht unter­schätzen. Hierbei müssen die lateinamerika­nischen Staaten eine Schlüsselrolle spielen und gemeinsam agieren. Auch der EU fällt eine wich­tige Vermittlerrolle zu. Frederica Mogherini betonte jüngst, dass eine Kontaktgruppe zur Förderung des Dia­logs und der Mediation zwischen Regime und Opposition von Seiten der EU schnellstmöglich gebildet werden soll und muss. Denn längst ist die humanitäre Krise in Venezuela keine rein venezolanische, sondern eine lateinamerikanische, sogar internationale.


[i] Índice Nacional de Precios al Consumidor de la Asamblea Nacional

www.asambleanacional.gob.ve (13.12.2018)

[ii] https://www.ucab.edu.ve/wp-content/uploads/sites/2/2018/02/ENCOVI-2017-presentación-para-difundir-.pdf (10.12.2018)

[iii] https://www.el-carabobeno.com/50-ciento-deficit-enfermeros-venezuela/ (12.12.2018)

[iv] http://runrun.es/nacional/341472/federacion-medica-venezolana-22-mil- medicos-se-han-ido-al-exterior.html (10.12.2018)

[v] http://www.eluniversal.com/caracas/7304/medicos-obligados-hacer-diagnosticos-ciegas (15.12.2018)

[vi] https://public.tableau.com/profile/juliocastrom#!/vizhome/enh_2018/Story1?publish=yes (14.12.2018)

[vii] https://www.hrw.org/news/2018/11/15/venezuela-numbers-highlight-health-crisis (15.12.2018)

https://www.paho.org/hq/index.php?option=com_docman&view=download&category_slug=2018-9582&alias=46164-29-de-agosto-de-2018-difteria-actualizacion-epidemiologica&Itemid=270&lang=es (10.12.2018)

[ix] https://www.derechos.org.ve/actualidad/sociedad-venezolana-de-salud-publica- y-red-defendamos-la-epidemiologia-nacional-alerta-difteria (15.12.2018)

[x] https://www.hrw.org/news/2018/11/15/venezuela-numbers-highlight-health-crisis (15.12.2018)

[xi] http://www.who.int/malaria/media/world-malaria-report-2017/es/ (12.12.2018)

[xii] https://www.hrw.org/news/2018/11/15/venezuela-numbers-highlight-health-crisis (15.12.2018)

[xiii] http://efectococuyo.com/salud/centro-de-estudios-sobre-malaria-registro-1-400-casos-de-paludismo-en-primeros-meses-de-2018/ (10.12.2018)

[xiv]

https://extranet.who.int/sree/Reports?op=Replet&name=/WHO_HQ_Reports/G2/PROD/EXT/TBCountryProfile&ISO2=VE&outtype=html&LAN=ES (14.12.2018)

[xv] https://www.ovsalud.org/boletines/salud/tuberculosis/ (12.12.2018)

[xvi] https://www.hrw.org/news/2018/11/15/venezuela-numbers-highlight-health-crisis (15.12.2018)

[xvii] https://www.ucab.edu.ve/wp-content/uploads/sites/2/2018/02/ENCOVI-2017-presentación-para-difundir-.pdf (12.12.2018)

[xviii] https://www.iom.int/sites/defaulft/files/situation_reports/file/venezuela_sr_20180411-18.pdf (10.12.2018)

[xix] https://www.unhcr.org/news/press/2018/11/5be4192b4/number-refugees-migrants-venezuela-reaches-3-million.html (15.12.2018)

[xx] https://robuenosaires.iom.int/sites/default/files/Informes/Tendencias_Migratorias_Nacionales_en_Americas__Venezuela_EN_Julio_2018_web.pdf (15.12.2018)

[xxi] https://www.miamiherald.com/news/local/news-columns-blogs/andres-oppenheimer/article217662590.html (15.12.2018)

[xxii] https://www.project-syndicate.org/commentary/ending-the-venezuelan-nightmare-by-ricardo-hausmann-2018-12 (15.12.2018)

[xxiii] https://www.acaps.org/sites/acaps/files/products/files/20180523_acaps_thematic_report_humanitarian_crisis_in_venezuela.pdf (12.12.2018)

[xxiv] https://www.iom.int/sites/default/files/situation_reports/file/venezuela_sr_20180419-25.pdf (10.12.2018)

[xxv] https://data2.unhrc.org/en/documents/download/64428 (14.12.2018)

[xxvi] Die MUD ist ein Wahlbündnis der Opposition, das im Jahr 2008 gegründet wurde. Die wichtigsten Mitglieder sind heute die Parteien Primero Justicia, Voluntad Popular, Acción Demócratica, La Causa Radical, Un Nuevo Tiempo.

[xxvii] https://www.europapress.es/internacional/noticia-ue-no-enviara-representacion-toma-posesion-maduro-si-celebra-asamblea-constituyente-venezuela-20181210170036.html (15.12.2018)

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