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"Blasphemischer" Roman stürzt Ägypten in einen Kulturkampf

von Dr. Reiner Biegel †
In Ägypten tobt ein Kulturkampf, der sich zu einer Auseinandersetzung zwischen Islamisten und säkularen Intellektuellen entwickelt hat. Der Hintergrund bildete die angekündigte Wiederauflage eines Romans des syrischen Autors Haidar Haidar, "Ein Festessen für Meertang", der von Islamisten als blasphemisch verurteilt wurde. In Kairo ist es am 8. Mai 2000 zwischen Studenten der Al-Azhar-Universität und der Polizei zu den schwersten Strassenschlachten seit dem Golfkrieg vor 10 Jahren gekommen. Die Studenten hatten sowohl das Verbot des Buches als auch den sofortigen Rücktritt des Kulturministers Faruk Hosni gefordert.

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Islamistische Zeitung macht mobil

Der Streit zwischen Islamisten und Liberalen geht wieder einmal zurück auf eine Artikelserie der zweimal wöchentlich erscheinenden ägyptischen Zeitung "Asch-Schaab" (Das Volk). Das Blatt der "Hizb Al-Ama"l (Partei der Arbeit), einer ursprünglich linksgerichteten Partei, ist in den letzten Jahren mehr und mehr zum Sprachrohr der ägyptischen Muslimbrüder geworden, die auch in der Partei den Ton angeben. Schlagzeilen machte die Zeitung immer wieder durch Hetzkampagnen gegen Minister und unliebsame Intellektuelle. Zuletzt wurden am 2. April von einem Berufungsgericht in Kairo die bereits im November 1999 verhängten Gefängnisstrafen gegen drei Journalisten von "Asch-Schaab" bestätigt. Ihnen war vorgeworfen worden, den Landwirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Jussef Wali verleumdet zu haben.

In der seit Ende April von "Asch-Schaab" veröffentlichten Artikelserie unter dem vielsagenden Titel "Die Protokolle der weisen Araber" wurden systematisch Regierungen, Intellektuelle, Schriftsteller und Verleger in der arabischen Welt kritisiert, die sich angeblich nicht an die Vorschriften des Islam hielten. Der als "gottlos, pietätlos, sittenlos und verkommen" kritisierte Roman des syrischen Schriftstellers Haidar Haidar erzählt die Geschichte von zwei irakischen Intellektuellen, die Ende der siebziger Jahre vor der Diktatur von Präsident Saddam Hussein fliehen und im algerischen Exil über die Ursachen des Niedergangs der arabischen Welt philosophieren.

Kulturminister Faruk Hosni geriet ins Visier der Islamisten, weil der umstrittene Roman in einer vom Kulturministerium herausgegebenen Reihe "Horizonte und Kulturen" wieder aufgelegt werden sollte, die zu niedrigen Preisen arabische und ausländische Belletristik und Sachbücher auf den Buchmarkt bringt. Das Buch des syrischen Schriftstellers Haidar Haidar war seit seinem erstmaligen Erscheinen 1983 in Beirut in verschiedenen Ausgaben auf dem Markt und erlebte in der arabischen Welt, einschliesslich Ägypten, mehrere Auflagen. Ibrahim Aslan, verantwortlicher Herausgeber der Reihe, zeigte sich über die harsche Kritik der Islamisten erstaunt: Das Buch sei mit grossem Erfolg in mehreren arabischen Staaten veröffentlicht worden und nirgendwo, ausser in Ägypten, habe es die geringste Kritik oder Probleme gegeben. Die Forderung von "Asch Schaab", Autor, Herausgeber und den Kulturminister zu Apostaten zu erklären, sei völlig ungerechtfertigt.

Islamisten mobilisieren Al-Azhar-Studenten

Nach der Veröffentlichung in "Asch-Schaab" zirkulierte der Artikel schnell in den Wohnheimen der Studenten der Al-Azhar-Universität, der wichtigsten Institution des sunnitischen Islams. Zuerst gingen die Studentinnen auf die Strasse, worauf sich bald ihre männlichen Kommilitonen den Protesten anschlossen. Gemeinsam forderten sie das sofortige Verbot des Buches, die Bestrafung des Autors und der Herausgeber sowie den Rücktritt von Kulturminister Faruk Hosni. Spezialeinsatzkräfte der Polizei zeigten rücksichtslose Härte und gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstranten vor. Über 50 Studenten wurden zum Teil schwer verletzt. Über 100 Studenten wurden festgenommen, aber schon wenige Tage später wieder auf freien Fuss gesetzt. Journalisten, die am Ort des Geschehens waren und die Studenten fragten, ob sie denn das Buch gelesen hätten, bekamen zur Antwort, es genüge zu wissen, dass das Buch sich gegen des Islam richte. Auslöser der Studentenproteste ist sicher nicht das Buch allein. Universitäten sind neben den Armenvierteln Kairos für islamistische Gruppen der wichtigste Agitationsraum.

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften verweisen eher auf die allgemeine Misere des ägyptischen Bildungssektors: schlechte Studienbedingungen und fehlende berufliche Perspektiven der Hochschulabgänger trieben die Studenten ebenso auf die Strasse, auch wenn dies in den Protesten nicht so deutlich zum Ausdruck kam. Den Muslimbrüdern und anderen islamistischen Gruppen ist es gelungen, die Studenten für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Mit dem Argument der Studenten, sie würden sich für den Islam einsetzen, manövrierten sie die Sicherheitskräfte in ein Dilemma: ginge der Staat zu hart gegen die Studenten vor, könnte er selbst von der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden, da er "unislamische" Publikationen verteidige. Hinzu kommt, dass die Studenten mit ihren Protesten gegen das Buch des syrischen Schriftstellers der ägyptischen Regierung auch Demokratiedefizite, Verstösse gegen die Menschenrechte sowie fehlende Meinungsfreiheit vorhielten. Es ist allerdings fraglich, ob ihnen dabei bewusst ist, dass die Forderung von Bücherverbrennungen und die Ächtung von Schriftstellern und anderen Intellektuellen der eingeklagten Meinungsfreiheit diametral entgegen steht.

Nicht genug, dass Schriftsteller und Wissenschaftler immer wieder ins Fadenkreuz der Islamisten geraten. Fast zeitgleich traf es jetzt auch das in arabischen Ländern weit verbreitete und gern getrunkene Getränk Coca-Cola. Mitte Mai tauchten ebenfalls an der Al-Azhar-Universität Flugblätter auf mit dem spiegelbildlich abgebildeten Logo der Firma, aus dem man angeblich auf arabisch lesen könne: "La Mohamed, La Macca" ("Nein Mohamed (der Prophet), Nein Mekka" (das religiöse Pilgerzentrum des Islam)). Gleichzeitig wurde zu einem Boykott des beliebten Getränks aufgerufen. Die in Ägypten ansässige Produktionsfirma befürchtete Umsatzeinbussen und liess sich umgehend von Kairos Grossmufti, Scheich Nasr Faris Wassel, bescheinigen, dass diese Lesart jeglicher Grundlage entbehre. Der Grossmufti kritisierte die Aufwiegler und stellte fest, dass derartige Gerüchte Tausende ägyptischer Arbeiter arbeitslos machen könnten.

Streit zwischen Kulturminister und Al-Azhar-Theologen

Im Anschluss an die gewalttätigen Ausschreitungen an der Al-Azhar-Universität entbrannte ein Streit zwischen den islamischen Theologen und dem Kulturminister darüber, welche der beiden Institutionen autorisiert sei, eine Publikation in Ägypten verbieten zu lassen. Die Ulema, islamische Gelehrte der Universität, warfen dem Kulturminister vor, dass er nicht berechtigt sei, den Druck und die Verbreitung von Büchern zu genehmigen, in denen selbst nur partiell religiöse Inhalte zu finden seien. Die Gelehrten forderten den Minister auf, zukünftig alle zu prüfenden Bücher vor Erscheinen einem Komitee der Al-Azhar vorzulegen. Aber selbst innerhalb der Religionsgelehrten der renommierten Universität gehen die Meinungen, was als unislamisch zu gelten habe und was nicht, weit auseinander. Zwar stellte das Kulturministerium fest, dass das Buch keine den Islam herabwürdigenden Passagen enthielt, entschloss sich aber trotzdem, keine Neuauflage des umstrittenen Romans zu genehmigen.

Das Dilemma der Intellektuellen

Die von "Asch-Schaab" entfachten Proteste gegen den syrischen Roman richten sich tatsächlich gegen viel mehr als nur ein einziges Buch. Viele Intellektuelle fühlen sich in die Ecke gedrängt und an den Fall von Nasr Hamed Abu Zeid erinnert. Dieser hatte als Professor an der Universität Kairo mit seiner literaturgeschichtlichen Interpretation islamischer Texte Aufsehen erregt. 1995 wurde er per Gerichtsurteil zum Apostaten erklärt und von seiner Frau zwangsgeschieden. Er emigrierte darauf mit ihr nach Europa. Wenige Monate danach erschütterte ein Attentatsversuch auf den ägyptischen Literaturnobelpreisträger Naguib Mahfuz die gesamte ägyptische Öffentlichkeit. Selbst die islamistischen Bewegungen verurteilten das Attentat. Unter anderen Umständen hätten Intellektuelle und Schriftsteller Kulturminister Hosni gerne gehen sehen, da sie ihn früher selbst schon heftig kritisiert hatten. Jetzt sehen sie sich aber gezwungen, Partei für ihn zu ergreifen, da sie befürchten müssen, durch die Hetzkampagne von "Asch-Schaab" und anderen Islamisten selbst Opfer von Diffamierungen zu werden. Mit jeder Ausgabe von "Asch-Schaab" verlängerte sich die Liste der Bücher sowie deren Autoren, die sich angeblich gegen den Islam verschworen hätten.

Inzwischen ist es innerhalb der Arbeitspartei zu heftigen Machtkämpfen zwischen dem bis dato amtierenden Parteichef Ibrahim Shukri und seinen politischen Kurs kritisierenden Gegnern gekommen. In getrennt abgehaltenen Parteiveranstaltungen liessen sich zwei Kontrahenten von Ibrahim Shukri jeweils zum Parteichef wählen. Parteiinterne Kritiker werfen Shukri und seinem Generalsekretär Adel Hussein vor, die Partei von ihrem "sozialistischen Kurs" abgebracht und sie dem Einfluss der Muslimbrüder überlassen zu haben.

Am 20. Mai entschied das halboffizielle "Komitee für politische Parteien", das über die Zulassung politischer Parteien befindet, die Aktivitäten der Arbeitspartei sowie das Erscheinen ihrer Zeitung "Asch-Schaab" vorläufig einzufrieren. Auch diese Entscheidung stürzte die liberalen Intellektuellen in einen Gewissenskonflikt: obwohl sie selbst die islamistische Zeitung immer wieder wegen ihrer Hetzkampagnen heftig kritisiert hatten, stellten sie die Meinungs- und Pressefreiheit über ihre Bedenken und wandten sich gegen das vorläufige Erscheinungsverbot.

Verbote lösen keine Probleme. Eine öffentliche Streitkultur existiert nur rudimentär in Ägypten. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten "satanischen Verse" eine ähnliche Debatte hervor rufen werden.

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Paul Linnarz

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Leiter des Auslandsbüros in Washington, D.C.

paul.linnarz@kas.de + 1 202 464 5840

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