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"Sechs oder sieben Wochen lang blind"

Die USA nach den ersten drei Monaten der Corona-Krise

Vergleiche zwischen den Infektionszahlen in den USA und anderen betroffenen Ländern greifen oft zu kurz. Tatsache ist jedoch, dass sich das Coronavirus in den Vereinigten Staaten mit einer Geschwindigkeit und Vehemenz ausbreiten konnte, wie es anfänglich wohl niemand erwartet hätte. Die Rekonstruktion der Ereignisse und Entscheidungen ab Januar liefert Anhaltspunkte dafür, was dazu geführt hat.

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In keinem Land der Erde sind so viele Menschen mit dem Coronavirus infiziert wie in den USA. Worldometers.info zählte am Dienstag letzter Woche (7. April) knapp 396.000 Fälle. Wenn dieser Bericht nach dem Osterwochenende erschienen ist, dürften es schon 150.000 bis 200.000 Fälle mehr sein. Das ist erschreckend. Alle Augen richten sich jetzt nach Washington um zu verfolgen, wie Präsident Donald Trump mit der beispiellosen Krise umgeht. Seine Politik und Amtsführung sind nicht erst seit der Corona-Krise höchst umstritten; jetzt steht er nur Monate vor der Präsidentschaftswahl natürlich erst recht im Fokus. Trump selbst verwahrt sich trotz der bedrohlichen Entwicklung gegen jegliche Kritik. Dabei argumentiert er auch mit den aktuellen Zahlen. Diese sind – ganz unabhängig davon, ob das Krisenmanagement der US-Regierung bis jetzt wirklich gut oder schlecht gelaufen ist – in der Tat mit Vorsicht zu genießen.

 

„Äpfel mit Birnen“

 

Natürlich ist unstrittig, dass die Zahl der nachweislich Infizierten deutlich höher ist als in allen anderen Ländern. Allerdings leben in den USA auch gut 330 Millionen Menschen. Die absoluten Zahlen lassen sich deshalb nur eingeschränkt mit den Werten für bevölkerungsärmere Länder vergleichen. Allenfalls muss man sich fragen, warum China mit 1,4 Milliarden Einwohnern die Zahl der Infizierten nach eigenen Angaben auf knapp 82.000 eindämmen konnte. Die gleiche Frage müssen sich aber natürlich auch Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien stellen. Denn auch dort sind inzwischen ebenfalls jeweils mehr Menschen infiziert als zuvor in der Volksrepublik.

Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien haben in der Summe etwa die Bevölkerungsgröße der USA. Insgesamt zählten die fünf Länder am 7. April knapp 550.000 Infektionsfälle, also deutlich mehr als die USA. Bei der Zahl der Neuinfektionen lagen die fünf europäischen Länder – nennen wir sie ab sofort „Ländergruppe“ – mit rund 28.000 zusammengenommen etwa gleichauf mit den USA. Während die Ländergruppe bis zum 7. April jedoch fast 50.000 Todesfälle verzeichnete, beklagten die USA bis zu diesem Zeitpunkt „nur“ etwa 12.800 Tote. Auch die Zahl der neuen Todesfälle lag mit 3.717 in der europäischen Ländergruppe deutlich über der in den USA mit 1.925 Fällen. Während die USA am 7. April 9.169 kritisch Erkrankte zählten, notierte die Ländergruppe 24.446 Patienten dieser Kategorie.

Die Angaben zeigen, dass der Vergleich zwischen absoluten Zahlen auf Länderebene bei unterschiedlich großen Bevölkerungen zumindest problematisch ist. Aussagekräftiger ist die durchschnittliche Zahl der Infizierten und Toten pro eine Million Einwohner. Hier verzeichneten Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien am 7. April in der Summe 1.810 Infizierte und 171 Tote pro eine Million Einwohner. Die anteilige Zahl der Toten entsprach damit in etwa dem weltweiten Durchschnitt. In den USA waren umgerechnet 1.196 Menschen infiziert und sind 39 US-Amerikaner pro eine Million Einwohner gestorben. Auch bei dieser anteiligen Betrachtung lagen die Vereinigten Staaten Anfang April mithin unter den durchschnittlichen Vergleichswerten für die europäische Ländergruppe. Jetzt ließe sich anführen, dass viele Infizierte in den USA noch gar nicht ermittelt werden konnten, weil weniger getestet wurde. Das ist richtig. Bei den Tests haben die USA zuletzt aber deutlich aufgeholt. Während die Gesamtzahl der Tests in der europäischen Ländergruppe am 7. April mit 2,5 Millionen beziffert wurde, kamen die USA auf knapp 2,1 Millionen Tests.

 

Die „Welle“ in den Krankenhäusern

 

Deutlich besser als die USA schneiden Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien zusammengenommen jedoch in einem wichtigen Punkt ab: Während bis zum hier gewählten Stichtag Anfang April in den USA 21.674 Menschen wieder voll genesen sind, kam die europäische Ländergruppe bereits auf gut 123.000 Menschen, die von ihrer Krankheit geheilt werden konnten (wobei Großbritannien mit 135 vollständig Genesenen für sich genommen praktisch nichts zu diesem Gesamtwert beigetragen hat). Das entspricht knapp einem Viertel (22,4 Prozent) aller in den fünf Ländern nachweislich Infizierten. Würden wir diesen Wert auf die USA anwenden, hätten bis zum 7. April bereits knapp 90.000 Menschen von ihrer Krankheit geheilt sein müssen.

Wenn wir annehmen, dass der Krankheitsverlauf und die Behandlungsdauer diesseits und jenseits des Atlantik in etwa übereinstimmen, heißt das, dass in den USA bis Anfang April entweder viel weniger Menschen ärztlich untersucht und nach erfolgreicher Behandlung bereits gesundgeschrieben werden konnten, oder der deutliche Rückstand deutet darauf hin, dass sich ein großer Teil der infizierten US-Amerikaner erst jetzt in ärztlicher Behandlung befindet. Die viel beschworene „Welle“, vor der Gesundheitsexperten allerorts seit Wochen warnen, würde in dem Fall angesichts der rapide zunehmenden Infektionsfälle gerade über die USA hereinbrechen, und zwar mit voller Wucht. Nicht anders ist zu verstehen, dass Anthony Fauci und Deborah Birx, zwei der Spitzenwissenschaftler, die den Kampf der US-Regierung gegen das Coronavirus seit Ende Januar beziehungsweise Ende Februar mit koordiniert haben, Ende März im Weißen Haus bei einem Briefing die schockierende Zahl von 100.000 bis 240.000 Menschen nannten, die der Pandemie in den USA möglicherweise zum Opfer fallen könnten. Inzwischen glaubt Anthony Fauci, dass diese Werte vielleicht zu hoch gegriffen seien. Nach neuen Berechnungen der Universität von Washington in Seattle sind bis August 60.400 Tote möglich, und damit weniger als bislang befürchtet. Zum Vergleich: Während des Vietnamkrieges kamen zwischen 1955 und 1975 knapp 60.000 US-Amerikaner ums Leben.

In Hollywood steht angesichts dieser Dimensionen vermutlich bereits mindestens ein Regisseur in den Startlöchern, der die Corona-Krise für die Leinwand aufbereiten will. Der Film dürfte dann wohl Ende des Jahres erscheinen, wenn Präsident Trump entweder ab- oder wiedergewählt worden ist und die Kinos wieder geöffnet sind. Und sicherlich wird der Streifen besonderes Augenmerk auf die Zeit von Januar bis März richten. Denn diese Monate waren entscheidend. Trumpkritische wie trumpfreundliche US-Medien sind bereits seit Wochen intensiv damit befasst, die Chronologie der Ereignisse im ersten Quartal wie zur Beweisführung für oder gegen das Krisenmanagement der Regierung zu erhellen. Medienbeiträge sind auch für diesen Bericht die Quelle. Das Bild ist zum jetzigen Zeitpunkt aber weder vollständig noch in allen Einzelheiten überprüfbar. Fast täglich kursieren neue Informationen.

 

„Nie gesehen“

 

Nachdem beispielsweise Ende Februar zunächst Politico darüber berichtet hatte, machten erst vor wenigen Tagen weitere Artikel die Runde, nach denen Peter Navarro, Assistent des Präsidenten und Leiter des Büros für Handels- und Fertigungspolitik, in einem Memo an den Nationalen Sicherheitsrat (NSC) bereits Ende Januar darauf hingewiesen habe, dass ein Einreisestopp für Passagiere aus China geschätzt 2,9 Milliarden Dollar pro Monat kosten würde. Sollte sich das Virus als Pandemie herausstellen, könne dieses Reiseverbot zwölf Monate dauern und die USA 34,6 Milliarden Dollar kosten. Die Option "keine Eindämmung" könne, so Navarro, je nach der Letalität des Virus zwischen „null“ und 5,7 Billionen Dollar wirtschaftliche Kosten verursachen. In seinem Memo verwies der Handelsberater auf ein Szenario, nach dem bis zu 543.000 US-Amerikaner der Pandemie zum Opfer fallen könnten. Ein zweites Memo soll Navarro am 23. Februar direkt an den Präsidenten adressiert haben. Axios zitiert daraus mit den Worten: „Die Wahrscheinlichkeit einer ausgewachsenen COVID-19-Pandemie, die bis zu 100 Millionen Amerikaner infizieren und bis zu ein bis zwei Millionen Menschenleben fordern könnte, nimmt zu.“ Navarro habe in dem Schreiben eine "sofortige zusätzliche Mittelzuweisung von mindestens drei Milliarden Dollar" für Prävention, Behandlung, Impfung und Diagnostik gefordert. Über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten seien nach Schätzungen für Krankenhäuser, Kranken- und Altenpflege voraussichtlich mindestens eine Milliarde Gesichtsmasken, 200.000 Schutzanzüge, 11.000 Beatmungsschläuche mit Zubehör sowie 25.000 Atemschutzgeräte erforderlich. Präsident Trump versicherte, dass er die beiden Memos seines Handelsberaters nicht gesehen habe. Und auch der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Surgeon General Jerome Adams, beteuerte, er habe das Memo vom Januar „nie gesehen“. Nach Medienberichten kamen beide Schreiben im Weißen Haus aber zumindest zur Sprache. Natürlich ist man nachträglich immer schlauer; bei der Rekonstruktion der Ereignisse offenbaren sich aber eine ganze Reihe an Missverständnissen und Fehleinschätzungen.

 

„Alles unter Kontrolle“

 

Die Seuchenschutzbehörde der USA, die Centers for Disease Control and Prevention (CDC), erfährt am 31. Dezember ebenso wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einer Häufung an Atemwegserkrankungen in Wuhan. Mit Jahresbeginn werden erste Berichte über die Vorkommnisse für das Gesundheitsministerium verfasst. Am 3. Januar telefoniert CDC-Direktor Robert Redfield mit einem Kollegen in China und informiert daraufhin US-Gesundheitsminister Alex Azar. Dieser sorgt dafür, dass der Nationale Sicherheitsrat in Kenntnis gesetzt wird. Parallel wird das Weiße Haus ab Beginn des Jahres von den Nachrichtendiensten mit Informationen über die Lage in China versorgt. Am 6. Januar bietet CDC-Direktor Redfield seinen chinesischen Kollegen Unterstützung durch ein Team von US-Wissenschaftlern an. China habe das Angebot wochenlang abgelehnt. Noch am gleichen Tag verfassen die CDC einen Bericht mit Reisehinweisen für Wuhan. Ab dem 7. Januar beginnt ein CDC-Team unter Leitung des Mikrobiologen Stephen Lindstrom mit der Analyse möglicher Testverfahren zur Identifikation des Virus. Einen Tag später verbreiten die CDC die erste öffentliche Warnung über den Ausbruch der Krankheit in China.

Am 10. Januar bringt die chinesische Regierung Informationen über die genetische Sequenz des Virus in Umlauf. Jetzt ist klar, dass es sich um ein Coronavirus handelt, das noch nie zuvor im menschlichen Organismus festgestellt wurde. Für die Entwicklung geeigneter Testverfahren liefert Peking damit gewissermaßen den Bauplan. Hinweise darauf, dass keine eindeutigen Beweise für die Übertragung von Mensch zu Mensch bestünden, stoßen unter den US-Experten auf Skepsis – erst recht, nachdem Mitte Januar der erste Infektionsfall außerhalb der Volksrepublik bekannt wird. Trotzdem glauben die zuständigen Wissenschaftler fest daran, dass die Bedrohung weit entfernt sei und die von den CDC entwickelten Tests möglicherweise gar nicht benötigt würden. Jedenfalls müssten die öffentlichen Gesundheitslabors auf staatlicher und kommunaler Ebene erwartungsgemäß nicht befürchten, von den CDC dazu gedrängt zu werden, die Tests auch wirklich durchzuführen – Tests, die es, wohlgemerkt, in den USA zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gibt. Unterdessen übernimmt die WHO am 17. Januar einen in Deutschland von der Charité entwickelten Test und veröffentlicht die Protokolle darüber für die weltweite Nutzung. Einen Tag später telefoniert Gesundheitsminister Azar mit Donald Trump. Ab jetzt ist der US-Präsident persönlich informiert.

Am 21. Januar wird in den USA der erste Infektionsfall bestätigt. Der Betroffene hat die Symptome von einer Reise nach Wuhan mitgebracht. Jetzt arbeitet das US-Gesundheitsministerium im Krisenmodus. Alex Azar beauftragt seine Mitarbeiter mit der Entwicklung eines landesweiten Überwachungssystems, um die Verbreitung des Virus zu verfolgen. Vorbild soll das System sein, mit dem die zuständigen US-Behörden alljährlich die Verbreitung von Grippeviren überprüfen. Damit erhöht der erste Infektionsfall den Druck zur Entwicklung eines präzisen, für den schnellen und massenhaften Einsatz geeigneten Testverfahrens erheblich. Unterdessen reist Donald Trump zum Weltwirtschaftsforum nach Davos. Von einem Reporter danach gefragt, ob es Befürchtungen über eine Epidemie gebe, versichert der US-Präsident: "Nein. Überhaupt nicht. Und wir haben es völlig unter Kontrolle. Es ist eine Person, die aus China kommt, und wir haben es unter Kontrolle. Es wird - es wird alles gut." Am 24. Januar riegeln die chinesischen Behörden Wuhan ab.

 

Widerstände und übliches Prozedere

 

Inzwischen haben die CDC einen eigenen Test entwickelt und dafür bei der Kontrollbehörde für Lebens- und Arzneimittel, die Food and Drug Administration (FDA), eine landesweite Nutzungsgenehmigung beantragt. „So würden wir die Dinge normalerweise machen“, sagt dazu Jeremy Konyndyk, Senior Policy Fellow am Center for Global Development. „Viele Länder haben nicht die Fähigkeiten, die wir hier haben. Und deshalb müssen sie sich auf die WHO verlassen, um Tests zu erhalten. In den Vereinigten Staaten müssen wir das nicht tun." Die CDC entwickelten einen Test, „der für einen amerikanischen Gesundheitskontext und die hier bestehenden Vorschriften geeignet ist“, so Konyndyk. Noch bevor die CDC-Tests jedoch zur Anwendung kommen, äußern Luciana Borio, frühere leitende Mitarbeiterin im Nationalen Sicherheitsrat, und Scott Gottlieb, von 2017 bis 2019 der Chef der FDA, im Wall Street Journal eine düstere Vorahnung. Wenn das Virus sich weit verbreite, „kann die CDC mit dem Umfang der Untersuchungen nur schwer Schritt halten. Die Regierung sollte sich auf die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft konzentrieren, um einfach zu handhabende, schnelle diagnostische Tests zu entwickeln, die den Anbietern zur Verfügung gestellt werden können".

Im Weißen Haus formiert sich ab Ende Januar unterdessen eine „Task Force“, zunächst unter Leitung von Gesundheitsminister Azar. Anfänglich konzentriert sich die Gruppe auf die Frage, wie verhindert werden kann, dass aus China weitere Infektionsfälle in die USA „importiert“ werden. Offenbar werden im Weißen Haus jetzt auch Stimmen laut, die davor warnen, dass sich die Corona-Krise auf die Präsidentschaftswahl im November auswirken könnte. China sperrt die Provinz Hubei ab. Die WHO ruft einen „öffentlichen Gesundheitsnotstand von internationaler Bedeutung“ aus. US-Präsident Trump beruhigt, „wir arbeiten sehr eng mit China und anderen Ländern zusammen, und wir glauben, dass es ein sehr gutes Ende für uns haben wird ... das kann ich Ihnen versichern".

Am 31. Januar setzt die US-Regierung die Einreise in die Vereinigten Staaten für alle Ausländer aus, die in den vergangenen 14 Tagen nach China gereist waren, mit Ausnahme der unmittelbaren Familienangehörigen amerikanischer Staatsbürger oder Personen mit ständigem Wohnsitz in den Vereinigten Staaten. In den vier Wochen zuvor fanden für gut 380.000 Reisende aber bereits über 1.300 direkte Passagierflüge von China in die Vereinigten Staaten statt. Mit seiner Forderung nach Reisebeschränkungen auch für Flüge aus Italien und anderen Ländern Europas kann sich Matthew Pottinger, stellvertretender nationaler Sicherheitsberater, im Weißen Haus nicht durchsetzen. Noch überwiegt die Angst davor, durch die Ausweitung des Reiseverbots auf Europa im Wahljahr unverhältnismäßige wirtschaftliche Einbußen verkraften zu müssen.

Ab jetzt gilt in den USA ein „öffentlicher Gesundheitsnotstand“. Damit greifen Notfallprotokolle, wonach jedes Labor, das Tests durchführen darf, von der FDA zunächst eine Notfallgenehmigung (Emergency Use Authorization - EUA) benötigt. Die Kontrollbehörde erteilt den CDC die erste EUA. Damit dürfen sie den Großteil der Tests durchführen und zusätzliche Testkits an qualifizierte staatliche Labors verteilen. Auch das entspricht dem üblichen Prozedere und soll akkurate Ergebnisse und genaue Statistiken gewährleisten. Andere Labors, die auf der Basis der genetischen Sequenz eigene Verfahren entwickeln, dürfen ohne die Notfallgenehmigung der FDA keine Tests durchführen. Der achte Infektionsfall wird Anfang Februar in Massachusetts bestätigt.

In seiner Rede zur Lage der Nation bekräftigt Donald Trump am 4. Februar, dass seine Regierung „alle notwendigen Schritte unternehmen wird, um unsere Bürger vor dieser Bedrohung zu schützen“. Einen Tag später beantragt Gesundheitsminister Azar mehr als vier Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung der Corona-Krise. Mit dem Geld sollen unter anderem Schutzausrüstung, Masken und Beatmungsgeräte angeschafft werden. Deren Herstellung haben die USA schon lange nach China verlagert. Aber dort schließen die Fabriken. Außerdem kauft die chinesische Regierung selbst Masken und andere Ausrüstungsgegenstände auf. Das treibt die Kosten in die Höhe. Die Vorräte in den USA sind wiederum völlig unzureichend. Es besteht das Risiko, dass Washington bei einer weiteren Ausbreitung der Krise „im Wettbewerb“ kostspielig gegen andere betroffene Staaten bieten muss, um die nationalen Lagerbestände auffüllen zu können. Bei den Haushältern im Weißen Haus läuft Azar mit seinem Antrag Anfang Februar jedoch gegen Wände.

 

Die Grenzen des Verfahrens

 

Ab dem 6. Februar verschickt die WHO 250.000 Testkits an Labors in der ganzen Welt. Zeitgleich beliefern die CDC in den USA einen überschaubaren Kreis staatlicher Gesundheitslabors mit den eigenen Tests. Auch im Ausland werden Labors beliefert. Schon nach wenigen Tagen treten jedoch Probleme auf. Die Ergebnisse mehrerer Versuchsreihen erweisen sich als nicht schlüssig. Daraufhin sollen die US-Labors ihre Tests an die CDC-Zentrale in Atlanta schicken. Dadurch verzögert sich die Auswertung natürlich. Aufgrund der geringen Zahl an verfügbaren Tests sind die Labors überdies gezwungen, Untersuchungen sehr restriktiv nur auf jene Patienten zu konzentrieren, deren Symptome, zum Beispiel nach einem Aufenthalt in China, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Infektion mit dem Coronavirus hindeuten. FDA-Chef Stephen Hahn erwägt daraufhin, private Diagnose- und Pharmaunternehmen um Hilfe zu bitten. Die Überlegung stößt jedoch auf Skepsis in den eigenen Reihen und im Gesundheitsministerium. Immerhin ist die FDA für die betreffenden Privatunternehmen die Kontrollinstanz und, wenn man so will, kein „Auftraggeber“.

Das Gesundheitsministerium hält unterdessen an seinem Plan für ein nationales Überwachungssystem fest. Es soll sich weiterhin auf das bestehende Netzwerk an Laboren stützen, mit denen die Verbreitung von Grippeviren verfolgt wird. Die Finanzierung ist hingegen immer noch ungeklärt. Außerdem reicht die Zahl der Tests für das System landesweit nicht aus. Bis zum 23. Februar konnten die CDC nur 479 Personen aus 43 Bundesstaaten und US-Territorien auf das Coronavirus testen; für 14 Personen (3%) mit positivem Ergebnis, 412 Menschen (86%) wurden negativ getestet und 53 (11%) Ergebnisse stehen zu diesem Zeitpunkt noch aus. Weitere 1.007 Menschen wurden in den CDC-Labors auf SARS-CoV-2 überprüft, um – so beteuert die Seuchenschutzbehörde – „die Diagnose von COVID-19 zu unterstützen“. Trotz des spärlichen Testvolumens warnen die CDC andere Labors davor, ohne Notfallgenehmigung der FDA zu testen – unabhängig davon, ob die Protokolle, die sie verwenden wollen, von der WHO oder der CDC stammen oder intern entwickelt worden sind. Donald Trump antwortet am 23. Februar vor seinem Abflug nach Indien auf die Frage eines Journalisten, ob er über den Coronavirus auf dem Laufenden sei: "Ja, wir sind sehr stark involviert. Wir sind sehr – sehr bewusst über alles, was vor sich geht.  Wir haben es in diesem Land sehr gut unter Kontrolle.“ Einen Tag später dann werden die üblichen Prozedere gründlich durcheinander gewirbelt.

 

Erzwungener Sinneswandel

 

Frustrierte staatliche Labors bitten die FDA am 24. Februar um die Erlaubnis, eigene Tests entwickeln und verwenden zu dürfen. Die Kontrollbehörde weist die Labors zunächst an, einen EUA-Antrag auf die übliche Notfallgenehmigung zu stellen. Nur wenige Tage später werden alle bisherigen Richtlinien aber über Bord geworfen. Der Druck, die Testkapazitäten massiv auszubauen, wird zu hoch. Umso mehr, nachdem jetzt mit Nancy Messonnier, Leiterin des Nationalen Zentrums für Immunisierung und Atemwegserkrankungen (NCIRD), auch eine CDC-Vertreterin öffentlich die Alarmglocke läutet. Sie spricht davon, dass die Corona-Krise in den USA „eine schwerwiegende Störung des Alltagslebens“ bewirken könne. Sie habe darüber auch mit ihren Kindern gesprochen. "Ich glaube zwar nicht, dass sie im Moment gefährdet sind, aber wir als Familie sollten uns auf erhebliche Störungen in unserem Leben vorbereiten.“ Im Weißen Haus wird Messonniers Einschätzung dem Vernehmen nach mit Unverständnis zur Kenntnis genommen. Denn inzwischen ist die Corona-Krise auch an den Aktienmärkten angekommen, und Anzeichen für „erhebliche Störungen“ verunsichern die Börse. Präsident Trump entzieht Gesundheitsminister Azar die Leitung für die „Task Force“ im Weißen Haus und überträgt diese an Vizepräsident Mike Pence. Der US-Kongress soll 2,5 Milliarden US-Dollar als Notfallhilfe bereitstellen.

Nachdem das Coronavirus in den USA Ende Februar das erste Todesopfer fordert, gibt die US-Regierung eine „nicht reisen“-Warnung für die am stärksten betroffenen Gebiete in Italien und Südkorea heraus. Auch Reisen nach Iran werden verboten. Jetzt lockert die FDA zudem die Richtlinien, um den massenhaften Einsatz von Tests zu beschleunigen. Zertifizierte Labors dürfen ab sofort eigene Testkits entwickeln. Am 3. März fallen auch die letzten Beschränkungen für Tests. Inzwischen zählen die USA 13 Personen, die an COVID-19 gestorben sind.

Der Kongress in Washington verabschiedet ein Notstandsgesetz zur Bewilligung von 8,3 Milliarden US-Dollar für die Bewältigung der Krise. Die Regierung kündigt den Kauf von rund 500 Millionen N95-Atemschutzmasken über die nächsten 18 Monate an. Donald Trump will dennoch daran erinnern, dass im vergangenen Jahr 37.000 US-Amerikaner an der gewöhnlichen Grippe gestorben seien. „Nichts ist stillgelegt, das Leben und die Wirtschaft gehen weiter. Im Moment gibt es 546 bestätigte Fälle von Coronavirus, mit 22 Todesfällen. Denken Sie darüber nach", twittert er am 9. März. Zwei Tage später erklärt die Weltgesundheitsorganisation COVID-19 zur Pandemie und verkündet der US-Präsident in einer Fernsehansprache zur besten Sendezeit, dass die Einreise in die USA vorübergehend auch für Passagiere aus Europa untersagt ist. Zunächst ausgenommen von der Regelung sind Großbritannien und Irland. Ab dem 14. März fallen auch sie unter den Einreisestopp.

Zumindest für New York kommt die Ausweitung des Reiseverbots auf Europa anscheinend aber zu spät. Wissenschaftler wollen dort in mehreren Untersuchungen festgestellt haben, dass das Coronavirus bereits Mitte Februar in der Stadt kursierte und dass die Mehrheit der Infektionen nicht aus Asien, sondern aus Europa eingeschleppt wurde. Die Analysen werden erst im April bekannt. Denn Mitte Februar fanden ja praktisch noch keine Tests statt.

 

Kein Halten mehr

 

Lindsey O. Graham, republikanischer Senator aus South Carolina, sagt über die Einstellung des US- Präsidenten zur Corona-Krise, „am 13. März sah ich ihn wirklich um die Ecke kommen. Es dauerte eine Weile, bis man erkannte, dass man sich im Krieg befindet“. Ab diesem Tag habe Donald Trump „entscheidende Maßnahmen“ ergriffen. Gemeint ist zunächst natürlich, dass der Präsident an dem betreffenden Freitag den nationalen Notstand erklärt. Den US-Bundesstaaten stellt er 50 Milliarden US-Dollar in Aussicht. Rückblickend ist Trump überzeugt: „Wir haben eine großartige Arbeit geleistet, weil wir schnell gehandelt haben. Wir haben früh gehandelt. Und es gibt nichts, was wir hätten tun können, dass besser gewesen wäre, als unsere Grenzen zu den hoch infizierten Gebieten zu schließen.“

Jetzt gibt es kein Halten mehr. Von Tag zu Tag werden ab Mitte März von Kongress, Regierung und öffentlicher Verwaltung immer neue Krisenmaßnahmen ergriffen: Gesetze zur Entlastung von Unternehmen mit Garantien für bezahlten Urlaub, erweiterte Leistungen für die Nahrungsmittelhilfe und Arbeitslosenversicherung, Steuergutschriften für Arbeitgeber, Verbote von Versammlungen ab 50 Personen, wenig später dann für Gruppen von mehr als zehn Personen, ebenso wie lokale Anweisungen zur Schließung von Schulen, Bars und Restaurants. Die Zentralbank senkt die Zinssätze und kündigt an, 700 Milliarden US-Dollar in Anleihen und Wertpapieren zu kaufen, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Die Bürger werden aufgefordert, sich nicht zu nahe zu kommen und von zu Hause aus zu arbeiten. Auf die Frage nach seiner mehrfach geäußerten Auffassung, dass „wir es völlig unter Kontrolle haben“, entgegnet der US-Präsident: "Wenn Sie über das Virus sprechen, nein, das ist für keinen Ort der Welt unter Kontrolle. ... Ich sprach davon, dass das, was wir tun, unter Kontrolle ist, aber ich spreche nicht von dem Virus." Außerdem habe er „immer gewusst, dass dies eine echte, eine Pandemie ist. Ich habe es als Pandemie empfunden, lange bevor man es Pandemie nannte“.

Am 27. März sind die USA mit mindestens 100.000 nachweislich Infizierten offiziell das am stärksten von der Pandemie betroffene Land weltweit. Am selben Tag verabschiedet der Kongress im Eilverfahren das „Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security (CARES)“-Gesetz. Damit wird zur Bewältigung der Corona-Krise ein in diesem Umfang beispielloses Maßnahmenpaket im Wert von bis zu zwei Billionen US-Dollar bewilligt. Sein Ziel, die Ausgangssperren und sonstigen Einschränkungen für Bürger und Unternehmen bis Ostern zumindest teilweise aufzuheben, muss der Präsident angesichts der rapide ansteigenden Infektionszahlen vorerst auf Ende April vertagen. Die USA sollen sich auf „sehr schlimme zwei – oder vielleicht sogar drei – Wochen“ einstellen, so Trump. "Es werden drei Wochen sein, wie wir sie noch nie erlebt haben." Am letzten Tag dieses wohl entscheidenden ersten Quartals der schwersten globalen Krise der letzten Jahrzehnte sagt Donald Trump, COVID-19 „ist nicht die Grippe. Es ist bösartig“. Die Zahl der Todesfälle in den USA ist auf über 3.000 angestiegen. Nachweislich sind 164.610 Menschen bis Ende März infiziert. Vizepräsident Pence meldet, dass 1,1 Millionen Coronavirus-Tests abgeschlossen seien.

Die Beantwortung der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass sich das Coronavirus trotz wiederholter anderslautender Beteuerungen des Präsidenten in diesem Ausmaß verbreiten konnte, wird die USA noch lange beschäftigen. Im Mittelpunkt dürften die in den ersten drei Monaten ab Jahresbeginn getroffenen Entscheidungen über das Testverfahren stehen. "Das Problem der Tests war nicht etwas, das eine einzelne Behörde lösen konnte", bilanziert jetzt schon Jeremy Konyndyk vom Center for Global Development. Die US-Seuchenschutzbehörde CDC war in den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Atlanta gegründet worden, um in den USA die Ausbreitung von Malaria zu verhindern. 2009 identifizierten die CDC das neue H1N1-Grippevirus. 2014 war die Behörde mit großem Einsatz am Kampf gegen Ebola in Westafrika beteiligt. Zwei Jahre später wurden die CDC gegen das Zika-Virus aktiv. Nur wenige Experten und Entscheidungsträger gingen bei dieser beeindruckenden Vorgeschichte zumindest anfänglich wohl davon aus, dass COVID-19 die CDC vor bis dahin ungekannte Herausforderungen stellen würde. Fest steht jedoch, dass die Beschränkungen für die Entwicklung massenhafter Tests erst Ende Februar von der zuständigen Kontrollbehörde FDA gelockert wurden. Das habe die USA, meint Jeremy Konyndyk, „im Grunde genommen sechs oder sieben Wochen lang blind für die Ausbreitung des Virus in unserem Land gemacht“.

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Paul Linnarz

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Leiter des Auslandsbüros in Washington, D.C.

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