Zverejňovač príspevkov

IMF Photo/ Roger Anis / flickr / CC BY-NC-ND 2.0 / creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/

ostatné publikácie

Ein Jahr Corona im Nahen Osten und Nordafrika

autori Simon Engelkes, Ludwig Schulz

Rückblick und Einordnung

Das Coronavirus stellt den Nahen Osten und Nordafrika seit einem Jahr vor eine zusätzliche Belastungsprobe. Für alle Länder bedeutet die Pandemie einen Einschnitt in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Die Auswirkungen der Pandemiebekämpfung sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich. 17 Länderprofile aus der Region stellen die Reaktionen von Staat und Gesellschaft dar und ziehen im Frühjahr 2021 Bilanz nach einem Jahr Coronapandemie.

Zverejňovač príspevkov

Flucht und Vertreibung, Staatszerfall und bewaffnete Konflikte, wirtschaftliche und politische Umbrüche: der Nahe Osten und Nordafrika durchleben seit Jahren heftige Krisen. Das Coronavirus stellt die Region seit einem Jahr vor eine zusätzliche Belastungsprobe und droht, als Brandbeschleuniger für die sozialen, ökonomischen und politischen Probleme zu wirken, mit denen viele Länder in der Region zu kämpfen haben. Gleichzeitig beeinträchtigen die bereits bestehenden Herausforderungen das staatliche Krisenmanagement im Kampf gegen das Virus. Die Regierungen der Region haben, je nach ihren Möglichkeiten, einen ähnlichen Maßnahmenkatalog bei der Bekämpfung der Pandemie bemüht; darunter Grenzschließungen, Reisebeschränkungen und Ausgangssperren, Versammlungsverbote, Schließungen und Maskenpflicht im öffentlichen Raum sowie teilweise von Militär und Polizei kontrollierte „harte Lockdowns“. Die Auswirkungen der Pandemie(bekämpfung) sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich. Für alle Länder bedeutet die Pandemie einen Einschnitt in wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Hinsicht.

Verschärfung wirtschaftlicher Krisen und sozialer Missstände

Die öffentlichen Gesundheitssysteme in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas waren bereits vor dem Ausbruch der Pandemie mangelhaft ausgestattet und konnten nicht immer und überall die notwendige Versorgung gewährleisten. In vielen Ländern übernahm der private Sektor eine wachsende Rolle bei der Bereitstellung von Gesundheitsleistungen, was soziale Selektivität und Exklusivität bedingt. Die Corona-Pandemie hat zudem bestehende wirtschaftliche Krisen in der Region verstärkt. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Virusausbreitung schaden seit einem Jahr wichtigen beschäftigungsintensiven Sektoren wie dem Tourismus oder dem Handel und treffen damit besonders Marokko, Tunesien und Ägypten. Nationale Lockdowns und Ausgangssperren entziehen prekären Gesellschaftsschichten, aber auch der Mittelschicht, ihre Lebensgrundlage. Insbesondere in informellen Wirtschaftssektoren sind die Einschränkungen existenzbedrohend. Beispielsweise leidet die bereits am Boden liegende Wirtschaft des Libanon besonders stark unter den Maßnahmen. Schon vor der Pandemie lebte knapp die Hälfte der libanesischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit gepaart mit der aktuellen Währungskrise katapultieren das Land weiter in eine wirtschaftliche Notlage. Doch auch die wohlhabenden Golfmonarchien wurden von der Pandemie getroffen. Ein Rückgang der Öleinnahmen und des internationalen Warentransports aufgrund von globaler Rezession sowie Einbrüche im Flugverkehr und Tourismussektor treffen die arabischen Golfstaaten genau dort, wo die Vorbereitungen für das kommende Post-Öl-Zeitalter anlaufen sollten. Die ambitionierten wirtschaftlichen Reformpläne und Großprojekte wie die saudische Hightech-Megastadt Neom liegen derzeit auf Eis. Ein Großteil der am Golf beschäftigten ausländischen Arbeitskräfte musste zudem die Region verlassen, was für die Wirtschaften ihrer Herkunftsländer wie Ägypten und Jordanien eine Reduzierung der Rücküberweisungen aus dem Ausland bedeutet.

Proteste gegen Lockdown und Armut

Die Verschlechterung der sozioökonomischen Bedingungen und die zusätzlichen Herausforderungen für die Bevölkerung durch pandemiebedingte Einschränkungsmaßnahmen bedrohen zunehmend den sozialen Frieden in vielen Ländern. Die staatlichen Maßnahmen und Einschränkungen gegen die Pandemie haben den Massenprotesten von 2019, die im Irak, Libanon, Algerien und Sudan Millionen von Menschen gegen ethnokonfessionelle Spaltungen, die wirtschaftliche Notlage und die Korruption der politischen Elite auf die Straße bringen konnten, teilweise den Wind aus den Segeln genommen. Neben den Ausgangssperren haben aber auch die verschärfte wirtschaftliche Lage und zunehmende Armut dazu geführt, dass sich viele der Demonstrierenden den Protest schlichtweg „nicht mehr leisten“ können. Die Missstände hinter dem Unmut bestehen weiterhin. Gleichzeitig formiert sich bereits neuer Protest: In Tunesien materialisierten sich landesweite Demonstrationen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung, gegen welche die Sicherheitskräfte mitunter hart vorgingen. Auch in Libyen und im nördlichen Libanon kam es zu gewaltsamen Protesten gegen die bestehenden Lockdowns. Teilweise haben sich auch Verschwörungstheorien über das Virus oder die Corona-Impfung verbreitet. Wie auch in anderen Weltregionen hat eine Versicherheitlichung der Gesundheitspolitik in einigen Ländern die exekutiven Befugnisse der Regierungsbehörden gestärkt. Diese setzten nationale Notstandsgesetze in Kraft und schränkten Meinungs- und Pressefreiheit auch im Bereich sozialer Medien deutlich ein.

Humanitärer Notstand in Kriegs- und Krisenregionen

Das Virus ist eine extreme Belastung besonders für diejenigen Länder der Region, die bereits seit Jahren Austragungsorte für internationale Stellvertreterkriege sind. Jahrelange bewaffnete Konflikte haben große Teile der medizinischen Infrastruktur zerstört und verhindern ein effektives Krisenmanagement in Pandemiezeiten. Aufgrund der undurchsichtigen Datenlage ist eine präzise Beurteilung der pandemiebedingten Auswirkungen auf die humanitäre Notlage nicht möglich; doch steht fest, dass das Virus die Lage in den Konfliktgebieten verschärft hat. In Syrien gelten nur noch die Hälfte der Krankenhäuser als funktionsfähig, es mangelt an Ärztinnen und Ärzten und Gesundheitspersonal sowie Schutzausrüstung, Testkapazitäten und Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankte. Im Jemen sind über 85 Prozent der Menschen auf internationale Hilfslieferungen angewiesen. Nach sechs Jahren Bürgerkrieg verfügt das Land über keine staatlichen Kapazitäten, um die Menschen vor der Pandemie zu schützen und Erkrankungen zu behandeln. Die öffentliche Infrastruktur liegt brach und es mangelt an Lebensmitteln, medizinischer Hilfe, Trinkwasser und Elektrizität. In den von den Houthis kontrollierten Gebieten Jemens gibt es „politisch verordnet“ kein Corona. Des Weiteren hat das Land seit Jahren mit einer Cholera-Epidemie, Diphterie und Dengue-Fieber zu kämpfen. In Libyen konnte sich aufgrund der konfliktbedingten Zweiteilung des Landes keine einheitliche Strategie im Kampf gegen die Pandemie entwickeln und die dysfunktionale öffentliche Verwaltung trägt zusätzlich zur Schwächung des Gesundheitssystems bei.

Grundlegende Hygienestandards können aufgrund von Wasserknappheit und Stromausfällen nicht eingehalten werden. In allen drei Ländern werden die Kämpfe – mancherorts mit Maske – trotz der Pandemie weitergeführt. Weiterhin sind vor allem Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten und Binnenvertriebene aufgrund mangelnder medizinischer Grundversorgung gefährdet. In der gesamten Region haben Millionen Vertriebene Zuflucht vor Gewalt und Krieg in mittlerweile überfüllten Camps gesucht, in denen das Ansteckungsrisiko hoch ist. Dort gibt es kaum sauberes Trinkwasser, Toiletten und Waschgelegenheiten. Abstandhalten, Händewaschen und Isolation sind praktisch unmöglich. Als eines der ersten Länder der Welt bezog Syriens Nachbarland Jordanien daher seit Beginn der nationalen Impfkampagne auch die Hunderttausenden syrischen Geflüchtete mit ein.

Die Politik der Impfstoffe

Mit dem Jahreswechsel 2020/21 begann auch im Nahen Osten und Nordafrika die Phase der Pandemiebekämpfung mittels Vakzinen. Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben die weltweit höchsten Impfraten gemessen an ihren Bevölkerungen (Stand Anfang Februar). Marokko konnte Ende Januar 2021 mit Impfungen beginnen, nachdem es sich Lieferungen des AstraZeneca-Impfstoffs aus indischer Produktion gesichert hatte. Der große Rest der Region ist bei der Impfstoffbeschaffung zu großen Teilen auf internationale Hilfe angewiesen. Besonders wichtig dabei ist das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Europäischen Kommission und Frankreich aufgelegte COVAX-Programm (Covid-19 Vaccines Global Access), das ärmeren Ländern Zugang zu Impfstoffen sichern soll. Einige Länder im Nahen Osten, darunter Libanon, Iran und die Palästinensischen Gebiete, haben sich dem COVAX-Programm bereits angeschlossen. Im Libanon läuft die erste von der Weltbank finanzierte Beschaffung von Impfstoffen für über zwei Millionen Menschen. Weil sie im internationalen Wettbewerb um den westlichen Impfstoff mit wohlhabenderen Ländern nicht mithalten könnten, haben einige Länder, darunter Algerien und Marokko, Lieferungen bei chinesischen und russischen Produzenten in Auftrag gegeben. Marokko ist in Gesprächen über den Aufbau einer Lizenzproduktion für den Export des chinesischen Vakzins nach Afrika. Auch Ägypten beteiligte sich daran. Auf ihrer Suche nach ausreichend Impfstoffdosen lassen sich andere Länder auf ungewöhnliche Konditionen ein. Mitte Januar 2021 schloss der Libanon mit BioNTech/Pfizer einen Vertrag über 2,1 Millionen Impfdosen und garantierte den Herstellern darin, für zwei Jahre von Schadensersatzklagen abzusehen, sollte der Impfstoff bislang unbekannte Nebenwirkungen haben. Dabei verlaufen die Verhandlungen und Entscheidungen über den Kauf und die Verteilung der Impfstoffe oft nicht transparent. Es wird eine Politisierung der Impfstoffe und Verteilung auf klientelistischer Basis befürchtet; in Libanon und Irak bspw. auf der Grundlage ethnokonfessioneller Zugehörigkeiten. Die Türkei, die ebenfalls auf den chinesischen Impfstoff setzt, entwickelt derweil einen eigenen Impfstoff und auch Iran, dessen religiöser Führer Ayatollah Khamenei den Import westlicher Impfdosen verbot, will ein eigenes Vakzin entwickelt haben.

Die folgenden 17 Länderprofile dieses Dossiers stellen die staatlichen und gesellschaftlichen Reaktionen auf den Ausbruch und Verlauf der Pandemie bis zum Frühjahr 2021 dar und ziehen Bilanz nach einem Jahr Corona im Nahen Osten und Nordafrika.

Stand Ende Februar 2021

zdielať

Zverejňovač príspevkov

kontaktná osoba

Ludwig Schulz

Referent Naher Osten und Nordafrika

comment-portlet

Kommentare

Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können

Zverejňovač príspevkov

Zverejňovač príspevkov