Ausgabe: 1/2019
Was seine Kommunikation angeht, darf Donald Trump gut zwei Jahre nach seinem Amtsantritt getrost als einzigartig gelten. Mit seinen Äußerungen vor der Kamera und per Twitter irritiert, brüskiert, ja schockiert der US-Präsident nicht nur seine politischen Gegner im eigenen Land, sondern auch enge Verbündete im Ausland. Wer die Hoffnung gehabt haben mag, dass Trump nach den US-Zwischenwahlen am 6. November konziliantere Töne anschlagen und sich mit seinen ausländischen Verbündeten um gemeinsame Positionen bemühen würde, wurde in den Wochen danach eines Besseren belehrt.
Anfang Januar ließ der US-Präsident am Rande einer Kabinettssitzung wissen: „Ich interessiere mich nicht für Europa. Ich werde nicht von Europäern gewählt.“ Nur Tage später wurde dann bekannt, dass die EU-Delegation in Washington von der US-Regierung seit 2018 protokollarisch nicht länger als Botschaft behandelt wird, sondern nur noch als Vertretung einer internationalen Organisation. Die Rückstufung war mit Brüssel offenbar nicht abgestimmt worden.
Vor Journalisten äußerte Trump Verständnis für den Einmarsch in Afghanistan, weil aus dem Land damals „Terroristen nach Russland gingen. Sie (die Sowjetunion) hatten Recht, da zu sein“. Gleichzeitig sei die Sowjetunion über den Konflikt zusammengebrochen: „Afghanistan hat sie zu Russland gemacht, weil sie in Afghanistan bankrottging.“ Die afghanische Regierung reagierte auf die Begründung für den Einmarsch mit Empörung und bat Washington umgehend um eine Stellungnahme. Unterdessen bestätigte Vizepräsident Mike Pence, dass die USA zumindest einen Teilabzug ihrer Truppen aus Afghanistan überlegen.
Kurz vor Weihnachten hatte Donald Trump bereits angekündigt, die US-Truppen aus Syrien abziehen zu wollen. „Wir haben ISIS in Syrien besiegt“, twitterte der Präsident, „mein einziger Grund, während der Trump-Präsidentschaft dort zu sein.“ Mit Befremden und großer Besorgnis reagierten nicht nur die europäischen Verbündeten auf die Entscheidung; auch unter Kongressmitgliedern und innerhalb der Regierung stieß der Vorstoß auf Unverständnis. Einen Tag nach der Ankündigung des Präsidenten reichte Verteidigungsminister James Mattis sein Rücktrittsschreiben ein.
Im Kern „neu“ sind die umstrittenen Positionen des US-Präsidenten deshalb aber noch lange nicht. Einerseits hält Trump unvermindert an Forderungen fest, die er größtenteils bereits vor seinem Amtsantritt im Januar 2017 formuliert hat: Europa: okay! Handel: sicher! NATO: gerne! Aber alles nur unter Bedingungen, die aus Sicht der USA „fair“ sind. Entscheidender ist noch, dass sich – allen Unterschieden in Stil und Ton zum Trotz – bestimmte Linien und Tendenzen der US-amerikanischen Politik bereits über Jahre, teilweise über Jahrzehnte zurückverfolgen lassen.
Außenpolitisch alles schon gewesen
Als Washington Mitte 2017 den Ausstieg aus dem globalen Klimaabkommen von Paris ankündigte, schien fast vergessen, dass die USA bereits 2001, damals unter Präsident George W. Bush, das Klimaschutz-Abkommen von Kyoto abgelehnt hatten. Aus wirtschaftspolitischen Gründen wollte sich Bush nicht zu Höchstgrenzen für den Kohlendioxid-Ausstoß von Kraftwerken verpflichten. Als Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Oktober 2018 ankündigte, aus dem Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) mit Russland auszusteigen, weckte dies Erinnerungen an das Jahr 2002. Damals hatten sich die USA aus dem ABM-Vertrag über die Begrenzung antiballistischer Raketenabwehrsysteme verabschiedet.
Iran wird auch nicht erst seit dem Amtsantritt von Donald Trump vorgeworfen, im Nahen und Mittleren Osten Terroristen zu unterstützen. Mit dieser Begründung hatte Ex-Präsident Bush Teheran bereits 2002 auf die „Achse des Bösen“ gesetzt. Dessen Nachfolger stellte den Vorwurf, das iranische Regime sei der größte Förderer von Terrorismus, im Mai 2018 gleich an den Anfang seiner Erklärung zum Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit Iran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA).
Auch der Handel: In diesem Bereich sind Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte ebenfalls keine Erfindung der jetzigen Administration. Bereits 2002 sah Präsident Bush darin ein geeignetes Mittel, um der kränkelnden metallverarbeitenden Industrie seines Landes unter die Arme zu greifen. Anders als das Weiße Haus heute, argumentierte Bush damals aber nicht mit „Auswirkungen auf die nationale Sicherheit“ der USA. Stattdessen konstatierte er bei einem Besuch in Ägypten: „(…) wir sind eine Freihandelsnation, und um eine Freihandelsnation zu bleiben, müssen wir Gesetze durchsetzen. Und genau das habe ich getan. Ich entschied, dass die Importe unsere Branche stark beeinträchtigten – eine wichtige Branche (…). Und deshalb bieten (die Zölle von bis zu 30 Prozent) eine vorübergehende Erleichterung, damit sich die Branche umstrukturieren kann.“ Seinem Vorgänger Bill Clinton hatte Bush vorgeworfen, zum Schutz der Arbeiter zu wenig gegen Billigimporte unternommen zu haben, und das in einer Zeit, in der „Freihandel“ zu den Kernmerkmalen republikanischer Politik zählte. Am Rande sei bemerkt, dass die Stahlarbeiter-Gewerkschaft und führende Demokraten den republikanischen US-Präsidenten 2002 dann sogar dafür kritisierten, die Zölle nicht auf mindestens 40 Prozent erhöht zu haben.
Nur wenige Wirtschaftsexperten waren angesichts der damals ohnehin rückläufigen Stahlimporte allerdings überrascht, dass die Welthandelsorganisation (WTO) die Zölle Ende 2003 für unrechtmäßig erklärte. Schon dieses Beispiel illustriert, warum Washington verbindlichen Schlichtungsverfahren auf multilateraler Ebene bis heute entweder skeptisch gegenübersteht oder diese gänzlich ablehnt. Im August bezeichnete Donald Trump die Gründung der WTO vor zweieinhalb Jahrzehnten als „die schlimmste Handelsvereinbarung, die je gemacht wurde“. Die Organisation habe die USA „sehr schlecht“ behandelt. „Wenn sie sich nicht weiterentwickelt, würde ich mich aus der WTO zurückziehen.“
Sodann die NATO: Die Mitglieder des Bündnisses hatten sich bereits 2002 in Prag darauf verständigt, in ausreichender Höhe finanzielle Ressourcen für die Verteidigung aufzuwenden. Als Richtwert wurden zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) festgeschrieben. Beim NATO-Gipfel 2014 in Wales wurden die zwei Prozent noch einmal bestätigt: „Verbündete, deren aktueller BIP-Anteil für Verteidigung unter diesem Niveau liegt, werden jedem Rückgang der Verteidigungsausgaben Einhalt gebieten.“ Zudem wollte man „darauf abzielen, die Verteidigungsausgaben mit wachsendem BIP real zu erhöhen“. Und schließlich beabsichtigte man, „sich innerhalb eines Jahrzehnts auf die Zwei-Prozent-Richtlinie zuzubewegen, um (die) NATO-Fähigkeitsziele zu erreichen und die NATO-Kapazitätslücken zu schließen“. Im Kern, heißt es etwas griffiger auf der Internetseite des Bundesverteidigungsministeriums, sei vorgesehen, „dass alle NATO-Verbündeten spätestens im Jahr 2024 zwei Prozent des jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukts für Rüstungsmaßnahmen ausgeben“.
Sicherlich hält Donald Trump sich in seinen zahllosen Tweets nicht mit den im NATO-Beschluss sehr bewusst eingesetzten diplomatischen Formulierungen wie „abzielen … zuzubewegen“ auf; im Kern stößt der US-Präsident mit seinen wiederholten Forderungen nach höheren Verteidigungsausgaben aber in eine offene Flanke. Während der ersten Amtsperiode von Präsident George W. Bush wurde die öffentliche Diskussion über höhere finanzielle Aufwendungen weitgehend von der einseitigen Aufkündigung des Klimaschutz-Abkommens von Kyoto überlagert. Die Angst unter den Verbündeten vor US-amerikanischen Alleingängen wuchs noch, als das Weiße Haus 2001 ankündigte, den US-Senat nicht mehr mit der Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrages (CTBT) befassen zu wollen. Die Bereitschaft der USA, im „Kampf gegen den Terror“ auch unilateral zu agieren, verschärfte die Auseinandersetzung innerhalb der NATO damals zusätzlich.
Nach Ansicht von Stanley R. Sloan „war der Anreiz für die Krise das Versagen der europäischen Staaten, ausreichende militärische Kapazitäten aufzubauen, um einen wesentlichen Beitrag zu den Sicherheitsproblemen nach dem Kalten Krieg zu leisten, und dem damit einhergehenden Verlust an Vertrauen der USA, in welchem Maße sie auf ihre europäischen Verbündeten zählen könnten“. In seiner Analyse aus dem Jahr 2008 stellt Sloan zur Wahl, die Präsidentschaft von George W. Bush in Zukunft „entweder als Hauptursache der Krise oder einfach als Zünder für ein Feuer (zu sehen), dass nur darauf gewartet hatte auszubrechen, als Verbündete auf beiden Seiten des Atlantiks versuchten, ihre Wahrnehmungen und Prioritäten an die neuen strategischen Realitäten nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Untergang der Sowjetunion anzupassen.“ Auch wenn sich zumindest die öffentliche Diskussion heute, gut zehn Jahre nach der Publikation des Beitrags, hauptsächlich darauf reduziert, welche finanziellen Forderungen US-Präsident Trump per Twitter stellt, spricht viel dafür, dass der von Sloan konstatierte Prozess der Anpassung an neue strategische Realitäten beiderseits des Atlantiks noch immer nicht abgeschlossen ist bzw. längst von anderen Konfliktfeldern (Krim-Krise, Asien-Pazifik-Raum, Migration, Cyberspace) neu herausgefordert wird.
Und – erneut allen offenkundigen Unterschieden zum Trotz – auch Barack Obama hat diesen Prozess in die heutige Richtung vorangetrieben. In seine Amtszeit fiel 2014 die Bestätigung des Zwei-Prozent-Ziels beim NATO-Gipfel in Wales. Nach den zermürbenden Erfahrungen der blutigen und kostspieligen Kriegseinsätze im Irak und in Afghanistan hatte der demokratische Ex-Präsident den US-Bürgern schon 2011 aber zugerufen: „America, it is time to focus on nation building here at home.“ Rückblickend mussten selbst Trump-kritische Kommentatoren feststellen, dass die rhetorische Distanz zwischen Obamas Aufruf inklusive der seinerzeit damit verbundenen politischen Implikationen, darunter die schrittweise Abwendung der bisherigen globalen Ordnungsmacht USA vom Nahostkonflikt, und dem vom jetzigen Präsidenten mantraartig postulierten „Make America Great Again“ eher gering ist. Die weltweiten Reaktionen, die Donald Trump kurz nach Weihnachten 2018 mit seinem Hinweis ausgelöst hat, die USA „können nicht weiterhin der Polizist der Welt sein“, sollten nicht außer Acht lassen, dass sich dessen Amtsvorgänger praktisch mit der wortgleichen Formulierung bereits 2013 an die US-Bevölkerung wandte.
Kurzum: Die Erwartungen und Streitpunkte, um die im transatlantischen Verhältnis auf hoher und höchster politischer Ebene derzeit gerungen wird, haben fast durchgängig eine lange Vorgeschichte. Eigentlich nichts spricht deshalb dafür, dass die US-Regierung auf Bitten ihrer ausländischen Partner absehbar einen Kurswechsel einleiten oder „den Druck aus dem Kessel“ nehmen könnte. Im Gegenteil, wie bereits im Juli 2018 in einem KAS-Länderbericht festgestellt, geht in Washington so mancher Regierungsmitarbeiter davon aus, Donald Trump habe gewissermaßen nur die Fast-Forward-Taste gedrückt. Das gilt auch für die US-amerikanische Innenpolitik.
Polarisierung als zweischneidiges Schwert
Den Eindruck, konsequenter als alle seine Vorgänger endlich gegen jahrelange Missstände vorzugehen, kultiviert der Präsident unter seinen Anhängern beharrlich. So hält er kompromisslos an seinem Wahlkampf-Versprechen zum Bau einer Mauer entlang der Grenze zu Mexiko fest. Dabei ist auch dieses Vorhaben grundsätzlich keine Idee der jetzigen Administration. Den Grundstein dafür legte bereits Bill Clinton, wenn auch in deutlich bescheidenerem Umfang. Mit Operation Safeguard und Operation Hold the Line bewilligte der frühere Präsident Mitte der neunziger Jahre die Finanzierung von Grenzzäunen in Texas und Arizona. Unter dessen republikanischem Nachfolger George W. Bush wurde 2006 mit dem Secure Fence Act dann ein weiterer Ausbau der Barrieren beschlossen. 64 Abgeordnete der Demokraten im Repräsentantenhaus und 26 demokratische Senatoren, darunter Barack Obama und Hillary Clinton, stimmten damals für das Gesetz. Heute hingegen symbolisiert der Mauerbau entlang der mexikanischen Grenze alles, was die Demokraten an Donald Trump zutiefst ablehnen. Während sie sich erbittert gegen das milliardenschwere Vorhaben wehren, sind nach einer Umfrage von AP VoteCast rund 90 Prozent der Republikaner für den Mauerbau. Fast 80 Prozent der republikanischen Anhänger sind überdies der Meinung, dass illegale Einwanderer aus den USA ausgewiesen werden müssen, während nur 19 Prozent der demokratischen Wähler diese Auffassung vertreten. Vergleichbar unversöhnlich stehen sich die politischen Lager auch in den anderen Kernpunkten der innenpolitischen Agenda gegenüber.
Zwar gaben bei den Zwischenwahlen sowohl die republikanischen (63 Prozent) als auch die demokratischen Wähler (75 Prozent) mehrheitlich an, das Gesundheitssystem müsse umfänglich reformiert werden. Nur acht Prozent der demokratischen Anhänger sind jedoch der Meinung, dass der von Präsident Obama eingeführte Affordable Care Act (auch: Obamacare) aufgehoben werden müsse. Demgegenüber sprechen sich 90 Prozent der republikanischen Wähler für die Abschaffung des Gesetzes aus. Knapp über 90 Prozent der republikanischen Wähler befürworten die Steuerreform von 2017 deutlich, wohingegen nur acht Prozent der demokratischen Anhänger diese Auffassung teilen. Selbst die wirtschaftliche Lage wird von beiden Seiten sehr unterschiedlich bewertet: 61 Prozent der Republikaner meinen, diese sei gut bis exzellent, während 78 Prozent der Demokraten angeben, der US-Ökonomie gehe es nicht so gut oder sogar schlecht. Gespaltener könnte das Bild mithin kaum sein. Entsprechend gaben bei den Zwischenwahlen nur neun Prozent aller Wähler an, die USA seien stärker geeint, während 76 Prozent die Auffassung vertraten, die Gesellschaft bewege sich auseinander. Die von Robert Kagan 2003 in „Of Paradise and Power“ aufgestellte These: „Amerikaner sind vom Mars und die Europäer von der Venus“ markiert heute im übertragenen Sinne jedenfalls auch die politischen Realitäten innerhalb der USA.
Der US-Präsident ist nicht der Auslöser für die fortschreitende Spaltung; in der ersten Hälfte seiner Amtszeit hat Trump die Polarisierung der Gesellschaft aber in einem Maße vorangetrieben wie keiner seiner Vorgänger. Mit seiner Strategie der Konfrontation, anhaltenden und zum Teil haarsträubenden Attacken gegen seine Gegner in Politik und Medien sowie der gleichzeitigen Mobilisierung seiner treuen Anhängerschaft („Trump erhält negative Bewertungen für viele persönliche Merkmale, aber die meisten sagen, er stehe für seine Überzeugungen“) mit Schlagworten und Formulierungen, die selbst in den eigenen Reihen so manchem moderaten Republikaner den Angstschweiß auf die Stirn treiben, hat Donald Trump 2016 die Präsidentschaftswahl gewonnen. Die gleiche Methode – ab August 2018 hatte der US-Präsident in den für ihn wichtigen ländlich geprägten Bundesstaaten mit einem hohen weißen Bevölkerungsanteil über 30 Wahlkampfauftritte absolviert – hat den Republikanern, soviel ist sicher, bei den Zwischenwahlen im November mit Blick auf das Repräsentantenhaus Schlimmeres erspart bzw. dazu beigetragen, ihren bisher knappen Vorsprung im Senat sogar noch leicht auszubauen. Seit Anfang Januar sitzen im Repräsentantenhaus jetzt 235 Demokraten und 199 Republikaner. Dem Senat gehören 53 Republikaner, 45 Demokraten und zwei Unabhängige an. Letztere unterstützen die Demokraten. Allein im Repräsentantenhaus wurden fast ein Viertel aller Sitze diesmal neu besetzt; nur 1992 und 2010 war die Fluktuation während der letzten vier Jahrzehnte noch höher.
Für sich genommen war das Ergebnis der Abstimmung weder überraschend noch ungewöhnlich. Obwohl dieser dabei gar nicht zur Wahl steht, gelten die Midterms traditionell als Referendum über die Arbeit des amtierenden Präsidenten. Der Verlust der Mehrheit wenigstens in einer der beiden Parlamentskammern ist bei Zwischenwahlen in den USA eher die Regel als die Ausnahme. Untypisch war hingegen, dass die Republikaner jetzt zwar ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus einbüßen mussten, ihren Vorsprung im Senat aber sogar noch leicht ausbauen konnten. Trotzdem ist das Kalkül der Republikaner natürlich nur zum Teil aufgegangen. Für sie erwies sich Donald Trump bei den Zwischenwahlen als Fluch und Segen zugleich.
Sicher, der US-Präsident konnte auch diesmal in hohem Maße seine Anhänger mobilisieren. In dieser Bevölkerungsgruppe genießt er immer noch überaus hohe Zustimmungswerte von 80 bis 90 Prozent. Trumps konfrontativer Stil und Ton hat im November aber auch die politischen Gegner mobilisiert. Im Ergebnis lag die Wahlbeteiligung bei etwas über 49 Prozent, höher als bei allen anderen Zwischenwahlen der letzten 50 Jahre. 1966, immerhin die turbulente Hochphase des Civil Rights Movement in den USA, lag sie bei 48,7 Prozent. In einigen Wahlbezirken wurden im letzten Jahr fast so viele oder sogar mehr Stimmen abgegeben als ansonsten bei den Präsidentschaftswahlen (mit durchschnittlich 55 Prozent seit dem Jahr 2000). In Ohio lag die Wahlbeteiligung gut 40 Prozent über der von 2014, in Florida 33 Prozent, und in Texas betrug der Anstieg sogar 90 Prozent. Für Zwischenwahlen untypisch, nahmen diesmal auch mehr junge Wähler im Alter zwischen 18 und 29 Jahren am Urnengang teil. In dieser Bevölkerungsgruppe betrug die Wahlbeteiligung etwas über 30 Prozent und lag damit höher als in den letzten 25 Jahren. Insgesamt kamen die jungen Wähler auf 13 Prozent aller abgegebenen Stimmen.
Für Professor Michael McDonald, an der University of Florida zuständig für das United States Election Project, lässt sich die vergleichsweise hohe Wahlbeteiligung leicht begründen: „Es ist klar, dass sich hier in unserer Politik etwas geändert hat. Die einzige logische Erklärung für das, was sich geändert hat, ist Donald Trump.“ Für diese Einschätzung spricht, dass 60 Prozent aller registrierten Wähler in einer Gallup-Umfrage vom Oktober angaben, mit ihrer Stimme bei den Midterms eine klare zustimmende oder ablehnende Botschaft an den US-Präsidenten senden zu wollen. Seit 1998 betrug der Anteil derer, die mit ihrem Votum in erster Linie den jeweils amtierenden Präsidenten adressieren wollten, durchschnittlich hingegen nur 47 Prozent. Donald Trump stand 2018 insofern stärker im Mittelpunkt als seine Vorgänger bei früheren Zwischenwahlen.
In den bevölkerungsarmen ländlichen Regionen vieler Bundesstaaten konnten die republikanischen Kandidaten mit dem Präsidenten als Galionsfigur überwiegend punkten. Die meisten städtischen Metropolen und die hart umkämpften Vororte fielen auch im Inland aber mehrheitlich an die Demokraten. Diese urbanen Zentren wachsen seit Jahren kontinuierlich. So wurden in Texas 43 Prozent aller Stimmen allein in den fünf Metropolregionen des Bundesstaates abgegeben. Im Ergebnis konnten sich die Republikaner dort nur mit sehr knapper Mehrheit behaupten. Der konfrontative und polarisierende Stil des US-Präsidenten schreckt überdies vor allem weibliche Wähler ab. Ihr Anteil an allen abgegebenen Stimmen betrug bei den Midterms 52 Prozent. Fast 60 Prozent haben landesweit für demokratische Kandidaten gestimmt – knapp 13 Prozent mehr als bei den Männern. Der republikanische Senator John Cornyn bezeichnete die Zwischenwahlen deshalb als Weckruf für seine Partei. Die Frage ist nun, ob Donald Trump auf diese Strömungen und die veränderten Befindlichkeiten innerhalb seiner Partei Rücksicht nehmen wird. Anfänglich schien es so.
Konfrontation mit ungewissem Ausgang
„Hoffentlich“, ließ Trump im November am Tag nach den Midterms wissen, „können wir nächstes Jahr alle zusammenarbeiten, um weiterhin für die amerikanische Bevölkerung zu sorgen, einschließlich bei Wirtschaftswachstum, Infrastruktur, Handel, geringeren Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente.“ „Dies“, so der Präsident, „sind einige der Dinge, an denen die Demokraten arbeiten wollen, und ich glaube wirklich, dass wir das schaffen werden.“ Sogar der Umweltschutz war Trump in seiner Stellungnahme wichtig: „Wir wollen kristallklares Wasser. Wir wollen schöne, perfekte Luft. Luft und Wasser müssen perfekt sein. Gleichzeitig wollen wir uns nicht gegenüber anderen Ländern benachteiligen, die sehr wettbewerbsfähig sind und sich nicht an die Regeln halten. Wir wollen unseren Jobs nicht schaden. Wir wollen unseren Fabriken nicht schaden. Wir wollen nicht, dass Unternehmen (aus den USA) abwandern. Wir wollen absolut wettbewerbsfähig sein, und das sind wir.“ Die Grenzen der parteiübergreifenden Zusammenarbeit sind für den Präsidenten hingegen dann erreicht, wenn die Demokraten ihn, wie es ein Journalist in seiner Frage ausdrückte, „mit einem Sturm von Vorladungen zu allem von der Russland-Untersuchung (…) bis zu Ihren Steuererklärungen“ überziehen. „Wenn das passiert“, so Trump, „werden wir dasselbe tun und die Regierung kommt zum Stillstand.“ Die Schuld dafür liege in dem Fall bei den Demokraten, versicherte der Präsident.
Zum Stillstand kam es dann postwendend. Aber nicht wegen der Russland-Ermittlungen. Im Dezember ist ein offener Streit über das milliardenschwere Vorhaben zum Bau der Mauer entlang der Grenze zu Mexiko ausgebrochen. Die erbitterte politische Auseinandersetzung führte zur bisher längsten Haushaltssperre in der Geschichte der Vereinigten Staaten und liefert ein beredtes Zeugnis darüber, wie gespalten die US-amerikanische Gesellschaft gut zehn Jahre nach der Verabschiedung des Secure Fence Act nicht nur in dieser Frage ist.
Wie bereits erwähnt, ist Trump nicht der erste US-Präsident, dessen Partei bei einer Zwischenwahl während der ersten Amtszeit die Mehrheit in wenigstens einer Kammer des Kongresses verloren hat. Bill Clinton wurde zwei Jahre später trotzdem wiedergewählt, das Gleiche gilt für Barack Obama. Gut möglich ist also, das Donald Trump gegen die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus – erstmals sind dort im Januar mehr als 100 weibliche Abgeordnete eingezogen, darunter Afroamerikanerinnen, Latinas, zwei muslimische Abgeordnete und Abkömmlinge der amerikanischen Ureinwohner – anhaltend und auch auf anderen politischen Feldern einen harten Konfrontationskurs fahren wird. Dieses Rezept zur Wiederwahl hatte erfolgreich schon Harry Truman angewendet, nachdem er die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses bei den Zwischenwahlen an die Republikaner abtreten musste.
Dem US-Präsidenten käme bei dieser Vorgehensweise das amerikanische Wahlsystem zugute. Denn der Regierungschef wird nicht direkt, sondern durch ein Wahlkollegium mit Vertretern aus allen Bundesstaaten gewählt. Kritiker argumentieren, dass die Zusammensetzung des Electoral College ländlich geprägte Bundesstaaten mit einem vergleichsweise hohen und durchschnittlich älteren (Trump-freundlichen) weißen Bevölkerungsanteil gegenüber urbaneren Bundesstaaten mit einem größeren Anteil an (Trump-kritischen) Minderheiten sowie jungen Menschen mit akademischem Abschluss bevorzugt.
Ob das Konzept der Polarisierung und Mobilisierung auch bei den Präsidentschaftswahlen 2020 aufgeht, wenn Trump und sein Vizepräsident Mike Pence wiedergewählt werden wollen, ist jedoch keineswegs sicher. Jedenfalls verdeutlicht die Machtprobe um den Mauerbau, wie stark die Zwischenwahlen vom November den Präsidenten geschwächt haben. Zwar wissen auch die Demokraten, dass ihnen ein andauernder oder wiederholter Regierungs-„Stillstand“ langfristig schaden würde, jedoch erwecken die demokratischen Vertreter im Kongress, zumal die weiblichen und die Vertreter der Minderheiten, keineswegs den Eindruck, als wollten sie sich mit den von Donald Trump abgesteckten Chancen und Grenzen für die checks and balances kampflos arrangieren. Gleichzeitig wird Widerstand in den eigenen Reihen laut. Kurz vor seinem Einzug in den Senat konstatierte der frühere Präsidentschaftskandidat Mitt Romney in einem Zeitungskommentar, die „Trump-Präsidentschaft machte im Dezember einen tiefen Abstieg“. Das Verhalten des Präsidenten „in den letzten zwei Jahren, insbesondere sein Verhalten im letzten Monat“ sei, so Romney, ein Beweis dafür, dass der Präsident seines Amtes nicht gerecht werde. „In einer so gespaltenen, verärgerten und aufgebrachten Nation ist die Führung des Präsidenten in Charaktereigenschaften unerlässlich.“ In diesem Bereich „ist der Rückstand“ des Amtsinhabers in den Worten des republikanischen Senators „am eklatantesten“. Romneys Parteifreunde im Senat reagierten einigermaßen fassungslos auf die öffentliche Kritik an Donald Trump. Der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2020 hat damit im Grunde genommen jedoch begonnen.
Paul Linnarz ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington D.C.
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