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Pring Samrang, Reuters

Auslandsinformationen

Der Weg in die Schicksalsgemeinschaft mit China

Herausforderungen für den Multilateralismus in Südostasien

Aus unterschiedlichen Motivationen heraus haben China und die ­USA dem Multilateralismus den Kampf angesagt. Für regionale Verbünde wie ­ASEAN wird dies zu einer existenziellen Bedrohung. Durch die Coronakrise werden Konzepte zur Gegenwehr mit neuer Dringlichkeit diskutiert. Doch vom Prinzip der Einstimmigkeit muss man sich wohl verabschieden.

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Multilateralismus in Zeiten der Großmachtrivalität

Fast hat man den Eindruck, als schaue man zwei Sumoringern im Wettkampf zu: Kompromisslos und mit all ihrer Masse rennen zwei gigantische Kräfte immer wieder ineinander, versuchen sich mit kleinen Nickligkeiten aus dem Konzept zu bringen, bemühen sich um Raumgewinn, treiben sich gegenseitig in die Enge. Bis einer aus dem Ring gestoßen wird.

Die Rede ist von den beiden Supermächten USA und China, deren globale Rivalität seit dem Ausbruch des Coronavirus eine neue Dimension erreicht hat. Ihre Auseinandersetzung führen sie schon seit Jahren auch in verschiedenen multilateralen Gremien wie den Vereinten Nationen und der Welthandelsorganisation (WTO). Mit Beginn der Pandemie hat das Ringen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erreicht. Wie jede andere Kampfarena zuvor hat auch diese schwere Schäden bei der Auseinandersetzung erlitten.

Auch wenn uns COVID-19 gezeigt hat, wie verletzlich viele Verbindungen in der globalisierten Welt sind, so ist es doch unstrittig, dass das Kräftemessen der Supermächte in einem anderen internationalen Umfeld als dem des Kalten Kriegs stattfindet. Gerade dessen Ende hat zu einem zuvor nie dagewesenen Schub für die internationale Zusammenarbeit und die Integration verschiedener Weltregionen geführt. Diese über Jahrzehnte gewachsenen Verbindungen sind nun im Angesicht der Spannungen zwischen Washington und Peking einem besonderen Stresstest ausgesetzt. Das Lavieren bei der Frage nach der Beteiligung chinesischer Unternehmen im Ausbau von 5G-Netzwerken zeigt, wie schwierig es inzwischen geworden ist, nationale und regionale Interessen im Bereich der Wirtschaft, der Sicherheit und der Geopolitik auszubalancieren.

Die Europäische Union muss sich mit diesem Balanceakt erst seit einigen Jahren intensiver beschäftigen. Nicht immer wirkt sie auf die komplexen Fragen vorbereitet, die mit dieser Herausforderung einhergehen. Dabei zeigt ein Blick in die Welt – insbesondere in den unmittelbareren Einflussbereich Chinas in Asien –, wie aggressiv das Reich der Mitte versucht, multilaterale Organisationen zu schwächen. Dabei handelt es sich um eine scheinbare Gemeinsamkeit der aktuellen Regierungen in Washington und Peking. Was bei Donald Trump oft impulsiv wirkt und von der täglichen Nachrichtenlage abzuhängen scheint, ist im Falle Chinas gut vorbereitet und strategisch durchgeführt. Auch die Ziele sind unterschiedlich: Die amerikanische Administration möchte sich aus der Rolle der Weltpolizei zurückziehen und die Ausgaben für multilaterale Zusammenarbeit senken. China möchte seinen internationalen Einfluss ausbauen, bevorzugt dabei aber bilaterale Verhandlungen. So kann das Land sein beträchtliches wirtschaftliches und sicherheitspolitisches Gewicht besser ausspielen.

Anders als globale Organisationen wie VN oder WHO sind Regionalverbünde wie die EU oder der Verband Südostasiatischer Nationen (Association of Southeast Asian Nations, ASEAN) zunächst einmal resistenter gegen Anfeindungen von außen – es gibt in der Regel gemeinsame, übergeordnete Interessen; Entscheidungen können nicht durch das Veto einer Supermacht blockiert werden. Dennoch zeigt gerade das Beispiel ASEAN, wie gut es China in den vergangenen Jahren gelungen ist, Entscheidungsmechanismen zu blockieren und regionale Integration zu verlangsamen. Im Folgenden soll genauer analysiert werden, welche Strategien dabei besonders erfolgreich waren, welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind und welche Schlüsse die Europäische Union aus dieser Entwicklung ziehen sollte.

 

Merkmale von ASEAN

Dabei ist es wichtig, zunächst kurz auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen ASEAN und der EU zu blicken. Beide Verbünde waren ins Leben gerufen worden, um in erster Linie die Wirtschaftsinteressen der Mitgliedstaaten voranzubringen und gleichzeitig das Risiko von Nachbarschaftskonflikten zu reduzieren. Nach dem Abschluss der Römischen Verträge im Jahr 1957 dauerte es weitere zehn Jahre, bis sich zunächst Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Thailand und Singapur zum Verband Südostasiatischer Nationen zusammenschlossen. Grundlegende Prinzipien des ASEAN way waren dabei von Anfang an die Nichteinmischung in interne Angelegenheiten der Mitgliedstaaten sowie die Einstimmigkeit aller Beschlussfassungen – das viel zitierte Konsensprinzip.

Es steht außer Zweifel, dass der Zusammenschluss der beteiligten Länder in ASEAN insgesamt als Erfolg gewertet werden kann.

Im Vergleich zu Europa ist Südostasien bis heute in vielerlei Hinsicht weniger homogen. In fünf der inzwischen zehn Mitgliedsländer ist die Mehrheitsreligion der Buddhismus, in dreien der Islam, die Philippinen sind dagegen katholisch geprägt und Vietnam atheistisch. Es gibt beträchtliche Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Während der Stadtstaat Singapur im Jahr 2018 ein BIP von 64.582 US-Dollar pro Einwohner verzeichnete, lag der Vergleichswert in Myanmar bei 1.326 US-Dollar. Auch die politischen Systeme unterscheiden sich stark; von der Erbmonarchie in Brunei über das Einparteiensystem in Vietnam und die unter starkem Militäreinfluss stehenden Parlamente in Myanmar und Thailand bis hin zu den gefestigteren Demokratien in Malaysia und Indonesien. Es gibt insgesamt deutlich weniger Landesgrenzen innerhalb von ASEAN. Laos ist der einzige Binnenstaat, während die Philippinen keinerlei Landverbindung zu den Nachbarstaaten haben. Auch diese Unterschiede haben dazu geführt, dass ASEAN stets der Ruf des Elitenprojekts anhing, das für die Mehrheit der über 600 Millionen Menschen in der Region kaum eine wirkliche Relevanz hat. Dennoch steht außer Zweifel, dass der Zusammenschluss der beteiligten Länder in ASEAN insgesamt als Erfolg gewertet werden kann. Die Region prosperiert wirtschaftlich, die Zahl der Nachbarschaftskonflikte ist vergleichsweise überschaubar. Und nicht zuletzt aufgrund seiner geostrategisch wichtigen Lage genießt der Verbund das intensive Interesse von anderen Staatenverbünden genauso wie von Regional- und Großmächten.

 

Chinas wachsender Einfluss

Dazu zählt natürlich auch China. Der Startschuss für eine immer engere Verflechtung war der wirtschaftliche Kooperationsvertrag von 2002, der die Schaffung einer Freihandelszone zwischen den ASEAN-Mitgliedstaaten und China (ACFTA) vorsah. Seit 2009 ist China der wichtigste Handelspartner der ASEAN-Staaten, 2018 betrug das gesamte Handelsvolumen 587 Milliarden US-Dollar. Der formale Austausch findet vor allem über die Plattform ASEAN+3 statt, der neben China auch noch Japan und Südkorea angehören.

Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Beziehungen war der 18. Parteikongress der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 2012. Seitdem verfolgt Präsident Xi Jinping eine wesentlich aktivere Form der Diplomatie in Chinas unmittelbarer Nachbarschaft, die er von nun an als Partner mit gemeinsamem Schicksal bezeichnet. Im Zusammenhang mit dieser Strategie wird von chinesischer Seite oft das gemeinsame Streben nach Fortschritt, verbesserten Lebensbedingungen für die Bevölkerungen sowie einer harmonischen Nachbarschaft genannt. Sie impliziert aber auch eine unangefochtene chinesische Vormachtstellung in der Region. Dies gilt insbesondere für das Südchinesische Meer, wo chinesische Territorialansprüche auf entsprechende Besitzansprüche fast aller ASEAN-Mitglieder treffen. Dabei sind die Philippinen, Vietnam und Malaysia besonders stark betroffen. In ihrem Aufsatz „ASEAN in China’s Grand Strategy“ beschreiben Zhang Yunling und Wang Yuzhu die chinesische Erwartungshaltung, nach der die ASEAN-Gemeinschaft mit China an einer Lösung der offenen Dispute arbeiten sollte, ohne externe Mächte in den Prozess miteinzubeziehen. Nur so habe ASEAN den Spielraum, um eine konstruktive Rolle einnehmen zu können. Lobend erwähnen die Autoren die schnelle Verbesserung der chinesisch-philippinischen Beziehungen, nachdem sich beide Länder zwischen 2013 und 2016 in einem von den Philippinen initiierten Rechtsstreit vor dem Ständigen Schiedshof gegenüberstanden, um ihre Besitzansprüche im Südchinesischen Meer zu klären. Das Gericht bestritt damals Chinas weitreichende Ansprüche auf den strategisch wichtigen Seeweg, durch den jedes Jahr mehr als fünf Billionen US-Dollar an Welthandel fließen. Peking betrachtet das Urteil bis heute als irrelevant. Es bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als Farce.

Unterfüttert wird die Diplomatie der Schicksalsgemeinschaft durch besondere Anstrengungen in drei Bereichen. Dazu zählt zunächst die Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere auf der Plattform der chinesischen Belt and Road Initative (BRI), mit der China Milliardenbeträge in die Entwicklung von Infrastruktur in seiner unmittelbaren und weiteren Nachbarschaft pumpt. Die zweite Säule ist der Ausbau von Chinas soft power in der Region. Dazu zählen extensive Austauschprogramme für Studenten und Akademiker genauso wie die gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung – etwa in Wahlkampfzeiten. Als Folge dieser Bemühungen gibt es in allen ASEAN-Mitgliedsländern eine zumindest teilweise überaus chinafreundliche Meinungs-, Politik- und Wirtschaftselite. Gut sichtbar ist dieser Umstand gerade auch während der Coronakrise, seit China versucht, das Narrativ über Ausbruch und anfängliche Fehler im Land zu kontrollieren. Ein Meinungsbeitrag des früheren Singapurer Diplomaten Kishore Mahbubani im Economist hält sich beispielsweise gerade einen Halbsatz lang mit den Fehlern auf, die China unmittelbar nach dem Ausbruch des Virus begangen hat. Auf den restlichen zwei Seiten des Artikels ist dann ausschließlich Lob über das ausgesprochen effiziente Krisenmanagement zu lesen, das ein Vorbild für die Welt sei und Chinas Aufstieg zur führenden Macht weiter beschleunigen werde.

Die dritte Säule der chinesischen Nachbarschaftsdiplomatie bleibt die Demonstration geopolitischer und militärischer Stärke, insbesondere mit Blick auf das Südchinesische Meer. Dort schüttet das Land künstliche Inseln auf und versieht sie mit Militärstützpunkten und weiterer Infrastruktur. Es ist dieser Bereich, der die offensichtlichste Konfliktlinie zwischen China und den ASEAN-Staaten zu Tage fördert. Dennoch fällt es dem Staatenverbund schwer, hier mit einer Stimme zu sprechen. Um die Dynamik in dieser Situation besser zu verstehen, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die bilateralen Beziehungen zwischen China und einzelnen Mitgliedstaaten des Verbunds zu werfen, zum Beispiel Kambodscha.

 

Kambodscha als chinesisches U-Boot

Insbesondere aufgrund des Konsensprinzips haben die einzelnen Mitgliedstaaten für die Entscheidungsmechanismen innerhalb der ASEAN eine herausragende Bedeutung. Dies wird dann zum Problem, wenn sie anfällig für Einflussnahme von außen sind, gerade wenn sie wirtschaftlich schwach sind, kein unabhängiges Justizsystem haben und dadurch Transparenz in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen fehlt, wie der Fall Kambodscha zeigt. Das Land war bereits in der Vergangenheit Spielball der Großmächte, was mit der Schreckensherrschaft unter den Roten Khmer seinen traurigen Höhepunkt fand. Die grausame Vergangenheit des Landes hat indes nicht dazu geführt, dass es immuner gegen eine Einflussnahme von außen ist. Eine weitverbreitete Korruption und das Fehlen von Checks and Balances machen Kambodscha auch heute äußerst anfällig. Es entsteht somit ein Risiko für die ASEAN insgesamt, da Phnom Penh in den letzten Jahren zunehmend in den Mittelpunkt des neuen Systemwettbewerbs zwischen den westlichen Demokratien und China geraten ist.

China verfügt über eine beträchtliche wirtschaftliche und politische Hebelwirkung gegenüber verschiedenen ASEAN-Staaten.

Besonders Peking hat in jüngster Vergangenheit die institutionelle Schwäche Kambodschas genutzt, um ASEAN-Entscheidungen zu unterminieren, vor allem im Hinblick auf das Südchinesische Meer. Sehr deutlich wurde dies, als sich die ASEAN-Außenminister im Juli 2016 zum ersten Mal nach dem Urteil des Internationalen Schiedsgerichts zu Gunsten der Philippinen trafen. Manila wollte zusammen mit Hanoi eine gemeinsame Stellungnahme der ASEAN-Außenminister, die auf das Urteil, die Notwendigkeit der Einhaltung des Völkerrechts sowie die Notwendigkeit einer multilateralen und regelbasierten Lösung verweist. Kambodscha lehnte die vorgeschlagene Formulierung ab und verhinderte so durch das Konsensprinzip eine gemeinsame Erklärung des Verbunds. Phnom Penh unterstützte somit deutlich Pekings Position, nach der es sich bei dem Konflikt um eine bilaterale Angelegenheit handelt. Dies war bis dato erst das zweite Mal in der Geschichte der ASEAN, dass es keine gemeinsame Erklärung gab. Das erste Mal blockierte ebenfalls Kambodscha im Jahr 2012 eine Erklärung zum Südchinesischen Meer. Sowohl 2012 als auch 2016 bekam Kambodscha eine Belohnung von China – erst das Versprechen, die direkten Auslandsinvestitionen und den zwischenstaatlichen Handel zu erhöhen, später weitere Entwicklungskredite. Erschwerend kommt hinzu, dass China derzeit über eine beträchtliche wirtschaftliche und politische Hebelwirkung gegenüber verschiedenen ASEAN-Staaten verfügt, was die Fähigkeit der Gruppe von zehn Nationen schwächt, gemeinsame Positionen in strategischen Fragen einzunehmen.

Kambodscha benötigt gute Beziehungen zur EU und zu den USA, auch weil dies wichtige Absatzmärkte und große Entwicklungshilfegeber sind.

Wenig später, im Oktober 2016, unterstrich China die strategische Bedeutung Kambodschas für seine wirtschafts- und geopolitischen Ambitionen im südostasiatischen Raum mit dem Staatsbesuch von Präsident Xi Jingping. Die Beziehungen mit China blühen seither auf. Der bilaterale Handel steigt exponentiell an, chinesische Investitionen in die kambodschanische Infrastruktur nehmen zu, diplomatische Beziehungen werden ausgebaut. Und es kommt zur gegenseitigen Rückendeckung wie beispielsweise bei der Inhaftierung des kambodschanischen Oppositionsführers Kem Sokha seitens der chinesischen Regierung oder, im Falle der Demokratiebewegung in Hongkong, seitens Kambodschas.

Die Unterstützung Chinas findet inzwischen nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt. Vor den Wahlen zur Nationalversammlung im Jahr 2018 nahm Chinas Botschafter in Phnom Penh sogar an einer Kundgebung der Regierungspartei CPP (Kambodschanische Volkspartei) teil. Damit hat sich die Qualität der Unterstützung stark verändert. Es verwundert deshalb auch nicht, dass China Kambodscha bei Kritik des Westens öffentlich unterstützt. Als die westlichen Regierungen lautstark die Demokratie- und Menschenrechtssituation nach dem Verbot der CNRP (Nationale Rettungspartei Kambodschas) kritisierten, sagte der chinesische Botschafter in Phnom Penh, dass der Westen Kambodscha unnötigerweise für „minor issues“ kritisiere.

 

Schwierige Balance

Peking versteht Phnom Penh als engen Verbündeten, vor allem mit Blick auf die eigenen Interessen. Kambodscha muss seine Interessen hingegen zwischen China, Vietnam und ASEAN ausbalancieren, um Konflikten vorzubeugen und den Prozess der regionalen Integration nicht zu gefährden. Gleichzeitig benötigt Phnom Penh gute Beziehungen zur EU und zu den USA, auch weil dies wichtige Absatzmärkte für kambodschanische Produkte und große Entwicklungshilfegeber sind. Dieser Balanceakt gelingt immer seltener. Das sich selbst als neutral bezeichnende Kambodscha hat Schwierigkeiten, diesem Attribut gerecht zu werden – insbesondere aus der Perspektive der westlichen Partner. Der wirtschaftliche Einfluss Chinas ist immens. Dies zeigt sich symbolhaft an der Stadt Sihanoukville, die bis vor wenigen Jahren ein verschlafenes Fischerdorf war und nun zu einer riesigen Baustelle für chinesische Casinos geworden ist. Aufgrund der mangelhaften Transparenz bei den chinesischen Investitionen ist es schwierig, ein umfassendes Bild der Lage zu erhalten. Den spätesten Zeitpunkt, ab dem Kambodscha nicht mehr als neutral gesehen werden kann, haben die USA deutlich gemacht. In einem Artikel im Wall Street Journal wurden Quellen innerhalb der US-Administration zitiert, die davon ausgehen, dass es ein Dokument zwischen Kambodscha und China zur Planung einer chinesischen Militärbasis gibt. Die kambodschanische Regierung dementierte deutlich, die chinesische nicht überzeugend. Es dürfte aber klar geworden sein, dass die USA und ihre Verbündeten in der Region eine chinesische Militärbasis in Kambodscha nicht akzeptieren werden und dass dies massive Konsequenzen für das Bild des Landes in der Welt und dessen internationale Beziehungen haben dürfte. Der Westen wird dann viele Kooperationen mit und Investitionen in Kambodscha hinterfragen, so z. B. Entwicklungshilfe und Handelserleichterungen. Damit holt Kambodscha ohne größere Not den neuen Konflikt der Systeme zwischen den westlichen Demokratien und China in den Verbund hinein.

Es ist für Kambodscha sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch riskant, alles auf die Karte China zu setzen. Das stabile Wachstum der letzten Jahrzehnte kam hauptsächlich durch niedrige Löhne und den zollfreien Zugang zum europäischen und amerikanischen Markt zustande. Diese Faktoren wurden vor allem von chinesischen Investoren im Textilsektor genutzt. Dabei wurde aber lediglich das Ende der Produktionskette ausgelagert. Durch das sich ohnehin einbremsende Wachstum in China, angereichert mit den Stabilitätskrisen durch den US-chinesischen Handelskrieg, dem Ausbruch des Coronavirus, der Demokratiebewegung in Hongkong und der anschließenden Verabschiedung des Sicherheitsgesetzes könnten sich Endpunkte der Produktionslinien Chinas aus Kambodscha wegbewegen. Da Kambodscha wenig in Infrastruktur und Bildung investiert hat, ist es hochgradig abhängig von China. Dabei könnte gerade in der wirtschaftlichen Integration mit ASEAN ein großes Potenzial für die Diversifizierung der kambodschanischen Wirtschaft liegen. Derzeit gehen nur etwa zehn Prozent der kambodschanischen Exporte nach ASEAN.

Sicherheitspolitisch würde eine chinesische Militärbasis in Kambodscha ASEAN vor eine riesige Zerreißprobe stellen, die den Verbund nachhaltig verändern wird. Gerade die sich ohnehin mit China in Konflikt befindenden Länder sowie die mit den USA verbündeten Länder in Südostasien können dies nicht akzeptieren. Sollte der Plan Realität werden, bleiben ASEAN wenige Möglichkeiten. Es ist schwer abzuschätzen, ob der Verbund diese Entscheidung mit Sanktionen belegen würde – und, wenn ja, mit welchen. Der multilateralen Zusammenarbeit in der Region wäre diese Entwicklung aber mit Sicherheit abträglich.

 

Wehrhafter Multilateralismus?

Ob es soweit kommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zentral ist dabei aber die Frage, inwiefern ASEAN selbst dazu beitragen kann, seine internen Entscheidungsprozesse resistenter zu gestalten und sich selbst damit eine neue Stärke zu geben. Geht es nach den Politikberatern in der Region, müssten dabei zwei Mechanismen im Zentrum stehen: Minilaterals und der Abschied von der Einstimmigkeit zugunsten von ASEAN minus X. Letzteres Konzept steht für die Möglichkeit, Resolutionen zu verfassen, die nicht die Zustimmung aller ASEAN-Mitglieder finden. Abweichende Meinungen sollen dabei sichtbar gemacht werden und die unterschiedlichen Perspektiven Eingang in die jeweilige Abschlusserklärung finden. Diese Praxis ist im wirtschaftlichen Bereich der Zusammenarbeit bereits etabliert, sollte aber auch für sicherheitsrelevante Fragen übernommen werden. Dies gilt zumindest dort, wo die Entscheidung nicht die Souveränität oder die Territorialgrenzen eines Mitgliedstaates berührt, sondern eher eine Relevanz für die ganze Region hat.

Von ebenso großer Bedeutung für eine moderne und anpassungsfähige regionale Zusammenarbeit könnte der verstärkte Rückgriff auf Minilaterals im Sicherheitsbereich sein. Dieses Konzept sieht die Zusammenarbeit einer kleineren Gruppe von ASEAN-Mitgliedern vor, wenn innerhalb des Bündnisses nur sie unmittelbar von einer Thematik betroffen sind. Die Arbeit zum Südchinesischen Meer könnte dann beispielsweise nicht von Kambodscha oder Laos blockiert werden, wenn sich in der entsprechenden minilateralen Arbeitsgruppe nur die Philippinen, Malaysia, Vietnam und Brunei zusammenfinden. Wichtig wäre dabei, dass diese Gruppen nach einem festen Prozedere gebildet werden können, welches auch die offizielle Unterstützung der jeweiligen Arbeitsgruppe durch die ASEAN-Gemeinschaft beinhaltet.

Als alternative strategische Partner zu China und den USA werden in ASEAN-Ländern oft Japan und die EU genannt.

Beide Konzepte werden spätestens seit der von Kambodscha blockierten Erklärung zum Urteil des Internationalen Schiedsgerichts in Den Haag intensiver diskutiert. Eine Einführung scheiterte bisher aber nicht nur an der mangelnden Priorisierung der jeweiligen ASEAN-Vorsitzenden, sondern auch an der Unklarheit darüber, mit welcher Zahlenarithmetik die jeweiligen Konzepte umgesetzt werden sollten. Können Minilaterals nur von mindestens drei, vier oder fünf Mitgliedern eingesetzt werden? Und welche Zahl soll X sein, wenn in Zukunft Resolutionen auch entgegen dem Willen einzelner Mitgliedstaaten verabschiedet werden können? Je länger diese Fragen ungeklärt bleiben, umso mehr wird sich China ermutigt sehen, einen noch tieferen Keil in die südostasiatische Staatengemeinschaft zu treiben.

Dieser Gefahr ist man sich ASEAN-intern bewusst. In der aktuellen Ausgabe der Umfrage „The State of Southeast Asia“, die das Institute for Southeast Asian Studies (ISEAS) jährlich mit über 1.000 Experten in der Region durchführt, zeigen sich rund 85 Prozent der Befragten besorgt über Chinas politischen und strategischen Einfluss auf den Staatenverbund. Nach bevorzugten strategischen Partnern befragt, die eine Alternative im Wettkampf zwischen China und den USA darstellen könnten, werden in der Umfrage vor allem zwei Mächte genannt: Japan (38,2 Prozent) und die EU (31,7 Prozent). Welche Hürden dafür im Falle der EU überwunden werden müssen, macht die Studie ebenfalls deutlich: Unter den EU-kritischen Befragten meint jeweils rund ein Drittel, es gebe in der EU keinen politischen Willen für globale Führung oder aber die Union sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um eine derartige Führung übernehmen zu können.

 

Die EU ist am Zug

Diese zunächst einmal schmerzhafte Einschätzung wird sich nicht von heute auf morgen zerstreuen lassen. Doch ist es wichtig, dass die EU die Chance nutzt, um sich als strategischer Partner von größerer Bedeutung für ASEAN zu positionieren. Das gelingt – wie das Beispiel China überdeutlich zeigt – nicht zuletzt auch durch eine Stärkung der bilateralen Verbindungen mit den ASEAN-Mitgliedstaaten. Die nach langer Verzögerung erst kürzlich in Kraft getretenen Freihandelsabkommen der EU mit Singapur und Vietnam sind hier ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Der Entzug von Kambodschas Handelsprivilegien durch die EU hat das Land stärker in die Hände Chinas getrieben.

Gleichzeitig schwächt sich die EU mit dem Entzug der Handelspräferenzen für Kambodscha selbst, die das Land im Rahmen des EBA-Schemas (Everything but Arms) bis dahin erhalten hat. Aus Sicht der EU ist dieser Schritt nötig geworden, weil Kambodscha schwerwiegend und systematisch gegen Menschenrechte verstößt. Obwohl dies zutrifft, ist der erste EBA-Entzug in der Geschichte des Präferenzschemas ein ungewöhnlicher Schritt. Unter den 49 Ländern, die derzeit von EBA profitieren, haben einige eine zumindest ähnlich besorgniserregende Menschenrechtssituation wie Kambodscha. Der wirtschaftliche Effekt eines Entzugs der Handelspräferenzen ist für das Land katastrophal. Am volatilen Textilsektor, der aufgrund des zollfreien Zugangs zum Binnenmarkt hauptsächlich nach Europa exportiert, hängen über eine Million Arbeitsplätze. Am 11. Februar 2020 kündigte die EU-Kommission den teilweisen Entzug des EBA-Status an. Der Entzug betrifft rund ein Fünftel oder eine Milliarde Euro der jährlichen Exporte Kambodschas in die EU. Die Rhetorik in der Pressemitteilung der EU durch den Außenbeauftragten Josep Borrell ist hart: „Die Europäische Union wird nicht tatenlos zusehen, wie die Demokratie untergraben wird, die Menschenrechte eingeschränkt werden und die freie Debatte zum Schweigen gebracht wird.“ Der Entzug trat am 12. August 2020 in Kraft.

Damit hat die EU Kambodscha bestraft und somit noch stärker in die Hände Chinas getrieben, weil es nun, zwar selbstverschuldet, fast keine Alternative für Kambodscha mehr gibt. Noch ist der Kampf für den Westen aber nicht verloren. Die EU sollte offensiv für ihre Überzeugungen und Grundwerte werben, ohne dabei naiv zu sein. Aber eine bloße, nicht den kulturellen Gepflogenheiten angepasste „Bestrafung“ wird langfristig das Ansehen und den Einfluss des Westens mindern. Dabei kann sich durchaus an den asiatischen, demokratischen Partnern Japan, Südkorea und Indien orientiert werden, die ihre Interessen stärker durchsetzen und dennoch ein hohes Ansehen im Land haben. Ihre Strategie in Kambodscha ist geprägt von der Eindämmung des chinesischen Einflusses – und der nicht zu unterschätzenden geopolitischen Bedeutung Kambodschas, insbesondere durch die zentrale Lage am Golf von Thailand.

Die Bestrafung durch die EU führt auch dazu, dass sich die Reihen in der Regierungspartei CPP schließen und so die jüngeren, progressiveren und westlicheren Stimmen weniger laut und mutig sind, weil es in der Rhetorik von Premierminister Hun Sen nun darum geht, das Land vor der Einflussnahme durch die EU zu schützen. Dabei ist die Partei durchaus gespalten, was die Reaktion auf die EU-Entscheidung angeht. Einige wollen unbedingt weiter verhandeln und zu einer Übereinkunft mit der EU kommen. Die Hardliner haben die EU als Partner schon abgeschrieben. Ziel muss es deshalb sein, die progressiven Kräfte zu unterstützen, denn sollten sich die Hardliner durchsetzen, kann die EU ihr außenpolitisches und entwicklungspolitisches Engagement insgesamt auf absehbare Zeit einstellen.

Die derzeitige Situation zwischen Kambodscha und der EU wirkt sich auch negativ auf den ASEM-Gipfel (Asia-Europe Meeting) aus, der Mitte 2021 in Phnom Penh stattfinden soll. Daher muss der Konflikt gelöst werden, bevor die asiatischen und europäischen Staats- und Regierungschefs in Phnom Penh eintreffen. Dieses wichtige Ereignis gibt Kambodscha die Möglichkeit, die komplizierten Beziehungen zwischen der EU und Kambodscha langfristig zu regeln.

Der Fall Kambodscha zeigt, wie China die regelbasierte Weltordnung unterminiert. Die EU sollte deshalb achtsam sein, aber nicht bestrafen, sondern – ohne die eigenen Werte zu verraten – attraktive Angebote der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit machen.

Bevor die Sumoringer in die nächste multilaterale Arena weiterziehen, sollte die EU von den Zuschauerrängen herunterkommen und eine aktivere Rolle im Geschehen übernehmen. Nicht als dritter Ringer, sondern vielmehr als Schiedsrichter, der die Einhaltung der Regeln überwacht – und darauf achtet, dass andere Beteiligte nicht zwischen den beiden Kämpfern zerrieben werden.

 


 

Dr. Daniel Schmücking ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kambodscha.

 


 

Christian Echle ist Leiter des Regionalprogramms Politikdialog Asien / Singapur der Konrad-Adenauer-Stiftung.

 


 

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