Ausgabe: 2/2025
- Die Debatte über die deutsche Kolonialvergangenheit in Ostafrika war in Tansania lange ein politisches Randthema. In den vergangenen Jahren wurde sie vornehmlich durch die ehemalige Bundesregierung auf die Agenda gesetzt.
- Insbesondere durch die vormalige Leitung des Auswärtigen Amts wurde gegenüber Tansania eine einseitig auf die Vergangenheit konzentrierte Politik verfolgt, die zudem von einem mangelnden Verständnis historischer Tatsachen und aktueller Debatten in Tansania selbst geprägt war.
- Die tansanische Regierung – seit gut 60 Jahren von der Partei CCM geführt – prägt die nationale Erinnerungspolitik und verfolgt auch auf diesem Gebiet eigene Interessen, die nicht immer mit denen der Bevölkerung beziehungsweise der verschiedenen ethnischen Gruppen übereinstimmen. Deutschland sollte dennoch nicht versuchen, eine Aufarbeitungspolitik an der tansanischen Regierung vorbei zu betreiben.
- Die Frage nach Reparationen dürfte die neue Bundesregierung beschäftigen. Diese sollte keine übertriebenen Erwartungen wecken und auch vor dem Hintergrund der schwierigen Erfahrungen aus den Verhandlungen mit Namibia Zurückhaltung walten lassen.
Obwohl die als Afrikapolitik bezeichnete Außenpolitik Deutschlands gegenüber afrikanischen Ländern im Bundestag weiterhin zu den Randthemen gehört, schaffen es einige Debatten immer wieder in die bundesweiten Schlagzeilen. Dazu gehört auch die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit auf unserem Nachbarkontinent. Laut aktuellem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD soll die Aufarbeitung des Kolonialismus intensiviert werden. Anders als in prominenteren Politikfeldern gibt es in diesem Bereich regelmäßig konstruktive Debatten und einen Grundkonsens über die unentschuldbaren Verbrechen, auf den sich die Mitte des Parlaments überparteilich einigen kann. Trotzdem lassen sich auch hier Differenzen erkennen, die vor allem dann relevant werden, wenn die im Bereich der Kulturpolitik verortete Kolonialismusdebatte Gefahr läuft, über außenpolitische Fallstricke zu stolpern. Dieser Beitrag berichtet aus Tansania, welche ungewollten Problematiken bei einer eindimensionalen Herangehensweise an das Thema vor Ort entstehen können und wie eine strategischere (Neu-)Ausrichtung in der Außen- und Restitutionspolitik mit Tansania aussehen könnte. Dabei stellen wir drei Thesen voran, die nachgehend genauer ausgeführt werden:
- Die Kolonialismusdebatte ist in der Art und Weise, wie sie von deutscher Seite in den vergangenen Jahren oktroyiert wurde, undifferenziert und so stark simplifiziert, dass sie den lokalen Gegebenheiten Tansanias in ihrer Komplexität nicht gerecht wird. Dadurch können sich ernstzunehmende außenpolitische Fallstricke ergeben.
- Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit in Tansania muss mit unseren Partnern vor Ort stattfinden. Dies darf und sollte auch im Einklang mit den außenpolitischen Interessen Deutschlands geschehen.
- Die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik mit Tansania muss neu justiert werden, um diplomatisch-kulturellen Sackgassen zu entgehen. Mit einem neuen pragmatischen Auftreten und einem umfangreicheren Verständnis lokaler Kontexte ist es noch nicht zu spät, aus der derzeitigen Sackgasse in Tansania herauszukommen.
Die politische Relevanz der gegenwärtigen deutschen Kolonialismusdebatten
Wer sind die Akteure und welche Ideologien vertreten sie?
In Deutschland haben die Kolonialismusdebatten und deren mediale Rezeption in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zentrale Themen, die hier diskutiert werden, sind die Umbenennung von Straßennamen, der Umgang mit kolonialen Denkmälern, die Repatriierung menschlicher Überreste und die Restitution von Kulturgut aus kolonialen Kontexten. In vielen dieser Bereiche ist noch einiges zu tun. Dennoch hat es bereits Fortschritte gegeben, die in unterschiedlichen politischen Lagern als Erfolg gewertet werden. Verstärkt befassen sich auch Museen (wie aktuell die Tansania-Ausstellung im Humboldt Forum in Berlin), Bibliotheken und Universitäten sowohl mit der Geschichte ihrer kolonialen Verstrickung als auch mit der Herkunft ihrer Bestände und möglichen Rückgaben an die Herkunftsgesellschaften.
Zum Hintergrund: Deutsch-Ostafrika
Von 1884/1885 bis 1918 war Deutsch-Ostafrika eine Kolonie des Deutschen Reiches. Auf dem Gebiet befinden sich heute Tansania, Burundi, Ruanda und ein kleiner Teil Mosambiks. Bereits 1884 hatte das Deutsche Reich in Afrika die Kolonien Togo, Kamerun und Deutsch-Südwestafrika besetzt. Deutsch-Ostafrika war die bevölkerungsreichste deutsche Kolonie und galt als diejenige mit dem größten wirtschaftlichen Potenzial. Den Grundstein für die Kolonie legte die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG), deren Vertreter im Jahr 1884 Gespräche mit Anführern verschiedener Bevölkerungsgruppen führten und sie dazu drängten, einseitig aufgesetzte Verträge zu unterschreiben, durch die sie aus deutscher Sicht „offiziell“ jegliche Rechte über ihr Land abgaben. Im Februar 1885 gab es dann durch einen von Kaiser Wilhelm I. unterzeichneten „Schutzbrief“ den Auftrag an Carl Peters, den Leiter der DOAG, die Gebiete zu besetzen. Die Präsenz des Kolonialstaats war regional stark unterschiedlich und in manchen Gebieten tauchten erst Jahrzehnte nach dem aus deutscher Sicht postulierten Besitzanspruch erstmals deutsche Kolonialbeamte auf. Aufgrund seiner besonders brutalen Herrschaftsmethoden wurde Peters 1897 seines Amtes enthoben. Der Alltag in den europäischen Kolonien in Afrika war von dem Gedanken verschiedener „Menschenrassen“ geprägt. Dabei gab es eine konstruierte Hierarchie, in der die Weißen die Spitze der Zivilisation darstellten und die Einheimischen, die teilweise gar nicht als vollwertige Menschen angesehen wurden, ganz unten standen. Aus dieser rassistischen Grundhaltung heraus wurde, aus europäischer Sicht, eine „Zivilisierungsmission“ abgeleitet, durch die diskriminierende und brutale Vorgehensweisen legitimiert wurden. Auch in Deutsch-Ostafrika wurde dieses rassistische und mittlerweile überholte Denken in der Praxis sichtbar. Es gab wiederholt Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Der Maji-Maji-Krieg (1905 bis 1907/1908) wird dabei aufgrund der vielen Todesopfer und der brutalen Kriegsführung am stärksten erinnert. Das Ende Deutsch-Ostafrikas führte der Erste Weltkrieg herbei. Nach seiner Niederlage musste das Deutsche Reich sämtliche Kolonien abtreten, Deutsch-Ostafrika fiel an Großbritannien.
Allerdings werden sowohl von bestimmten zivilgesellschaftlichen Akteuren als auch von Parlamentariern des linken Spektrums immer wieder Forderungen gestellt, bei deren Umsetzung sich die Bundesregierung auf ein außenpolitisches Minenfeld begeben würde. Beispielsweise fordern verschiedene Vereine wie „Berlin/Augsburg/München/Leipzig Postkolonial“ oder „Decolonize Berlin“ gemeinsam mit Wissenschaftlern und Vertretern der Partei Die Linke grundsätzliche Entschädigungen für besonders betroffene tansanische „Communitys/Reginen“. Auch Sevim Dağdelen, die bis Anfang 2025 für das BSW Abgeordnete im Bundestag war, fordert Reparationszahlungen und ließ im Juni 2024 in einer Anfrage an die Bundesregierung durchklingen, dass dies nicht zwingend „in Abstimmung mit und im Einverständnis mit der Regierung Tansanias“ geschehen müsse.
In den gängigen postkolonialen Theorien und Debatten sind Forderungen nach Reparationszahlungen ein zentrales Thema. Allerdings folgen sie oft verkürzten und dadurch leider ahistorischen Darstellungen der Vergangenheit. Die vorkoloniale Zeit in Afrika, in der es bereits Sklaverei, Kriege und Ausbeutung gab, wird dabei oftmals romantisiert und gleichzeitig wird jeder westliche Einfluss bis heute dämonisiert. Verkürzte historische Beschreibungen, die das Ziel verfolgen, die eigene politische Überzeugung zu rechtfertigen, sind ein Hauptkritikpunkt an den postkolonialen Theorien, wie er sich auch in der Debatte rund um Tansania offenbart.
Das Aufgreifen der Kolonialismusdebatte durch die deutsche Seite
Im Jahr 2023 reiste Bundespräsident Steinmeier nach Tansania und entschuldigte sich am Maji-Maji-Museum in Songea erstmalig für die deutsche Kolonialvergangenheit. Mitgereist war auch die zuständige Staatsministerin aus dem Auswärtigen Amt, die während ihrer Amtszeit von 2021 bis 2025 allein dreimal nach Tansania reiste. Bei jedem ihrer Besuche stand die deutsche Kolonialvergangenheit im Mittelpunkt. So nahm sie im Rahmen ihrer letzten Reise im Jahr 2024 an einer Gedenkzeremonie in Moshi teil, welche seit dem Jahr 2018 in unregelmäßigen Abständen, maßgeblich koordiniert durch externe zivilgesellschaftliche Initiativen aus Berlin, stattfindet. Offenbar inspiriert von Steinmeiers Entschuldigung aus dem Vorjahr, hielt sie eine Rede, bei der sie sich im gleichen Duktus wie der Bundespräsident bei den Opfern entschuldigte und sich zudem figurativ vor ihnen verneigte. Sie tat dies als offizielle Vertreterin der Bundesregierung sowie, explizit in ihrer Rede erwähnt, als Nachfahrin von Carl Peters, Mitbegründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika, auch im Namen ihrer Familie. Der geplante Dialog mit den Nachfahren des von den Deutschen ermordeten Chagga-Königs Mangi Meli kam jedoch nicht in gewünschter Weise zustande, da die tansanische Regierung – trotz wochenlanger Vorbereitungen – am Tag selbst einschritt und die direkte Kontaktaufnahme mit den Nachfahren untersagte. Die eingeschüchterten Nachfahren wurden von der tansanischen Regierung daran erinnert, dass man sich in Tansania stets als Erstes an diese zu wenden habe und entsprechende Aussagen gern einer nun eigens eingerichteten staatlichen Kommission zu Protokoll geben könne. Mit etwas Verständnis für das hegemoniale politische Selbstverständnis der Regierungspartei CCM, die seit der Unabhängigkeit vor mehr als 60 Jahren durchgehend im Amt ist und auch im Bereich der Erinnerungskultur die Debatte bestimmt, wäre dies womöglich vorhersehbar gewesen. Das politische System Tansanias ist stark zentralistisch ausgerichtet. So verfügen die einzelnen Regionen lediglich über direkt von der Präsidentin ernannte Regional Commissioner, frei gewählte Parlamente gibt es nicht.
Bei der Gedenkzeremonie in Moshi wurde die Staatsministerin von zwei Aktivisten der Vereine „Berlin Postkolonial“ und „Flinnworks“ aus Deutschland begleitet, die den Prozess der Aufarbeitung mitgestalten und darüber hinaus noch Reparationszahlungen der deutschen Bundesregierung an die Nachfahren der Opfer des Kolonialismus fordern. Offensichtlich haben sie während der Ampelregierung eine gute Beziehung zur Leitung des Auswärtigen Amts gehabt, da sie auch zuvor mehrmals eingeladen wurden und bei zahlreichen gemeinsamen Veranstaltungen auftraten.
In den öffentlich zugänglichen Berichten zu den Reisen der Leitung des Auswärtigen Amts offenbart sich an verschiedenen Stellen, wie unprofessionell die historischen Ausführungen in der Reisebeschreibung sind. Hier wird beispielsweise der Zeitraum von 1891 bis 1919 als Bestehen der Kolonie Deutsch-Ostafrika genannt, was den tatsächlichen Beginn jedoch um sechs bis sieben Jahre verfehlt. Weiter wird behauptet, dass durch den Maji-Maji-Krieg ein Drittel der Bevölkerung umgekommen sei. Diese Aussage, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Internetartikeln zu dem Krieg auftaucht, stammt ursprünglich von einem tansanischen Doktoranden aus dem Jahr 1973 und wird ausdrücklich als grobe Schätzung angeführt. Anstatt eine polemische und nicht überprüfbare Aussage in den Raum zu stellen, wäre es ratsam gewesen, anzuerkennen, dass die genaue Zahl der Todesopfer sich nicht genau bestimmen lässt, aber Schätzungen zwischen 200.000 und 300.000 Toten liegen.
Bei allen drei Besuchen der Staatsministerin traf sie sich mit Nachfahren prominenter Personen, die während der Kolonialzeit von den Deutschen hingerichtet wurden, und thematisierte die Rückführung der menschlichen Überreste und kultureller Objekte mit hochrangigen tansanischen Politikern. Stattdessen hätte sie auch andere Themen in den Fokus stellen oder diese zumindest mit diesem wichtigen Thema stärker verbinden können. Wie es ein Experte auf den Punkt bringt: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Bundesregierung [Kabinett Scholz, Anm. d. Red.] keinen systematischen Plan hat, wie sie die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte proaktiv gestalten will.“
Erinnerungskultur in Tansania: Nationale Einheit im Widerspruch zu lokaler Vielfalt
Was die Debatten in Deutschland eint, ist das geringe Verständnis für die Frage, wie sich die tansanische Bevölkerung selbst an die Kolonialzeit erinnert, wie prominent das Thema für Gesellschaft und Politik in Tansania ist und welche, zum Teil auch widersprüchlichen, Meinungen es vor Ort gibt. Um die von deutscher Seite gut gemeinte, aber in der Praxis vor Ort oft schlecht umgesetzte Vergangenheitsbewältigung der vergangenen Jahre wieder auf einen strategischeren und auch partnerschaftlichen Weg zu bringen, der auch von tansanischer Regierungsseite entsprechend gewürdigt werden würde, ist es essenziell zu verstehen, wie in Tansania selbst über dieses Thema diskutiert wird.
Die ersten wissenschaftlichen Publikationen, die sich ausschließlich mit der Frage beschäftigen, wie man sich in Tansania heute an die Zeit des deutschen Kolonialismus erinnert, wurden erst ab dem Jahr 2023 veröffentlicht. Wichtige Erkenntnisse aus den seither erschienenen Arbeiten haben es bislang offensichtlich nicht in die Hände derjenigen geschafft, die die deutsche Außenpolitik in Tansania in den vergangenen Jahren gestaltet haben. Dabei sind diese Perspektiven enorm wichtig, um differenzierte und wohl überlegte Entscheidungen zu treffen.
So gibt es in Tansania ein breites Spektrum an Erinnerungsformen, die aus deutscher Sicht oftmals überraschend erscheinen und sich gegenseitig mitunter fundamental widersprechen können. Der dominierende Akteur ist eindeutig der Nationalstaat, der seit der Unabhängigkeit eine möglichst homogene Erinnerungskultur zum Zweck der Nationsbildung und Förderung des Patriotismus etablieren möchte. Der Maji-Maji-Krieg ist hierbei das bedeutendste Ereignis und ein beliebtes Motiv für Festreden tansanischer Politiker. Im staatlichen Narrativ wird er als Gründungsmythos der heutigen Nation angesehen, weil sich hier, aus Sicht der Regierung, erstmals 20 verschiedene Bevölkerungsgruppen vereinten und „gemeinsam“ gegen die deutschen Kolonialtruppen auflehnten. Besonders im Süden des Landes gibt es neben Denkmälern und Museen auch Straßen, Radiostationen, Restaurants, Hotels und sogar einen Fußballverein mitsamt Stadion, der mit seinem Namen an den Krieg erinnert.
Allerdings stoßen die staatlich gelenkten Erinnerungspraktiken in der Zivilbevölkerung teilweise auf Ablehnung. Ein Beispiel dafür ist ein in Kilwa Kivinje errichteter Obelisk, der ursprünglich an Aufstände in den 1880er-Jahren erinnern sollte, aber später von staatlicher Seite aus in ein Denkmal für den Maji-Maji-Krieg umgewidmet wurde. Die Umwidmung sorgte bei Teilen der lokalen Bevölkerung für so großen Unmut, dass sie jahrelang die Regierung aufforderten, dem Denkmal wieder seine ursprüngliche Bedeutung zu geben, was vor Kurzem tatsächlich geschehen ist. Auch während der jährlich stattfindenden Erinnerungstage für die Opfer des Maji-Maji-Krieges gibt es immer wieder Streitigkeiten zwischen Regierungsvertretern, der Bevölkerungsgruppe der Ngoni und den restlichen 19 Bevölkerungsgruppen, die an dem Krieg beteiligt waren. Letztgenannte beklagen, dass es einen zu starken Fokus auf die Ngoni gebe, und drohten im Jahr 2023 sogar mit dem Boykott der Gedenkveranstaltung. Diese Beispiele machen deutlich, dass die tansanische Regierung im Bereich der Erinnerungskultur ganz eigene Interessen verfolgt, die nicht immer mit denen der Zivilbevölkerung übereinstimmen.
Das Wissen über diese lokalen Auseinandersetzungen und eine damit verbundene Sensibilität ließen sich im Vorgehen des Bundespräsidenten und der Staatsministerin bei ihren Besuchen in Songea nicht direkt erkennen und führten daher zu lokalen Verstimmungen im Anschluss an die Besuche. Steinmeiers Rede fokussierte sich hauptsächlich auf den Ngoni-Anführer Songea Mbano und richtete sich direkt an seine Nachkommen. Die restlichen 19 Bevölkerungsgruppen wurden mit keinem Wort erwähnt und auch der Anfang des Krieges, der von Angehörigen der Bevölkerungsgruppe der Matumbi initiiert wurde, blieb ausgelassen. Auch die Vorstöße der Staatsministerin im Süden des Landes beschränkten sich vornehmlich auf die Bevölkerungsgruppe der Ngoni. Obwohl Unwissenheit über diese lokalen Spezifika hier wohl der ausschlaggebende Faktor gewesen ist und kein böser Wille dahintersteckte, verstärkten die offiziellen Vertreter des deutschen Staates mit ihrem Vorgehen die Marginalisierung der restlichen Bevölkerungsgruppen, die schon seit Langem, auch artikuliert durch Volksvertreter in tansanischen Parlamentsdebatten, für mehr Anerkennung und Sichtbarkeit kämpfen. Stimmen vor Ort berichten, dass nach den Besuchen und dem Treffen verschiedener Bevölkerungsgruppen die tansanische Regierung erst mal wieder aufräumen und ordnen müsse, was Deutschland durcheinandergebracht habe.
Tansanische Politik und der Umgang mit dem kolonialen Erbe
Im tansanischen Parlament ist die Aufarbeitung des Kolonialismus ein Randthema, das nach den deutschen Besuchen aber zunehmend an Bedeutung gewinnt. Insbesondere Volksvertreter aus dem Süden Tansanias, das besonders unter der deutschen Kolonialherrschaft litt, fordern neben dem Bau von Museen und Gedenkstätten auch generelle Infrastruktur- und Entwicklungshilfe. Im Jahr 2017 forderte der CUF-Oppositionspolitiker Vedasto Ngombale zudem in einer Frage an den damaligen Verteidigungsminister Hussein Mwinyi unter anderem Reparationszahlungen für die Nachkommen der Opfer des Maji-Maji-Krieges. Der Verteidigungsminister unterstützte die Forderung öffentlich. Die Uneinigkeit im eigenen Kabinett zeigte sich jedoch, als Außenminister Augustine Mahiga ein Jahr später bei einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas Forderungen nach Reparationszahlungen und der Rückgabe von Kunstobjekten entschieden verneinte. In derselben Legislaturperiode gab es Forderungen aus der Opposition, das Skelett des berühmten Dinosauriers aus dem Berliner Naturkundemuseum nach Tansania zurückzuholen. Auch diese Vorstöße wurden im Parlament von der Regierung mit dem Verweis auf die hohen Instandhaltungskosten, fehlende Ausstellungsmöglichkeiten und damit mangelnde Wirtschaftlichkeit zurückgewiesen.
Als Vertreter derselben Regierung und im Widerspruch zu vorherigen Äußerungen forderte der tansanische Botschafter Abdallah Possi im Jahr 2020 die Rückgabe aller Kulturobjekte und menschlichen Überreste. Auf diese Aussage, die so wirkte, als wolle man erstmalig testen, wie die deutsche Seite darauf reagieren würde, schob er nach, dass in einem nächsten Schritt auch Reparationszahlungen anstünden: „Wie sich das alles entwickelt, hängt stark von der Reaktion der deutschen Regierung ab. Wenn sie sich offen zeigt für Verhandlungen, wird alles einfach sein. Wenn sie sich verweigern, dann werden wir statt dem moralischen eventuell auch den rechtlichen Weg gehen.“ Als Gründe, warum man erst jetzt derartige Forderungen stellt, nannte der Botschafter die vergleichbaren und erfolgreichen Entwicklungen in anderen Ländern, „die Aktivisten, die sich, hier in Berlin wie in Tansania, immer öfter zu Wort melden“ und „die wachsende Bereitschaft in der deutschen Politik, über diese Themen zu sprechen“. Seit dem Besuch von Bundespräsident Steinmeier werden auch vor Ort in Tansania vermehrt Reparationsforderungen laut.
Bis heute gibt es in Bezug auf den Kolonialismus weder eine schriftliche Vereinbarung zwischen beiden Regierungen noch eine offizielle Forderung der tansanischen Regierung nach Reparationszahlungen. Das liegt unter anderem daran, dass es auf tansanischer Seite ebenfalls noch keine eindeutige Strategie gibt, wie man politisch vorgehen will. Dafür wurden aber bereits drei verschiedene Komitees gegründet, um Klarheit zu schaffen: ein Expertenkomitee, ein Komitee bestehend aus Staatssekretären und Ministern sowie ein Verhandlungskomitee, das sichergehen soll, dass alle menschlichen Überreste und Kulturobjekte wieder zurückgebracht werden. Die Anfrage eines ersten Besuchs des Komitees in Berlin wurde noch im Dezember 2024 von der damaligen Bundesregierung bejaht und fand im Frühjahr 2025 statt. Nicht erst seitdem steht die tansanische Forderung zur Bildung einer vergleichbaren Kommission auf deutscher Seite im Raum. Mit diesem Prozess muss sich nun die neue Bundesregierung befassen.
Plädoyer für einen strategischeren Ansatz in der Kolonialismusdebatte
In den vergangenen Jahren konnte man beobachten, wie eine idealistische und eindimensionale Herangehensweise bei der Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus in Tansania Gefahr läuft, immer weiter in kulturell-diplomatischen Sackgassen zu landen. Für eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik mit Tansania, die selbstverständlich auch im Einklang mit deutschen Interessen erfolgen muss, ist es aber noch nicht zu spät. Dafür ist es essenziell, genau zu verstehen, welche Dynamiken bisherige Vorgehensweisen und Forderungen bereits ausgelöst haben und welche potenziell negativen Auswirkungen sie in der Zukunft noch auslösen könnten.
Der größte Stolperstein wird sicherlich die nun zu erwartende Forderung nach Reparationszahlungen sein. Hier gilt es, aus den Erfahrungen der stockenden Verhandlungen mit Namibia zu lernen und einen zukunftsweisenden Dialog vorzubereiten, der weniger zeitraubend und konfliktbeladen ist. Etwaige Zahlungen sollten zudem nicht direkt bestimmten Bevölkerungsgruppen ohne Zustimmung der tansanischen Regierung zukommen. Dies könnte zur Benachteiligung derjenigen Bevölkerungsgruppen führen, die keine dominante Position in der Erinnerungskultur Tansanias einnehmen. Die tansanische Regierung hat Deutschland schon wissen lassen, dass sie direkte Kontaktaufnahmen jedweder Art mit einzelnen Bevölkerungsgruppen als Störung der nationalen Einheit auslegt und nicht weiter dulden wird. Allerdings hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass auch die tansanische Regierung bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorzugt. Die Verteilung solcher Gelder wäre zudem in Tansania, vor allem aufgrund der großen ethnischen Vielfalt mit mehr als 120 Bevölkerungsgruppen, wesentlich komplizierter als zum Beispiel in Namibia. Jegliche weiteren Andeutungen von Reparationszahlungen, sei es auf zivilgesellschaftlicher Ebene aus Deutschland oder wie zunehmend geschehen auch aus Tansania, wecken nur unrealistische Erwartungen. Auf einen Vorschlag der tansanischen Regierung, Reparationszahlungen als zusätzliche Entwicklungszusammenarbeit zu gewähren, sollte man sich vorbereiten. Aufgrund des jetzt schon überdurchschnittlich hohen deutschen Entwicklungsbudgets für Tansania sollte dies kritisch hinterfragt werden. Die deutsche Außenpolitik der vergangenen Jahre hat hier falsche Signale gesendet, indem sie eng mit bestimmten Aktivistengruppen, die Reparationszahlungen fordern, zusammengearbeitet und ihnen auch bei Veranstaltungen in Tansania eine Plattform gegeben hat.
Im Gegensatz zu Namibia, wo mittlerweile der Zeitpunkt für eine hochrangige Entschuldigung aufgrund des langwierigen Verhandlungsprozesses verpasst wurde, ist dies in Tansania durch den Besuch des Bundespräsidenten frühzeitig geschehen. Dies ist zu begrüßen. Wichtig wird nun sein, vor weiteren offiziellen Besuchen oder Entschuldigungen die kulturellen Gegebenheiten vor Ort genauestens im Blick zu haben, um nicht den Anschein zu erwecken, einige wenige Bevölkerungsgruppen zu bevorzugen und somit bereits bestehende interethnische Spannungen zu verschärfen. Da dies in der Vergangenheit geschehen ist, sollten bei weiteren Besuchen sowohl die tansanische Regierung als auch Experten, die die lokalen Charakteristika im Detail kennen, verstärkt konsultiert werden.
Pragmatismus vor Ideologie
Die für Deutschland so wichtige Aufarbeitung des Kolonialismus und die Förderung der Erinnerungskultur sind keine politisch linksgerichteten Themen und sollten, gerade im Hinblick auf die außenpolitischen Fallstricke, nicht ausschließlich diesem Teil des Spektrums überlassen werden. Die deutsche Bundesregierung sollte der tansanischen Seite nicht nach Belieben Zugeständnisse machen, keine falschen Signale senden und zudem die eigenen außenpolitischen Interessen stärker berücksichtigen. Deshalb muss die notwendige kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit auch mit einer in die Zukunft gerichteten Perspektive strategischer verbunden werden.
Wenngleich koloniale Gräueltaten nie verharmlost werden dürfen und das koloniale System Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in bestimmten Bereichen bis heute beeinflusst, sollten die tansanischen Partner dabei nicht in eine ewige Opferrolle gesteckt werden, die jegliche Fehlentwicklungen der eigenen autokratischen Regierung als fortwährende Folge des Kolonialismus darstellt. Diese postkoloniale Denkweise steht im Widerspruch zu sich selbst, da sie die Klischees von afrikanischen Staaten als passive und handlungsunfähige Objekte, die sie eigentlich überwinden will, reproduziert. Für den Aufbau einer Erinnerungskultur, die beiden Seiten Rechnung trägt, müssten die geschilderten tansanischen Perspektiven in Deutschland stärker berücksichtigt werden. Wenn diese Sichtweisen aber weiterhin nur unzureichend Eingang in die hiesige Debatte finden, würde dies eine erneute Marginalisierung der ehemals kolonisierten Gesellschaften bedeuten. Leider herrschte bislang eher der Eindruck vor, dass trotz des Anspruchs, „auf Augenhöhe“ zu verhandeln, eher ideologisch vorgeprescht wurde – ohne auf individuelle, kulturelle und politische Sensibilitäten von vor Ort entsprechend einzugehen. Auch bei der Repatriierung menschlicher Überreste wurde beispielsweise nicht berücksichtigt, dass die tansanische Regierung bei vielen Prozessen erst ganz am Anfang steht. Die zuständige Staatsministerin im Auswärtigen Amt beschreibt im Nachhinein selbst, dass die tansanische Regierung – im Gegensatz zu weiteren konsultierten Regierungen – „wenig Interesse an diesem Thema gezeigt“ hat. Diese Erkenntnis verdeutlicht einmal mehr, dass afrikanische Länder sehr unterschiedlich sind und dass eine One-size-fits-all-Strategie hier fehl am Platz ist.
Eine weitere Gefahr besteht darin, die Aufarbeitung des Kolonialismus als alleiniges Schwerpunktthema zu stark zu betonen. Dadurch blieben Chancen für eine positive Gestaltung der Außenpolitik in anderen Bereichen wie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ungenutzt. Dies sollte der tansanischen Seite durch die neue deutsche Bundesregierung stärker aufgezeigt werden. Hatte der begrüßenswerte Besuch des Bundespräsidenten noch eine Signalwirkung dahingehend, dass eine große Delegation der deutschen Wirtschaft mitreiste, so konzentrierten sich alle weiteren Besuche der Leitung des Auswärtigen Amts auf die Vergangenheit. Dabei hat Deutschland für gegenwärtige Herausforderungen viel anzubieten, was zum Nutzen beider Seiten wäre. In diesem Kontext sollte auch die umfangreiche Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands stärker betont und strategischer ausgerichtet werden. Traditionelle Entwicklungsprojekte oder eine „feministische Außenpolitik“ etwa stehen in afrikanischen Ländern nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Vielmehr geht es den meisten Regierungen darum, neben der eigenen Selbsterhaltung im Amt, Arbeitsplätze für ihre wachsende und junge Bevölkerung zu schaffen.
Russland und China als neue „antikoloniale“ Akteure?
Nur mit einem integrierten Ansatz, der Wirtschaft, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit verknüpft, kann Deutschland eine glaubwürdige Alternative zu autoritären Modellen bieten und seine eigene Position in Afrika stärken. Bei aller notwendigen kritischen Betrachtung der kolonialen Vergangenheit sollte unter veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen nicht übersehen werden, dass es auch eine koloniale Gegenwart gibt. Diese zeigt sich insbesondere im Agieren Russlands und Chinas in Afrika. Sie profitieren von der Unbeholfenheit vieler westlicher Regierungen und nutzen Desinformationskampagnen, um sich selbst geopolitisch geschickter, das heißt „antikolonialistisch“, zu positionieren. So wird von Russland verstärkt auf dessen, in Abgrenzung zum Westen, angeblich antikoloniale Vergangenheit hingewiesen, zu sehen auch an großflächigen Plakatkampagnen des Propagandasenders RT in Daressalam. Hingegen wird China aufgrund seiner ökonomischen Einflussnahme unter anderem in Bezug auf Kreditrückzahlungen von vielen als neokolonialistisch beschrieben.
Eine in vielen Bereichen naive Außenpolitik Deutschlands spielt dem Narrativ dieser Antidemokraten in die Hände. Dieser größere geopolitische Rahmen unterstreicht, warum eine Neuausrichtung der deutschen Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit auch im Hinblick auf andere Akteure in der Region von Bedeutung ist. Insofern ist es begrüßenswert, dass der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD hierzu festhält: „Dem russischen und chinesischen Einfluss in Afrika treten wir mit unseren Partnern entschlossen entgegen.“
Die Bewältigung aktueller Herausforderungen steht für unsere Partner vor Ort im Vordergrund
Mit Blick auf Tansania lässt sich feststellen, dass das Thema koloniale Vergangenheit dort im politischen und öffentlichen Diskurs eine eher untergeordnete Rolle spielt. Unsere Partner in Afrika sind weniger an selbstbezogener Vergangenheitsbewältigung interessiert als vielmehr an größerer Unterstützung bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen. In die bilateralen Beziehungen wurde das Thema Vergangenheitsbewältigung von Vertretern der ehemaligen Bundesregierung vorschnell hineingetragen, manchmal sogar auf die Gefahr hin, die tansanische Politik und Gesellschaft zu verstimmen. In einer Sackgasse zu landen, wie es in den Beziehungen zu Namibia bereits geschehen ist, ist aufgrund kultureller und politischer Eigendynamiken in Tansania mit der dortigen Regierung noch viel wahrscheinlicher. Forderungen vonseiten Tansanias wie „Reparationszahlungen nach unseren Vorstellungen“ starten gerade erst.
Abschließend lässt sich festhalten, dass es in Tansania vermutlich keine fehlgeleitete Kolonialismusdebatte ohne deutsches Zutun gegeben hätte. Dass diese jedoch nun virulent ist, wird die neue deutsche Bundesregierung noch länger als gewünscht begleiten – und dies, wie Kenner des Landes vermuten, vornehmlich negativ, mit Auswirkungen auf die gesamte deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Tilmann Feltes war bis April 2025 Leiter des Auslandsbüros Tansania der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Sebastian Laschet ist Projektleiter bei der tansanischen Nichtregierungsorganisation JamiiForums.
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