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Länderberichte

Polens Einstieg in die Kernkraft entscheidet sich möglicherweise in den nächsten Monaten

von David Gregosz, Dr. Daniel Lemmen

Raus aus der Kohle, rein ins Nuklearzeitalter?

Ähnlich wie in Deutschland bereits in den vergangenen Jahren forciert, wird es auch in Polen in den nächsten Jahren zu einer grundlegenden Transformation des Energiesektors kommen. Während es in der Bundesrepublik jedoch mehrheitlich politischer Wille ist, neben dem Kohleausstieg auch die Energiegewinnung aus Kernkraft zugunsten von erneuerbaren Energien aufzugeben, sieht die derzeitige polnische Regierung in der Atomenergie eine entscheidende Alternative für die notwendig gewordene Dekarbonisierung des Landes.

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Derzeit stellt die Kohlekraft in Polen weiterhin das wichtigste Fundament für den Energiesektor Polens dar und ist damit ein entscheidender Garant für den Erfolg der polnischen Wirtschaft. Jedoch ist der Anteil der Kohle an der Energieproduktion seit vielen Jahren rückläufig. Vor zehn Jahren noch lag dieser bei über 90 Prozent. Für das Jahr 2020 sank er auf 65 Prozent. Laut ihrem aktuellen Strategiepapier zur Energiepolitik (PEP2040) will die polnische Regierung den Anteil der Kohle an der Energiegewinnung zunächst bis 2030 auf 56 Prozent senken.   Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen die letzten Kohleschächte und -tagebaue geschlossen werden.

Die Gründe für den Kohleausstieg sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielen sicherlich die von der EU beschlossenen Klimaziele für das Jahr 2050. Durch das Festhalten am Kohleausstieg nähert sich Polen dem europäischen Ziel einer Klimaneutralität langfristig an. Gerade in Bezug auf den Umweltschutz leistet Warschau damit einen entscheidenden Beitrag, zu dessen Nutznießer nicht zuletzt die polnische Bevölkerung selbst wird. Derzeit stellt die Luftverschmutzung in Polen ein schwieriges Problem und seine Bekämpfung eines der entscheidenden Ziele des PEP2040 dar. Unter den 50 Städten mit der schlechtesten Luftqualität in Europa liegen laut WHO allein 33 Städte in Polen. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur sterben in Polen jedes Jahr über 45.000 Menschen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung. Auch die Kohleverbrennung trägt stark hierzu bei. Aber auch in Bezug auf den CO2-Ausstoß führt Polen. So ist das Kohlekraftwerk in Bełchatów der größte Kohlenstoffdioxidemittent in der Europäischen Union mit einem Ausstoß von über 38,2 Mio. Tonnen (gefolgt von den deutschen Kraftwerken Neurath mit 18,7 und Jänschwalde mit 13,6 Mio. Tonnen).  

Neben diesen ökologischen Argumenten sprechen ebenfalls einige wirtschaftliche Gründe gegen den Kohleabbau und damit die Stromerzeugung aus Kohlekraft. Zum einen ist das in Polen geförderte „schwarze Gold“ überwiegend von geringerer Qualität als Konkurrenzprodukte aus Russland, Australien und Kolumbien. So weist die polnische Kohle einen höheren Aschegehalt und einen niedrigen Heizwert auf. Ebenfalls in der Lage der Kohleflöze zeigt sich die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der polnischen Kohle. Diese liegt in Polen durchschnittlich bei einer Tiefe von 700 Metern. Die tiefste Grube Budryk in Oberschlesien fördert aus bis zu 1320 Metern. Im Vergleich dazu liegen die Flöze in China (460 Meter) und Indien (150 Meter) wesentlich höher. Die tiefere Lage wirkt sich ebenfalls negativ auf den Marktpreis der polnischen Kohle aus. So kostet beispielsweise russische Kohle nur etwa ein Drittel des Preises der polnischen Kohle. Inzwischen ist die Kohleförderung in Polen zu einem Verlustgeschäft geworden. Der Kohlesektor fuhr in den letzten Jahren zum Teil immense Verluste, teils in dreistelliger Millionenhöhe ein.

Die polnische Kohle ist damit auf dem Weltmarkt kaum noch konkurrenzfähig. In Folge dieser Unattraktivität sinkt seit etwa vierzig Jahren auch die Fördermenge in Polen kontinuierlich. Lag beispielsweise die Steinkohleförderung zu Beginn der achtziger Jahre noch bei 200 Mio. Tonnen jährlich, ist sie seitdem auf ein Viertel dieses Wertes gefallen. Für den Zeitraum von Januar bis November 2020 fiel der Braunkohleabbau erneut um 8,7 Prozent und der Steinkohleabbau um 11,9 Prozent.

Dennoch war der Ausstieg aus der Kohle (wie auch von den Vorgängerregierungen) von der PiS-geführten Regierungskoalition aus Angst vor dem Unmut der Wähler zunächst politisch nicht gewollt. Lange Zeit lautete der Slogan der Regierungspartei „Polen steht für Kohle“. Den 80.000 Beschäftigen im Kohlesektor sowie den über eine halbe Millionen Beschäftigen im weiteren Umfeld dieses Sektors versicherte die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) den Erhalt der Kohleindustrie in Polen. Aufgrund der großen Konkurrenz hatten Gewerkschaftler unlängst einen Importstopp für Kohle aus dem Ausland gefordert. Die polnische Regierung griff diese Forderung auf und empfahl seinen zahlreichen staatlichen Betrieben, den Kauf ausländischer Kohle auszusetzen. Dies trifft damit insbesondere auf den größten Energiekonzern PGE zu, dessen Anteilseigner mehrheitlich der Staat ist. Dennoch steigt der Import ausländischer Kohle insgesamt, wobei beispielsweise in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020 knapp 75 Prozent der Einfuhren (6,52 Mio. Tonnen von 8,86 Mio. Tonnen) brisanterweise aus Russland eingeführt wurden. Insgesamt ist Polen mittlerweile vom Kohleexporteuer zum Kohleimporteur geworden. Zwei Drittel der hiesigen Kohle wird importiert.

Zur Entlastung der polnischen Energiebetreiber verkündete die polnische Regierung unlängst, alle polnischen Kohlekraftwerke in einer staatlichen Agentur zusammenzuführen. Auf dieser Weise hätten die mehrheitlich in staatlicher Hand befindlichen Energiekonzerne PGE, Enea und Tauron die Möglichkeit, sich zukünftig wesentlich stärker auf erneuerbare Energien auszurichten.

Ein erhörter Druck durch die Bevölkerung aufgrund der Umweltverschmutzung, die Pflicht zur Umsetzung der EU-Klimaziele sowie die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der polnischen Kohle haben die PiS zu einem Umdenken bewogen. Während die Partei sich jedoch seit den Parlamentswahlen für eine Dekarbonisierung ausspricht, fordert der Koalitionspartner Solidarna Polska (Solidarisches Polen, SP) den Erhalt der Kohleförderung und der Energiegewinnung aus Kohle. Insgesamt ist der Kohleausstieg jedoch mittlerweile politisch und gesellschaftlich gewollt, sowie wirtschaftlich notwendig geworden, was eine tiefgreifende Energiewende in Polen zur Folge haben wird.

Alternative Energieträger

Ohne Energiesicherheit kann der steigende Wohlstand und die wirtschaftliche Stärke Polens nicht gewährleistet werden. Für den Wegfall des immensen Anteils der Kohlekraft an der Energiegewinnung in Polen bedarf es demnach eines alternativen Energieträgers. In Deutschland wurde die Frage nach der Energiewende mit einem Schwerpunkt auf den erneuerbaren Energien beantwortet. Auch Polen hat sich das ambitionierte Ziel gesteckt, den Anteil der erneuerbaren Energien langfristig zu erhöhen. Derzeit liegt er bei ca. 16 Prozent, soll aber bis 2030 auf mindestens 23 Prozent und dann für das Jahr 2040 auf über ein Drittel ansteigen.

Die erneuerbaren Energieträger sind bekanntlich sehr stark vom Wetter abhängig. Sie sind ohne Speicherkraftwerke damit nicht grundlastfähig, d.h. bieten keine dauerhafte Bereitstellung von elektrischer Energie. Wenn die Energiewende weg von der Kohle somit (zunächst) nicht allein durch grünen Strom forciert werden kann, bietet die Stromerzeugung aus dem Energieträger Gas eine Möglichkeit, die Versorgungssicherheit zu garantieren. In Deutschland gilt Gas als sogenannte Brückentechnologie für den Übergang zu regenerativen Energieträgern. Auch Polen will seine Energiesicherheit zunächst auf Gas stützen. Tatsächlich plant Polen den größten Anstieg des Gasverbrauchs in der gesamten EU und wird bis 2030 zu dessen größten Stromerzeuger aus Gas. Gas wird hierbei aber weit weniger als Brücke, sondern vielmehr als Teil eines komplexen Energiemix gesehen. Die Gefahr einer Abhängigkeit von russischem Gas soll hierbei insbesondere durch die Baltic Pipe, eine Erdgasleitung zwischen Dänemark und Polen, sowie das Flüssiggasterminal in Świnoujście verhindert werden. Es erscheint fraglich, ob ein Bezug überwiegend aus den Nordländern und den USA ausreichend sein wird. Zumal verflüssigtes US-Frackinggas neben den hohen Kosten, aufgrund hoher Methanfreisetzung klimapolitisch fragwürdig ist.  

Der lange Weg zur polnischen Kernenergie

Zum Erhalt seiner Energiesicherheit will sich Polen jedoch auch auf die Kernenergie stützen. Auch in deutschen Medien derzeit noch zu wenig wahrgenommen, befinden sich Deutschland und Polen insofern mit Blick auf die Kernenergie auf entgegengesetzten Wegen. Während die Bundesrepublik 2011 den Atomausstieg einleitete und bis 2022 vollziehen wird, hält sich in an der Weichsel seit vielen Jahren eine Debatte zum Bau von Atomkraftwerken in Polen. Insbesondere die Kernkraft wird in Polen als stabile und günstige Energiequelle für die Industrie gesehen, um die Energiegewinnung aus Kohle zu ersetzen. Pläne zum Bau von Atomkraftwerken in Polen sind nicht neu. Erste Überlegungen hierzu gab es bereits in den fünfziger Jahren. Zu konkreten Plänen kam es dann zwanzig Jahre später, die 1982 in den Baubeginn eines Kernkraftwerkes im pommerschen Żarnowiec mündeten. Im Mai 1990 lehnten jedoch über 86 Prozent den Weiterbau in einem Referendum ab. Obschon die Befragung aufgrund eines zu niedrigen Quorums nicht rechtskräftig war, initiierte die Regierung Mazowiecki einen Baustopp, der das Projekt zum Scheitern brachte. Mit Ausnahme der früheren Sowjetrepubliken Estland und Lettland war Polen damit der einzige ehemalige Ostblockstaat ohne Atomkraftwerk.
Knapp 20 Jahre später griff die polnische Regierung das Vorhaben jedoch erneut auf. 2008 sprach sich Premier Tusk für den Bau von mindestens zwei Kernkraftwerken aus, wobei eines davon in Żarnowiec liegen könne. Mitte Januar 2009 fasste die Regierung Tusk einen Beschluss zur Entwicklung eines polnischen Kernenergie-Programms. Im Folgejahr wurde die Zweckgesellschaft PGE EJ1 gegründet, die als Grundlage für den Bau von polnischen Atomkraftwerken dienen sollte. Erste Pläne der PO/PSL-Regierung sahen die Inbetriebnahme des ersten polnischen AKW für das Jahr 2020 vor. Bekanntlich scheiterten diese Pläne.

Keiner Regierung, weder der PO/PSL-Koalition unter Tusk und Kopacz noch den PiS-Regierungen unter Szydło und Morawiecki, schien es seitdem zu gelingen, Bewegung in diese Angelegenheit zu bringen. Trotz dieser Bewegungslosigkeit und der Nichtexistenz eines polnischen AKWs bezifferte der Polnische Rechnungshof (NIK) die für den Zeitraum 2014-2017 schon erfolgten Ausgaben für Planungen auf 776 Mio. Zloty. Das Projekt war über viele Jahre hinweg in der Schwebe. Im Jahre 2018, also drei Jahre nach dem Regierungsantritt der von der PiS angeführten Regierung schien das Vorhaben jedoch erneut an Fahrt aufzunehmen. So verkündete der damalige Energieminister Krzysztof Tchórzewski, man habe sich informell bereits für den Bau eines Kernkraftwerks entschieden, jedoch noch keine formelle Entscheidung getroffen. Ein Jahr später teilte der Minister mit, es würde innerhalb der nächsten Monate zu konkreten Entscheidungen kommen.

Die scheinbar generelle Zustimmung (bei zögerlichem Vorgehen) der PiS für ein polnisches Kernkraftprogramm stößt jedoch nicht ausschließlich auf Zustimmung innerhalb des polnischen Regierungslagers. Immer wieder gibt es Kritik (vereinzelt auch aus dem Umfeld von Premierminister Morawiecki), das sich teils skeptisch gegenüber dem Projekt zeigt. Deutlicher Widerstand lässt sich in den Reihen des Koalitionspartners Solidarna Polska (SP) erkennen. Ihr Festhalten an der polnischen Kohle hat hierbei ein Nein zur Forcierung der Kernkraft in Polen zur Folge. Die Anfang Februar von der polnischen Regierung verkündete aktuelle Fassung des PEP2040, die den Kohleausstieg und den Atomeinstieg anstrebt, wurde von den SP-Ministern abgelehnt. Es zeigt sich damit, dass auch der Energiesektor mittlerweile im polnischen Regierungslager Brüche erzeugt, wobei die Gründe weitweniger energiepolitischer Natur sind, als vielmehr den Versuch des Koalitionspartners darstellen, das eigene Profil gegenüber der PiS zu stärken.

Zum großen Fürsprecher innerhalb der polnischen Regierung avancierte unterdessen der Staatssekretär in der Staatskanzlei des Premierministers, Piotr Naimski. Seit 2015 im Amt ist er gleichzeitig Regierungsbeauftragter für strategische Energieinfrastruktur. Bis zum Jahre 2033 soll seinen wiederholten Aussagen zur Folge (und so auch im PEP2040 verankert) das erste polnische Atomkraftwerk ans Netz gehen. Bis zum Jahre 2040 sollen insgesamt sechs Reaktoren in Polen gebaut wollen.  

Trotz dieser Ankündigungen steckt das Projekt jedoch weiterhin in den Kinderschuhen. Ein Standort für ein mögliches Kernkraftwerk wurde bisher nicht ausgewählt. Mehrere Ortschaften in der Wojewodschaft Pommern sind hierzu derzeit im Gespräch: Choczewo, Gniewino, Krokowa, Lubiatowo-Kopalino sowie erneut der in den siebziger und achtziger Jahren vorgesehene Standort Żarnowiec. Während diese Standorte alle an der Küste liegen, ist immer wieder auch die Rede von Bełchatów als Standort eines zweiten AKWs. Es könnte aufgrund seiner zentralpolnischen Lage auf die Energieinfrastruktur des noch bestehenden Kohlekraftwerkes zurückgreifen. Laut den Aussagen des Umweltministers soll die Standortwahl im Jahre 2022 erfolgen.

Die Investitionssumme von polnischer Seite wird auf 80 Milliarden Zloty für einen Zeitraum von zwanzig Jahren geschätzt und soll zwei Kraftwerke finanzieren. Es handele sich hierbei um durchschnittliche Ausgaben von vier Milliarden Zloty pro Jahr. Dies entspräche weniger als einem Prozent des jährlichen polnischen Haushalts. Der Energiebeauftragte der Regierung betonte in den letzten Monaten in den Medien wiederholt, dass Polen sich diese Investition leisten könnte.

In der Frage des Betreibers kam es Ende März zur Übernahme der Zweckgesellschaft PGE EJ1 durch den Staat. Die vorherigen Anteilseigner PGE (70 Prozent), Tauron, KGHM und Enea (jeweils 10 Prozent) haben damit die Verantwortung für den Reaktorbau an die Regierung abgegeben. Dieser sieht in der Zweckgesellschaft weiterhin „ein wichtiges Element zur Realisierung des polnischen Kernenergieprogramms“. Zukünftig will der Staat 49 Prozent seiner Anteile an einen ausländischen Partner abgeben. So soll das Risiko, aber auch der mögliche Erfolg des Projekts geteilt werden.

Auf der Suche nach einem ausländischen Investor

Die Frage nach dem ausländischen Partner scheint derzeit die aktuellste. Hierzu waren in der Vergangenheit verschiedene Firmen im Gespräch. Mittlerweile hat sich der Kreis auf drei Anbieter verkleinert. Ein Angebot will insbesondere das französische Unternehmen Électricité de France (EDF) unterbreiten. Im Dezember 2020 bestätigte die EDF, dass sich die Gespräche mit der polnischen Regierung intensiviert hätten. Warschau weiß um die Stärken der Franzosen durch ihre Erfahrung mit 58 Atomreaktoren allein in Frankreich. Die angebotene Technologie sowie die Finanzierungsmöglichkeiten in Form von Krediten und Förderungen stellen einen großen Vorteil des französischen Angebotes dar. Dennoch zeigte sich Naimski zuletzt skeptisch bezüglich einer französischen Zusammenarbeit. Die EDF baut derzeit zwei Reaktoren in Frankreich sowie zwei weitere in Großbritannien. Unklar ist, ob der zeitgleiche Bau von sechs Reaktoren in Polen zeitlich überhaupt möglich wäre.

Auch der südkoreanische Konzern Korea Hydro and Nuclear Power (KHNP) hat in den letzten Monaten wiederholt seine Bereitschaft erklärt das polnische Kernkraftprogramm finanziell und technologisch zu unterstützen. Zwar zieht die polnische Regierung dieses Angebot in Erwägung, weist jedoch darauf, dass die KHNP amerikanische Technologie nutze und deshalb die Zustimmung der USA für einen Deal zwischen Warschau und Seoul notwendig wäre.

Trotz des französischen und koreanischen Angebots wird Warschau nach jetzigem Stand wahrscheinlich auf ein US-amerikanisches Angebot, möglicherweise durch die Firma Westinghouse zurückgreifen. Ausgangspunkt für diese Präferenz waren zunächst die guten Beziehungen zwischen der von der PiS angeführten Regierung und der Trump-Administration. Geopolitisch käme die Zusammenarbeit mit den Amerikanern einer Vertiefung der Beziehungen zwischen Washington und Warschau gleich. Im Rahmen eines Besuchs von Staatspräsident Andrzej Duda im Weißen Haus im Juni 2020 kam es zu einer gemeinsamen Erklärung, die die Unterzeichnung eines Vertrags zur Entwicklung eines polnischen Atomprogramms vorsah. Es dauerte vier Monate, bis die Ankündigung in Form eines polnisch-amerikanischen Regierungsabkommens über die Zusammenarbeit zur Entwicklung der Kernenergie und der zivilen Atomindustrie in Polen verwirklicht wurde.     Das Abkommen wurde während des 5. Gipfeltreffens der Drei-Meeres-Initiative in Tallinn durch Naimski und dem damaligen US-Energieminister Dan Brouillette unterzeichnet. Im Dezember 2020 folgte die Unterzeichnung einer weiteren Erklärung, die die Möglichkeit einer Finanzierung über die US-Export-Import Bank (EXIM) garantieren soll.
Die Vereinigten Staaten und Polen werden bis zum Sommer 2022 an einem Bericht über die Gestaltung der Umsetzung des polnischen Atomprogramms und der finanziellen Vereinbarungen arbeiten. Dies wird die Grundlage für ein mögliches Engagement der Amerikaner und für die endgültige Entscheidung der Regierung in Warschau in dieser Frage sein. Es wurde vereinbart, dass im Zuge dieses Zeitraumes die USA Warschau ein konkretes Angebot unterbreiten werden.

Nach dem Ausscheiden Donald Trumps aus dem Amt des US-Präsidenten schien zunächst fraglich, ob die polnisch-amerikanische Zusammenarbeit weiter fortgesetzt werden würde. Wenige Tage nach der Amtsübernahme Joe Bidens reiste der französische Minister für Außenhandel und wirtschaftliche Attraktivität, Franck Riester, zu Gesprächen über den Energiesektor nach Warschau. Am 17. März 2021 kam es zu einem Treffen zwischen Premierminister Morawiecki und dem französischen Staatspräsidenten Macron, bei dem auch die Frage der Kernkraft in Polen diskutiert wurde. Dennoch bekundet die polnische Regierung sie stünde ebenfalls im Austausch mit der Biden-Administration. Aus dem US-Energieministerium heißt es, dass es im Interesse der US-Regierung sei, das im Oktober abgeschlossene Abkommen anzuwenden und mit der Kooperation fortzufahren. Auch die Firma Westinghouse zeigt sich weiterhin an einer Investition interessiert, was ein Besuch ihres CEO Patrick Fragman in Warschau Mitte März deutlich zum Ausdruck brachte.

Obschon sich das Projekt eines polnischen Kernkraftwerkes somit weiterhin in einer Anfangsphase befindet, lassen sich durchaus Grundzüge erahnen. Der derzeitige Zeitplan sieht somit vor, dass in den nächsten Monaten konkrete Angebote potenzieller Partner vorliegen, wobei die Vereinigten Staaten durch ihre Abkommen weiterhin die größten Chancen auf einen Zugriff haben. Im nächsten Jahr würde dann die Standortwahl erfolgen, wobei eine Lokalisierung in Pommern derzeit als wahrscheinlich gilt. Im Jahre 2023 (also im Jahr der nächsten regulären Parlamentswahlen) soll es dann zu einem Vertragsabschluss kommen. Als Baubeginn steht derzeit das Jahr 2026 im Raum. Innerhalb von nur sieben Jahren soll der erste Reaktor zur Stromerzeugung zur Verfügung stehen.

Entscheidung über tatsächlichen Einstieg in die Kernenergie in den nächsten Monaten

Das Zeitfenster in die Kernenergie einzusteigen schließt sich allmählich, da recht bald ein Ersatz für die eingeleitete Dekarbonisierung gefunden werden muss. Es scheint somit wichtig, dass zeitnah konkrete Entscheidungen in dieser Angelegenheit getroffen werden. Wenn Kernkraftwerke gebaut werden sollen, muss es dafür eine finanzielle sowie rechtliche Grundlage geben. Wenn aber nicht in die Kernkraft investiert werden soll, muss recht bald ein Ersatz für die polnische Kohle gefunden werden.

Beide Staaten, Deutschland wie auch Polen, haben sich auf den Weg zu einer Dekarbonisierung ihrer Energiewirtschaft gemacht. In beiden Staaten wird eine Energiewende   durch einen Energiemix vollzogen. Dennoch sind Unterschiede beiderseits der Oder unschwer erkennbar. Während die Bundesregierung und die deutsche Gesellschaft die Kernenergie als Teil dieses Energiemix ablehnen, spricht sich sowohl die polnische Regierung als auch eine demoskopische Mehrheit in Polen für eine Nutzung der Atomkraft aus. Ungefähr 60 Prozent der Polen unterstützen laut verschiedenen Umfragen den Bau von Atomkraftwerken. Fragen der Endlagerung scheinen hierbei noch ausgeklammert. Und während in Deutschland in den letzten Jahrzehnten vor allem seit dem Aufkommen der Umweltbewegung, die insbesondere in die Parteigründung der Grünen mündete, mit einem Atomausstieg gerungen wurde, findet sich in Polen eine bald 20 Jahre andauernde gegenteilige Diskussion über einen Atomeinstieg. Durch eine sehr wahrscheinliche Rückkehr der Grünen in die Regierung nach den Bundestagswahlen am 26. September 2021 könnte sich hier ein neues Konfliktfeld zwischen Berlin und Warschau auftun. Unlängst verwiesen die Grünen im Umweltausschuss des Deutschen Bundestages auf eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie, wonach bis zu zwei Millionen Bundesbürger von einem Vorfall in einem polnischen AKW zukünftig betroffen sein könnten.    In der Frage, welcher der beiden Staaten hier einem globalen Trend folgt, fällt die Antwort schwer. Während es aus einer deutschen Perspektive so aussieht, als würde Polen verspätet einen Weg einschlagen, den westliche Staaten zuvor gegangen sind und jetzt ablehnen, zeigt doch insbesondere die Bedeutung der Kernkraft für Frankreich und die USA aber auch China, dass nur sehr bedingt von einem globalen Trend weg von der Kernenergie gesprochen werden kann.

Aber auch in Polen ist die Atomkraft längst nicht mehr unumstritten. Gerade innerhalb der Opposition herrscht in dieser Frage Uneinigkeit. Neben dem bereits erwähnten Koalitionspartner der PiS, Solidarna Polska, ist mittlerweile auch die Bürgerplattform auf Distanz zum Projekt Kernenergie gegangen. Die Bewegung Polska 2050 des früheren Präsidentschaftskandidaten Szymon Hołownia hat sich unlängst für ein grünes Polen und gegen große Atomreaktoren ausgesprochen, unterstützt aber beispielsweise s.g. Small-Modular-Reactors. Die politische Linke ist hingegen gespalten: Die Partei Razem (Gemeinsam) ist für die Atomkraft. Die SLD ist in dieser Frage unentschieden, hingegen die sich mit ihr vereinigende Wiosna (Frühling) gegen Kernkraft. Diese unterschiedlichen Positionen haben einen Einfluss auf das Zeitfenster für einen Atomdeal. Mit Blick auf die nächsten Parlamentswahlen (spätestens im Herbst 2023), müsste ein Deal in den nächsten zwei Jahren abgeschlossen werden. Auch könnte theoretisch eine Situation eintreten, in der ein Vertrag über den Bau eines Atomkraftwerkes von der PiS-Regierung unterzeichnet wird, diese dann allerdings von einer die Kernkraft ablehnenden Regierung abgelöst wird (eine ähnliche Konstellation könnte nach der Bundestagswahl in Deutschland in Bezug auf Nord Stream 2 eintreten).

Der Ausstieg aus der Kohlekraft gilt somit in Polen als ausgemacht und sicher. Sie ist unrentabel. Der Einstieg in die Kernkraft als Alternative ist jedoch alles andere als sicher. Wenn er zustande kommt, dann höchstwahrscheinlich in Kooperation mit Washington und dem US-amerikanischen Unternehmen Westinghouse. Jedoch finden sich wie dargestellt über dem Projekt eine Reihe von Fragezeichen, die in den nächsten Monaten beantwortet werden (müssen).

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