Den ersten Wahlgang der rumänischen Präsidentenwahlen am 4. Mai 2025 hat George Simion, der rechtspopulistische Kandidat und Vorsitzender der Partei AUR (dt. „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“), mit fast 41% der Stimmen klar gewonnen. In der Stichwahl am 18. Mai 2025 tritt gegen ihn der amtierende Oberbürgermeister von Bukarest, Nicușor Dan, als parteiloser Kandidat an. Nicușor Dan hat in der ersten Runde knapp 21% der Stimmen erhalten. Damit setzte er sich mit nur 0,9% Vorsprung denkbar knapp gegen Crin Antonescu durch, den Kandidaten der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (PSD), Nationalliberalen (PNL) und der Vertretung der ungarischen Minderheit (UDMR). Crin Antonescu erkannte das Wahlergebnis und damit seine Niederlage noch am Wahlabend an. Am nächsten Tag trat der rumänische Premierminister Marcel Ciolacu (PSD) zurück: Das schlechte Ergebnis des Kandidaten der Regierungskoalition zeige, dass die Koalition nicht mehr den benötigten Rückhalt in der Bevölkerung habe.
Alle gegen das System
In Rumänien kam nach der Revolution 1989 nicht die demokratische Opposition an die Macht. Die zweite und dritte Reihe der Ceauşescu-Elite übernahm das Ruder und etablierte sich im Kern der entstehenden Parteien und der staatlichen Institutionen. Die alte Geheimpolizei Securitate transformierte sich in gleich mehrere Nachrichtendienste. Rumänen bezeichnen dieses von Klientelismus, Korruption und Impunität geprägte Netzwerk als „das System“.
Der Wunsch vieler Bürger nach tiefgreifender Veränderung am „System“, fand lange kaum politischen Niederschlag. Insbesondere die zweite Amtszeit von Staatspräsident Klaus Iohannis war in dieser Hinsicht eine starke Enttäuschung. Von ihm hatten sich die Rumänen echte Reformen erwartet. Wahrgenommen wurde jedoch eine Verschlechterung der Lage durch die Bildung einer PSD-PNL-Koalition unter Johannis‘ Ägide. Das Zusammengehen der sozialdemokratischen PSD und der nationalliberalen PNL, den zwei klassischen Antagonisten der rumänischen Politik, hebelte aus Sicht vieler Rumänen die wechselseitige politische Kontrolle im Spiel der politischen Parteien aus.
Die politische Frustration über diese Entwicklung steigerte sich schon im ersten Anlauf zur Präsidentenwahl Ende 2024 bei vielen Wählern bis hin zur blanken Wut. Zu viele Bürger glaubten schlicht nicht mehr daran, dass sich durch schrittweise politische Reformen Besserung erzielen lasse. Das in sorgfältig kuratierten TikTok-Videos aufs Smartphone gelieferte Versprechen Calin Georgescus von alter Ordnung, nationalem Stolz und Vergeltung an den „Volksverrätern“ verfing. Die Annullierung der Präsidentenwahl im Dezember 2024 wegen Einflussnahme und Verstößen gegen das Wahlgesetz, hat in diesem aufgeheizten Klima nicht zur Beruhigung beigetragen. Zudem zeichnete sich überzeugend genug ab, dass seitens der Regierung oder den politischen Parteien engagiert an der Behebung der vielfach kritisierten Missstände gearbeitet wurde.
Insofern verwundert es kaum, dass sich auch im zweiten Anlauf der Präsidentenwahl am 4. Mai 2025 erneut zwei explizite Anti-System-Kandidaten durchgesetzt haben. George Simion propagiert seit Jahren, er wolle das „System“ radikal zerschlagen. Seine Vorstellungen vom Neuaufbau sind dabei isolationistisch, nationalistisch und ähneln stark dem MAGA-Gesellschaftsbild. Auch Nicușor Dan tritt seit Jahren als anti-System Politiker für Wandel ein. Anfangs mit der reformorientierten Partei USR, jetzt als parteiloser Oberbürgermeister von Bukarest. Allerdings wirbt der liberale Nicușor Dan im Gegensatz zu Simion für ein pro-europäisches, wirtschafts- und reformorientiertes sowie weltoffenes Rumänien.
Unsichere Prognosen
Kurz nach dem ersten Wahlgang prognostizierten Umfragen 55% für George Simion und 45% für Nicușor Dan. Im Laufe der letzten Tage schmolz Simions Vorsprung. Eine spätere Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CURS sah George Simion nur noch 4% vor seinem Kontrahenten. Einen besonderen Stellenwert hat die von AtlasIntel am Freitag vor der Wahl veröffentlichte Umfrage, die Nicușor Dan erstmal mit 48,7% vor George Simion (47,8%) sieht. AtlasIntel bezog für dieser Prognose auch die Stimmen aus der rumänischen Diaspora mit ein. Beim ersten Wahlgang kamen rund 10% der abgegebenen Stimmen von der Diaspora. Ein erheblicher Einfluss, der üblicherweise von rumänischen Umfragen nicht erfasst wird.
George Simion schneidet bei zwei Wählergruppen überdurchschnittlich gut ab: Der Landbevölkerung und der westeuropäischen Diaspora. Beide Gruppen waren lange Zeit stille Opfer des „Systems“: Sie haben von dem beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung der letzten 15 Jahre kaum profitiert. Im Gegenteil. Das Wachstum konzentrierte sich auf einige Großstädte und vertiefte die regionalen und sozialen Ungleichheiten im Land sogar noch. Während das urbane Rumänien davon zog, blieben die ländlichen Regionen in den 1990er Jahren gefangen: Ohne moderne Krankenhäuser, adäquate Gesundheitsversorgung und notwendige Infrastruktur, dafür aber mit unzureichenden Bildungsangeboten und Zukunftsaussichten. Es sind besonders Menschen aus diesen Lebensumständen, die als Saisonarbeiter, auf dem Bau, in Schlachthöfen oder auch in der Pflege in Westeuropa hart arbeiten. Oft fehlen die Ressourcen für den Spracherwerb. Der Wunsch, nach Rumänien zurückzukehren, verhindert echte Integration. Die prekäre Lebenssituation am Rande der westeuropäischen Gesellschaften weckt vielfach das Bedürfnis, einen starken - vielleicht auch verletzten - Nationalstolz zum Ausdruck zu bringen und im Heimatland für einen reaktionären Gegenentwurf zu den vermeintlich auf Abwegen befindlichen Aufenthaltsländern in Westeuropa zu stimmen.
Neben diesen beiden überdurchschnittlich stark für George Simion mobilisierten Wählergruppen, wird auch die Wahlbeteiligung einen entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis haben. Im ersten Wahlgang stimmten nur 52% der Wahlberechtigten ab. Hier könnten also beide Kandidaten noch für sich mobilisieren. Rumänische Wahlforscher gehen jedoch davon aus, dass eine höhere Wahlbeteiligung eher Nicușor Dan zugutekommen könnte: Die wütenden Simion- und Georgescu-Anhänger dürften bereits für den ersten Wahlgang hoch motiviert gewesen sein, wählen zu gehen und seien entsprechend bereits stark im Wahlergebnis repräsentiert. Für den zweiten Wahlgang könnten nun besonders die Wähler den Gang zur Wahlurne antreten, die Angst vor einer Zukunft unter einem Präsidenten George Simion haben. Ob das für einen Sieg von Nicușor Dan ausreicht, bleibt aber bis Sonntagabend ungewiss.
Unterschiedliche Zukunftsvisionen
Ob nun George Simion oder Nicușor Dan die zweite Runde gewinnt, wird allerdings erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft des Land haben. Ein erstes Schlaglicht auf diese Zukunft lässt sich mit dem Bild werfen, das die Kandidaten von den Anhängern ihres jeweiligen Gegners haben.
In seinem jüngsten Auftritt beim Fernsehsender Antena 3 hatte Nicușor Dan folgende Botschaft: „Den Anhängern von George Simion im Saal und denen, die uns gerade zuschauen, möchte ich meinen Respekt aussprechen und meine Hoffnung, dass wir in Zukunft zum Wohle Rumäniens miteinander kommunizieren werden. Der rumänische Staat ist vielen Menschen viel schuldig. Es gibt ein Wohlstandsgefälle zwischen Großstädten, Kleinstädten, und ländlichen Gebieten, das wir beseitigen müssen. (…). Wir alle, sowohl diejenigen, die sich entschieden haben, hier zu leben, als auch diejenigen, die sich entschieden haben oder gezwungen waren, das Land zu verlassen, sind ehrliche Menschen, die in der Lage sind, Rumänien zu dem Land zu machen, von dem wir seit langem träumen.“
George Simion, der in den letzten Tagen vor der Stichwahl nicht mehr an Fernsehduellen teilnehmen wollte, schrieb auf seinem Blog, dass ihm die Anhänger von Nicușor Dan „kopflos und unvernünftig“ scheinen und offenbar die Welt „mit Scheuklappen“ sehen. Es mache ihm Angst, dass er nach dem 19. Mai auch ihr Präsident sein müsse. George Simion verlässt den Boden des demokratischen Pluralismus, wenn er Vertretern der Zivilgesellschaft, Journalisten und eben auch den Anhängern seines Gegenkandidaten droht, er werde sich um jeden kümmern – „nicht als Gruppe, sondern einzeln“. In den letzten Wochen betonte der AUR-Vorsitzende mehrfach, es gebe entsprechende Listen. Nach einer spürbaren Mäßigung im Wahlkampfjahr 2024 wird nun sichtbar, dass George Simion offenbar immer noch dem Stil eines Polit-Hooligans anhängt. Unvergessen bleibt, wie er im Plenum des Parlaments der Senatorin Diana Iovanovici Șoșoacă zurief: „Ich vergewaltige Dich sexuell, Du Sau!“ oder als er ebenfalls im Parlament ans Rednerpult zu dem dort sprechenden Energieminister trat, diesen im Nacken packte, schüttelte und beschimpfte.
Auch wenn George Simion nachgesagt wird, dass er Calin Georgescu nicht ausstehen könne, hat er in den letzten Wochen vielfach dessen isolationistische Vorstellungen, pro-russische Erklärungsmuster für die Ursprünge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und auch rechtsextremistische Aussagen bis hin zur Bewunderung für Corneliu Zelea Codreanu, den faschistischen Führer der rumänischen Legionärsbewegung, übernommen. Ob aus Wahlkampftaktik oder echter inhaltlicher Überzeugung, werden erst die Wochen nach der Präsidentenwahl zeigen – sollte George Simion gewinnen.
Ein zweites Schlaglicht auf die Zukunft werfen die Erwartungen der rumänischen Wirtschaftsexperten. Die Rumänische Nationalbank musste bereits in den beiden Wochen nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen 6 Milliarden Euro ausgeben, um den Wechselkurs der rumänischen Währung bei der psychologisch wichtigen Rate von 5 Lei pro Euro zu halten. Dennoch wertete der offizielle Wechselkurs auf 5,12 Lei pro Euro ab. Sollte George Simion die Präsidentenwahl am 18. Mai 2025 gewinnen, rechnen Finanzexperten mit einem Sturz des Wechselkurses auf 5,5 Lei pro Euro. Die Zinssätze, zu denen der Staat Kredite aufnimmt, werden damit untragbar. Europäische Mittel aus dem Nationalen Aufbau- und Resilienzplan, die an finanzielle Stabilitätsmaßnahmen gekoppelt sind, bleiben dann blockiert. Finanzexperten warnen für diesen Fall vor erheblichen Steuererhöhungen. Zudem werden viele Rumänen den Verfall ihrer Währung auch direkt zu spüren bekommen, da Mieten und auch Gehälter oft an den Euro gebunden sind. Die Handelskammern gehen im Falle eines Wahlsieges von George Simion von einer drastischen Verschlechterung des Investitionsklimas aus. Mit spürbaren Konsequenzen auch für den Arbeitsmarkt. Der rumänische Finanzanalyst Cristian Tudorescu hat berechnet, dass der Lebensstandard im Falle eines Wahlsieges von George Simion um zehn bis 15 Prozent sinken würde.
Man sollte sich nichts vormachen: Auch mit einem Präsidenten Nicușor Dan, würde Rumänien vor schwierigen wirtschafts- und finanzpolitischen Herausforderungen stehen. Das unter der letzten Regierung aufgehäufte Haushaltdefizit von 9,5% bleibt unabhängig vom Wahlausgang bestehen. Allerdings würde Nicușor Dan keine potenziellen Investoren verschrecken, könnte voraussichtlich viel einfacher bei der EU-Kommission mit seinen politischen Anliegen durchdringen und auch der Wechselkurs bliebe nach Expertenmeinung in etwa auf dem aktuellen Niveau. Zahlreiche Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass die Zinssätze wieder auf das Niveau von vor einigen Wochen zurückkehren und höchstens eine kleine Steuererhöhung notwendig werden würde, um das Haushaltsdefizit auszugleichen. Nicușor Dan verspricht sogar, das Defizit rein mit höherer Steuerdisziplin ausgleichen zu wollen. Zu viele Steuerpflichtige würden aktuell schlicht ihre Steuerschuld nicht begleichen.
Herausforderung für die europäischen Partner
In welche Richtung es gehen wird, müssen am 18. Mai 2025 die Rumänen in einer Stichwahl entscheiden. Das Ergebnis ist jedoch auch für Deutschland und die gesamte Europäische Union relevant: Im semipräsidentiellen System Rumäniens ist der Präsident verantwortlich für die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik. Zudem ist er Oberbefehlshaber der Streitkräfte, unterzeichnet die Ernennung von Richtern, Staatsanwälten und dem Führungspersonal der Geheimdienste. Aus deutscher und europäischer Sicht, wäre Nicușor Dan als pro-europäischer Politiker von ruhigem und ausgeglichenem Naturell wohl klar die zu präferierende Option. Er würde Rumäniens außen-, sicherheits- und europapolitischen Kurs stabil in den bisherigen Parametern weiterführen. Von George Simion wären aller Voraussicht nach kräftige rechtspopulistische Ausschläge zu erwarten, obwohl rumänische Analysten nicht mit echten Austrittsbestrebungen aus EU und NATO rechnen. Simion ist aktuell zudem in der Republik Moldau und auch in der Ukraine „persona non grata“. Keine günstige Ausgangslage für regionale Zusammenarbeit und Dialog mit den Nachbarländern. Besonders wenn man bedenkt, dass derzeit Waffen- und Hilfslieferungen in die Ukraine auch über Rumänien abgewickelt werden.
Sowohl George Simion als auch Nicușor Dan werden als Opposition zum alten politischen Modell, zum „System“, wahrgenommen, doch sie bieten unterschiedliche Wege zur Veränderung an. Die Wähler von Nicușor Dan glauben an schrittweise, institutionelle und technokratische Reformen. Die Anhänger von George Simion hingegen fordern einen radikalen, schnellen und stark emotional aufgeladenen Bruch mit dem bestehenden System. In jedem Fall geht es am 18. Mai 2025 nicht um „Business as usual“ in Rumänien. Es wird eine entscheidende Weiche für die Zukunft des Landes gestellt.
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