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reuters/Fabrizio Bensch

kurzum

Einschätzung zum Verfassungsschutzbericht 2020

de Steven Bickel, Nauel Semaan

Die Gefahrenlage durch Extremisten jeglicher Couleur nimmt zu

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat am 15. Juni 2021 gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, den Verfassungsschutzbericht für 2020 vorgestellt. Rechtsextremismus und -terrorismus bilden weiterhin ein großes Bedrohungspotenzial. Auch Linksextremismus und Islamismus entwickeln sich dynamisch. Die Covid-19-Pandemie verstärkt dabei bestehende Trends.

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Der Verfassungsschutzbericht 2020 verdeutlicht, dass die Gefahren für die Sicherheit Deutschlands durch Extremistinnen und Extremisten jeglicher Couleur erneut gewachsen sind. Rechtsextremismus und -terrorismus bilden weiterhin das größte Bedrohungspotenzial, allerdings sind auch Entwicklungen im Bereich des Islamismus sowie im Linksextremismus besorgniserregend. Diesen Entwicklungen muss gesamtgesellschaftlich und mit allen rechtstaatlichen Mitteln entgegengetreten werden.

Am 15. Juni 2021 wurde der Verfassungsschutzbericht 2020 vorgestellt. Der alljährliche Bericht ist das wesentliche Dokument zur Einschätzung bestehender verfassungsfeindlicher Bestrebungen und Entwicklungen in Deutschland. Für 2020 zeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein besorgniserregendes Bild neuer Dynamiken in allen Extremismusbereichen. Straf- und Gewalttaten nehmen in Quantität und Qualität sowohl im Bereich des Rechts- als auch im Linksextremismus weiter zu. Im Bereich des islamistischen Terrorismus bleibt die Bedrohungslage weiter auf hohem Niveau.

 

Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Terrorismus

2020 bekräftigte v. a. der rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Terroranschlag in Hanau die Dringlichkeit der Fokussierung auf die gewachsene Bedrohungslage im Bereich Rechtsextremismus. Die Straftaten sind im Vergleich zum Berichtszeitraum 2019 insgesamt um 5 % gestiegen. Grund zur Sorge gibt aber v. a. der Anstieg von Gewalttaten um 10 %; die Mehrzahl (72 %) hatte einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Gleichzeitig ist eine Zunahme antisemitischer Straftaten um ca. 18 % zu beobachten. Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist auf 33.300 Menschen angewachsen, von denen 13.300 als gewaltorientiert gelten. Außerdem wurden im Berichtszeitraum 1.441 extremistische Verdachtsfälle innerhalb der deutschen Sicherheitsbehörden gemeldet – ein Thema, dem zum ersten Mal ein eigenes Kapitel im Bericht gewidmet wurde.

 

Linksextremismus

Auch der Linksextremismus entwickelt sich dynamisch. Der Verfassungsschutzbericht belegt einen seit 20 Jahren zu beobachtenden Trend zunehmender Radikalität und Enthemmung linksextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten. Die Zahlen der Straftaten stiegen um 2,8 %, die der Gewalttaten sogar um ca. 34 % auf neue Höchststände. Auch die Qualität der Gewalt verändert sich: 2020 gab es fünf versuchte Tötungsdelikte und 423 Körperverletzungen. Brandstiftungen entwickeln sich wie bisher auf hohem Niveau. Die Gewalt richtet sich weiterhin gegen Polizistinnen und Polizisten, zunehmend jedoch auch gegen Einzelpersonen. 9.600 Personen stuft das BfV als gewaltorientiert ein. Insgesamt umfasst das Personenpotenzial 34.300 Menschen. Teile der linksextremistischen Szene, die in klandestinen und abgeschotteten Gruppen agieren, geben besonderen Grund zur Sorge. Die Entstehung eines neuen Linksterrorismus ist nicht mehr auszuschließen.

 

Islamismus

Die Gefahr durch den islamistischen Terrorismus hält an, was sich im generellen Anstieg (12 %) der durch religiöse Ideologie motivierten Straftaten zeigt, wovon 92 % (378) einen islamistischen Hintergrund haben. Hierbei ist der Anteil an Gewalttaten zwar gesunken, jedoch kam es zu zwei Tötungsdelikten, wozu das islamistisch motivierte Messerattentat im Oktober 2020 in Dresden zählt. Diese Tat spiegelt die seit der militärischen Niederlage des Islamischen Staats (IS) zu beobachtende strukturelle Veränderung der Bedrohung wider. Vermehrt geht die Gefahr von Einzeltätern aus, die unabhängig – aber inspiriert von islamistischen Terrororganisationen – ihre Anschläge planen und durchführen.

 

Einschätzung

Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie erschwerten den persönlichen Austausch und größere Veranstaltungen im extremistischen Bereich wie z. B. Rechtsrockkonzerte. Gleichzeitig führten die Maßnahmen zu einem stärkeren Austausch im digitalen Raum. Vor allem rechtsextreme Akteure sowie islamistische Terrorgruppen wie al-Qaida und der IS nutzen das Internet zunehmend für Propaganda und versuchen die Pandemielage zu instrumentalisieren. Ein erhöhtes Rekrutierungsund Radikalisierungspotenzial besonders junger Menschen ist die Folge. Die Profile bisheriger Einzeltäter zeigen, dass die handlungsleitende Ideologie gesellschaftlich isoliert in der digitalen Welt entsteht. Gleichzeitig erleichtert digitaler Austausch die Ausweitung internationaler Netzwerke.

Insgesamt sind die gegenseitige Beeinflussung und Verstärkung extremistischer Tendenzen erkennbar.

Die Beobachtung und Bekämpfung aller Ausprägungen des Extremismus wird noch wichtiger. Präventionsprogramme und politische Bildung tragen zum Resilienzaufbau bei. Extremistische Haltungen dürfen nicht in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig werden. Gleichzeitig wird die Bedeutung der Verfassungsschutzämter für eine wehrhafte Demokratie deutlich. Das Aufkommen neuer Extremismusformen und deren Dauerhaftigkeit im Zuge der Pandemie, müssen aufmerksam verfolgt werden.

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