Integration als „Erstversorgung“
Unter der Ampel-Regierung war Integrationspolitik von Begriffen wie Teilhabe und Vielfalt geprägt. Integration wurde eher als „Erstversorgung“ verstanden, mit dem Fokus auf Zugang zu Sprache, Bildung und Arbeitsmarkt. Darüberhinausgehende Überlegungen und Maßnahmen liefen weitgehend auf Antirassismus- und Antidiskriminierungsprojekte hinaus. In diesem Verständnis wurden Rechte beschleunigt gewährt und waren weniger an Forderungen geknüpft. Nach den Ankündigungen im Koalitionsvertrag wird sich dieses Verständnis mit der neuen Bundesregierung ändern. Festmachen lässt sich dies exemplarisch an folgenden Punkten:
Einführung einer obligatorischen Integrationsvereinbarung
• Um Rechte, aber auch Pflichten, verbindlich festzuhalten, ist die Einführung einer obligatorischen Integrationsvereinbarung geplant. Der genaue Inhalt und die möglichen rechtlichen Folgen bei Nichteinhaltung werden im Koalitionsvertrag nicht bestimmt. Bisherige freiwillige Integrationsvereinbarungen legten individuelle Maßnahmen und Regelungen fest, die den Integrationsprozess strukturieren und unterstützen sollten. Die jetzt in Aussicht gestellten verpflichtenden Vereinbarungen sollen den Integrationsprozess transparenter, aber vor allem auch verbindlicher gestalten. Verfolgt man die Debatte der letzten Jahre, ist bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung Vieles denkbar. Im Wahlprogramm der CDU liest man beispielsweise: „Wer sich für unser Land entscheidet, entscheidet sich auch für unsere Werte und unsere freiheitliche Demokratie. Wir verlangen hierzu ein klares Bekenntnis.“
Pflicht, sich längere Zeit an einem bestimmten Wohnort aufzuhalten
• Die Wohnsitzregelung soll weiterentwickelt werden. Paragraph 12a Aufenthaltsgesetz regelt für bestimmte Ausländerinnen und Ausländer eine Wohnsitzpflicht für drei Jahre. Nach den Vorstellungen der Koalitionsparteien sollen die Ausnahmetatbestände reduziert werden. Die Pflicht, sich längere Zeit an einem vom Staat bestimmten Wohnort aufzuhalten, soll wieder zur Regel werden. Dies wird als Maßnahme zur Förderung nachhaltiger Integration begriffen. Dem liegt das Verständnis zu Grunde, dass eine gleichmäßige Verteilung von Schutzsuchenden auf die Bundesländer verhindert, dass sich die Zuwanderung auf wenige Städte konzentriert. Dies soll den Zugang zu Integrationsmaßnahmen wie Sprachkursen erleichtern.
Verkürzte Einbürgerungsfrist soll wegfallen
• Eine integrationspolitische Akzentverschiebung deutet sich auch in der geplanten Abschaffung der so genannten „Turboeinbürgerung“ an. Nach § 10 Abs. 3 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) kann die regulär erforderliche Mindestaufenthaltsdauer für die Einbürgerung von fünf Jahren auf drei Jahre reduziert werden. Diese verkürzte Einbürgerungsfrist soll nun wieder wegfallen. Es soll allerdings bei der Einbürgerungsfrist von fünf Jahren für alle bleiben. Dies kann als Ausdruck einer Grundposition interpretiert werden, wonach der deutsche Pass am Ende einer erfolgreichen Integration stehen soll – und nicht am Anfang. An der Reform des Staatsbürgerschafsrecht soll allerdings festgehalten werden.
Stärker steuernd eingreifen, um Integration zu fördern
Integration ist nach dem Verständnis des Koalitionsvertrages ein Prozess, bei dem es entscheidend auf die Mitwirkung der Zuwanderinnen und Zuwanderer ankommt. Der Koalitionsvertrag lässt im Vergleich zur Integrationspolitik der Ampel daher eine deutlich umfassendere Vorstellung von Integration durchblicken. Hierzu gehören nicht nur Sprache, Bildung und Arbeit, sondern auch soziale Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft sowie ein mit ihr geteiltes Wertefundament. Teilhabe allein ist nach diesem Verständnis keine Integrationspolitik. Wie die Ankündigung zur Wohnsitzregelung zeigt, ist die neue Bundesregierung bereit, im Zweifel wieder stärker steuernd einzugreifen, um Integration zu fördern. Integration soll also weiterhin staatlich gefördert, aber deutlich stärker auch wieder individuell eingefordert werden.