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Reportajes internacionales

Das Verbot der Faziletpartei durch das türkische Verfassungsgericht

de Dr. Wulf Eberhard Schönbohm
"Auch die Tugendpartei wurde geschlossen", titelte die kemalistische Cumhuriyet am Samstag nach dem Verbot der Fazilet-Partei am 22.06.2001 durch das türkische Verfassungsgericht. Mit 8 zu 3 Gegenstimmen wurde die Fazilet-Partei (FP) durch das Verfassungsgericht verboten.

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Dies ist das vierte Verbot einer islamistischen Partei in der Türkei seit Gründung der ersten islamischen Bewegung durch Necmettin Erbakan vor 32 Jahren und das 23. Parteiverbot insgesamt.

Die Türkei wird damit ihrem Image, "ein Friedhof für politische Parteien" (Milli Gazete) zu sein, gerecht. Auch wenn sich viele Stimmen in ersten Statements überrascht zeigten, so war das Verbot keineswegs eine Überraschung. Obwohl praktisch alle führenden türkischen Politiker vor einem Fazilet-Verbot warnten, hatten viele Protagonisten es vorausgesagt, weil die Rechtslage keine andere Möglichkeit zuließ. Die Entscheidung ist aber auch als politisches Urteil zu werten, da die Fazilet nicht als Nachfolgepartei der Refah verboten wurde und dadurch lediglich zwei Abgeordnete der FP-Partei ihr Mandat verlieren.

Mit den drei FP-Abgeordneten, denen schon früher ihr Mandat entzogen wurde, werden also lediglich fünf Abgeordnete ihr Mandat aufgeben. Die verbleibenden 97 FP-Abgeordneten sind nun als unabhängige Abgeordnete weiter im Parlament vertreten.

Wäre die FP als Nachfolgepartei der Refah verboten worden, hätten mehr als 5% der Abgeordneten des türkischen Parlaments ausscheiden müssen, wodurch laut der Verfassung Nachwahlen nötig geworden wären. Vor diesen hatten sich besonders die beiden Regierungsparteien DSP von Ecevit und die Mutterlandspartei (ANAP) von Mesut Yilmaz sehr gefürchtet. Denn die ANAP hätte voraussichtlich die 10%- Klausel nicht überspringen können, denn das Ansehen aller Parteien ist nach der Wirtschaftskrise sehr gering.

Die Urteilsbegründung

Mit der Begründung, gegen die laizistischen Grundprinzipien der Türkischen Republik, die in den Grundgesetzartikeln 68 und 69 beschrieben sind, verstoßen zu haben, wurde die Fazilet-Partei verboten. Die Verstöße wurden insbesondere begründet mit Äußerungen von zwei weiblichen FP-Abgeordneten, die sich für das Tragen des Kopftuches in öffentlichen Räumen eingesetzt und das Militär beschimpft hatten. Diesen beiden Abgeordneten, Nazli Ilicak aus Istanbul und Bekir Sobaci aus Tokat, wurde auch Mandat entzogen.

Neben Merve Kavakçi wurde auch den Abgeordneten Mehmet Silay und Ramazan Yenidede, die schon vor Monaten aus dem Parlament verbannt wurden, ihr Mandat entzogen. Alle fünf Politiker wurden mit einem 5-jährigen Politikverbot belegt. Das Parteivermögen der Fazilet fällt an das türkische Schatzamt. Mit Veröffentlichung des Urteils im türkischen Staatsanzeiger tritt das Verbot in Kraft.

Kurioserweise wäre die Fazilet nicht verboten worden, wenn die geplanten und in diesen Tagen vorgelegten Verfassungsänderungen, die u.a. auch ein Parteiverbot erschweren werden, noch rechtzeitig vom Parlament verabschiedet worden wären. Denn rechtlich und politische höchst fragwürdig ist natürlich an diesem Urteil, dass eine Partei mit 102 Abgeordneten verboten wird auf Grund von politischen Meinungsäußerungen zweier ihrer Abgeordneten, die beide keine Führungsfunktion in ihrer Partei innehaben.

Die türkische Parteienlandschaft nach dem Verbot

Recai Kutan, bisher Vorsitzender der Fazilet-Partei, reagierte auf den Richterspruch mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Er war sichtlich erfreut, "dass die Fazilet Partei nicht verboten wurde, weil sie Nachfolgeorganisation der Refah- Partei war". Das Urteil sei für ihn aber ein dunkles Kapitel in der türkischen Parteiengeschichte und weise darauf hin, dass "es in der Türkei keine Demokratie gebe". Der "politische Kampf" werde fortgeführt, so die islamistische Tageszeitung Yeni Safak.

Über die politische Zukunft in der Türkei gibt es nun Spekulationen. Im Parlament ist die Führung der Opposition nun von der Fazilet-Partei auf die Partei Tansu Çillers, die (DYP), die Partei des Rechten Weges, übergegangen. Die frei gewordenen Sitze der Fazilet-Abgeordneten in den Ausschüssen des türkischen Parlaments wurden prozentual unter den vier Fraktionen aufgeteilt.

Neuwahlen könnte es nur dann geben, wenn ein Grossteil der nun parteilos gewordenen FP-Abgeordneten, wie von einigen angekündigt, geschlossen ihr Mandat niederlegte. Aber die Mandatsniederlegung eines Abgeordneten muss nach der türkischen Parlamentsordnung von der Parlamentsmehrheit bestätigt werden. Dies wird aber nicht geschehen, weshalb vorgezogene Wahlen zur diesem Zeitpunkt eher unwahrscheinlich sind.

Mit dem Verbot der Fazilet hat sich auch der Expremier Necmettin Erbakan zurückgemeldet, der sich bisher im Hintergrund hielt, aber die Fäden fest in der Hand hatte. Der mittlerweile 75-jährige Erbakan, der noch eineinhalb Jahre von einem Politikverbot belegt ist, steht an der Spitze der " Traditionalisten" in der FP und wird auf die Gründung einer eigenen Partei dringen. Die schon lange schwelenden Differenzen zwischen "Traditionalisten" und "Erneuerern" in der Fazilet-Partei wird dazu führen, dass sich aus der verbotenen Fazilet künftig zwei Nachfolge-Parteien entstehen werden.

Als politischer Führer des "Erneuerer-Flügels" wird der ehemalige Oberbürgermeister von Istanbul, Recep Tayyip Erdogan, gehandelt, der zwar auch noch von einem einjährigen Politikverbot belegt ist, für eine gewisse Zeit aber von Abdullah Gül als Vorsitzender vertreten werden könnte.

Erdogan kann schon in den nächsten Wochen eine neue Partei gründen, weil alle organisatorischen Vorbereitungen dafür bereits abgeschlossen sind. Den "Erneuerern" schwebt eine islamisch-demokratische Partei nach dem Vorbild der CDU vor. Ihr Schlagwort ist : "Religiöse Türken müssen nicht Islamisten sein".

Eine Spaltung der islamistischen Bewegung in zwei Parteien bedeutet allerdings auch ihre Schwächung, wenngleich die Partei der "Erneuerer" für die ANAP und die DYP sehr gefährlich werden könnten.

Obwohl in der Türkei Parteiübertritte an der Tagesordnung sind und schon vor Wochen die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) ihre Tore für Parlamentarier anderer Parteien öffnete, wird aller Voraussicht nach, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Grossteil der Abgeordneten der verbotenen Fazilet in keine anderen Parteien eintreten, sondern in der einen oder anderen neuen Nachfolgepartei seinen Platz suchen.

Parteienverbote in der Türkei

Parteienverbote in der Türkei sind keine Ausnahmen. Jeder aktuelle türkische Spitzenpolitiker war mindestens einmal in seinem politischen Leben schon davon betroffen. Nach den drei Militärinterventionen 1960, 1970 und 1980 wurden alle Parteien jeweils geschlossen und die Politiker mit einem fünfjährigen Politikverbot belegt.

Auch wenn in einem demokratisch verfassten Rechtsstaat die Möglichkeit einen Parteienverbots prinzipiell gegeben sein muss, sollte dessen Anwendung an strenge Kriterien gebunden und die Ausnahme sein. Das neuerliche Verbot einer islamisch motivierten Partei in der Türkei aufgrund einer sehr eigenwilligen juristischen Interpretation hat der Türkei sicherlich geschadet.

Wiederum hat sich gezeigt, dass die vom Militär bestimmte Verfassung von 1982 dringend der Reform bedarf. Selbst der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Mustafa Bumin, gab indirekt zu verstehen, dass es für das Verfassungsgericht (leider) keine andere Alternative gegeben habe als nach den noch gültigen Gesetzen zu urteilen.

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