Scheich Mohammed bin Zayed, der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), vertritt am 6. und 7. Juli beim BRICS-Gipfeltreffen in Rio de Janeiro einen Mitgliedstaat, der im Kreise der BRICS aus der Reihe fällt. Die Emirate sind ein Kleinstaat in einer Gruppe von Giganten und zählen ganze 50 Millionen Einwohner weniger als das zweitkleinste Land der BRICS-Gruppe, Südafrika. Mit einem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 49.000 US-Dollar sind die VAE selbst nach westlichen Standards reich – während die durchschnittliche Pro-Kopf-Wirtschaftskraft der restlichen BRICS-Staaten unter 7.000 US-Dollar liegt. Die Emirate sind zudem ein hochentwickeltes Land, auf dem Human Development Index (HDI) rangieren sie auf Platz 15 weltweit. Anders die restlichen BRICS-Mitglieder, von denen das nächstplatzierte – Russland – knapp fünfzig Plätze hinter den VAE auf Rang 64 des HDI liegt. Dass die BRICS kein homogenes Staatenbündnis sind, ist offenkundig. Doch die Emirate wirken geradezu wie ein Sonderling in einem Club, von dem die VAE scheinbar mehr unterscheidet als sie mit anderen Mitgliedern teilen.
Und dennoch hatte Abu Dhabi 2023 seine Einladung, der BRICS-Gruppe beizutreten, mit besonderem Enthusiasmus angenommen – im Gegensatz zu anderen Eingeladenen, wie etwa dem große Nachbarn Saudi-Arabien, der sich den BRICS bis heute nicht formell angeschlossen hat. Seit dem offiziellen Beitritt der VAE Anfang 2024 betont die emiratische Führung immer wieder die Chancen, welche die Staatengruppe für die Emirate bereithält, um sich noch stärker als Knotenpunkt für globale Handels- und Investitionsströme sowie als Investor in Infrastruktur- und Energieprojekte zu positionieren, aber auch um politische Kooperation im Süd-Süd-Format zu stärken und einer multipolaren Weltordnung Ausdruck zu verleihen. Nach anderthalb Jahren BRICS-Mitgliedschaft besteht scheinbar Zufriedenheit in Abu Dhabi mit dem eigenen geopolitischen Schachzug. Das liegt nicht nur daran, dass die VAE im Kreise der BRICS-Staaten weit über der eigenen Gewichtsklasse mitspielen. Die Mitgliedschaft in der Staatengruppe passt außerdem exakt zur wirtschaftlichen wie außenpolitischen Identität der Emirate.
Wirtschaftliche Synergien durch BRICS-Mitgliedschaft
Seit dem Beginn der wirtschaftlichen Diversifizierung in den 2000er Jahren im Emirat Dubai haben sich die VAE mit dem Aufbau des weltweit drittgrößten Tiefwasserhafens außerhalb Chinas, der wichtigsten Freihandelszonen im Nahen Osten und einem weltweit führenden Finanzsektor als ein zentraler Wirtschaftsstandort etabliert. Als Mitglied von BRICS nutzt Abu Dhabi seine strategische Lage, diversifizierte Wirtschaft und logistischen Kapazitäten aus, um sich auch als Zentrum der Handelskorridore zwischen BRICS-Ländern zu etablieren. China und Indien sind bereits die größten Handelspartner der Emirate und der ölunabhängige Handel mit BRICS-Staaten macht inzwischen 93,2 Milliarden US-Dollar oder 20 Prozent des gesamten Volumens der VAE aus. Mit zwei wichtigen BRICS-Volkwirtschaften, Indien und Indonesien, hat Abu Dhabi zudem vertiefte Wirtschaftsabkommen, sogenannte Comprehensive Economic Partnership Agreements (CEPA) abgeschlossen. Mit diesen Abkommen positionieren sich die Emirate nicht nur als Handelsbrücke zwischen BRICS-Ländern, ihr Portfolio aus 25 weiteren Freihandelsabkommen mit Ländern so unterschiedlich wie Israel, Neuseeland oder der Türkei bietet zudem Potenziale für Re-exporte aus den BRICS-Mitgliedern über die VAE hinweg in weitere Staaten weltweit.
Neben Konnektivitätsinitiativen sind umfassende Investitionen in Transport- und Energiesektoren anderer Länder ein weiterer Baustein der geoökonomischen Strategie der VAE. Von Zentralasien bis zum Horn von Afrika sind emiratische Staatsfonds sowie staatliche Konzerne zentrale Investoren in strategische Infrastruktur, von Häfen über Agrarflächen bis hin zu Solar- und Windfarmen. Auch auf diesen wirtschaftlichen Ansatz zahlt die BRICS-Mitgliedschaft der VAE ein. Durch sein Mitwirken in der BRICS-Entwicklungsbank New Development Bank (NDB), bieten sich neue Möglichkeiten für Abu Dhabi, nicht nur bei der Finanzierung von Transport-, Energie- und Infrastrukturprojekten in BRICS-Mitgliedstaaten und weiteren Ländern eine zentrale Rolle zu spielen, sondern auch, um eigene Investitionsfonds und Konzerne über Ko-Finanzierung mit der NDB in Stellung zu bringen.
Kein Katalysator, lediglich Rahmenwerk
Zwar bestehen somit klare Synergien zwischen dem wirtschaftlichen Engagement der VAE und den Möglichkeiten, die seine Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe bereithält. Anderthalb Jahre nach dem emiratischen Beitritt zum Verbund ist der konkrete Mehrwehrt jedoch noch überschaubar. Viele der ökonomischen Initiativen bestanden bereits vor dem BRICS-Beitritt. Seine Handelsbeziehungen mit China hatten die Emirate bereits seit Jahrzehnten vertieft und sind vor allem von den steigenden chinesischen Importen von Öl und Gas aus den Golf-Staaten getrieben. Die CEPAs der VAE mit Indien und Indonesien bestehen bereits seit 2022, ein weiterer BRICS-Staat ist seit der Aufnahme der VAE zur Gruppe nicht hinzugekommen. Auch den Beitritt zur NDB hatte Abu Dhabi bereits im Oktober 2021, lange vor der Einladung zur BRICS-Gruppe, vollzogen. Ohnehin stellen die VAE mit etwa 550 Millionen US-Dollar nur einen verschwindend geringen Anteil von einem Prozent des Stammkapitals der Entwicklungsbank.
Die BRICS-Mitgliedschaft ist daher weniger ein Katalysator für eine oftmals schon vor dem Beitritt vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit der VAE mit Ländern wie China, Indien, Indonesien oder Russland. Stattdessen bildet sie einen politischen Rahmen für einen ohnehin engen ökonomischen Austausch auf bilateraler Ebene. Sowieso präferiert es die Führung in Abu Dhabi, direkte Geschäfte mit Partnerländern zu vereinbaren und unterwirft sich dabei nicht immer multilateralen Formaten. In den laufenden Verhandlungen des Golf-Kooperationsrats (GCC) mit der EU scherten die Emirate jüngst aus und führen nun eigene Gespräche über ein bilaterales Handelsabkommen zwischen EU und VAE. Auch im Hinblick auf die BRICS-Gruppe wird Abu Dhabi das multilaterale Formate nur nutzen, wo es eigenen Interessen Rechnung trägt – und im Zweifel weiterhin den bilateralen Weg beschreiten. Dies hängt auch damit zusammen, dass Abu Dhabi institutionelle Reformen der BRICS für nötig erachtet, um die Wirksamkeit der Staatengruppe zu stärken.
BRICS passt zur außenpolitischen DNA der Emirate
Nichtsdestotrotz sichert die Mitgliedschaft in den BRICS den Emiraten einen Platz am Tisch mit einflussreichen Ländern und wird allein deshalb schon als Erfolg gewertet. Durch seinen Beitritt zur Staatengruppe gewannen die VAE vor anderthalb Jahren die Teilnahme an einem zusätzlichen Forum, bei dem sie ihre eigenen Interessen durchsetzen können. Dies nutzt die emiratische Führung intensiv, Mohammed bin Zayed nahm sowohl im vergangenen Jahr in Russland wie in wenigen Tagen in Brasilien an allen bisherigen BRICS-Gipfeln teil, andere emiratische Regierungsmitglieder reisen regelmäßig zu Ministertreffen und Arbeitsgruppenmeetings der BRICS-Staaten. So konnte Abu Dhabi durch seine BRICS-Mitgliedschaft die Agenda des Globalen Südens mitbeeinflussen und gewinnt weiter an außenpolitischem Gewicht.
Die BRICS reflektieren dabei die Weltanschauung Abu Dhabis, das sich längst in einer multipolaren Weltordnung wähnt, in der die Staaten des Global Südens – zu denen sich die VAE trotz aller Unterschiede zählen – künftig eine Führungsrolle einnehmen. Wie andere Staaten sind die VAE unzufrieden mit einer perzipierten Dysfunktionalität internationaler Institutionen wie dem VN-Sicherheitsrat und der Welthandelsorganisation (WTO) sowie der vermeintlich ungleichen Repräsentation nicht-westlicher Länder in multilateralen Organisationen, wie Weltbank und IWF. Die BRICS eröffnet den VAE in diesem Kontext neue Formen der multilateralen Zusammenarbeit und Möglichkeiten für verstärkte Süd-Süd-Kooperation, mit der sie globalen Machtverschiebungen vorantreiben wollen. Gleichermaßen blickt Abu Dhabi auch kritisch auf die Dominanz Chinas im BRICS-Format und ist darauf bedacht, die Inklusivität und das Gleichgewichte im Verbund zu wahren.
Zudem gehören die VAE, anders als Russland oder Iran, nicht zu den BRICS-Mitgliedern, welche die Staatengruppe als antiwestliches Bündnis positionieren wollen. Vielmehr handelt es sich nach emiratischer Lesart um einen Mosaikstein ihrer diversifizierten Außenpolitik mit guten Beziehungen zu allen Seiten. Dies dürfte auch daran liegen, dass die VAE als Verbündeter der USA und mit engen persönlichen Beziehungen zu Präsident Donald Trump dessen ausgesprochene Ablehnung der BRICS nicht außer Acht lassen können. Als Major Defence Partner wurden die bilateralen Beziehungen der VAE mit den USA erst 2024 deutlich aufgewertet, nach Amtsübernahme Trumps hat Abu Dhabi zudem umfangreiche KI-Deals mit Washington unterzeichnet. Die technologische und verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit den USA wollen die VAE daher wohl kaum durch ihr Mitwirken im BRICS-Verbund verspielen.
Europa statt BRICS?
Auch aus europäischer Sicht ist der emiratische Honeymoon mit den BRICS-Ländern daher kein Grund zur Panik – schließlich sieht Abu Dhabi sein Engagement nicht als Ersatz für seine westlichen Partnerschaften. Zudem sind die konkreten Auswirkungen der BRICS-Mitgliedschaft, wie beschrieben, bislang noch überschaubar. Mehr als die emiratischen Aktivitäten im BRICS-Verbund sollten Deutschland und die EU ihre eigene Untätigkeit fürchten. Seit Jahrzehnten versuchen die VAE ihre Handels- und Investitionspartnerschaft mit Europa zu vertiefen, ein Freihandelsabkommen wird jedoch seit 35 Jahren ergebnislos verhandelt. Auch der 2023 beinahe zeitgleich zur BRICS-Einladung verkündete Wirtschaftskorridor IMEC, der von Indien über Golf-Staaten wie die VAE nach Europa führen sollte, ist bis heute kaum vorangekommen.
Mit einer stärkeren Kooperation könnte Europa hier ein Gegengewicht zu emiratischen Bestrebungen im Rahmen der BRICS oder auch das Mitwirken der VAE in anderen Formaten, wie der chinesischen Seidenstraße (BRI) oder Shanghai Cooperation Organisation (SCO), bilden. Der ultrapragmatische Ansatz Abu Dhabis, bedingungslos Geschäfte mit allen Seiten zu machen, stellt für europäische Interessen eine Herausforderung dar. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Abu Dhabi, Dubai oder Schardscha auch Umschlagplätze für Rohstoffe und Waren aus sanktionierten Staaten, wie etwa für illegale Ölverkäufe aus Russland, sind. Vor diesem Hintergrund sind Bestrebungen der BRICS zur De-Dollarisierung ihrer Handelsströme – welche eine Umgehung von Sanktionen deutlich erleichtern würden – besonders bedenklich. Erste Transaktionen, etwa mit China und Indien, haben die VAE bereits in lokalen Währungen abgehalten. Auch mit dem BRICS-Mitglied Äthiopien unterzeichnete Abu Dhabi 2024 ein Abkommen, das die Bezahlung von Handelsvorgängen in lokalen Währungen statt dem Dollar erleichtert.
Damit sich die Emirate als wichtiger Energie- und Wirtschaftspartner der EU und globaler Gestaltungsakteur nicht künftig immer stärker aus dem Finanz- und Wirtschaftsverbund mit den USA und Europa entfernen und so auch deren politischen Gestaltungsmöglichkeiten beschneiden, braucht es daher mehr Austausch mit den VAE und attraktive Gegenangebote aus Deutschland und Europa. Ein EU-Handelsabkommen mit den Emiraten wäre dafür ein wichtiger Anfang.
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