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Reportajes internacionales

Flüchtlingspakt und Aufhebung der Visumspflicht - ein Kuppelprodukt

de Dr. Colin Dürkop

Anmerkungen und Ausblick zur Reise von Bundeskanzlerin Merkel in Gaziantep

Am Samstag reiste die Bundeskanzlerin für einen fünfstündigen Kurzbesuch in den Südosten der Türkei. Die Kanzlerin war somit in den letzten neun Monaten öfter in der Türkei als in den vergangenen neun Jahren. Begleitet wurde sie von EU-Ratspräsident Donald Tusk und Vize-Kommissionspräsident Timmermans.

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Ziel auf deutscher Seite war einerseits eine öffentliche Anerkennung der Anstrengungen Ankaras in der Flüchtlingskrise. Tusk pries die Behandlung der Flüchtlinge durch die Türkei und bezeichnete diese als beispielhaft für die ganze Welt. „Niemand habe das Recht, die Türkei zu belehren, was sie zu tun habe“, so der Ratspräsident.

Andererseits sollte das Treffen demonstrieren, dass das Flüchtlingsabkommen funktioniert und gemeinsame Vorhaben für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei erfolgreich umgesetzt werden.

Flüchtlingszahlen sind seit Inkrafttreten des EU-Türkei Abkommens tatsächlich auch merklich zurückgegangen, zum Einen weil die Balkan-Route mittlerweile dicht ist und auch die gemeinsamen Patrouillen in der Ägäis ihre Wirkung nicht verfehlt haben.

Ziel auf türkischer Seite war einerseits der Welt zu zeigen, wie vorbildlich sich die Türkei um die Unterbringung von syrischen Flüchtlingen kümmert. Vor allem diente der Besuch aber auch der Bekräftigung der Erwartungen der Türkei an das EU-Türkei Flüchtlingsabkommen: In der Tat handelt es sich bei dem Lager Nizip 2 in der Provinz Gaziantep um ein Vorzeigeprojekt wie auch viele andere Flüchtlingscamps. Momentan sind etwa 300.000 Menschen in Lagern untergebracht. Allerdings geht es vielen der 2,5 Mio. syrischen Flüchtlingen nicht so gut wie in den Lagern, auch wenn mittlerweile Arbeitsgenehmigungen erteilt werden und bei der kostenlosen Beschulung, berufsbildenden Kursen und der Gesundheitsversorgung für registrierte Flüchtlinge große Fortschritte gemacht wurden. Wer außerhalb der Camps eine Arbeit findet, kann dieser mittlerweile legal nachgehen, wenn oft auch zu prekär geringen Löhnen.

Ursprünglich war ein Besuch in Kilis vorgesehen. Kilis ist die unmittelbar an Syrien grenzende Provinz, in der mehr Flüchtlinge als Einwohner leben. Da es trotz dieses Umstandes bisher zu keinerlei Zwischenfällen oder Demonstrationen gegen Flüchtlinge gekommen ist, wurde Kilis sogar als Kandidat für den Friedensnobelpreis genannt. Aus Sicherheitsgründen musste von einem Besuch in einem mit EU-Mitteln neu errichteten Camp allerdings Abstand genommen werden; seit Wochen schlagen dort täglich Granaten aus dem angrenzenden und von ISIS kontrollierten syrischen Gebiet ein. Im Vorfeld des Besuches der Kanzlerin hatten die IS-Angriffe sogar noch zugenommen, wohl auch um die Türkei als kein sicheres Land erscheinen zu lassen und auch die EU-Türkei Beziehungen zu belasten. Mittlerweile feuert die Türkei mit Panzerhaubitzen auf die IS-kontrollierten Gebiete. In der Presse wird spekuliert, ob die Türkei auf syrischen Boden intervenieren wird, um die attackierenden IS-Stellungen zu neutralisieren.

Bei dem Besuch kam es auch zu einem Gespräch und einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ministerpräsident Davutoğlu. In dieser trat einmal mehr die unterschiedliche Gewichtung des Abkommens und anderer bilateraler Fragen offen zutage.

Einerseits zeigte sich das unterschiedliche Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit. Nachdem die Türkei zunehmend wegen der Einschränkung der Pressefreiheit in die Kritik geraten war, wurde laut der Kanzlerin auch über diese Thema gesprochen. Bezüglich des abgewiesenen ARD-Journalisten Volker Schwenck war man sich einig, dass man sich in diesem Punkt nicht einig geworden sei. Auch im Fall Böhmermann vertritt man offensichtlich fundamental unterschiedliche Standpunkte.

Auf der anderen Seite konnte die Türkei einmal mehr kristallklar ihre Message vermitteln: Kommt es nicht zu der vereinbarten Aufhebung der Visapflicht für türkische Staatsangehörige im Juni, kippt auch das Flüchtlingsabkommen.

Türkische Spitzenpolitiker wie Staatspräsident Erdogan, Ministerpräsident Davutoğlu, EU-Minister Bozdağ und Außenminister Çavuşoğlu hatten auf die Möglichkeit eines solchen Szenarios in den letzten Wochen immer wieder unmissverständlich hingewiesen. Sollte die EU ihren Verpflichtungen und Zusagen nicht nachkommen, wird sich auch die türkische Seite nicht mehr an das Abkommen gebunden fühlen. Will heißen, dass dann auch das Rückführungsabkommen nicht umgesetzt wird und letztendlich auch alle anderen Vereinbarungen obsolet bzw. null und nichtig sind.

Die Türkei geht derweil felsenfest davon aus, dass sie noch bis Anfang Mai alle von der EU geforderten 72 Kriterien für die Visumsbefreiung erfüllen kann, während in der EU und beim Europäischen Parlament diesbezüglich nach wie vor Vorbehalte bestehen. Es wird höchst interessant sein, wie die europäischen Gremien in dieser Sache abstimmen werden.

Am Horizont bahnt sich bereits ein weiterer Konflikt an, der zu ernsten diplomatischen Verwerfungen führen könnte. Die für den 2. Juni anstehende Armeniergenozidresolution im deutschen Bundestag, die zeitlich nicht ungünstiger hätte anberaumt werden können, verbunden mit einer möglichen zeitgleichen Nichtaufhebung der Visumspflicht würde letztendlich bedeuten, dass das Flüchtlingsabkommen scheitert und alle bisherigen vertrauensbildenden Maßnahmen obsolet wären. Es könnte sich eine neue politische Eiszeit zwischen der Türkei und Deutschland abzeichnen, wie zahlreiche politische Beobachter meinen.

Die Resonanz der regierungsnahen türkischen Presse schlägt auch in die gleiche Kerbe: Stellvertretend berichtet die auflagenstarke Tageszeitung Sabah, dass das Rückführungsabkommen nicht funktionieren wird, wenn die EU ihre Zusicherung für visafreies Reisen nicht einhält. Zitiert wird Ministerpräsident Davutoğlu „Wir sehen die Visabefreiung als einen untrennbaren und fundamentalen Bestandteil des EU-Türkei Abkommens. Das Rücknahmeabkommen findet nur bei Visabefreiung Anwendung.“

Murat Yetkin findet es in seiner Kolumne der Hürriyet Daily News bemerkenswert, dass auch über die von der Türkei seit Jahren geforderte Einrichtung einer Sicherheitszone gesprochen wurde und dies laut der Kanzlerin von der internationalen Gemeinschaft in Betracht gezogen werden sollte. Das einzige positive Ergebnis des Besuchs könnte in einer weiteren Annäherung zwischen der Türkei und der EU liegen, nicht nur zum Nutzen Beider, sondern auch für eine De-Eskalierung der regionalen Spannungen, so Yetkin weiter.

Und die regierungskritische Presse wie z.B. Cumhuriyet kritisiert, dass die Bundeskanzlerin nicht auf die Themen der Menschenrechte und Pressefreiheit eingegangen ist, auch wenn man sich über das Thema ausgetauscht habe. In der Zeitung heißt es, dass seitens der Kanzlerin im Grunde nichts zu dem Thema gesagt wurde.

Fazit: EU-Flüchtlingsdeal und Visabefreiung sind eindeutig ein Kuppelprodukt. Der Türkeibesuch in Gaziantep hat dies einmal mehr in den Vordergrund gerückt – kommt im Juni keine Visumsbefreiung, kippt auch der „Deal“; dann könnten die „Schleusen wieder geöffnet werden“.

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Auslandsbüro Türkei

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