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Reportajes internacionales

Julia Timoschenko im Aufwind – Juschtschenkos Stern erblasst

de Ralf Wachsmuth †

Die frühere Wahlallianz Nascha Ukraina in der Krise

Die nächsten Parlamentswahlen, der erste große Bewährungstest für die Regierung nach der orangenen Revolution, finden zwar erst am 31. März nächsten Jahres statt und das Datum des offiziellen Wahlkampfbeginns ist der 1. Dezember. Dennoch: der Wahlkampf wirft bereits seinen langen Schatten voraus und geht auch am Regierungsbündnis bestehend aus den Fraktionen Nascha Ukraina, Block Julia Timoschenko, Sozialisten und Partei der Industriellen und Unternehmer nicht spurlos vorüber. Der Umgangston zwischen den Verbündeten ist rauher geworden und die Spannungen zwischen den Parteien treiben seit dem 9. Juli einem Höhepunkt zu. Kommt es am 31. März nächsten Jahres zu einem ‚show-down’ zwischen den Helden der Revolution, der bisher recht glücklos agierenden Premierministerin Julia Timoschenko und dem Präsidenten Juschtschenko, in dem die sich immer noch in einem Selbstfindungsprozess befindliche Opposition nur eine Statistenrolle spielt, oder zu einem ungleichen Kräftemessen zwischen einem Megablock der Regierungskräfte und der zersplitterten Opposition?

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Die Bildung einer einheitlichen Mitte-Rechts-Partei ist vorerst gescheitert

Am 9. Juli fanden in Kiew die Parteitage der Volksunion Nascha Ukraina (VUNU) und der ebenfalls der Parlamentsfraktion Nascha Ukraina zugehörigen Partei Nascha Ukraina (NU) statt. Der Vorsitzende von Nascha Ukraina Pynsenyk überraschte seine Delegierten mit der Nachricht, dass seine Partei gemeinsam mit den Parteien Rukh, Ukrainische Volkspartei und Batkiwschtschina – die Partei der Premierministerin Timoschenko – einen Aufruf an die Volksunion Nascha Ukraina unterzeichnet hatte, in dem sie die Volksunion zur Bildung eines gemeinsamen Wahlbündnisses aufforderten. Mit dieser gemeinsamen Erklärung ist das Vorhaben von Juschtschenko, mit einer einheitlichen Partei unter dem Namen Volksunion Nascha Ukraina in die Parlamentswahlen zu ziehen, vorerst gescheitert. Durch eine Anhäufung und Mischung von Pannen, persönlichen Rivalitäten und Mißverständnissen wurde der ohnehin schwierige Prozess der Parteienkonsolidierung zusätzlich erschwert und möglicherweise auf nicht absehbare Zeit sogar verhindert.

Julia Timoschenko gilt schon jetzt als Nutznießerin der Zerstrittenheit im Mitte-rechten Lager. Nach dem Motto „Die Feinde meines Feindes sind meine Freunde“ setzt sie den Ehrenvorsitzenden und Initiator der am 5. März unter großem Pomp gegründeten Partei Volksunion Nascha Ukraina unter Zugzwang, stärkt ihre Position im Kabinett gegenüber ihrem Hauptrivalen, den mächtigen Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats Poroschenko, und legt jetzt bereits die Grundlagen für einen weiteren Machtzuwachs nach den Wahlen im März. Timoschenko hat dem Präsidenten das Heft des Handelns aus der Hand genommen und selbst die Initiative ergriffen. War es am 5. März noch Juschtschenko gewesen, der – ohne allerdings seine bisherigen Verbündeten Rukh, Ukrainische Volkspartei und Nascha Ukraina überhaupt beim Namen zu nennen, was die Vorsitzenden dieser Parteien zu recht als Affront auffassten – der Partei von Julia Timoschenko Batkiwschtschina und der von Parlamentspräsidenten Lytwyn Volkspartei der Ukraine ein Koalitionsangebot machte, so ist es 4 Monate später Timoschenko, die den Spieß umdreht und ihrerseits der Juschtschenko-Partei ein Kooperationsangebot unterbreitet. Sie scheint den 9. März bereits aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben, als sie gemeinsam mit Juschtschenko und Lytwyn in Kaniw eine Kooperationserklärung abgegeben hat, die offensichtlich einseitig von ihr aufgekündigt wurde. Heute will sie davon nichts mehr wissen: sie bezeichnet Lytwyn und ihren gegenwärtigen Bündnispartner Moros, Vorsitzender der Sozialistischen Partei, als ihre politischen Gegner.

Der Regierungsmotor stottert – Timoschenko dennoch in den Umfragen führend

Die Inflationsspirale dreht sich und frisst die sozialen Wohltaten langsam wieder auf, der Zuwachs im Export (2004 noch 36%) ist auf zur Zeit 5% geschrumpft, die ausländischen Investoren sind verunsichert und warten auf stabilere Zeiten, der Haushalt ist auf dem Prinzip Hoffnung aufgebaut, von der Schaffung von einer Million neuer Arbeitsplätze pro Jahr ist keine Rede mehr und in der Steuerpolitik herrscht Chaos. Auf dem Gebiet der Außenpolitik ist der WTO-Beitritt in diesem Jahr gefährdet, die EU lässt es an den erhofften Signalen hinsichtlich eines baldigen Assoziierungsabkommens fehlen - selbst Erleichterungen beim Visa-Regime bleiben aus - und die Ukraine glaubt ausgerechnet in einem sich schon über Wochen hinziehenden Gaskonflikt mit Russland neues außenpolitisches Selbstbewußtsein unter Beweis stellen zu müssen. Trotz dieser alles Andere als überzeugenden Bilanz steht Julia Timoschenko in den Umfragen glänzend da (52%) und hat Juschtschenko in der Beliebtheit bereits knapp überholt (47%), denn die Mehrzahl der Ukrainer macht nicht Timoschenko für die derzeitigen Krisen verantwortlich, sondern sieht die Ursachen bei den Russen (Energiekrise), der Regierung oder beim Präsidenten. Timoschenko hat es nach Meinung politischer Beobachter bisher geschickt verstanden, Sündenböcke entweder in ihrem Kabinett, der Präsidialverwaltung, beim Parlament oder beim Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat zu finden. Die Erkenntnis, dass sie als Regierungschefin für die Situation vielleicht mit verantwortlich sein könnte, scheint sich noch in einem Anfangsstadium zu befinden. Eine gute Revolutionärin ist nicht zwangsläufig auch eine gute Politikerin.

Was bei den Umfragewerten für Timoschenko gilt, gilt automatisch auch für ihre Partei, denn die Partei, das ist sie. Nach einer vom Institut für Politik, einer von dem Vizepremier und stv. Parteivorsitzenden Nascha Ukraina Tomenko geleiteten NGO, durchgeführten Umfrage liegt Batkiwschtschina mit 21% vor der Partei der Regionen von Janukowitsch mit 16%. Die Volksunion Nascha Ukraina käme danach auf 8%, die Volkspartei der Ukraine von Lytwyn auf 7%, die Kommunisten und Sozialisten auf 5%. Hoffnungslos abgeschlagen sind Nascha Ukraina mit 2%, Rukh und Ukrainische Volkspartei mit unter 1%.

Zu einem völlig anderen Umfrageergebnis kommen das Internationale Soziologische Institut zu Kiew und das Razumkow-Zentrum. Danach würde die Volksunion Nascha Ukraina 31%, die Partei der Regionen 16% und Batkiwschtschina 15% auf sich vereinen. Die Sozialistische Partei und die Volkspartei der Ukraine würden die 5-Prozent Hürde knapp verfehlen. Noch schlechter schneidet Timoschenkos Partei in einer Umfrage der Stiftung Demokratische Initiativen ab. Danach würde Batkiwschtschina nur 6%, ein Block aus Juschtschenko nahe stehenden Parteien etwa 30% erreichen.

Juschtschenkos Dilemma

Juschtschenko ist es nicht gelungen, die Vorsitzenden von Rukh, Ukrainischer Volkspartei und Nascha Ukraina, also seine engsten Verbündeten vor und während der orangenen Revolution, von den Vorteilen einer einheitlichen rechts-zentristischen Partei zu überzeugen und sie zur Auflösung ihrer Parteien und zur Integration ihrer Mitglieder in die Volksunion Nascha Ukraina zu bewegen. Die Ukrainische Volkspartei hat sogar nur wenige Tage nach der Gründung der Volksunion die gemeinsame Parlamentsfraktion verlassen und eine eigene Fraktion gebildet. Juschtschenko und Vizepremier Bessmertny, den er mit der Parteigründung beauftragt hat, haben den Selbsterhaltungstrieb und den starken Widerstandswillen der Parteiführer unterschätzt. Hinzu kommt, dass das Wahlgesetz, das Listenverbindungen vorsieht, für eine Parteienkonsolidierung keinen Anreiz bietet. Ferner geht bei den Parteiführern die Angst um, bei einem Zusammenschluss unter einem anderen Namen Macht und Einfluss zu verlieren. Sie ziehen es daher vor, lieber Vorsitzender einer kleinen und unbedeutenden Partei zu bleiben, als dritter oder vierter stellvertretender Vorsitzender in einer großen Volkspartei zu werden.

Darüber hinaus gibt es auch prinzipielle Gründe, die zum Beispiel Tarasjuk und Kostenko davon abhielten, sich mit der Volksunion zu vereinen. Beide halten die Volksunion für ein virtuelles, künstliches Projekt, das ins Leben gerufen wurde mit dem Ziel, Abgeordneten aus der Geschäftswelt, die 2002 über Direktmandate ins Parlament kamen, nach der Änderung des Wahlgesetzes und der Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts einen erneuten Einzug ins Parlament zu ermöglichen. Die Volksunion wird angesichts der großen Zahl von Ministern und anderen Vertretern der nationalen und regionalen Exekutive in den Führungsgremien nicht ohne Grund im Volksmund als „Partei der administrativen Ressourcen“ bezeichnet. Diese Einschätzung wird von den meisten Experten geteilt. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass die Partei unter einem neuen, jungen, charismatischen und integrationsfähigen Parteichef bis zum März nächsten Jahres nicht doch noch wandlungsfähig wäre.

Wege aus der Krise

Juschtschenko und die Volksunion Nascha Ukraina müssen auf das Angebot von Timoschenko (Batkiwschtschina), Tarasjuk (Rukh), Kostenko (Ukrainische Volkspartei) und Pynsenyk (Nascha Ukraina) vom 9. Juli reagieren. Verschiedene Varianten für eine Listenverbindung sind denkbar:

Erstens: die Volksunion bildet tatsächlich mit den o.g. Parteien eine gemeinsame, von Timoschenko angeführte Liste. Damit würde eine direkte Konfrontation zwischen Präsident und Premierministerin vermieden. Es würde eine Megapartei entstehen, in der in alter Tradition die Führungspersönlichkeiten und nicht das Parteiprogramm im Vordergrund stehen. Juschtschenko und Timoschenko bräuchten auf die anderen kleinen Parteien keine Rücksicht zu nehmen und könnten diese in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken lassen. Sollte der Vertrauensvorschuss in die orangene Regierung aufgrund mangelnder wirtschaftlicher und sozialer Erfolge in Skepsis umschlagen, besteht die Gefahr, mit Julia Timoschenko – wenn sie bis zum Jahresende noch Premierministerin sein sollte – gemeinsam unter zu gehen und die angestrebte Reformpolitik endgültig zu gefährden.

Zweitens: Juschtschenko entscheidet sich zu einer Allianz mit dem umstrittenen Vorsitzenden der Volkspartei der Ukraine und Parlamentspräsidenten Lytwyn. Dieser ist in den Augen vieler politischer Beobachter alles Andere als ein lupenreiner Demokrat und seine bisweilen unkonventionelle Amtsführung stößt nicht immer nur auf ungeteilte Zustimmung bei den Parlamentariern und schon gar nicht bei der Regierung. Sollte Juschtschenko die Liste anführen, was aber unwahrscheinlich ist, käme es zu einem Aufeinandertreffen der Revolutionshelden.

Drittens: Juschtschenko verfolgt hartnäckig seine am 5. März und am 9. Juli wiederholt ausgesprochene Idee weiter, gemeinsam mit Timoschenko und Lytwyn eine Listenverbindung einzugehen. Diese Variante ist unwahrscheinlich. Erst vor wenigen Tagen hat Timoschenko eine verbale Breitseite auf Lytwyn abgefeuert, die den bereits bestehenden Graben noch vertieft hat.

Viertens: Die Volksunion Nascha Ukraina zieht alleine aber unter der Führung von Juschtschenko in den Wahlkampf. Unter dem Gesichtspunkt einer demokratischen Entwicklung des Landes und des Wettbewerbs unterschiedlicher politischer Konzepte – einer von Juschtschenko vertretenen liberaleren Wirtschaftsordnung auf der einen und einer immer mehr ins sozialistische Lager abdriftenden Timoschenko auf der anderen Seite – wäre dies sicherlich eine spannende und ergebnisoffene Auseinandersetzung.

Fazit

Noch ist unsicher, für welche Vorgehensweise sich die Volksunion entscheiden wird. Die Parteien werden die Sommerpause für die Erarbeitung ihrer Verhandlungsstrategien nutzen und dem Wahlvolk ihre jeweiligen Partner präsentieren. Ein Verlierer lässt sicher aber schon jetzt ausmachen: der Wähler. Die Absicht, die Parteien und ihre Programme durch die Änderung des Wahlgesetzes in den Vordergrund rücken zu lassen, wird durch die Listenverbindungen kontrakariert. Mit einer geschickten Verhandlungsstrategie schafft es sogar eine 1% oder 2%-Partei wie der Rukh oder die Ukrainische Volkspartei, die ohne Partner an der 3%-Klausel scheitern würde, mit 10 bis 15 Abgeordneten im Parlament vertreten zu sein. In wenigen Wochen bereits wird das Partei übergreifende Geschacher um die Listenplätze beginnen. Prinzipien innerparteiliche Demokratie und Transparenz werden wie bei den Parlamentswahlen zuvor wohl wieder auf der Strecke bleiben.

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Gabriele Baumann

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