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Reportajes internacionales

Kommunalwahlen in Frankreich - Menetekel für 2002?

de Dr. Norbert Wagner
Im März 2001 finden in ganz Frankreich Kommunalwahlen statt. Es sind dies die letzten Wahlen vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen im Frühjahr 2002. Deshalb werden die Kommunalwahlen weithin als Test für die Wahlen im nächsten Jahr gesehen. Angesichts der düsteren Aussichten für die bürgerlichen Parteien könnten die Kommunalwahlen auch zu einem Menetekel für 2002 werden.

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Die Kandidaten für die Stadträte (in rund 35.000 Städten und Gemeinden) werden anhand von Wahllisten gewählt. Der erste Wahlgang findet am 11. März statt. Erzielt keine Liste im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit, so wird ein zweiter Wahlgang durchgeführt. In den zweiten Wahlgang (am 18. März) gelangen all jene Listen, die mehr als 10% der abgegebenen Stimmen erringen konnten. Die Anzahl der errungenen Sitze im Stadtrat (Conseil municipal) bemisst sich dann nach dem Resultat des zweiten Wahlgangs. Die jeweilige Mehrheit im Stadtrat wählt anschließend den Bürgermeister (in der Regel den Listenführer).

In Paris und Lyon erfolgt die Kommunalwahl innerhalb von Arrondissements. Jedes Arrondissement wählt in einem ersten und gegebenenfalls zweiten Wahlgang den Stadtrat des Arrondissements und dieser anschließend den Bürgermeister des Arrondissements. Je nach Anzahl der Bevölkerung und in Abhängigkeit vom Wahlergebnis entsendet jedes Arrondissement (in Paris 20) ein bestimmte Zahl von Stadträten in den Gesamt-Stadtrat. Dieser Gesamt-Stadtrat wählt schließlich den Bürgermeister von Paris bzw. Lyon.

Neben den Stadträten werden auch die Parlamente eines Teils der Kantone sowie die Parlamente der sogenannten communauté urbaine (etwa vergleichbar mit einem Umlandverband großer Städte) gewählt.

Testwahl für 2002

Da die Kommunalwahl landesweit stattfindet und da es sich um die letzten Wahlen vor den Präsidenten- und Parlamentswahlen im Jahr 2002 (über deren Reihenfolge ist noch nicht abschließend entschieden) handelt, haftet den Kommunalwahlen der Charakter einer Testwahl oder Vorwahl für die Wahlen im Jahr 2002 an. Dieser Testcharakter wird dadurch verstärkt, daß sich eine vergleichsweise große Zahl von aktuellen und ehemaligen Ministern der Regierung Jospin sowie von führenden Politikern der Opposition um das Amt eines Bürgermeisters bewirbt: Martine Aubry in Lille, Jean-Pierre Chevènement in Belfort, Elisabeth Guigou in Avignon, Pierre Moscovici in Montbéliard, Jean-Claude Gayssot in Béziers, Cathérine Trautmann in Straßburg. Ebenso Philippe Séguin in Paris, Charles Millon in Lyon, Claude Gaudin in Marseille, Alain Juppé in Bordeaux, Philippe Douste-Blazy in Toulouse - um nur einige zu nennen.

Naturgemäß konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die großen Städte wie Paris, Lyon, Marseille, Bordeaux. In Marseille scheint der Sieg für Jean-Claude Gaudin (DL) und Renaud Muselier (RPR) so gut wie sicher. Ebenso für Alain Juppé in Bordeaux. Die Chancen für die bürgerlichen Parteien, in Paris und Lyon auch zukünftig den Bürgermeister zu stellen, haben sich indessen in den letzten Wochen nachhaltig verschlechtert. In beiden Fällen hat dies nichts mit der Zugkraft des Gegenkandidaten des linken Bündnisses von Sozialisten, Kommunisten und Grünen zu tun. Vielmehr haben es die bürgerlichen Parteien ausschließlich sich selbst, ihrer Zerstrittenheit und Inkompetenz zuzuschreiben.

Lyon - ein Nachfolger für Raymond Barre

In Lyon tritt der bisherige Bürgermeister Raymond Barre (UDF) aus Altersgründen nicht mehr an. Dies war für alle Beteiligten schon lange absehbar. Gleichwohl gelang es den führenden Vertretern von RPR und UDF vor Ort und auf nationaler Ebene (Michèle Alliot-Marie und François Bayrou) lange Zeit nicht, sich auf einen Spitzenkandidaten zu einigen. Der RPR drohte, der UDF Lyon, eine Stadt, die traditionell von einem UDF-Politiker geführt wird, streitig zu machen. Im Gegenzug legte sich die UDF zunächst bei der Investitur von Philippe Séguin in Paris quer. Das Unvermögen der nationalen Ebene, sich zu einigen, ließ die Anzahl der Bewerber um das Amt des Bürgermeisters rapide anwachsen.

So gab es in Lyon zeitweise zwei Spitzenkandidaten des RPR und zwei Spitzenkandidaten aus den Reihen der UDF. Seitdem hat sich die Zahl der Spitzenkandidaten zwar gelichtet. Doch ist dem nun gemeinsamen Kandidaten von UDF und RPR, Michel Mercier, in Charles Millon ein ernstzunehmender Konkurrent erwachsen. Mercier liegt in den Umfragen bei knapp 30%, Millon bei etwas unter 20%. Keiner von beiden könnte folglich alleine eine absolute Mehrheit erringen. Fast zwangsläufig konzentriert sich der Wahlkampf von Millon und Mercier stärker auf den Konkurrenten aus dem eigenen Lager als auf den linken Gegenkandidaten. Gegenwärtig ist äußerst fraglich, ob Mercier und Millon nach dem ersten oder spätestens zweiten Wahlgang bereit sein werden, eine Koalition einzugehen.

Dem steht die Schärfe der bisherigen Auseinandersetzung entgegen. Vor allem aber der von Millon inzwischen eingestandene Fehler, nach den Regionalwahlen im Frühjahr 1998 bei der Wahl zum Präsidenten der Region die Unterstützung des Front National akzeptiert zu haben.

Paris - Tibéri tritt nicht ab

In Paris ist die Ausgangslage noch etwas verworrener. Schon im vergangenen Jahr war den führenden Politikern des RPR klar, dass man mit einem Spitzenkandidaten Jean Tibéri nicht mehr reüssieren könne. Zu häufig war in den letzten Jahren der Name Tibéri in Verbindung mit irgendwelchen angeblichen oder tatsächlichen Skandalen im Umfeld des Pariser Rathauses gefallen.

Tibéri versuchte zunächst, sich hinter seinem Vorgänger im Amt, Jacques Chirac, zu verstecken. Später drohten er oder seine Frau mehr oder minder offen mit ihrem Wissen über frühere Vorgänge im Rathaus von Paris. Jacques Toubon lancierte sogar einen "Staatsstreich", um den unhaltbaren Bürgermeister aus den eigenen Reihen loszuwerden. Der Staatsstreich misslang. Als Françoise de Panafieu, eine der stellvertretenden Bürgermeister von Paris, im März 2000 erklärte, sie bewerbe sich um das Amt des Spitzenkandidaten bei den Kommunalwahlen, entzog Tibéri ihr kurzerhand ihr Büro, Dienstauto und Mobiltelephon.

Test für Führungskraft von Michèle Alliot-Marie

Nachdem Michèle Alliot-Marie im Herbst 1999 überraschend zur neuen Vorsitzenden des RPR gewählt worden war, war die Lösung des Problems Tibéri ihre wichtigste Aufgabe und ein erster Test für ihre Führungskraft. Die Aufgabe hat sie nach langem Hin und Her gelöst, den Test aber nicht bestanden. Zwar wurde Tibéri nach wochenlangen öffentlichen Diskussionen aus dem RPR ausgeschlossen und Philippe Séguin zum Spitzenkandidaten des RPR (und damit auch von UDF und DL) bestimmt. Das Problem "Tibéri" besteht indes weiter. Denn Tibéri gibt nicht auf. Er tritt mit einer Dissidenten-Liste an, die der offiziellen Liste Wähler abspenstig macht. Sein Widerstand gegen Séguin und die Führung des RPR hat ihm bei vielen Franzosen sogar einen Sympathiegewinn eingebracht.

Die Auseinandersetzung um die Nominierung des Kandidaten des RPR für das Amt des Bürgermeisters von Paris hat praktisch den gesamten Vorwahlkampf bestimmt. Und da Tibéri sich wider Erwarten halten konnte, prägt der Konflikt Séguin/Tibéri nun auch die Endphase des Wahlkampfes. Laut Umfragen wünschen die Bürger von Paris, dass sich die Stadt folgender Probleme verstärkt annimmt: Sicherheit, schlechte Luft, Lärm, Hundedreck auf den Fußwegen. Derweil dreht sich die Auseinandersetzung im Wahlkampf nur um den Konflikt zwischen Séguin und Tibéri.

Niederlage der bürgerlichen Parteien wahrscheinlich

Paris wird schon seit 24 Jahren von einem RPR-Bürgermeister geführt. Von der Bevölkerungsstruktur her ist Paris eine mehrheitlich "bürgerliche" Stadt. Der Konflikt zwischen Séguin und Tibéri hat jedoch dazu beigetragen, dass sich die Umfrageergebnisse für Séguin in den letzten Wochen stetig verschlechtert haben. Bisher hielten RPR-UDF-DL in 14 von 20 Arrondissements die Mehrheit. Seit einigen Wochen droht ihnen bei der Wahl im März in 12 von 20 Arrondissements eine Niederlage. Darunter in einigen Arrondissements, die besonders viele Conseillers in den Rat von Paris entsenden. Der Streit innerhalb des bürgerlichen Lagers hat unversehens dem ziemlich blassen Kandidaten der Sozialisten Delaonë die Chance eröffnet, Bürgermeister von Paris zu werden.

Strategiewechsel noch möglich?

"Alerte rouge pour la droite" (höchste Alarmstufe für die Rechte) überschrieb denn auch "Le Figaro" (31. 1.) den Artikel mit den besorgniserregenden Umfrageergebnissen. Fraglich ist, ob es gelingt, vier Wochen vor dem ersten Wahlgang das Ruder noch herumzureißen. Eine Maxime von Séguin ist es, keine Allianz mit Tibéri einzugehen. Eine Listenverbindung nach dem ersten oder auch nach dem zweiten Wahlgang wäre möglich. Seit die Aussichten für das Séguin-Lager immer schlechter werden, dreht sich die Diskussion vor allem um diese Frage. Tibéri bietet die Zusammenarbeit an, Séguin lehnt sie kategorisch ab und wird darin auch von seinen Mitstreitern unterstützt. Andernfalls würde er zweifellos unglaubwürdig. Je näher der erste Wahltag kommt, mehren sich die Anzeichen, dass die führenden Politiker von RPR, UDF und DL unruhig werden und mehr oder minder offen über einen Strategiewechsel nachdenken. Noch hält die Linie Séguin.

Verwunderung erregt noch immer die Entscheidung Séguins, in seinem Arrondissement (XVIIIe) nicht den Spitzenplatz einzunehmen, sondern nur an vierter Stelle zu rangieren. Ursprünglich hatte er damit wohl ein Zeichen seines Selbstvertrauens und seiner Siegesgewissheit setzen wollen. Denn bisher befand sich dieses Arrondissement in der Hand der Sozialisten. Die bürgerlichen Parteien entsandten nur drei Conseillers in den Rat von Paris. Bei gleichem Ergebnis bei den kommenden Kommunalwahlen würde Séguin nicht in den Rat von Paris gewählt und könnte demzufolge auch nicht Bürgermeister von Paris werden. Während einige ihn weiterhin bedrängen, doch noch den Spitzenplatz einzunehmen, glauben andere, dass sich Séguin mit dieser Entscheidung eine Hintertür für seinen Abgang offenhält.

Drei Szenarien
  1. Der sozialistische Kandidat Bertrand Delanoë gewinnt nach zwei Wahlgängen eine absolute Mehrheit im Rat von Paris und wird zum Bürgermeister gewählt.

    Eintrittswahrscheinlichkeit:60%

  2. Die Liste Séguin gewinnt im ersten Wahlgang rund 25-30%, die Liste Tibéri etwa 10-15%. Beide Listen fusionieren und gewinnen im zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit. Séguin scheidet in diesem Fall mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Rennen um das Amt des Bürgermeisters von Paris aus. Entweder kann er nicht kandidieren, weil er von seinem Arrondissement nicht in den Rat von Paris entsandt wird. Und/oder er würde durch eine Allianz mit Tibéri völlig unglaubwürdig. Ein Ausweg aus dieser Situation könnte folgendermaßen aussehen: Edouard Balladur übernimmt die Führung der Liste Séguin, dieser verlässt die Szene. Balladur und Tibéri verständigen sich über eine Zusammenarbeit. Tibéri könnte beispielsweise noch für eine geraume Zeit Bürgermeister von Paris bleiben und dann freiwillig abtreten. Als Bürgermeister denkbar wären auch Balladur selbst oder (weniger wahrscheinlich) Françoise de Panafieu.

    Eintrittswahrscheinlichkeit:30%

  3. Der offizielle Kandidat von RPR-UDF-DL Philippe Séguin gewinnt nach zwei Wahlgängen eine absolute Mehrheit im Rat von Paris und wird zum Bürgermeister gewählt.

    Eintrittswahrscheinlichkeit:10%


Konsequenzen

Nach heutigem Ermessen überwiegt die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste Bürgermeister von Paris ein Sozialist sein wird. Eine Niederlage für RPR-UDF-DL in Paris hätte zweifellos gravierende Folgen. Vor allem würde darin ein Menetekel für die Präsidentenwahlen im Frühjahr 2002 gesehen. Wenn die bürgerlichen Parteien schon das Amt des Bürgermeisters von Paris nicht mehr gewinnen können, so werden sich die Franzosen fragen, wie wollen sie dann die Präsidentenwahlen gewinnen? Die Chancen für einen Wiederwahl von Jacques Chirac zum Präsidenten dürften einen erheblichen Dämpfer erleiden. Aufgrund dieser Aussichten wird man offenbar auch im Elysée zunehmend unruhig. Wenige Wochen vor den Wahlen sind die Einwirkungsmöglichkeiten indes sehr begrenzt.

Edouard Balladur selbst wies auf eine weitere Folge einer Niederlage hin. Wenn Paris verloren gehe, werde die neue Mehrheit im Rat von Paris bis zu den Präsidentenwahlen jede Woche neue Dokumente aus den Archiven hervorholen und daraus Affären konstruieren.

Natürlich wird auch die Suche nach den Schuldigen für die Niederlage nicht auf sich warten lassen. Ein Sündenbock dürfte Michèle Alliot-Marie sein. Ihr wird man vorwerfen, sie habe die Kandidatenfrage in Paris nicht zufriedenstellend gelöst. Sollten sich die wichtigsten Strömungen innerhalb des RPR gegen sie stellen, wird sie sich nicht lange gegen ihren Rücktritt wehren können.

Ein weiterer Sündenbock dürfte Philippe Séguin selbst sein. Ihm wird man seine gescheiterte Wahlkampfstrategie vorwerfen. Nach seinem vorzeitigen Ausscheiden bei den Europawahlen im Jahr 1999 könnten die Kommunalwahlen 2001 zu seiner zweiten schweren politischen Niederlage werden. Davon wird er sich nur schwer erholen.

Die Niederlage von RPR-UDF-DL könnte gleichwohl auch positive Wirkungen haben. Schon seit einigen Monaten ist die Stimmung unter den Abgeordneten der drei Fraktionen äußerst gereizt. Immer näher rücken die Parlamentswahlen im Frühjahr 2002 und die Aussichten, diese Wahlen zu gewinnen, sind eher getrübt. Daher wächst der Druck aus den Reihen der Abgeordneten, eine große, geeinte politische Formation nach dem Vorbild von CDU/CSU zu bilden. Einen entsprechenden Aufruf haben vor einigen Wochen rund 90% der Abgeordneten unterzeichnet. Edouard Balldur hat die Statuten der vorläufig "France Alternance" genannten Formation verfasst. Alain Juppé formuliert ein politisches Programm.

Die treibende Kraft hinter dem Projekt "France Alternance" ist, auch wenn dies immer wieder dementiert wird, Jerôme Monod, den Jacques Chirac vor etwas über einem Jahr zu einem seiner wichtigsten Berater gemacht hat. François Bayrou (UDF) und Alain Madelin (DL), die beide ihre Kandidatur bei den Präsidentenwahlen erklärt haben, lehnen das Projekt "France Alternance" ab. Sie sehen darin den Versuch Chiracs, eine Unterstützungstruppe für seine Wahl zum Präsidenten zu bilden.

Die voraussichtliche Niederlage bei den Kommunalwahl en in Paris könnte die Bildung einer einheitlichen Formation der bürgerlichen Parteien beschleunigen und die internen Streitigkeiten, welche die Opposition bisher geschwächt haben, verringern. Es bleibt zu hoffen, dass die bürgerlichen Parteien Frankreichs diesmal die richtigen Schlussfolgerungen aus einer politischen Niederlage ziehen.

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