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Reportajes internacionales

Lokalwahlen im Westjordanland

Im Westjordanland fanden am 26. März 2022 Lokalwahlen in den größten Städten und Gemeinden statt

Über 715.000 Palästinenserinnen und Palästinenser waren aufgerufen, ihre Gemeinderäte und Stadtparlamente zu wählen. Knapp 54 Prozent machten von ihrer Wahlmöglichkeit Gebrauch. Im Gaza-Streifen wurde hingegen aufgrund eines Boykotts der dort regierenden Hamas nicht gewählt. Die Wahlen im Westjordanland ließen nach langer Zeit einen Hauch von demokratischer Teilhabe erahnen. Sie täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass das politische System in den Palästinensischen Gebieten weiterhin autoritär geführt wird.

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Für Palästinenserinnen und Palästinenser ist der Weg zur Wahlurne selten. Die letzten nationalen Wahlen liegen bereits 16 Jahre zurück und es werden womöglich noch einige weitere Jahre hinzukommen. Lediglich lokale Wahlen finden in etwa alle fünf Jahre noch statt. Doch die politische Lage durch eine autoritäre palästinensische Führung sowie der innenpolitische Streit zwischen den Parteien der Fatah und der Hamas lassen der Bevölkerung keine richtungsweisenden Wahlentscheidungen mehr. Hinzu kommt aufgrund der israelischen Besatzungspolitik ein lediglich begrenzter Handlungsspielraum für lokale Politikerinnen und Politiker.

Die im Westjordanland dominierende Fatah und die im Gaza-Streifen regierende Hamas hatten sich ursprünglich für 2021 auf Parlaments- und Präsidentschaftswahlen geeinigt. Die Wahlen wurden jedoch wenige Wochen vor dem anvisierten Termin von Präsident Mahmud Abbas abgesagt. Offiziell lautete die Begründung, dass eine Beteiligung der palästinensischen Bevölkerung von Ostjerusalem nicht von den israelischen Behörden garantiert wurde. Es gilt jedoch als offenes Geheimnis, dass Präsident Abbas und seine Fatah einen enormen Machtverlust fürchteten.

Die daraus offensichtlich werdende Schwäche der Fatah war einer der Gründe für die gewaltvolle Eskalation im Mai 2021. Die Hamas nutzte die Konfrontationen in Jerusalem zur eigenen Profilierung im innenpolitischen Diskurs, indem sie die Konfrontation mit Israel einging. Seitdem gesteigerte Sympathiewerte konnte die Hamas jedoch nicht halten.[1] Insbesondere im Gaza-Streifen gibt es eine stetige Unzufriedenheit mit der lokalen Regierung. Daher überrascht es auch nicht, dass die dort ebenfalls autoritär regierende Hamas eine Beteiligung des Gaza-Streifens an den Lokalwahlen ablehnte. Die offizielle Position der Hamas ist gleichwohl, dass zunächst nationale Wahlen durchgeführt werden müssten, ehe auf lokaler Ebene gewählt wird.

Der Boykott der Hamas ermöglichte der Fatah sodann, die Lokalwahlen mit einem kalkulierten Risiko geschehen zu lassen. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) verkündete im Herbst 2021 zwei Wahltermine: Am 11. Dezember 2021 sollte in den kleinsten Gemeinden (bis zu 15.000 Einwohner) gewählt werden, am 26. März 2022 schließlich in den größeren Gemeinden.

 

Erste Phase der Lokalwahlen

Die Aufteilung der Wahlvorgänge wurde mit der Einhaltung von Abstandsgeboten zur Pandemieeindämmung begründet, sodass ein früherer Termin in den großen Städten nicht möglich sei. Zugleich sind die kleinen, oftmals ländlichen Gemeinden Hochburgen der Fatah oder ihr nahestehender Familien. Ein wirklicher Wahlkampf war in diesen Gebieten somit nicht zu erwarten. In lediglich 154 von 376 Wahlkreisen traten mindestens zwei Wahllisten an. Im überwiegenden Teil der Gemeinden kam es somit erst gar nicht zu Wahlen. Die Lokalwahlen konnten somit beginnen, ohne dass die Fatah große Rückschläge fürchten musste.

Im palästinensischen ländlichen Raum überwiegen Familienstrukturen, was sich letztlich auch in der Zusammensetzung der Wahllisten widerspiegelte. Gab es mehrere Wahllisten in einem Wahlkreis, waren es weniger politische Vorstellungen, die die Kandidatinnen und Kandidaten voneinander unterscheiden ließen, als Familienzusammengehörigkeit. So ging es letztlich um die politische Vorherrschaft einiger Familien. Nahezu alle kandidierenden Wahllisten standen der Fatah nahe, die sodann auch das Wahlergebnis als Sieg verbuchte. Dabei waren jedoch zirka 70 Prozent der gewählten Listen als unabhängig verzeichnet. Die offiziellen Fatah-Listen erhielten lediglich etwa 30 Prozent der Gemeindesitze, ein Rückschlag für die offizielle Fatah-Linie. Die Wahlbeteiligung lag bei 66 Prozent.

 

Ergebnisse der zweiten Phase

Die Lokalwahlen der zweiten Phase zeichneten ein leicht anderes Bild. Obwohl die Hamas ihren Boykott der Lokalwahlen fortsetzte, gab es in mehreren großen Städten Wahllisten mit Hamas-nahestehenden Personen, allerdings offiziell als unabhängige Listen geführt. An diesen Orten kam es somit zu einem politischen Wettbewerb. Das Ergebnis könnte als unentschieden gewertet werden: In al-Bireh, Hebron und Tulkarm gewann die Hamas-nahe Liste jeweils 8 von 15 Sitze in den Stadtparlamenten und damit die jeweils absolute Mehrheit. In Nablus und Qalqiliya holten die Hamas-nahen Listen jeweils 7 Sitze und unterlagen der Fatah mit jeweils 8 Sitzen somit nur knapp. Für das Ergebnis der Fatah müssen in Qalqiliya zwei Fatah-Listen zusammengezählt werden. An anderen Orten wie Bethlehem, Jericho oder Ramallah gab es keine Hamas-nahen Listen, sodass die Fatah bzw. unabhängige Listen dort die Mehrheiten gewannen. Insgesamt erhielten unabhängige (inklusive Fatah-nahe) Listen 64,4 Prozent der Stimmen, Parteilisten (zumeist Fatah) 35,6 Prozent. Die Fatah hat das Wahlergebnis sogleich erneut als Sieg beansprucht. Dort, wo die Fatah sich jedoch einem Wettbewerb stellen musste, waren Hamas-nahe Listen, ohne groß angelegte Kampagnen, mindestens ebenbürtig. Die Wahlbeteiligung lag mit 53,7 Prozent auf ähnlichem Niveau wie in den Jahren 2017 und 2012.

 

Eingeschränkter Handlungsraum für Lokalpolitik

Die relativ geringe Wahlbeteiligung ist Ausdruck eines dysfunktionalen politischen Systems. Mit dem Ausbleiben nationaler Wahlen seit 2006 hat ein großer Teil der wahlberechtigten Bevölkerung keinerlei Demokratieerfahrung. 70 Prozent der palästinensischen Bevölkerung sind unter 35 Jahren, wodurch lediglich knapp ein Drittel aller Palästinenserinnen und Palästinenser jemals an Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen teilnehmen konnte. Alle fünf Jahre stattfindende Lokalwahlen können unter diesen Bedingungen keinen adäquaten Ersatz für eine demokratische Willensbildung abliefern.

Doch unabhängig von demokratischen Prozessen mangelt es der palästinensischen Politik an einer politischen Vision für die Zukunft. Das Credo der Zwei-Staaten-Lösung wird von vielen Palästinenserinnen und Palästinensern als leere Phrase sowohl der eigenen Führung, als auch der internationalen Staatengemeinschaft, wahrgenommen. Eine Verwirklichung dieses Ziels scheint kaum noch greifbar. Eine Lösung des Nahostkonflikts und damit auch eine Antwort auf die Frage der palästinensischen Unabhängigkeit ist für viele somit illusorisch. Die quasi-staatlichen Strukturen der Palästinensischen Autonomiebehörde agieren vorrangig unter dem Vorbehalt israelischer Entscheidungen. Selbst in den laut Oslo-Verträgen autonomen A-Gebieten des Westjordanlandes (vollständige Kontrolle der PA, 18 Prozent der Landfläche) kann das israelische Militär jederzeit eindringen. In den C-Gebieten (60 Prozent der Landfläche) haben PA-Institutionen keinerlei Befugnisse. Der Rückhalt für die PA und dessen Institutionen ist unter diesen Vorzeichen in den letzten Jahren stetig gesunken. Häufig steht daher auch die Frage im Raum, warum man an den Lokalwahlen teilnehmen sollte, wenn es nur eine eingeschränkte Souveränität in den Palästinensischen Gebieten gibt.

Zudem zeichnet sich in den letzten Jahren ein schleichender Zerfall der PA ab, die nicht mehr in der Lage ist, ihren finanziellen Verpflichtungen (z.B. Gehälter im Öffentlichen Dienst) ausreichend nachzukommen. Dort, wo die PA Lücken hinterlässt, übernehmen traditionelle Strukturen wie Familienbünde die effektive Kontrolle. In Hebron lässt sich daher bereits beobachten, wie ein derartiges Vakuum zu einem machtpolitischen und gewaltvollen Wettbewerb zwischen Großfamilien führt[2] – ohne jegliche Wahlen. Dies trägt dazu bei, dass familiäre Strukturen wieder zunehmend wichtiger sind, als politische Ideologien. Im Westjordanland lässt sich daher an vielen Orten eine Abkehr von politischen konsolidierten Parteien erkennen hin zu diffusen Bündnissen. In diesem breiten und diversen Spektrum hat jedoch bei tatsächlichen Wahlen die gefestigte Parteistruktur der Fatah häufig einen Mobilisierungs- und Kampagnenvorteil. Zugleich ist es neuen Gruppierungen nicht möglich, eine Bewegung unter dem palästinensischen Parteiengesetz zu gründen, da dessen Reformierung seit einigen Jahren ausgesetzt ist und keine neuen Parteien zugelassen werden. Die Gründung neuer politischer Parteien und damit ein möglicherweise neuer politischer Wettbewerb sind dadurch blockiert. Es mangelt grundsätzlich an rechtsstaatlichen Vorbedingungen für faire Wahlen.

Die Lokalwahlen im Westjordanland vermitteln zwar einen Hauch von demokratischer Teilhabe. Sie können jedoch nicht über die mangelhafte demokratische Legitimation der palästinensischen Führung, den eingeschränkten Handlungsspielraum lokaler Akteure sowie die ernüchterte Stimmung in der Bevölkerung hinwegtäuschen. Nationale Wahlen oder gar ein unabhängiger palästinensischer Staat sind in naher Zukunft nicht zu erwarten. Die palästinensische Bevölkerung kann sich mit dem politischen System daher in zunehmendem Maße nicht identifizieren. Frustration ist allgegenwärtig. Dies sollte der PA, Israel und der internationalen Staatengemeinschaft Sorge bereiten. Denn die Lokalwahlen können auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es keinen geordneten Übergang in der politischen Führung der Palästinenser zu geben scheint, sobald Präsident Abbas aus dem Amt scheidet. Ein rechtsstaatlicher Mechanismus hierfür existiert ebenso wenig wie pluralistische politische Strukturen, die für einen geordneten Übergang von höchster Bedeutung wären.

 


 

[1] KAS/PSR Public Opinion Poll 83 [29.03.2022].

[2] Steven Höfner & Pia Steckelbach 2021: Ein Sicherheitsapparat ohne Gewaltmonopol, 27.09.2021 [29.03.2022].

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