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Reportajes internacionales

Poroschenko und Timoschenko schachmatt.

de Ralf Wachsmuth †, Igor Plaschkin

Die Revolution hat ihre Unschuld verloren und ist in der Wirklichkeit angekommen

Die von der Pressesprecherin des Präsidenten noch Anfang der vergangenen Woche nach dem Rücktritt des Leiters der Präsidialverwaltung Sintschenko abgegebenen Verlautbarung des Präsidenten: „Die offizielle Position ist absolut klar: Es gibt keine politische Krise in der Ukraine,“ hat die besten Aussichten, zum Understatement des Jahres 2005 zu werden. Der Rücktritt Sintschenkos war Ausgangspunkt für ein politisches Erdbeben, das mit der Entlassung der Regierung von Julia Timoschenko einen politischen Tsunami auslöste, dessen Folgen für die Entwicklung der Ukraine sich noch nicht überblicken lassen. Der lange Zeit passiv wirkende Präsident gab seine letztendlich erfolglose Rolle eines Moderators – oder wie er selbst sagt „Amme“ - auf und betätigte die Notbremse. Am 8. September entließ er die Regierung.

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Sintschenkos Rücktritt - Anfang vom Ende der Regierung Timoschenko

Am 3. September, wenige Tage vor dem Beginn der letzten Sitzungsperiode des Parlaments vor den Wahlen im März 2006, platzte die Bombe. Sintschenko, Leiter der Präsidialverwaltung und des Wahlstabs von Juschtschenko während der orangenen Revolution, warf das Handtuch. In einer Pressekonferenz am 5. September feuerte er eine Breitseite gegen den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats Poroschenko, den persönlichen Berater des Präsidenten Tretjakow und den Fraktionsvorsitzenden von Nascha Ukraina im Parlament Martynenko ab. Ohne mit konkreten Beweisen aufwarten zu können, erhob Sintschenko massive Korruptionsvorwürfe gegen Poroschenko und Martynenko. Beide wiesen umgehend die Anschuldigungen zurück und kündigten ein gerichtliches Nachspiel an. Er behauptete: „Die Korruption ist heute größer als früher, und sie breitet sich bis in die Regionen aus. Sie wird zu einem systemischen Phänomen.“ Er fuhr fort: „Die Errungenschaften von Hunderten ukrainischer Patrioten versucht eine kleine Gruppe politischer Glücksritter zu missbrauchen. Indem sie eine eigene politische als Clan aufgebaute ‚Aktiengesellschaft’ gebildet und den Präsidenten in eine virtuelle Welt durch ihren Informationsfilter versetzt haben, setzen sie Schritt für Schritt ihr Vorhaben um, ihre Ämter maximal zur Eigenbereicherung zu nutzen, sich alles, was nur möglich ist, anzueignen und zu privatisieren.“ Einige Tage zuvor hatte bereits der Berater von Timoschenko Mychajlo Brodsky ähnliche Vorwürfe erhoben und war von seinem Amt im Ministerkabinett zurückgetreten. Die Welle der Rücktritte setzte sich fort. Der Vizepremier für humanitäre Angelegenheiten warf ebenfalls das Handtuch. Nachdem auf der Krisensitzung beim Präsidenten am Abend des 7. September der Rücktritt der Regierung praktisch beschlossen worden war, empörte sich Tomenko auf seiner Pressekonferenz am nächsten Morgen, „dass einige Leute stehlen und andere zurücktreten sollen.“ Des weiteren meinte er: „Ich möchte nicht die Verantwortung für Leute tragen, die ein korruptes System geschaffen haben.“ Auch der Chef des Sicherheitsdienstes (SBU) und engster langjähriger Vertrauter Timoschenkos Oleksandr Turtschynow trat am 8. September zurück. Seiner Meinung nach stelle die „Entlassung der Regierung eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar“.

Nach dem Rücktritt von Poroschenko blieb Juschtschenko zur Wahrung des Gleichgewichts gar nichts anderes übrig, als auch die Regierungschefin und damit das gesamte Kabinett zu entlassen und einen Neuanfang zu wagen.

Es war allgemein bekannt, dass die „Ehe“ zwischen Juschtschenko und Timoschenko keine Liebesheirat war. Beide waren ein Zweckbündnis eingegangen und aufeinander angewiesen. Timoschenko mobilisierte durch ihr Charisma die Straße und war für das Grobe zuständig, während Juschtschenko diplomatisch geschickt eine internationale Koalition gegen Kutschma aufbaute. Poroschenko war der Dritte im Bund. Mit einem Vermögen von etwa 350 Mio. Dollar einer der reichsten Männer der Ukraine, stellte er seinen Fernsehsender ‚Kanal 5’ sowie erhebliche Geldmittel zur Verfügung.

Beide, Timoschenko und Poroschenko, hielten sich für den besseren Premierminister. Doch nur einer konnte diese Position einnehmen. Der Druck der Öffentlichkeit und ein Versprechen Juschtschenkos an Timoschenko, im Falle seines Wahlsiegs, der ohne ihr Engagement nicht möglich gewesen wäre, sie für den Posten vorzuschlagen, ließen ihm keine Wahl. Um Poroschenko nicht mit ganz leeren Händen dastehen zu lassen, bot Juschtschenko ihm den Posten des Sekretärs des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats an. Per Erlass erweiterte er die Kompetenzen dieses Gremiums in einer Weise, dass der Rat eine Art Parallelregierung ohne parlamentarische Kontrolle darstellte. Die Macht im Staat teilte sich also eine Troika, die ironisch auch als das ukrainische „Bermuda Dreieck“ bezeichnet wurde: das Ministerkabinett mit der Premierministerin an der Spitze, die Präsidialverwaltung unter Sintschenko und der Sicherheitsrat unter Poroschenko. Die Rivalitäten zwischen den drei ambitionierten Persönlichkeiten führten schließlich zu einer Blockade oder – wie Juschtschenko sagte „einem gordischen Knoten“, den er mit seinem Befreiungsschlag am 8. September zu lösen hofft.

Julia Timoschenko hat sich ihrerseits durch eine ungeschickte Problemlösungsstrategie bei der Reprivatisierung des sich in den Händen von Pintschuk – Timoschenkos Hauptfeind – befindlichen Stahlwerks Nikopol Ferroalloy einen Bärendienst erwiesen. Timoschenko hatte ihre Neutralität aufgegeben und sich für den Geschäftsmann Igor Kolomojsky stark gemacht. Kolomojsky ist Mehrheitsaktionär einer Privatbank, der ausgezeichnete Verbindungen zu Timoschenko nachgesagt werden. Dazu kommt er, wie auch Timoschenko, aus Dnipropetrowsk und ist ebenfalls wie sie im Erdöl- und Erdgasgeschäft aktiv und besitzt mehrere Stahlunternehmen. Das polnische Managermagazin ‚Wprost’ setzt ihn auf Platz 12 der reichsten Männer Ost- und Mitteleuropas mit einem geschätzten Vermögen von 2,8 Mrd. Dollar. Kolomojsky benötigt dringend Nikopol als Käufer für die in seinen Werken gewonnen Manganerze. Seit der Übernahme von Pintschuk weigert sich dieser, die von Kolomojsky geforderten Preise zu zahlen und führt Manganerz lieber preisgünstiger aus Afrika ein. Angeblich spielt Pintschuk mit dem Gedanken, Nikopol mit einem gigantischen Gewinn an russische Geschäftsleute zu verkaufen. Konkrete Beweise gibt es dafür aber nicht. Bei diesem Deal hatten angeblich auch Vertraute des Präsidenten ihre Hände im Spiel. Nach Meinung von Juschtschenko hatte der Konflikt um Nikopol die Ukraine „an den Rand eines ernsten Konflikts geführt“. Er führt aus: „Einige hohe Beamte begannen auf Richter und Staatsanwälte Einfluss auszuüben, um eine Schattenprivatisierung zu betreiben... In dieser Situation konnte ich nicht länger passiv sein und habe einen Schlusspunkt gesetzt.“

Die Bilanz der Regierung Timoschenko erfüllte nicht die Erwartungen

Der Elan der orangenen Revolutionäre mit ihrer Speerspitze Timoschenko versandete bereits nach wenigen Monaten. Während sich das Ausland – allen voran die USA und Polen - noch am Treiben auf dem Maidan im Winter 2004-2005 berauschte, der orangenen Romantik verfallen war und Juschtschenko nahezu in den Stand eines Heiligen erhob, herrschte in der Regierung bereits ein heilloses Kompetenzgerangel zwischen dem Ministerkabinett, dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat und der Präsidialverwaltung. Timoschenkos Politik vermittelte bisweilen den Eindruck eines Rachefeldzugs gegen die Reste des Kutschma-Regimes. Schlüssige und langfristige Konzepte zur Bekämpfung der Korruption, zur Reform des Justiz- und Bildungswesens, zum Aufbau eines Mittelstands, zur Diversifizierung der Energieversorgung, zur Reprivatisierung von Unternehmen, Vereinfachung von Investitionen und Stärkung der Wirtschaft suchte man dagegen genau so vergeblich wie einen Teamgeist. Selbst das Kabinett war ein Spiegelbild des Machtkampfs zwischen Timoschenko und Poroschenko und gespalten in eine Timoschenko- bzw. Poroschenko- Fraktion. Hinzu kommt, dass die Regierungschefin in einem gut gemeinten Übereifer die Ukraine möglichst schnell reformieren wollte. Doch gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Die Regierung eröffnete auf nahezu jedem Politikfeld eine Baustelle, so dass selbst jedem gutwilligen Beobachter der Überblick verloren ging. Das zum großen Teil neue und unerfahrene Personal war angesichts des hektischen Aktionismus der Premierministerin völlig überfordert, so dass der Präsident auch ohne die Korruptionsvorwürfe zum Eingreifen gezwungen gewesen wäre.

Die Einheit zwischen Volk und Regierung begann bereits nach wenigen Monaten zu erodieren. Obwohl der Vertrauensvorschuss dieser Regierung im Vergleich zu vorhergehenden immer noch recht hoch war, nahm die Zahl der Enttäuschten stetig zu. Ob berechtigt oder nicht, die Mehrheit in der Bevölkerung registrierte mehr Verschlechterungen als Verbesserungen. Die Inflationsrate liegt schon jetzt bei über 10 Prozent. Sollten die Energiegespräche mit Russland scheitern, wovon man ausgehen kann, werden die Preise für Erdöl und Gas explodieren und für sozialen Sprengstoff sorgen. Das Wirtschaftswachstum hat sich deutlich verlangsamt. „Eine Regierung muss schon alles falsch machen, um das Wirtschaftswachstum in weniger als einem Jahr zu halbieren“, stöhnte resigniert der amerikanische Wirtschaftsfachmann und frühere Regierungsberater Aslund und stellt der Regierung Timoschenko ein Armutszeugnis aus. Ihrer Absicht, aus der Ukraine ein Investitionsparadies zu machen, wie sie es in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ angekündigt hat, widerspricht ihre bisherige Wirtschaftspolitik. Die Tatsache, dass die ausländischen Direktinvestitionen im Vergleich zum Vorjahr um 14% gesunken sind, ist nicht gerade ein Zeichen von Vertrauen der ausländischen Investoren. Für weitere Unruhe sorgt die unklare Methode der Reprivatisierungen. Zu Beginn ihrer Regierungszeit hatte Timoschenko forsch die Rückführung von 3000 Unternehmen in den Fonds für Staatseigentum angekündigt. Die internationale Geschäftswelt war entsetzt, so dass Juschtschenko seine Premierministerin schleunigst zurückpfiff und von etwa einem Dutzend Unternehmen sprach. Beide ruderten später noch weiter zurück und erklärten, Fall für Fall auf dem Gerichtsweg abzuarbeiten und je nach Gerichtsbeschluss das in Frage kommende Unternehmen in öffentlichen Auktionen auf dem Markt anzubieten. Dieser Weg ist, wie die Beispiele Kriworosh-Stahl und Nikopol zeigen, mühselig und langwierig. Die wegen der kostspieligen populistischen Sozialpolitik der Regierung zur Haushaltsstabilisierung dringend benötigten Privatisierungserlöse werden also noch auf sich warten lassen, was die Erstellung des Haushalts 2006 erschweren wird.

Neue Regierung – neue Chancen

Angesichts der enttäuschenden Bilanz der Regierung Timoschenko kann es mit dem neuen Premier eigentlich nur noch besser werden. Mit der Ernennung des Gouverneurs Juri Jechanurow hat Juschtschenko einen überraschenden genialen Coup gelandet. Jechanurow gilt anders als Timoschenko als Mann des Ausgleichs. Er ist ein ausgewiesener Wirtschaftsfachmann, der keine Nachhilfestunden in Sachen Marktwirtschaft benötigt und der die wirtschaftsliberalen Auffassungen des Präsidenten nicht nur teilt, sondern im Gegensatz zu Timoschenko auch umsetzen wird. Jechanurow hatte bereits 2000 – 2001 unter dem Premierminister Juschtschenko als erster Vizepremier gearbeitet. Das Vertrauen, das Juschtschenko in ihn auch nach der Revolution setzte, zeigte sich in seiner Ernennung zum Gouverneur von Dnipropetrowsk und zum Generalsekretär der Volksunion Nascha Ukraina. Jechanurow sieht seine Hauptaufgabe als Premierminister in der Stabilisierung der schwierigen politischen Lage, da er die Gefahr einer Ausweitung der politischen Krise in eine ökonomische als durchaus gegeben ansieht.

In den nächsten Tagen wird Jechanurow sein Kabinett vorstellen und sich in der Werchowna Rada zur Wahl zum Premierminister bis zu den Parlamentswahlen im März 2006 stellen. Sollte er nicht die notwendige Mehrheit bekommen, kann sich die ernste Regierungskrise, in der sich das Land bereits befindet, leicht zu einer Verfassungskrise ausweiten. Dass Timoschenko auf der Kabinettsliste erscheint, ist eher unwahrscheinlich. Das Abstimmungsverhalten ihrer Fraktion wird allerdings Aufschluss über die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Präsidenten geben.

Ausblick

Juschtschenko, da gibt es kaum einen Zweifel, wird gestärkt aus der Krise hervorgehen. Er hat zwar spät, aber nicht zu spät Führungsqualitäten unter Beweis gestellt. Für Julia Timoschenko, der nach Meinung des Magazins ‚Forbes’ drittmächtigsten Frau der Welt, bedeutet die zweite Entlassung in ihrer Karriere eine persönliche Demütigung. Noch nie in der Geschichte der Ukraine ist eine Regierung bereits nach einer so kurzen Amtszeit entlassen worden. Auch auf dem Olymp ist es eng geworden: Für zwei Lichtgestalten, so die bittere Erkenntnis aus der Sicht von Timoschenko, ist dort leider kein Platz.

Aus jeder Krise erwächst etwas Neues. Auf der Positivseite zu verbuchen ist allemal, dass diese Gesellschaft, so instabil sie noch sein mag, ihre Fähigkeit zu einem Selbstreinigungsprozess unter Beweis gestellt hat. Unter Kutschma ist nicht ein einziger Politiker wegen eines Korruptionsverdachts selbst zurückgetreten oder entlassen worden. Dann hätte es unter ihm nie eine Regierung gegeben. Weiterhin bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Presse ihre öffentliche Aufgabe wahrnimmt und über die Skandale frei und seriös berichtet. Auch dies wäre unter Kutschma undenkbar gewesen. Es hat in der Ukraine also trotz der chaotischen Regierung ein Veränderungsprozess eingesetzt, der sich weiter fortsetzen wird. Putin mag die derzeitige Situation in der Ukraine mit Schadenfreude betrachten. Doch sollte Präsident Juschtschenko auf demokratische Weise die Krise meistern, woran kaum ein Zweifel besteht, hat er den Beweis erbracht, dass auch Demokraten einen Staat stabilisieren und reformieren können. In diesem Fall wird die Ukraine für ihn und seinen autoritären Regierungsstil ein noch gefährlicherer Nachbar.

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Sankt Augustin Deutschland