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Reportajes internacionales

Präsidentschaftswahl in Belarus: Eine Show für das europäische Publikum?

de Stephan Malerius, Niklas Veltkamp
Die erste größere Etappe auf dem Weg zu den vierten Präsidentschaftswahlen in der Republik Belarus ist absolviert. Die Prätendenten auf das Präsidentenamt hatten einen Monat Zeit, um 100.000 Unterstützer-Unterschriften zu sammeln – die Voraussetzung für eine offizielle Registrierung als Präsidentschaftskandidat. Elf Personen haben in der letzten Woche nach eigenen Angaben diese Anzahl an Unterschriften bei den territorialen Wahlkommissionen eingereicht.

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Bemerkenswert ist die in dieser Phase des Vorwahlkampfes überraschend liberale Atmosphäre im Land. Im Vergleich zu den vorangegangenen Wahlen werden nur vereinzelt Repressionen gegen Aktivitäten der Opposition berichtet. Lukaschenko versprach wiederholt „nationale Gesetze und internationale Standards“ bei den Wahlen einhalten zu wollen, dennoch scheint eine Prognose für den weiteren Verlauf des Wahlkampfs gegenwärtig unmöglich.

Die Kandidaten

Bis Mitte September hatten insgesamt 19 Personen ihre Absicht erklärt, bei den Wahlen am 19. Dezember zu kandidieren. 15 nahmen kurz darauf mit der erfolgreichen Registrierung einer Initiativgruppe für die Unterschriftensammlung die erste Hürde. Allerdings hätte vor einem Monat kaum ein Beobachter erwartet, dass tatsächlich elf von ihnen mit Hilfe ihrer Initiativgruppen landesweit die erforderliche Anzahl von 100.000 Unterschriften sammeln würden.

Unerwartet ist außerdem eine neue Stimmung im Land, und zwar nicht nur die Abwesenheit der traditionellen Repressionen vor den Wahlen, die besonders das Frühjahr 2006 sehr negativ geprägt hatten, sondern auch die Tatsache, dass viele Menschen im Land nach 16 Jahren müde von Präsident Lukaschenko zu sein scheinen und sich auch nicht scheuen, dies durch ihre Unterschrift für Oppositionskandidaten zum Ausdruck zu bringen. Immer wieder war in den letzten Wochen der Satz zu hören: „Ich unterschreibe für jeden – Hauptsache es ist nicht Lukaschenko.“

Unter den elf Kandidaten, die erklärten, mehr als 100.000 Unterschriften eingereicht zu haben, befinden sich sieben Kandidaten aus Oppositionsparteien und „politischen Kampagnen“:

  • Grigorij Kostusew (Kandidat der Belarussischen Volksfront)
  • Ales Michalewitsch (Kandidat der „Union für Modernisierung“)
  • Wladimir Nekljajew (Kandidat der Kampagne „Sag die Wahrheit“)
  • Jaroslaw Romantschuk (Kandidat der Vereinigten Bürgerpartei)
  • Witalij Rymaschewskij (Kandidat der Belarussischen Christdemokraten)
  • Andrej Sannikow (Kandidat der Bewegung „Europäisches Belarus“)
  • Nikolai Statkewitsch (Kandidat der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei, „Volkshramada“)
Für Lukaschenko haben laut offiziellen Angaben mehr als 1,1 Millionen Menschen unterschrieben. Allerdings ist es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Wahlgesetz bzw. dem üblichen Einsatz von sog. administrativen Ressourcen gekommen: So haben beispielsweise vielfach staatliche Behörden und Einrichtungen trotz Verbotes für den amtierenden Präsidenten Unterschriften gesammelt.

Es gibt zudem noch drei parteilose Kandidaten, die vorher politisch nicht öffentlich in Erscheinung getreten waren:

  • Wladimir Prowalski
  • Victor Tereschtschenko
  • Dmitri Uss
Insbesondere bei Tereschtschenko wird davon ausgegangen, dass er ein Projekt der Präsidialadministration und eine Art „Backup-Kandidat“ für Lukaschenko sein könnte. Diese Rolle wurde bei den Wahlen 2001 und 2006 von Sergej Gajdukiewitsch gespielt, der als Vorsitzende einer Phantomstruktur, der sog. „Liberal-Demokratischen Partei“, angetreten war, um im Notfall den Schein einer „Wahl“ aufrecht erhalten zu können. Überraschend stieg Gajdukiewitsch dieses Jahr aus dem Rennen aus, nachdem er vorher behauptet hatte, bereits die erforderliche Anzahl an Unterschriften gesammelt zu haben. Alle drei verbleibenden technischen Kandidaten werden aber nach derzeitigen Erwartungen im weiteren Verlauf des Wahlkampfes keine erwähnenswerte Rolle spielen.

In den kommenden zehn Tagen haben nun die Wahlkommissionen der Städte und Kreise die Gültigkeit der eingereichten Unterschriften zu prüfen. Danach werden die Zahlen in den sechs Verwaltungsgebieten und Minsk zusammengefasst und bis zum 13. November die Protokolle mit den genauen Angaben über die Anzahl der Unterschriften für die einzelnen Kandidaten an die Zentrale Wahlkommission übergeben.

Nikolaj Losowik, der Sekretär der Zentralen Wahlkommission, geht davon aus, dass diese Überprüfung sehr viel Arbeit bedeutet: Einige der Kandidaten hätten die „liberale Einstellung“ der Zentralen Wahlkommission zum Prozess der Unterschriftensammlung auf ihre Weise ausgelegt. Nicht unwahrscheinlich sei, dass einige der Initiativgruppen zwecks Überwindung der 100.000er Hürde sich verschiedener Datenbanken zur Auffüllung ihrer Listen bedient hätten. Er gehe davon aus, dass neben Lukaschenko lediglich Nekljajew, Sannikow und Romantschuk eine eindeutig ausreichende Zahl an Unterstützer-Unterschriften eingereicht hätten. Andrej Sannikow stimmt dieser Einschätzung zu und prognostiziert, dass letztendlich maximal drei unabhängige Kandidaten offiziell registriert werden. Mit der Entscheidung der Zentralen Wahlkommission über die Registrierung wird am 19. November gerechnet.

Weiß-Rot-Weiße Fahnen der Opposition wehen in Minsk

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Rahmenbedingungen für den Vorwahlkampf 2010 deutlich entspannter sind als bei den Präsidentschaftswahlen 2006 und 2001. Erstmalig wehten in Minsk wochenlang die historischen weiß-rot-weißen Fahnen, die auch das Symbol der demokratischen Opposition sind. Anders als in den letzten zehn Jahren üblich griffen die Sicherheitskräfte nicht ein. Auch war das Sammeln von Unterschriften außer an symbolträchtigen Orten wie dem Oktoberplatz in Minsk sowie in der Nähe staatlicher Einrichtungen sonst auf allen öffentlichen Straßen und Plätzen erlaubt. Lukaschenko sendet somit vorerst positive Signale an Europa, für das ein demokratischer Verlauf der Wahlen die conditio sine qua non für eine Verbesserung der Beziehungen mit Belarus ist. Andererseits ist jedoch ebenso klar, dass er damit in dieser Phase des Vorwahlkampfes kein Risiko eingeht. Zwar hat Lidia Jermoschina, die Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, bereits angedeutet, dass man auch bei der Zulassung der Kandidaten deutlich kulanter vorgehen werde als bisher. So rechne sogar damit, dass alle Kandidaten, die tatsächlich mehr als 100.000 Unterschriften gesammelt haben, als Kandidaten registriert werden. Doch gibt es noch keine überzeugenden Anzeichen dafür, dass Lukaschenko und sein Umfeld auch nur einen Teil der Kontrolle über den technischen Verlauf der Wahlen abzugeben und demokratische Mechanismen zuzulassen bereit sind.

Ob sich die Opposition in den kommenden Wochen noch auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten wird einigen können, ist weiterhin vollkommen unklar. Zwar betonen die einzelnen Lager immer wieder, im regelmäßigen engen Kontakt zu stehen, aber derzeit scheint kaum einer bereit zu sein, auf seine Kandidatur zu verzichten. Das ist vielleicht das größte Dilemma bei diesen Wahlen: Sehr viele Menschen im Land sind bereit, für eine Alternative zu Lukaschenko zu stimmen, doch genau diese Alternative – auch das unterscheidet die Wahlen 2010 von der Situation 2006 – zeichnet sich unter den existierenden zehn Kandidaten nicht ab. Zumal für sehr viele demokratisch gesinnte Menschen vollkommen unklar ist, wofür die beiden bislang stärksten „unabhängigen“ Kandidaten, Nekljajew und Sannikow, stehen und von wem sie tatsächlich unterstützt werden. Dass sie ehrlich hinter ihren Losungen, „Sag die Wahrheit“ und „Europäisches Belarus“ stehen, glaubt ihnen jedenfalls kaum jemand.

Lukaschenko darf sich also freuen: Er kann weiterhin von einer zerstrittenen Opposition ausgehen, was ihm die Entscheidung, bei der offiziellen Registrierung der Präsidentschaftskandidaten großzügiger vorzugehen als in der Vergangenheit, leichter machen dürfte. Je mehr Kandidaten es gibt, desto einfacher wird es ihm fallen, seine Wiederwahl relativ demokratisch zu inszenieren.

Liberale Atmosphäre vs. Technische Unregelmäßigkeiten?

Insbesondere die internationalen und einheimischen Wahlbeobachter werden in den kommenden Wochen genau beobachten müssen, ob sich die liberale Atmosphäre im Land auch positiv auf den „technischen Verlauf“ der Wahlen auswirken wird. Hier sind die Anzeichen bislang weniger verheißungsvoll: Insbesondere die permanente Medienpräsenz von Lukaschenko, seine regelmäßigen verbalen Ausfälle gegen die Opposition und der massive Einsatz von administrativen und staatlichen Ressourcen bei der Sammlung von Unterschriften für Lukaschenko lassen vermuten, dass tatsächlich nichts dem Zufall überlassen werden soll. Zudem berichtete der christdemokratische Kandidat Witalij Rymaschewskij von politischem Druck gegen Mitglieder seiner Initiativgruppe: So sollen u.a. Sviatlana Chyliankova, Iryna Naumovich, Alexander Daineka, Anastasia Mikhalap und Alexandra Sianava von den örtlichen Behörden aufgefordert worden sein, ihre Unterschrift als Mitglieder der Initiativgruppe von Rymaschewskij zurückzunehmen. Sviatlana Abraunikava, die im Reifenwerk in Babrujsk arbeitet, wurde vom stellvertretenden Direktor zum Gespräch gebeten und ebenfalls aufgefordert, ihre Unterschrift zurückzuziehen: „Was ist Ihnen wichtiger: Ihre zwei Kinder oder Rymaschewskij?“

An der Berichterstattung in den staatlich kontrollierten elektronischen Medien kritisierte Dunja Mijatovic, die Beauftragte für Medienfreiheit der OSZE, in der letzten Woche nach ihrem dreitägigen Besuch in Minsk, es mangele (in der Medienlandschaft) an Pluralismus. Auch sonst sehe sie einen „Mangel an Fortschritten, um die Lage der Medien stärker in Einklang mit den OSZE-Standards zu bringen“.

Der russische Faktor

Obwohl Lukaschenko selbst erklärt hat, er erwarte ein Ergebnis von 70-75% der Wählerstimmen im ersten Wahlgang für sich, rechnen viele Beobachter damit, dass noch etwas Unerwartetes geschehen wird.

Das größte Fragezeichen ist die Auswirkung des vollkommen zerrütteten Verhältnisses zwischen Lukaschenko und dem Kreml auf die Wahl am 19. Dezember: Die Auseinandersetzungen um Ausfuhrzölle für russisches Öl Anfang des Jahres und den Gaspreis bzw. Transitgebühren für russisches Gas im Frühjahr zeigten die verstärkten Versuche Russlands, die Beziehungen zum westlichen Nachbarn auf pragmatisch-wirtschaftliche Grundlagen zu stellen. Lukaschenko wehrte sich vehement gegen den Abbau dieser Subventionen, so dass der Streit im Sommer eskalierte: Von Anfang Juli bis Mitte August wurde im größten russischen Fernsehkanal ein mehrteiliger Dokumentarfilm über Lukaschenko gezeigt, in dem dieser für das Verschwinden von politischen Gegnern verantwortlich gemacht und als Kopf einer kriminellen Vereinigung beschrieben wird, die systematisch das Land plündert. Lukaschenko lud im Gegenzug im Oktober eine Gruppe von Journalisten aus den russischen Regionen nach Minsk und warf auf einer vierstündigen Pressekonferenz hochrangigen russischen Offiziellen vor, eine Schmierenkampagne gegen ihn zu inszenieren, bezeichnete die Politik Russlands gegenüber Belarus als hirnlos und beschrieb seine Beziehung zum Tandem Medwedew/Putin als „gelinde gesagt schlecht“. Medwedew antwortete darauf mit einem geharnischten Video-Blog und ließ seine Sprecherin erklären, eine

Normalisierung des Verhältnisses zu Lukaschenko sei nicht vorstellbar. Damit scheint klar, dass sich Lukaschenko bei den bevorstehenden Wahlen nicht auf eine politische Unterstützung durch den Kreml verlassen kann.

Vor diesem Hintergrund wird darüber spekuliert, ob es in Moskau ein „russisches Szenario“ für die Präsidentschaftswahlen im Nachbarland gibt. Im Einzelnen fragen sich Beobachter, ob die offensichtlich sehr teure Kampagne von Wladimir Nekljajew aus Russland finanziert wird. Woher Andrej Sannikow die finanziellen Mittel für seine Unterschriften-Sammlung hat, für die bei fast allen Kandidaten bezahlt wurde. Ob die GUS-Wahlbeobachtungsmission erstmals konstruktiv mit der OSZE/ODHIR-Mission zusammen arbeiten und möglicherweise sogar zu dem Ergebnis kommen wird, dass die Wahlen in Belarus demokratischen Standards nicht genügen. Verlässlichen Antworten auf diese Fragen gibt es nicht.

Europa beobachtet und wartet ab

Lukaschenko jedenfalls scheint daran interessiert, den Wahlen einen „demokratischen Anstrich“ zu geben. Beobachter sprechen bereits von einer „Show für das europäische Publikum“. Insgesamt finden die Wahlen jedoch in Europa bislang deutlich weniger Beachtung als 2006. Seit der damalige Kandidat Alexander Milinkiewitsch bekannt gegeben hatte, 2010 nicht anzutreten zu wollen, herrscht Ratlosigkeit darüber, welcher der Kandidaten ein geeigneter Ansprechpartner sein könnte. Die meisten Politiker scheinen zunächst die weiteren Entwicklungen im Land abwarten zu wollen, um zu sehen, ob sich das Kandidatenfeld noch weiter strukturiert und wer von den Prätendenten eine glaubwürdige europäische Agenda hat.

Gleichwohl verstärkt Europa seine diplomatischen Aktivitäten in Richtung Belarus. Die litauische Präsidentin Grybauskaitė hat beim ersten Besuch eines litauischen Staatsoberhauptes im südlichen Nachbarland überhaupt Alexander Lukascheno darauf hingewiesen, dass Europa sehr genau auf die Wahlen achten werde. Litauen, das ab Januar den Vorsitz der OSZE übernehmen wird, „ist es sehr wichtig, dass bei den Wahlen die OSZE-Standards eingehalten werden“. In dieser Woche ist der gemeinsame Besuch der Außenminister Polens und Deutschlands, Sikorski und Westerwelle, in Minsk angekündigt, vor allem aber wird am 04.11. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla zum zweiten Mal nach 2006 das jährliche Minsk-Forum eröffnen.

Unumstritten ist, dass die Präsidentschaftswahlen wegweisend auch für außenpolitische Ausrichtung von Belarus sein werden. Der Präsident des Europäischen Parlamentes, Jerzy Buzek, hat bereits Ende September in Brüssel seine Erwartungen an die Abstimmung am 19. Dezember geäußert. Es handle sich um eine entscheidende Wahl, die die zukünftigen Beziehungen zwischen Belarus und der EU bestimmen werde. An Lukaschenko gerichtet sagte er: Demokratie ist „kein inszeniertes Spiel mit Regisseur und Schauspieler nach einem Skript“, sondern der Ausdruck und die Umsetzung des „freien und unabhängigen Willen des Volkes“. Ob Lukaschenko dieses Demokratieverständnis teilen kann, wird man Ende des Jahres sehen.

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