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Reportajes internacionales

Unklarer Wahlausgang

de Dr. Alexander Brakel

Neuwahlen in Israel enden in Pattsituation

Es hat nicht gereicht. Trotz aller Anstrengungen hat Premierminister Benjamin Netanjahu sein Ziel verfehlt, eine Mehrheit aus rechten und ultraorthodoxen Parteien in der Knesset zu bekommen. Damit zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab.

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Der Bruch des rechten Blocks

Im vergangenen November hatte die Partei Israel Bejtenu (Unser Haus Israel) des ehemaligen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman die Regierungskoaliton und damit den traditionellen Rechtsblock aus Streit um die Befreiung der Ultraorthodoxen von der Wehrpflicht verlassen. An derselben Frage hatte er die Regierungsbildung nach der Knessetwahl im April 2019 scheitern lassen. Damit waren die gestrigen Neuwahlen notwendig geworden. Deren Ergebnis unterschied sich nicht wesentlich von dem vorangegangenen: Die beiden Hauptrivalen, Netanjahus Likud und das Wahlbündnis Blau-Weiß unter Vorsitz des früheren Generalstabschefs Benni Gantz liegen ungefähr gleichauf, weder das Mitte-Links, noch das rechte Lager haben eine Mehrheit ohne Lieberman. Mit Lieberman und seiner Partei wiederum hätte das rechte Lager eine solide Mehrheit von 65 der insgesamt 120 Knessetsitze. Das entspricht dem Langfristtrend, demzufolge sich seit dem Ende der Zweiten Intifada stabil rund 55 Prozent der israelischen Bevölkerung als politisch rechts bezeichnen. Die Veränderung der politischen Situation wurde folglich nicht an den Wahlurnen herbeigeführt, sondern durch Liebermans Entscheidung, seinen traditionellen Bündnispartnern den Rücken zu kehren.

Netanjahus Walkampfstrategie war folgerichtig darauf ausgerichtet, eine rechte Mehrheit von mindestens 61 Mandaten zu erlangen, ohne auf die Unterstützung Liebermans Israel Bejtenu angewiesen zu sein. Dabei ging es um mehr als um sein politisches Amt: Dem in drei schweren Fällen unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungschef droht die Anklage. Im Falle einer Verurteilung müsste er mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe rechnen. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass Netanjahu versuchen wollte, sich mit einer Regierungsmehrheit nach den Wahlen Straffreiheit zu sichern. Eine entsprechende gesetzliche Regelung wäre jedoch wahrscheinlich nur in einer Rechtsregierung möglich.

Schmutziger Wahlkampf

Zum Erreichen der gewünschten Mehrheit führte Netanjahu eine Kampagne, die alle seine bisherigen von Populismus und Rassismus geprägten Wahlkämpfe in den Schatten stellte. Hauptobjekt seiner Hetze waren wie bereits 2015 und im Frühjahr 2019 die arabischen Staatsbürger Israels, denen er auf Facebook offen unterstellte, die Vernichtung des Staates zu betreiben. (Facebook sperrte seinen Account daraufhin für 24 Stunden.) Bereits im April hatte der Likud am Wahltag illegaler Weise Kameras in überwiegend von israelischen Arabern frequentierten Wahllokalen installiert, um angeblichen Wahlbetrug zu dokumentieren, de facto jedoch wahrscheinlich, um die Wahlberechtigten einzuschüchtern und von der Stimmabgabe abzuhalten. Obwohl es keinerlei Anhaltspunkte dafür gab, behauptete Netanjahu nach der Wahl, es sei in den arabisch dominierten Wahlkreisen zu massivem Wahlbetrug gekommen und auch die kommenden Wahlen drohten „gestohlen“ zu werden. Ein deshalb eingebrachtes Gesetz zur flächendeckenden Installation von Kameras in den Wahlbüros scheiterte jedoch in der Knesset. Neben der Hetze gegen die israelischen Araber und seine politischen Gegner, denen er allesamt unterstellte, links und bereit zu sein, mit den angeblich israelfeindlichen arabischen Parteien koalieren zu wollen, setzte Netanjahu vor allem auf die Konsolidierung im rechten Lager. Um jeden Preis wollte er vermeiden, dass rechts des politischen Spektrums Stimmen verloren gingen, weil kleinere Parteien an der 3,25%-Sperrklausel scheiterten. Das unter seiner Vermittlung vor der Wahl im April geschlossene Wahlbündnis der nationalreligiösen Siedlerpartei HaBejt HaJehudi (Jüdisches Heim) mit der rechtsradikalen Otzma Jehudit (Jüdische Stärke) zerfiel schnell wieder. Dafür schloss sich das Jüdische Heim mit der neugegründeten Rechtspartei ihrer früheren Vorsitzenden Naftali Bennett und Ayelet Shaked zum Bündnis Jamina (Nach rechts) zusammen. Otzma Jehudit verpasste den Einzug in die Knesset. Einen weiteren Vertreter des rechten Spektrums, den national-libertären Moshe Feiglin und seine Partei Zehut konnte Netanjahu von der Beteiligung an der Wahl abhalten, indem er Feiglin einen Kabinettsposten nach erfolgreicher Regierungsbildung anbot.

Aufsehen erregte der Premierminister zudem mit seinen Ankündigungen im Wahlkampf zur Annexion des Jordantals und sämtlicher Siedlungen im Westjordanland. Die Forderung, die von Israel seit 1967 besetzten Gebiete dem israelischen Staatsgebiet zuzuschlagen, war auf rechter Seite schon lange erhoben worden, und entspricht auch der Mehrheitsmeinung in Netanjahus Likud. Auch wenn der Regierungschef wiederholt erklärt hatte, keine Gründung eines palästinensischen Staates zuzulassen, hatte er sich den Annexionsforderungen bisher verweigert. Offensichtlich wollte er damit den mit dem endgültigen Abschied von einer Zwei-Staaten-Lösung einhergehenden diplomatischen Schaden für Israel zu vermeiden. Erst unter dem Eindruck, politisch mit dem Rücken zur Wand zu stehen, hatte Netanjahu seine Haltung geändert. Bereits im Frühjahr hatte er baldige Annexionen in Aussicht gestellt, mit der geographischen Konkretisierung ging er nun einen ganzen Schritt weiter. Das Jordantal macht 30 Prozent des Westjordanlandes aus. Nach seiner Annexion wäre die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates endgültig unmöglich.

Zwar wäre es nicht das erste Wahlversprechen, das Netanjahu bräche, allerdings hat er seine eigene Position durch diese weitgehenden Aussagen geschwächt.

Kraftlose Opposition

Hinzukommt, dass auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums wenig Widerstand gegen ein Ende der Zwei-Staaten-Pläne aufkommt. Für keine Partei außer der Gemeinsamen Liste, dem Zusammenschluss der arabischen Parteien, spielten Besatzung und eine mögliche Wiederaufnahme des Friedensprozesses eine entscheidende Rolle im Wahlkampf. Auf der Linken, die in den Augen vieler Israelis für das Scheitern von Oslo und den Ausbruch der Zweiten Intifada mitverantwortlich ist, wurden vor allem soziale Themen in den Vordergrund gerückt. Den stetigen Abstieg konnte dies nicht stoppen. Die Arbeiterpartei, die in den ersten dreißig Jahren nach der Staatsgründung Israels durchgehend den Premierminister gestellt hatte, erreichte gerade einmal sechs Mandate. Die links-liberale Meretz-Partei kam nur auf fünf. Das Wahlbündnis mit dem ehemaligen Premierminister Ehud Barak sorgte zwar bei seiner Bekanntgabe für großes Aufsehen, verpuffte in seiner Wirkung aber schnell.

Eigentlicher Gegner des Likuds war wie schon im Frühjahr Benni Gantz und sein Wahlbündnis Blau-Weiß. Gantz, der erst im Januar dieses Jahres seine politische Karriere begonnen hat, bemühte sich in diesem Wahlkampf noch stärker als im letzten, sich als besserer Likud zu präsentieren. Er prangerte Netanjahus Korruption und seine Angriffe auf die demokratischen Fundamente des Staates an, folgte ihm aber inhaltlich in weiten Teilen. Zwar sprach er sich für eine Änderung des umstrittenen Nationalstaatsgesetzes zugunsten der Drusen aus, gegen die Äußerung Netanjahus (im letzten Wahlkampf im Frühjahr), Israel sei nicht Staat all seiner Bürger, sondern nur der jüdischen, hatte er jedoch keinen Protest erhoben. Vielmehr unterstrich damals sein Stellvertreter, Yair Lapid, diese Aussage. Seine generelle Offenheit für Friedensgespräche mit den Palästinensern verband Gantz mit den Forderungen nach einem Verbleib des Jordantals, der großen Siedlungsblöcke und des ungeteilten Jerusalems bei Israel. Auch einer Räumung von Siedlungen erteilte er bislang eine Absage. Selbst für eine kompromissbereite palästinensische Regierung sind diese Forderungen unannehmbar. Sie könnten deshalb auch als de facto Absage Gantz‘ an die Wiederauflage des Friedensprozesses interpretiert werden.

Schwierige Regierungsbildung

Es sind demnach auch weniger inhaltliche, sondern machtpolitische Überlegungen, die der Bildung einer Regierung aus Likud und Blau-Weiß im Wege stehen. Bis jetzt ist unklar, ob beide Parteien nach Auszählung aller Stimmen die gleiche Anzahl Mandate erreichen werden, oder ob eine von beiden einen knappen Vorsprung erringt. In jedem Fall erheben beide Parteivorsitzende den Anspruch auf das Amt des Premierministers. Gantz hat zudem wiederholt erklärt, keine Regierung unter erneuter Führung Netanjahus mittragen zu wollen. Bisher wiederum zeigt sich im Likud, der traditionell loyal zu seinen Frontleuten steht, kein Widerstand gegen Netanjahu. Ob sich dies ändert, eventuell unter dem Eindruck einer Anklageerhebung, bleibt abzuwarten.

Für eine Mehrheit ohne den Likud bräuchte Benni Gantz sowohl Israel Bejtenu als auch die arabischen Parteien. Selbst wenn er entgegen seiner Aussage im Wahlkampf, keine Koalition mit letzteren eingehen zu wollen, doch dazu bereit wäre, erscheint es mehr als zweifelhaft, dass der für seine extremen Vorbehalte gegen Araber bekannte Lieberman ein solches Bündnis mittragen würde.

Netanjahu dagegen, dem nach aktuellem Stand nur vier Mandate zur Mehrheit fehlen, hat mehr Optionen. Bereits wenige Stunden nach den ersten Hochrechnungen hat er die Arbeiterpartei zur Zusammenarbeit mit seinem Rechtsblock eingeladen. Alternativ könnte er versuchen, einzelne Abgeordnete durch großzügige Versprechen aus ihren Parteien „herauszukaufen“.

Am wahrscheinlichsten bleibt jedoch eine Große Koalition. Sollten all diese Versuche scheitern, könnten die Israelis in wenigen Monaten zum dritten Mal innerhalb eines Jahres zu den Urnen gerufen werden.

Lesen Sie hierzu auch das kas.de-Interview mit Dr. Alexander Brakel, Leiter des Jerusalem-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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