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Auslandsinformationen

Editorial der Ausgabe: „America First, die Zweite“

Die US-Wahlen von 2024 haben die sicherheitspolitische Debatte in Europa nachhaltig verändert. Ein Jahr später zeigt sich: Trumps Außenpolitik bleibt schwer kalkulierbar und ist häufig transaktional sowie unilateral ausgerichtet. In dieser Ausgabe beleuchten wir die Reaktionen verschiedener Staaten – von Kanada und Mexiko über Israel und die Golf-Staaten bis nach Vietnam. Welche Muster lassen sich erkennen, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Deutschland und Europa?

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Liebe Leserinnen und Leser,

die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten werden vom deutschen und europäischen Publikum seit Jahrzehnten mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Sympathien und Abneigungen richteten sich häufig danach, welcher Kandidat den eigenen gesellschaftspolitischen und ideellen Präferenzen eher entsprach. Die Wahl im November 2024 aber war anders: Sie war die erste nach Russlands Überfall auf die Gesamtukraine, der uns Europäern die existenzielle Bedeutung der NATO-Sicherheitsgarantien und damit des Engagements der USA in Europa wieder klar vor Augen geführt hatte. Die bittere Erkenntnis: Die Wähler jenseits des Atlantiks entscheiden auch über unsere Sicherheit.

Ein gutes Jahr ist seit der Wahl vergangen und es mangelt hierzulande nicht an Analysen und Bewertungen der Außenpolitik des seit Januar erneut regierenden Präsidenten Donald Trump. „Isolationistisch“, „personalistisch“, „transaktional“, „unilateral“, „erratisch“ – all das sind Attribute, die in diesem Zusammenhang immer wieder die Runde machen. Der Fokus des Interesses liegt dabei verständlicherweise auf dem transatlantischen Verhältnis und der Frage, ob wir uns auf die Vereinigten Staaten als Wertepartner und Garanten unserer Sicherheit, insbesondere vor Moskau, noch verlassen können.

In dieser Ausgabe der Auslandsinformationen wollen wir den Blick auf andere Regionen ausweiten, stellen dabei aber bewusst Akteure in den Mittelpunkt, die sich – ähnlich wie Deutschland und Europa – als Verbündete der USA verstehen beziehungsweise aufgrund wirtschaftlich-finanzieller oder sicherheitspolitischer Abhängigkeiten ein besonderes Interesse an guten Beziehungen zu Washington haben. Wir schauen auf Kanada und Mexiko, die beiden unmittelbaren geografischen Nachbarn der USA, auf Israel und die Golf-Staaten, genau wie auf Taiwan und Vietnam – aber auch auf die afrikanischen Staaten und mögliche Folgen einer neuen US-Handelspolitik sowie auf die Weltgesundheitsorganisation, die nun ohne US-Zahlungen auskommen muss. Wie waren all diese Akteure von der Politik der neuen Trump-Regierung betroffen? Wie haben sie sich darauf eingestellt? Lassen sich bestimmte Muster erkennen und Schlussfolgerungen für uns in Deutschland und Europa ziehen?

Die Artikel zeichnen – jeder für sich, aber auch in der Gesamtschau – ein meist differenziertes und teils auch widersprüchliches Bild, das nicht recht zu den oft sehr pauschalen Einschätzungen passt, die die hiesige Debatte prägen. Schon die Ausgangslage war in den hier betrachteten Fällen durchaus unterschiedlich. Mexiko verband aufgrund der Erfahrungen aus Trumps erster Amtszeit mit seiner Rückkehr ins Weiße Haus eher Befürchtungen. Ähnlich ging es Kanada, das durch Wahlkampf­aussagen Trumps (Kanada als „51. Bundesstaat“ der USA) aufgeschreckt war, wie Bernd Althusmann in seinem Beitrag zeigt. Israel und die Golf-Staaten dagegen hatten schon vor Trumps erneuter Wahl große Hoffnungen in ihn gesetzt. Beide Erwartungen haben sich nur bedingt erfüllt. Während in Ottawa und Mexiko-Stadt nach einem knappen Jahr Trump trotz einiger Reibungen der Eindruck vorherrscht, dass es deutlich schlimmer hätte kommen können, müssen die Entscheidungsträger in Israel und am Golf konstatieren, dass Donald Trump jedenfalls nicht der uneingeschränkte Verbündete ist, den manche von ihnen vor der Wahl in ihm sehen wollten. Aus Sicht der internationalen Gesundheitsinstitutionen wiederum ist es, wie Andrea Ostheimer in ihrem Artikel darlegt, wohl noch schlimmer gekommen als ohnehin befürchtet.

Auch die Eigenschaften, mit denen Trumps Außenpolitik oft beschrieben wird, erweisen sich vor dem Hintergrund der hier betrachteten Beispiele nicht in allen Fällen als zutreffend. „Isolationistisch“ beispielsweise ist die derzeitige US-Außenpolitik keineswegs durchgängig, wie insbesondere die Entwicklungen in Nahost verdeutlichen, wo die Trump-Administration beträchtliche diplomatische Ressourcen eingesetzt hat, um unter Einbeziehung der relevanten regionalen player zu einer Friedenslösung für den Gazastreifen zu kommen und jedenfalls anerkennenswerte Zwischenerfolge vorzuweisen hat – und wo dieselbe Regierung, im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen, sogar zu militärischen Schlägen gegen das iranische Atomprogramm bereit war.

Die Region Nahost zeigt zudem, dass das persönliche Element in Trumps Außenpolitik zwar eine überdurchschnittlich große Rolle spielen mag, jedoch nicht allein entscheidend ist. Israels Premier Netanjahu umschmeichelte den US-Präsidenten genauso wie die Golf-Monarchen – Letztere mit großzügigen Geschenken und Wirtschaftsdeals teils bis an den Rand der Korruption. Dies brachte zunächst auch Bilder der öffentlich zelebrierten Eintracht hervor. Bedingungslose Unterstützung aber konnte keine dieser Parteien dadurch gewinnen. Die USA konnten Israels Luftschläge in Katar nicht verhindern, was das Sicherheitsgefühl am Golf nachhaltig erschütterte, wie Philipp Dienstbier in seinem Beitrag herausstellt. Auf der anderen Seite, so Michael Rimmel in seinem Artikel, nötigte der „größte Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte“, Benjamin Netanjahu ebendort vor laufenden Kameras zu einem Entschuldigungstelefonat mit dem katarischen Regierungschef.

Eine gemeinsame Erfahrung der in diesem Heft betrachteten Akteure ist, dass die neue US-Außen­politik tatsächlich vor allem transaktional und unilateral geprägt ist. Unter Trump richten die Vereinigten Staaten ihre Außenpolitik kaum noch entlang von Werten, Institutionen oder Allianzen aus, sondern betrachten die jeweiligen Beziehungen sehr nüchtern als interessengeleitetes Geben und Nehmen – gern auch quer über die verschiedensten Politikfelder hinweg. Einige Länder haben sich hierauf eingestellt, besinnen sich auf das, was sie Trump geben können, und sind damit in manchen Fällen nicht schlecht gefahren. So analysiert Maximilian Strobel in seinem Beitrag, wie Mexiko demonstrativ mit dem eigenen Militär gegen illegale Migration nach Norden vorgeht, um die schlimmsten Zolldrohungen aus Washington abzuwenden. Am Ende aber scheinen weder gute persönliche Beziehungen noch die besten Deals sicher vor bösen Überraschungen zu schützen. Ob dies Ausdruck einer „erratischen“ Politik ist oder Teil einer Strategie, ist letztlich Spekulation. In jedem Fall bleibt Trumps Außenpolitik für Gegner und Verbündete der USA schwer vorhersehbar. Das gilt nicht zuletzt für uns Europäer angesichts der äußerst widersprüchlichen Signale, die bezüglich einer weiteren Unterstützung der Ukraine und der Abschreckung Russlands aus Washington kommen.

Was für Deutschland und Europa hieraus folgen sollte, ist ein außenpolitischer Dreiklang. Erstens sollten alle Bemühungen unternommen werden, weiterhin ein gutes, auch persönliches, Verhältnis zu den Vereinigten Staaten und ihrem derzeitigen Präsidenten zu entwickeln beziehungsweise zu erhalten. Auch wenn dies keine Gewähr bietet, sind – so banal das klingt – gute persönliche Beziehungen zu Trump in jedem Fall besser als schlechte.

Zweitens müssen wir uns auf den transaktionalen Stil der aktuellen US-Regierung einlassen. Wenn für die USA unter Trump auch die transatlantischen Beziehungen hauptsächlich Geben und Nehmen bedeuten, sollte Europa möglichst viel in die Waagschale zu werfen haben. Dies können wir erreichen, indem wir unsere wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und militärische Verteidigungsfähigkeit so schnell und so deutlich wie möglich stärken. Dass wir nicht auf dieselbe Weise agieren können und wollen wie die Golf-Staaten und Vietnam, die teilweise auf Trump und seine Familie persönlich zugeschnittene Wirtschaftsdeals anbieten, liegt auf der Hand. Handeln aber müssen wir, denn der transaktionale Ansatz der US-Regierung gilt auch dort, wo es um sicherheitspolitische Stabilität und wirtschaftliche Integration geht, wie gerade auch in Asien deutlich wird: Taiwan erlebt, so Marcin Jerzewski in seinem Artikel, wie Washington sicherheitspolitische Zusagen zunehmend an Eigenleistungen koppelt. Vietnam wiederum versucht mit pragmatischer Diplomatie, zwischen amerikanischen Erwartungen und chinesischem Einfluss zu navigieren, wie Lewe Paul in seinem Beitrag zeigt.

Drittens sind wir gut beraten, unsere wirtschaftlichen wie politischen Diversifizierungsbemühungen konsequent weiterzuverfolgen, um die Abhängigkeiten von den USA zumindest zu reduzieren. Anja Berretta, Chantelle Moyo und Jule Steinmann unterstreichen in ihrem Artikel, dass viele afrikanische Staaten angesichts der Unsicherheiten im Verhältnis zu Washington ihren Blick nach Peking richten. Dies ist für Europa keine Option. Es gibt aber von Lateinamerika über Afrika und den Nahen Osten bis nach Asien genug Staaten, die unser Interesse an einer stabilen und regelbasierten Weltordnung teilen und mit denen wir unsere Zusammenarbeit stärken sollten. Wenn es sich dabei um Demokratien wie Brasilien, Indien und Japan handelt, umso besser. Doch auch mit Ländern, die nicht unseren demokratischen Vorstellungen entsprechen, muss ein Interessensabgleich möglich sein.

Wir werden auch 2028 wieder gespannt über den Atlantik schauen, wenn der nächste US-Präsident gewählt wird, denn auf absehbare Zeit werden wir ohne die Vereinigten Staaten als Sicherheitspartner nicht auskommen. Auf jedes denkbare Ergebnis zumindest besser vorbereitet zu sein als beim letzten Mal, sollte in den kommenden Jahren aber weit oben auf unserer Prioritätenliste stehen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

Ihr

Dr. Gerhard Wahlers ist Herausgeber der Auslandsinformationen (Ai), stellvertretender Generalsekretär und Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung (gerhard.wahlers@kas.de).

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