Unbestritten bedeutet der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine Zäsur in der internationalen Sicherheitsarchitektur. Die Erwartungen an Deutschland sind vor diesem Hintergrund weiter enorm gestiegen. Und auch die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende der deutschen Außenpolitik gewinnt damit weiterhin an Bedeutung. Das wurde nun auch in dem jüngsten Kolloquium des Promotionskollegs „Sicherheit und Entwicklung im 21. Jahrhundert“ deutlich. Moderiert von Prof. Dr. Beate Neuss, Leiterin des Kollegs und stellvertretende Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, diskutierten die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit Prof. Dr. Christoph Heusgen. Als langjähriger Sicherheitsberater von Angela Merkel sowie als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz konnte er tiefe Einblicke in die aktuelle Situation der internationalen Sicherheitsarchitektur geben.
Deutschland genießt als weltweit zweitstärkstes Geberland von Entwicklungshilfe, als viertgrößte Volkswirtschaft und als Stabilitätsanker in der Europäischen Union ein überdurchschnittliches Ansehen. Gleichzeitig sind die Erwartungen vieler Teile der Welt an Deutschland aus genau diesen Gründen hoch. Dabei muss sich Deutschland darauf einstellen, Momente der Übereinstimmung mit den USA zu nutzen, ohne sie vorauszusetzen, weil sie langfristig auf der Weltbühne weniger aktiv sein werden als derzeit. In dieser sich weiter aufspaltenden Weltordnung könne nur das internationale Recht Orientierung und Verlässlichkeit für alle Beteiligten bieten, so der Tenor Heusgens. Internationales Recht sei nicht einfach westliches Recht, sondern ein elementares Fundament der regelbasierten internationalen Ordnung. Immer wieder treten potenzielle Partner in aller Welt an Deutschland heran, die seine Verlässlichkeit zu schätzen wüssten, nicht zuletzt in Afrika und aus Südostasien, wo Chinas Investitionen zunehmend auf Skepsis und Verhaltenheit stießen. Somit sollte sich Deutschland auch allgemein für die Stärkung der regelbasierten Weltordnung einsetzen und dabei nicht nur in der europäischen Ost-West-Kategorie denken. Es gelte, nach China und USA, aber auch nach Afrika, Südostasien oder Südamerika zu blicken. Es sei aber auch klar, dass Russland bis zum Ende der Putin-Diktatur nicht mehr in den Kreis der zivilisierten Nationen zurückkehren könne.
Die Vereinten Nationen und das multilaterale System sind zwar so angeschlagen wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr, so die Analyse. Dennoch seien sie, im Gegensatz zu Formaten wie den G7 oder den G20, rechtlich legitimiert und stellen somit einen unverzichtbaren Grundpfeiler zur Lösung gegenseitiger Interessenkonflikte dar. Neben globalen Konflikten sind die Vereinten Nationen immer noch das durchsetzungskräftigste Forum für weitere globale Herausforderungen. Zum Beispiel kann der Klimawandel nur durch multilaterale Abkommen, wie das COP20, überhaupt gelöst werden. Dies klang auch in den Beiträgen der Kollegiaten an, welche die aufgeworfenen Fragestellungen in vielfachen Kontexten wie zum Beispiel im Zusammenhang mit Iran, Libyen, Mali und Tadschikistan beleuchteten. Aber auch innenpolitisch müsse sich die Debatte ändern, eingerostete Strukturen überholt und die weit verbreitete Denkweise in Ost-West abgelöst werden. Konkret schlug Heusgen die Schaffung eines nationalen Sicherheitsrates vor, in dem alle Kompetenzen Deutschlands, die auswärtigen Angelegenheiten betreffend, gebündelt werden sollten.
Vor diesem spannenden Hintergrund diente der weitere Fortlauf der Tagung der Vorbereitung der im Juni anstehenden Kosovo-Reise des Kollegs. Hierzu waren gleich drei Referentinnen und Referenten der Stiftung und der Bundeswehr eingeladen. Wenngleich die Situation Kosovos nicht als Blaupause für den aktuellen Konflikt in der Ukraine herhalten kann, so zeigte das Beispiel dennoch eindrücklich, welche Rolle Deutschland in einer geopolitisch veränderten Weltordnung einnimmt und vor allem, welche Erwartungen an die Bundesrepublik herangetragen werden.
Gemeinsam stellte das Kolleg übergreifenden Trends heraus, insbesondere anhand des Beispiels Kosovo. Trotz der herausragenden Beliebtheit der USA drängt die kosovarische Gesellschaft nach Europa, vor allem in Form eines Beitritts zur NATO und zur EU. Dieses Momentum gelte es zu nutzen und weiter zu vertiefen, vor allem im Hinblick auf die Einflussnahme nicht-westlicher Akteure. Das ist vor allem Russland mit seinen Desinformationskampagnen und China mit seinen Infrastrukturprojekten. Auch die Türkei und Saudi-Arabien versuchen sich über den Bau von Moscheen und die Ausbildung von Imamen kulturellen Einfluss zu verschaffen, allerdings mit durchwachsenem Erfolg. Einigkeit herrschte während des Kolloquiums darüber, dass diese Gemengelage im Kosovo exemplarisch sei für die Entwicklungen in vielen Regionen der Welt. Und nur mit beherztem Engagement Deutschlands könne hier das nötige Gegengewicht erzeugt werden, das auf Seiten des globalen Multilateralismus gebraucht werde. Die deutschen Stiftungen wie die KAS mit ihren weltweiten Vertretungen würden bei der Bewältigung solcher globalen Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen, erklärte Dr. Heusgen.
Vorstellung der Dissertationsprojekte
Wie üblich bei den Kollegstreffen diskutierten die Promovenden verschiedene Dissertationsprojekte. Im Fokus stand diesmal das Vorhaben von David Bitterling, der die Sprachpraxis der Luftwaffe untersucht und darüber forscht, wie die Angriffe durch Narrativerzählungen legitimiert werden. Ebenfalls wurden die Fortschritte von Linus Terhorst und seiner Untersuchung der deutschen Rüstungspolitik besprochen und die neuen Erkenntnisse von Katharina Potinius bezüglich der strategischen Migrationsdiplomatie. Matthias Distelkamp steht kurz vor Abschluss seiner Dissertation über die spanische Transition und hat die finalen Erkenntnisse seiner Untersuchungen präsentiert.
Ein Text von der Kollegiatin Eva Ziegler und dem Kollegiaten Jon Dannemann
Über diese Reihe
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