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Reportajes internacionales

Mexiko vor der Wahl

Fußball statt Politik?

Knapp zwei Wochen vor der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Mexiko liegt der MORENA-Kandidat Andres Manuel Lopez Obrador in allen Umfragen relativ klar vor dem zweitplatzierten Ricardo Anaya (PAN-PRD-MC), der wiederum deutlich vor dem drittplatzierten PRI-Kandidaten Jose Antonio Meade liegt. Das Rennen scheint gelaufen, aber in Mexiko hat es diesbezüglich schon hinreichend Überraschungen geben. Nach dem 1:0-Sieg der mexikanischen Fußballnationalmannschaft gegen Deutschland bei der WM in Russland ist aber ohnehin die Politik vorerst in den Hintergrund gerückt.

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Mexikanische Fußball-Fans | © Celso FLORES / Flickr / CC BY 2.0 © Celso FLORES / Flickr / CC BY 2.0
Mexikanische Fußball-Fans | © Celso FLORES / Flickr / CC BY 2.0

Die fußballbegeisterten Mexikaner feiern ihre Mannschaft, wen kümmert es da noch wer Präsident wird?

Wahlen auf allen Ebenen

Am 1. Juli 2018 werden in Mexiko 3.406 Ämter neu gewählt, aufgerufen sind dazu 89,3 Mio. mexikanische Wahlberechtige im In- und Ausland.

Auf nationaler Ebene werden neben dem Präsidenten der gesamte Kongress, also sämtliche 128 Senatoren und 500 Abgeordnete, in einem gemischten System aus relativer und proportionaler Mehrheit gewählt.

Hinzu kommen auf regionaler und lokaler Ebene 8 der 32 Gouverneure (Guanajuato, Veracruz, Tabasco, Yucatan, Chiapas, Puebla, Morelos und Jalisco), der Regierungschef von Mexiko-Stadt, 1.596 (von 2.446) Bürgermeister in 24 Bundesstaaten, sämtliche 16 Bürgermeisterämter in der Hauptstadt Ciudad de Mexico sowie 972 (von 1.125) regionale und lokale Abgeordnete in 24 Bundestaaten plus 185 weitere Funktionsträger.

Neben dieser schieren Masse an Kandidaten und Funktionen ist noch hervorzuheben, dass die drei Spitzenkandidaten für das Präsidentschaftsamt jeweils in einer mehr oder weniger breiten Koalition antreten: Lopez Obrador für MORENA, PT und PES (Movimiento Regeneración Nacional, Partido del Trabajo und Partido Encuentro Social), Ricardo Anaya für PAN (Partido Acción Nacional), PRD (Partido de la Revolución Democrática) und Movimiento Ciudadano sowie Jose Antonio Meade für PRI, PANAL und PVEM (Partido Revolucionario Institucional, Partido Nueva Alianza und Partido Verde Ecologista de México).

Lediglich der verbleibende (und aussichtslose) vierte Kandidat Jaime Rodriguez „El Bronco“ tritt als einziger Parteiunabhängiger an.

Präsidentschaftswahlkampf im Mittelpunkt

Jenseits der wichtigen und spannenden Entscheidungen auf regionaler (siehe weiter hinten) und lokaler Ebene steht der (personalisierte) Präsidentschaftswahlkampf im Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Interesses.

Den Mexikanern bietet sich hier wahrlich ein interessantes Kontrastprogramm: Zwischen dem 66-jährigen Andres Manuel Lopez Obrador oder AMLO, der zwar bereits zum dritten Mal antritt, sich aber geschickt als „newcomer“ inszeniert und bewusst auf Kontrast zu den traditionellen Parteien setzt, und dem 39-jährigen PAN-Kandidaten Ricardo Anaya könnten die Unterschiede kaum größer sein. Während AMLO an nationalistische Gefühle und eine eher an der Vergangenheit orientierte Vision appelliert, setzt Anaya auf Zukunftsthemen und ein modernes Mexiko.

Dazwischen ist der 49-jährige Jose Antonio Meade sowohl was Alter als auch inhaltliche Positionen angeht anzusiedeln, dem aber seine Nähe zur PRI wie ein Mühlstein um den Hals hängt, obwohl er kein formelles Parteimitglied ist und unter Präsident Calderón (PAN) Energie- und Wirtschaftsminister war.

Der unabhängige Kandidat Jaime Rodriguez galt von vorneherein als Nebenerscheinung. Interessanter schien bis zu ihrem Rücktritt Margarita Zavala, die Ehefrau des ehemaligen PAN-Staatspräsidenten Felipe Calderon, die im Streit mit Ricardo Anaya um die PAN-Kandidatur im Vorfeld des Wahlkampfes aus der PAN austrat, um ebenfalls als unabhängige Kandidatin anzutreten. Bei stetig sinkenden Umfragewerten und nach einem mäßigen ersten TV-Duell trat sie jedoch am 16. Mai d.J. zurück.

Wahlkampf mit wichtigen Themen aber überwiegend vagen Lösungsvorstellungen

Die inzwischen absolvierten drei TV-Duelle haben diese Unterschiede akzentuiert. Allerdings blieben diese Debatten , die alle wichtigen Themen in den Bereichen Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die zentralen mexikanischen Problembereiche Korruption und innere Sicherheit abdeckten, eher wegen der jeweiligen Attacken und Vorwürfe der Kandidaten gegeneinander als wegen inhaltlicher Tiefe oder konkreter Politikvorstellungen in Erinnerung. Fairerweise muss allerdings auch angemerkt werden, dass die angebotenen Formate mit relativ kurzen Interventionen und die notwenige Profilierung vor allem der zweit- und drittplatzierten Kandidaten (Anaya und Meade) eher zu einer Konfrontation mit AMLO denn zu einer signifikanten inhaltlichen Auseinandersetzung einluden.

Jenseits der sehr unterschiedlichen Bewertungen über „Sieger“ und „Verlierer“ dieser TV-Debatten hat sich gezeigt, dass insbesondere beim dritten Duell, welches Anaya objektiv betrachtet klar dominierte, die Wahlpräferenzen schon so verhärtet waren, dass sich dies auch in der Bewertung dieses TV-Duells niederschlug. In einer telefonischen Blitzumfrage unmittelbar nach der Sendung sahen die Befragten AMLO knapp vorn.

Dies ist umso bemerkenswerter als AMLO bei allen drei, aber insbesondere bei diesem dritten Duell jegliche inhaltliche Präzision vermissen ließ und auch bei einigen Themen offensichtlich überfordert war. Das hat ihm aber in den Umfragen alles andere als geschadet. Seine regelrecht romantischen Vorschläge, dem Problem der Gewalt mit „Friede und Liebe“ zu begegnen oder sein Regierungskonzept auf den Standardsatz „con honestidad y combatiendo la corrupcion“ („mit Ehrlichkeit und Bekämpfung der Korruption“) zu reduzieren, sind nette Floskeln ohne Inhalt. Seine „Fangemeinde“ steht allerdings zu ihm, der Verdruss mit den traditionellen Parteien sitzt offenbar so tief, dass sein simples Konzept („ich bin anders“, „PRI und PAN haben versagt“, „ich bin die Antwort“) aufzugehen scheint.

Ricardo Anaya hat sich als versierter und argumentativ starker Kandidat in den Debatten bewährt. Allerdings hat er sich dabei auch zu einigen verbalen Scharmützeln v.a. mit AMLO verleiten lassen, die ihm nicht notwendigerweise genutzt haben. Hinzu kamen während der Kampagne immer wieder heftige mediale Attacken mit (unbewiesenen) Vorwürfen der Geldwäsche und Vorteilsnahme, die ihn wertvolle Zeit und Energie im Verteidigungsmodus kosteten.

Jose Antonio Meade hat sich vom ersten bis zum letzten TV-Duell klar gesteigert und eine argumentativ mehr als solide Performance gezeigt. Allerdings musste er sich ständig Fragen und Kritik an der aktuellen Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto stellen, dessen Negativwerte auch auf ihn abstrahlten.

Jaime „El Bronco“ Rodriguez war hingegen jeweils eher für die humoristischen und skurrilen Aspekte im Wahlkampf zuständig, indem er immer wieder die Kandidaten aufrief sich zu vertragen, zu umarmen oder einen Kuss zu geben bzw. mit seinem Plädoyer, Straftätern die Hand abzuhacken.

Was den sonstigen Wahlkampf angeht, so findet eine regelrechte Überflutung mit audiovisuellen Wahlspots in TV und Radio statt, ebenso ist die Plakatierung im Straßenbild nicht zu übersehen. Hier kann aber getrost hinterfragt werden, inwieweit dies irgendeine signifikante Auswirkung auf den Wählerwillen haben wird.

Umfragen für jeden Geschmack

Was die Wahlumfragen angeht, so ist zwar eine gewisse Konsistenz in den Platzierungen festzustellen (1. AMLO, 2. Anaya, 3. Meade, 4. Bronco), allerdings weist die Bandbreite der Abstände eine derartige Streuung auf (beispielsweise reicht diese zwischen AMLO und Anaya von 8 bis 26%!), dass sie nur sehr bedingt als Stimmungsbarometer taugen. Hinzu kommt eine große Unzuverlässigkeit der Umfragen bei vergangenen Wahlen sowie die Tendenz auch regelrecht bestellte Umfragen zu veröffentlichen, so dass die Glaubwürdigkeit dieses Instruments sehr gering ist.

Spannende Entscheidungen auf Gouverneursebene

Bei den insgesamt 8 Gouverneurswahlen deutet alles darauf hin, dass PRI und PRD die großen Verlierer sein werden. Die bisherigen Gouverneursposten der PRI in Yucatan und Jalisco drohen an die PAN bzw. Movimiento Ciudadano, bei der PRD Morelos und Tabasco an MORENA verloren zu gehen.

Gewinner auf dieser Ebene dürften somit MORENA mit drei Zugewinnen (neben Morelos und Tabasco noch Chiapas) und die PAN mit drei Wiederwahlen (Guanajuato – sicher – und Puebla sowie Veracruz mit guten Chancen) sowie einem Zugewinn in Yucatan (mit guter Chance) sein.

Dies passt zum sich abzeichnenden Niedergang der PRI und dem drohenden totalen Bedeutungsverlust der PRD nach der Wahl. Bei letzterer ist dies v.a. bedingt durch den Austritt AMLOs und dessen Entscheidung mit der neuen Bewegung MORENA anzutreten.

Gewalt überschattet den Wahlkampf

Laut Zahlen der als verlässlich geltenden Consulting Firma Etellekt wurden seit Beginn des Wahlkampfes am 8. September 2017 bis zum 8. Juni 2018 insgesamt 112 Politiker in Mexiko ermordet, darunter 42 Kandidaten zu dieser Wahl, die restlichen waren aktuelle und ehemalige Amtsträger. Geographische Schwerpunkte der Ermordungen waren Guerrero (23), Oaxaca (19), Puebla (13) und Veracruz (8). Parteipolitisch waren vor allem das Bündnis der PRI mit 44 sowie PAN/PRD/MC mit 43 und MORENA mit 18 Toten betroffen.

Im Vergleich mit dem Wahlkampf 2015 (damals 21 Tote) ist das bereits eine Steigerung um rund 400%, wobei die höhere Zahl an Toten auch mit der weitaus höheren Zahl an Kandidaten zusammenhängt.

Hinzu kommen über 400 sog. „gewalttätige Aggressionen“ gegen eben diese Zielgruppe.

Dass Gewalt und Politik in Mexiko so eng beieinanderliegen, liegt vor allem an der deutlich zugenommen Präsenz der organisierten Kriminalität in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Dies hat einerseits zu einer gewissen Gewöhnung und Gleichgültigkeit geführt und sich andererseits in Wahlkampfzeiten vor allem auf lokaler Ebene als Phänomen des territorialen Machtanspruchs manifestiert. Wer gewählt werden will, stellt sich auch der Machtfrage in seinem Bezirk und da gilt seit langen das Prinzip „plata o plomo“, Bestechlichkeit oder Lebensgefahr.

Mit dem fehlenden Gewaltmonopol des Staats auf der einen Seite, welches in einer Mischung aus Ohnmacht (kaum wettbewerbsfähig v.a. auf lokaler Ebene angesichts der Feuerkraft und wirtschaftlichen Potenz der Kartelle) und Komplizenschaft (Korruption) begründet zu sein scheint, und der inhaltlichen Ratlosigkeit auf der anderen Seite mit kaum vorhandenen einschlägigen Konzepten und Rezepten, wie diesem Phänomen Einhalt geboten werden kann, ist nicht abzusehen, wie diese gefährliche Schwächung der mexikanischen Demokratie aufzuhalten ist.

Ausblick – Quo vadis México ?

Nach wochenlangen verbalen Schlagabtauschen der Kandidaten biegt der Wahlkampf in seine entscheidende letzte Phase ein – und droht komplett in den Hintergrund zu geraten. Der Auftakt der Fußballweltmeisterschaft spielt in dem fußballbegeisterten Mexiko ohnehin eine enorme Rolle. Mit der Qualifikation Mexikos stieg die Vorfreude weiter an und entlud sich mit dem vage erhofften aber wahrlich nicht erwarteten Auftaktsieg gegen den amtierenden Weltmeister Deutschland in eine Euphorie, die sogar die seismographischen Geräte in der Hauptstadt ausschlagen ließ.

Die Nationalmannschaft Mexikos, allen voran Torschütze „Chucky“ Lozano, erreichte über Nacht Heldenstatus. Sollte nun gar ein weiterer Vorrundensieg und damit die Qualifikation ins Achtelfinale gelingen, wäre eine weitere Steigerung der Euphorie unausweichlich. Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Politik und vor allem auf den Wahlkampf sind offenkundig: Der führende Kandidat AMLO kann sich zurücklehnen und sich dazu beglückwünschen für seine Abschlusskundgebung ausgerechnet das legendäre Aztekenstadion ausgewählt zu haben. Diese Symbolik ist kaum zu übertreffen.

Für seine Konkurrenten ist dies das denkbar ungünstigste Szenario. Auf der Euphorie-Welle mitschwimmen ist da das minimale Gebot der Stunde, irgendwelche Aufmerksamkeit für „last minute“-Botschaften oder gar ein griffiges Argument für unschlüssige oder Wechselwähler an den Mann oder Frau bringen zu wollen dürfte ausgesprochen schwierig werden.

Die Wahl findet bekanntlich noch vor dem Endspiel der WM statt, in Mexiko kennen die Fußballträume derzeit keine Grenzen. Wesentlich wichtiger als die Fußballperformance wird aber die politische Entscheidung sein, bei aller Bewunderung für das begeisterungsfähige Publikum.

In welche Richtung das Land nach der Amtsübergabe am 1. Dezember gehen wird, wird am 1. Juli, dem Wahltag, entschieden, an den Urnen, nicht auf dem Platz. Auf dem Spiel steht die Frage, ob die zentralen Aspekte wie Korruption, innere Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit mit einem modernen weltoffenen Zukunftskonzept oder einem eher nationalistisch und nach innen gekehrten Politikverständnis angegangen werden sollen.

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