Tränen, Umarmungen, Schreie, Freudentänze und Applaus – so reagierten die Seminaristen aus dem Priesterseminar der nordperuanischen Stadt Chiclayo im Moment der Bekanntgabe der Wahl von Robert Prevost zum Papst. Dies zeigt ein Video, welches in Peru in den letzten Tagen unzählige Male geteilt und verbreitet wurde. Noch höher geschlagen haben dürfte das Herz der Seminaristen, als der neugewählte Papst in nie dagewesener Art das vatikanische Protokoll brach und in seiner ersten Botschaft überhaupt einige Sätze auf Spanisch einbaute – an seine „geliebte Diözese Chiclayo“ im Norden Perus. Diesen Satz nahm die Presse in vielen Ländern auf, um, wie etwa die mexikanische Tageszeitung „El Universal“, einen „Papst mit lateinamerikanischem Herzen“ zu feiern. Vom Rio Grande bis nach Patagonien sehen viele in Lateinamerika den neuen Papst als einen der ihren.
Entsprechend reagierte die Präsidentin Perus, Dina Boluarte in einer Ansprache mit „überschwänglicher Freude“ auf die Wahl von Papst Leo XIV. „Er entschied sich, einer von uns zu sein, unter uns zu leben, und in seinem Herzen den Glauben, die Kultur und die Träume dieser Nation zu leben“, so die Staatschefin: „Der Papst ist Peruaner. Gott liebt Peru“.
Aufgrund des Konkordates zwischen Peru und dem Vatikan können in Peru nur Peruaner zu Bischöfen ernannt werden. Als Papst Franziskus Robert Prevost zum Bischof von Chiclayo ernennen wollte, fand man schnell eine pragmatische Lösung. „Padre Robert“ erhielt einfach die peruanische Staatsbürgerschaft verliehen. Aber auch jenseits der Nationalitätenfrage ist die Biographie des neuen Papstes mindestens so sehr mit Peru verbunden wie mit seinem Heimatland.
Ein Mann der Nähe
Der 1955 in Chicago geborene US-Amerikaner wurde nach seiner Ausbildung in Pennsylvania, Eintritt in die Ordensgemeinschaft der Augustiner und Weihe in Rom, im Jahr 1985 in die Augustinermission in Chulucanas, Piura (Peru), entsandt. Mehr als zwanzig Jahre lebte Prevost in zwei Abschnitten in Peru – zunächst als einfacher Augustinerpater in der armen Wüstenstadt. Anschließend wirkte er elf Jahre in der Mission in der Stadt Trujillo als Leiter des Ausbildungsprojekt für Augustiner-Aspiranten, als Prior der Gemeinschaft und als Professor für Kirchenrecht, Patristik und Moraltheologie. In dieser Zeit erarbeitete er sich dort den Ruf als wacher Beobachter und gestaltender Akteur innerhalb der nationalen Kirche. Prevost war kein Mann der großen Worte, sondern einer der Nähe: Er lernte die Quechua-Sprache, ritt auf Eseln zu den Gemeinden und legte beim Wiederaufbau nach Überschwemmungen persönlich Hand an.
Der US-amerikanische Geistliche lernte eine der dunkelsten Episoden der modernen lateinamerikanischen Geschichte aus erster Hand kennen. So fällt sein Wirken in die Zeit, als die maoistische Terrormiliz des „Leuchtenden Pfades“ während der zweiten Hälfte der 80er Jahre große Teile des Landes mit einer mörderischen Schreckensherrschaft überzog, bis sie dann von der Aufstandsbekämpfungsstrategie des autoritären Regimes von Alberto Fujimori ab 1990 weitgehend besiegt wurde. Chulucanas selbst gehörte zeitweise zu den sogenannten „befreiten Territorien“, in welchen die Terrormiliz eine Art Staat im Staate zu errichten suchte. Prevost blieb an der Seite der Landbevölkerung und kritisierte später auch die repressive Gewalt der Todesschwadronen des Fujimori-Regimes gegen Unschuldige.
Diese Erfahrung prägte Prevost auch während seiner Zeit als Bischof von Chiclayo zwischen 2014 und 2023. Als Präsident Pedro Pablo Kuczynski (2016-2018) den wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Fujimori aus humanitären Gründen begnadigte, kritisierte Prevost, dass Fujimori nur allgemein Reue gezeigt habe, sich aber nicht für seine eigene Rolle bei einigen „großen Ungerechtigkeiten“ gegenüber der peruanischen Bevölkerung entschuldigt habe.
Ab 2018 war Prevost Vizepräsident der peruanischen Bischofskonferenz. In diese Zeit fiel der aufkommende Skandal um sexuellen Missbrauch in der in Peru einflussreichen katholischen und politisch rechts stehenden Gemeinschaft „Sodalicio de Vida Cristiana“. Prevost wurde zur wichtigen Stütze eines Prozesses, der Anfang 2025 mit der offiziellen Auflösung des „Sodalicio“ endete. Gleichzeitig wurde auch er beschuldigt, in seiner Zeit in Chiclayo drei mutmaßliche Missbrauchsfälle nicht untersucht zu haben – eine Anschuldigung, die sowohl die Diözese als auch seine Unterstützer in Peru entschieden zurückwiesen.
Ansonsten fiel Prevost, der stets sehr umsichtig formuliert, als Bischof weniger durch politische Aussagen, sondern durch soziales Engagement auf. Während der Überschwemmungskrise 2017 rief er die Internationale Gemeinschaft zu Spenden auf und während der Corona-Krise organisierte er Sauerstoff für die Kranken. Zudem zeigte er immer wieder seine Fähigkeit zum Ausgleich. Statt Polarisierung ging es ihm um Gemeinsamkeit.
2023 holte Franziskus Prevost dann nach Rom als Präfekten des Dikasteriums für die Bischöfe und Präsidenten der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika und erhob ihn schließlich 2025 zum Kardinalbischof, so dass Prevost auch tiefe Einblicke in das Innenleben des Vatikans erlangen konnte.
Blick auf Lateinamerika
Auch wenn von verschiedenen Seiten versucht wird, Papst Leo XIV in ein politisches Lager zu schrieben, so sind es vor allem sein soziales Engagement und sein stetiges Werben um einen politischen und gesellschaftlichen Ausgleich, die sich durch das Wirken des neuen Papstes ziehen. Die Tatsache, dass Leo XIV von der Loggia des Petersdoms spanisch und nicht englisch sprach und Chiclayo statt Chicago grüßte, zeigt, wie sehr er sich in Lateinamerika als Wahlheimat zu Hause fühlt.
Für Peru, welches sich in einer politischen Dauerkrise befindet und unter strukturellen Problemen wie dem zunehmenden Einfluss des organisierten Verbrechens, einem wenig durchsetzungsfähigen Staat und andauerndem sozialen Gefälle leidet, ist der neue Papst ein besonderes Hoffnungszeichen und Grund nationalen Stolzes. „So etwas haben wir gebraucht“, erklärte etwa die ehemalige peruanische Justizministerin Marisol Pérez Tello.
Wir bereits unter seinem Vorgänger Franziskus ist auch unter Leo XIV. ein Pontifikat zu erwarten, dass den internationalen Fokus auf Lateinamerika lenkt. Neben dem Blick auf die sozialen Fragen in Zeiten grundsätzlicher weltpolitischer und technologischer Umwälzungen ist dies vielleicht die wichtigste Kontinuität zwischen Amtsvorgänger und Amtsnachfolger.
Im Gegensatz zum charismatischen Franziskus, der immer wieder spontan Kommentare zu politischen und wirtschaftlichen Themen machte, die ihm den Vorwurf des Populismus einbrachten, ist sein Nachfolger akademischer und vorsichtiger. Möglicherweise hilft ihm seine US-amerikanische Herkunft und Ausbildung gepaart mit der lateinamerikanischen Lebenserfahrung, einen nuancierten Blick auf Fragen der Weltpolitik zu legen. Zudem dürfte Prevost, dessen Lebensmittelpunkt zwischen 2000 und 2013 als Generaloberster des Augustinerordens in Rom lag, Europa deutlich besser kennen und verstehen als sein gänzlich in Argentinien sozialisierter Vorgänger. Somit verkörpert die Biografie des neuen Papstes in sich die verschiedenen westlichen Perspektiven und Sichtweisen aus den USA, aus Lateinamerika und aus Europa.
Unterdessen ist „Papa León“ schon jetzt unwiderruflich Teil der lateinamerikanischen Kultur geworden. Neben dem Video der jubelnden Seminaristen zirkulieren auch Bilder des neuen Papstes mit dem peruanischen Fußballtrikot oder dem peruanischen Nationalgetränk „Inca Kola“ im Internet. Das angebliche Lieblingsrestaurant des neuen Kirchenoberhauptes, „El Trebol“ am Hauptplatz in Chiclayo, verkauft bereits ein „Papst-Menü“. „Padre Robert“, so der Besitzer, habe sich immer an den Tisch Nummer 3 gesetzt - mit Blick auf die Kathedrale. Er habe zwar nie Trinkgeld gegeben, dafür aber alle gesegnet.
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Programa Regional Partidos Políticos y Democracia en América Latina
Sobre esta serie
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