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Reportajes internacionales

Premierminister-Wechsel in Polen

Warum der polnische Premier Bürgermeister und der Parteichef Premier wird

Wenn Polen mehrmals hintereinander auf den Titelblättern der deutschen Presse erscheint, wie in den vergangenen Tagen, dann gibt es etwas Berichtenswertes. Der aktuelle Länderbericht der KAS Warschau geht zunächst auf in Deutschland verbreitete aktuelle politische Klischees über Polen ein. Er beschreibt und beurteilt sodann die Geschehnisse rund um den Wechsel des Premierministers und erläutert einige Hintergründe. Deutlich kritisiert wird die infame Satire in der linksliberalen "Tageszeitung" über den polnischen Präsidenten. Schließlich wirbt der Beitrag für ein rücksichtsvolles und konstruktives Miteinander. Grundlage dafür ist ein vertrauenschafender Dialog. Ein unabhängiger polnischer Berater für die deutsche Regierung sowie ein deutscher Berater für die polnische Regierung könnten dabei hilfreich sein.

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Um es gleich vorweg zu sagen und damit manchem in Deutschland verbreiteten Annahmen entgegenzutreten: Nein, in Polen gibt es dadurch, dass nun Zwillingsbrüder an der Spitze des Staates stehen werden, keine „quasi feudale Personalunion“. In Polen wird auch keine „gelenkte Demokratie“ oder ein „autoritäres System“ wie etwa in Russland installiert. Nein, im östlichen Nachbarland herrschen bezüglich der Menschenrechte keine in irgendeiner Weise vergleichbaren Zustände wie im Iran oder Weißrussland, wie dies Mitte Juni in FAZ mit Hinweis auf Briefe von „Menschenrechtsorganisationen“ betreffend des Demonstrationsrechts von Homosexuellen insinuiert wurde. Die Polen fahren bis jetzt auch nicht einen „antimodernen Rückwärtsgang“, dafür ist das Land zu pluralistisch und aufgeschlossen. Schließlich nein, die führende Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ kann nicht einfach als populistisch abgestempelt werden. Hier werden teilweise neue Klischees mit alten Ressentiments gegenüber Polen vermischt. Allerdings besteht Erklärungsbedarf allemal und würde ein differenzierteres Bild entstehen, wenn auch mal andere Sichtweisen etwa aus dem konservativen Lager Polens in Deutschland zu Worte kämen.

Was sind die politischen Fakten und Hintergründe? Die Brüder Kaczyński sind beide demokratisch gewählte Politiker. Jarosław hat als Spitzenkandidat von „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Parlamentswahlen im September 2006 gewonnen und ist Vorsitzender der stärksten Partei; Lech setzte sich in zwei Wahlgängen bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober durch. Um die Chance seines Bruders Lech bei der Präsidentenwahl nicht zu gefährden, verzichtete Jarosław, der eigentliche strategische Kopf der Partei, auf das Amt des Premierministers. Er bugsierte den Abgeordneten Marcinkiewicz aus der zweiten Reihe an die Spitze und zog die Fäden aus dem Hintergrund. Dies wird sich jetzt ändern: Der Mann, der politisch die größte Macht hat, wird künftig auch die Verantwortung des Amtes tragen. Genau dies hatte auch die oppositionelle Bürgerplattform (PO) nach den Wahlen im Herbst gefordert. Damit ist zunächst einmal mehr demokratische Transparenz geschaffen. Die Regierung wird gestärkt. Für das, was jetzt politisch geschieht, tragen die Kaczyńskis als Amtsträger die Verantwortung. Mit ihrer Wagenburgmentalität machen sie es dem In- und Ausland allerdings schwer, ihre Politik angemessen zu beurteilen. Erst an ihren Taten wird man sie beurteilen können.

Welche Gründe waren für die Ablösung des nach Umfragen beliebtesten polnischen Politikers, des pragmatisch konstruktiven bisherigen Ministerpräsidenten Marcinkiewicz, der nun von der PiS in den Kampf um den Warschauer Bürgermeisterposten geschickt wird, ausschlaggebend? Auslöser waren zum einen die eigenmächtige Berufung seines Wirtschaftsberaters Wojciechowski zum Nachfolger der Finanzministerin Prof. Gilowska, die wegen eines wagen Stasi-Verdachtes ihren Posten vor zwei Wochen räumen musste; zum anderen ein mit den Parteifreunden und Regierungspartnern nicht abgestimmtes Treffen mit dem Oppositionsführer Donald Tusk (PO) am vergangenen Donnerstag. Dieser berichtete in einer Pressekonferenz am nächsten Tag, der Premier habe nicht verborgen, dass seine Situation sich in der Koalitionsregierung mit der links-sozialen Selbstverteidigungspartei und der rechts-nationalen Liga der Polnischen Familien zunehmend verkompliziere, es aber anderseits viele Gemeinsamkeiten mit der Opposition gebe. Daraufhin berief Jarosław Kaczyński als Chef der PiS den Parteirat ein, nicht ohne sich vorher bereits mit den Koalitionspartnern abgestimmt zu haben. Der Parteirat beschloss, den Willen des Vorsitzenden umzusetzen, klare Verhältnisse zu schaffen und ihn als Premierminister zu nominieren. Offenbar drohte Marcinkiewicz als Premierminister zu eigenständig zu werden und der Kontrolle des Parteivorsitzenden zu entwachsen. Es ging um eine strategische Personalentscheidung bedingt durch die Machtstruktur in Partei und Koalition auch in Hinblick auf die Regionalwahlen, die im November stattfinden sollen.

Wie schon bei der Bildung der Koalitionsregierung mit den populistischen Partnern Anfang Mai, wird auch jetzt wieder die Kontinuität der Regierungspolitik betont; nur energischer und schneller soll nun das Ziel einer neuen IV. Republik verfolgt werden und mit Jarosław Kaczyński wohl auch in einem anderen Stil: er steht für Zuspitzung und konfrontative Durchsetzung seiner politischen Ziele. In der neuen Regierung soll es keine größeren Veränderungen geben. Leiter des Ministerrates soll im Range eines Ministers der bisherige Fraktionsvorsitzende Gosiewski werden. Der stellvertretende Parteivorsitzende der PiS, Adam Lipinski, der schon bisher als „dritter Bruder“ in der Kanzlei des Ministerpräsidenten saß, soll Chef des politischen Kabinetts des neuen Premiers werden. Damit scharrt Jarosław Kaczyński enge Vertraute aus der Führungsriege der Partei um sich. Neuer Finanzminister soll der bisherige Vizeminister in diesem Ressort, Stanislaw Kluza (34) werden. Ob er die Statur haben wird, für die notwendige finanzpolitische Stabilität zu stehen, muss sich zeigen.

Die Bevölkerung ist derweil laut Umfragen skeptisch gegenüber dem neuen Premier eingestellt: Nur gut ein Fünftel glaubt, er werde ein guter Regierungschef sein. Da gibt es genug Spielraum, durch die tatsächliche Politik zu überzeugen. Kritisch zu beobachten wird sein, inwieweit die populistischen Regierungspartner Einfluss ausüben und weitere Ämter und Positionen gewinnen werden. In den polnischen Medien werden die politischen Vorgänge ausgiebig und kontrovers dargestellt und diskutiert. Gerade die Probleme in der Gestaltung der Außenpolitik werden dabei in jüngster Zeit kritisch beleuchtet. Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht hier eine Verschlechterung. Alle Außenminister, die seit 1989 amtierten, haben in einem offenen Brief vergangene Woche ihre Stimme erhoben und vor einer Marginalisierung Polens durch die Regierungspolitik gewarnt. In den Meinungsumfragen zu den Parteipräferenzen, deren Aussagekraft allerdings begrenzt ist, sind bisher keine tektonischen Verschiebungen zu verzeichnen: Das Regierungslager liegt weiter mit knapper Mehrheit vor den Oppositionsparteien, die oppositionelle PO dagegen tendenziell leicht vor der PiS. Die Liga der Polnischen Familien würde derzeit klar den Einzug ins Parlament verpassen, also von PiS absorbiert werden.

Die von der PiS geführte Regierung steht für einen Bruch mit der Vergangenheit, den viele Polen wünschen. Dies wird in Deutschland oft übersehen und erschwert das Verständnis der Vorgänge im Nachbarland. Die PiS ist eine gegenüber dem System der III. Republik nach 1989 kritische Partei, die sich erfolgreich die Stärkung des Staates, der Justiz, die Korruptionsbekämpfung, die Aufklärung der kommunistisch-postkommunistischen Vergangenheit, christliche Werte, Patriotismus und Solidarität auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das Misstrauen vieler Polen auch gegenüber dem demokratischen Staat speist sich aus der vorausgegangenen Entwicklung der letzten 16 Jahre. Die beiden bei den Parlamentswahlen siegreichen Parteien PiS und PO versprachen eine grundlegende Staatsreform. Nach den Wahlen konnten sie sich nicht einigen und haben sich in den politischen Kampf gegeneinander verstrickt. Damit setzt sich der Vertrauensverlust der Politik fort. Die Spaltung der politischen Machteliten beginnen sich in der Gesellschaft widerzuspiegeln. Dass sich die Geister an der Politik scheiden, es eine gewisse Polarisierung gibt, ist in einer Demokratie normal. Politik ist nicht auf Harmonie angelegt, sondern auf den möglichst sachlichen Streit um Erfolg versprechende Wege und Mehrheiten. Falls Jarosław Kaczyński nun aber das Land wie seine Partei führen will, autoritär und konfrontativ, droht die Kultur des politischen Streits in Polen weiter Schaden zu nehmen. Entscheidend wird sein, ob und was tatsächlich politisch bewegt wird oder ob sich die Regierung im Kampf gegen das „alte System“ verschleißt und bei ihrer „moralischen Revolution“ politisch verrennt. Das gilt auch in der Außenpolitik: Nicht ein schroffes Gegeneinander, nur ein konstruktives Miteinander ist bei der Verfolgung der nationalen Interessen dienlich. Wenn diese Regierung darüber hinaus nicht begreift, dass sie als eines der größten Mitgliedsländer der Europäischen Union nicht nur für ihre nationalen Interessen, sondern auch für die Interessen und die Gestaltung der Union Verantwortung trägt, stellt sie sich selbst ins Abseits. Dem polnischen Staatspräsidenten ist zuzustimmen: Europa braucht eine „solidarische Vision“. Aber nicht nur für künftige Erweiterungen.

Und dann ist da noch die „taz“ Affäre als ein Extrembeispiel für einen bornierten journalistischen Umgang mit der Politik in Polen. Die linksalternative Zeitung publizierte am 26. Juni eine genauso dumme wie infame „Satire“ über den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński und seinen Bruder Jarosław, den künftigen Premierminister. Es gehört schon einiges an Überheblichkeit und Geschichtsverachtung dazu, einen solchen Beitrag zu bringen und „lustig“ zu finden, in dem man die „deutsche Vertilgung der polnischen Hauptstadt“, das Schicksal Polens nach dem Kriege – „Russland hatte Polen schließlich den Daumen des Kommunismus in den After gedrückt“ und die Familienverhältnisse – Zusammenleben mit der Mutter „ohne Trauschein“ - in ordinärer Weise in einen lächerlichen Zusammenhang stellt. Gewürzt wird dies dann noch mit der falschen Behauptung der Veruntreuung staatlicher Gelder durch die Kaczyńskis und mit dem einfältigen Klischee von ihnen als „Polen über beide Ohren“. In Polen findet man diesen „Spaß“ überhaupt nicht lustig, sieht antipolnische Stereotype aufleben und fragt sich, wie es in Deutschland um die Achtung polnischer Eigenarten gestellt ist. Natürlich darf auch der Umgang mit den „öffentlichen Hinterteilen an Warschaus Männern“, also mit den Homoparaden als maßgebliches Kriterium „westlicher“ Toleranz im hämischen Beitrag nicht fehlen. Schon vorher hatte sich die angesehene FAZ in mehreren Features dieses Themas angenommen und am 16. Juni in diesem Zusammenhang ein Bild gezeigt, auf dem der polnische Bildungsminister Giertych von der national-katholischen Liga der Polnischen Familien von demonstrierenden Studenten in Polen in Hitlerpose gezeigt wird. Damit ist man auf dem Boulevard trivialer Historisierung angelangt.

In den deutsch-polnischen Beziehungen ist nach wie vor viel Umsicht im gegenseitigen Umgang notwendig. Langjährige Dialogpartner wie der liberale Publizist Adam Krzeminski warnen davor, von neuem „maßlos alte Klischees zu reiten“. Die Chefredakteurin der TAZ meint dagegen, selbstverständlich dürfe man das polnische Staatsoberhaupt wie jedes andere verhöhnen. Dass die deutsche Regierung nicht politisches Kabarett anfängt zu kommentieren, hat seine Gründe. Dass ein niveauloser Zeitungstext kein ernsthafter Faktor für die Regierungspolitik sein kann, wie Władyslaw Bartoszewski zu recht anmerkte, und die polnische Regierung mehr als schlecht beraten war, diesen Fall derart öffentlich aufzubauschen, steht auf einem anderen Blatt. Es verwundert aber nicht nur Freunde der Kaczyńskis, dass deutsche Politiker den Vorgang so behandelten, als wäre überhaupt nichts geschehen, kein prominenterer Politiker auftrat und die Unsäglichkeit und Schädlichkeit beim Namen nannte. Ist dies wirklich nur eine Frage polnischer Überempfindlichkeit oder ist nicht vielmehr das Verständnis für die Hintergründe polnischer Sensibilität in Deutschland im Schwinden begriffen? Andererseits sind Verständnis und Verständigung natürlich keine Einbahnstraße.

Über den 15 Jahrestag des deutsch-polnischen Freundschaftsvertrages, zu dem die polnische Regierung Anfang Juni eine bilanzierende Konferenz veranstaltete, wo über Vergangenheit und Zukunft, aber auch über einseitige Berichterstattung gesprochen wurde, berichteten deutsche Medien übrigens so gut wie nicht. Kein aktueller Vertreter der deutschen Regierung konnte der Einladung der polnischen Regierung nach Warschau folgen. Altbundespräsident von Weizsäcker sprach für Deutschland nach dem polnischen Ministerpräsidenten. Ein knappes Grußwort der Kanzlerin wurde von der deutschen Gesandtin verlesen, der Botschafter weilte im Urlaub. Eine vertane Chance.

Die deutsch-polnischen Beziehungen drohen zusehend in eine Sackgasse zu geraten. Ein gesundes Maß an Misstrauen ist in der Politik wohl unerlässlich. Nicht Misstrauen, sondern Vertrauen schaffendes Wohlwollen ist jedoch die Grundkategorie christlicher Weltanschauung, zu der sich gerade die PiS bekennt. Nur auf der Grundlage von persönlichem Vertrauen können auch in der internationalen Politik Partnerschaften und verlässliche Beziehungen entstehen. Helmut Kohl und die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung sind dafür aussagekräftige Beispiele. Was jetzt nötig ist, ist ein intensiver bilateraler Dialog, der informiert und Vertrauen schafft. Ein unabhängiger polnischer Berater für die deutsche Regierung sowie ein deutscher Berater für die polnische Regierung könnten dabei hilfreich sein. Bei der Vergangenheitsbewältigung könnten vielleicht die deutschen Erfahrungen ein Schlüssel für eine bessere Verständigung beider Länder sein.

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