„Die absolute Mehrheit der deutschen Konservativen des 19. Jahrhunderts hat nie ein positives Verhältnis zum Liberalismus gefunden.“ Mit diesen Worten charakterisierte Matthias Oppermann in seinem Vortrag eine „Krise des Konservatismus in Deutschland“ (Klemens von Klemperer), die bis in die Weimarer Republik reichte. Die von einem völkischen Nationalismus entstellten deutschen Konservativen besiegelten schließlich ihren eigenen Untergang, indem sie wesentlich zur Übertragung der Macht an Hitler beitrugen. Am Ende wurden sei selbst ein Opfer der von ihnen betriebenen Zerstörung der ersten deutschen Demokratie.
Das erkläre, so Oppermann, dass sich viele CDU-Politiker heute mit dem Konservatismus-Begriff schwertäten. Weshalb gilt das Konservative dann trotzdem als eine der Wurzeln der CDU, wie Kathrin Zehender, Referentin Zeitgeschichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, in ihrer Einführung sagte? Zum einen, legte Oppermann dar, habe es auch in Deutschland eine gewisse liberalkonservative Substanz gegeben. Liberalkonservative Ansätze hätten sich nie durchsetzen können, seien aber zumindest abrufbar gewesen. In der Gründungsphase der CDU habe es durchaus Konservative gegeben, die freilich auf die Nutzung des Begriffs verzichtet hätten.
Erst seit dem Ende der 1950er Jahre sei der Konservatismus-Begriff von prominenten CDU-Politikern wie Eugen Gerstenmaier in Anspruch genommen worden. Gerstenmaier habe dabei auf dem Kieler CDU-Bundesparteitag von 1958 an den liberal geprägten britischen Konservatismus angeknüpft. Dessen Verbindung einer konservativen Herangehensweise mit liberalen Prinzipien zog auch andere CDU-Politiker wie Gerhard Schröder, Erik Blumenfeld und Richard von Weizsäcker an. Sie alle plädierten dafür, die CDU auch als konservative Parteien zu verstehen, als eine Partei, die für einen Konservatismus innerhalb des Liberalismus stehe und keinen Widerspruch zwischen den Idealen der Bewahrung und des Fortschritts sehe. Diese Haltung habe den britischen Konservatismus seit dem frühen 19. Jahrhundert ausgezeichnet, erläuterte Oppermann, und die CDU-Konservativen hätten sie begeistert übernommen.
Auch wenn viele in der CDU sich nicht mit dem Begriff anfreunden konnten beziehungsweise bis heute nicht können, habe die CDU de facto im politischen System dieselbe Rolle gespielt wie die Conservative Party in Großbritannien. Sie habe für „Stabilität im Wandel gesorgt, für den Ausgleich von Klasseninteressen“, sie habe „wirtschaftlichen und technischen Fortschritt ermöglicht, ohne die bestehende Gesellschaftsordnung zu gefährden“. Freiheit und Ordnung, Bewahrung und Reform waren die Kernelemente ihres Programms oder, mit den Worten Blumenfelds: „Konservativ sollten wir sein, was das Ideal der Freiheit betrifft. Es zu bewahren, sind unsere westlichen Verfassungen geschaffen worden.“
Es sei das besondere Verdienst der CDU, sagte Oppermann abschließend, in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland einen prowestlichen und prodemokratischen Liberalkonservatismus verwurzelt zu haben. Angesichts der AfD bestehe jedoch die Gefahr, dass der illiberale, ältere deutsche Konservatismus wieder erstarke. Insofern, so Oppermann, sei es die Aufgabe der Unionsparteien, „dafür zu sorgen, dass dieser Konservatismus nicht wieder die Oberhand gewinnt.“
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