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Solist auf der Suche nach Begleitung: Taiwan nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen

autori David Merkle, Joshua Webb
Am 11. Januar 2020 haben die taiwanischen Wähler über die Zusammensetzung des Parlamentes und das Amt des Präsidenten abgestimmt. 19,3 Millionen Bürger waren aufgerufen ihre Stimme abzugeben. Die Amtsinhaberin und Kandidatin der Demokratischen Fortschrittspartei, DPP, Tsai Ing-wen wurde mit überwältigender Mehrheit als Präsidentin wiedergewählt. Bereits die Umfragen der vergangenen Wochen hatten sie weit vor ihrem größten Herausforderer Han Kuo-yu von der Kuomintang (KMT) gesehen. Im Legislativ Yuan, Taiwans nationalem Parlament, konnte die DPP ihre absolute Mehrheit verteidigen. Neben der stärksten Oppositionskraft KMT, die bei den Zweitstimmen mit 33,4% nur knapp hinter der DPP (34,0%) lag, allerdings deutlich weniger Direktmandate als die DPP gewann, wurden auch die neugegründete Taiwanische Volkspartei (TPP), die New Power Party (NPP), sowie fünf unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt.

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Schutz der Demokratie im Mittelpunkt

Das deutliche Votum für Präsidentin Tsai Ing-wen, die laut amtlichem Endergebnis mit 57,13% der Stimmen 18,5% vor ihrem stärksten Herausforderer Han Kuo-yu (38,61%) lag, wird vor allem ihrer klaren Haltung gegenüber Pekings Drohgebärden zugeschrieben. Die dramatische Zuspitzung der Lage in Hongkong hatte schließlich auch den kontrovers diskutierten innenpolitischen Reformkurs der Regierung und wachsende Kritik an Präsidentin Tsai Ing-wen verstummen lassen, so dass Tsai und die DPP im Wahlkampf vor allem auf das Thema „Schutz der Demokratie“ in Taiwan bauten. Erreichte die Zustimmungsrate für Tsai Ing-wen nach den empfindlichen Stimmverlusten bei den landesweiten Kommunalwahlen im November 2018 und ihrem Rücktritt vom Parteivorsitz der DPP einen Tiefpunkt, vermochte sie es in den vergangenen Monaten, das Blatt zu wenden. Die DPP setzte innenpolitisch vor allem auf gesetzliche Schritte gegen die sich im Vorfeld der Wahlen zunehmend bemerkbar machende Einflussnahme Pekings auf Taiwans Gesellschaft und das massive Aufkommen von Fake News.


Hohe Wahlbeteiligung unterstreicht Bedeutung der Wahlen


Knapp 75% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Dies scheint in ganz besonderer Weise Präsidentin Tsai Ing-wen in die Hände gespielt zu haben. So erreichte sie mit über 8,1 Millionen Stimmen die höchste Stimmenzahl, die jemals ein Kandidat bei einer Präsidentschaftswahl in Taiwan (seit 1996 finden freie Präsidentschaftswahlen in Taiwan statt) erhalten hat. Da auch ihr Herausforderer Han Kuo-yu mit 5,5 Millionen Stimmen über 1,7 Millionen Stimmen mehr als der KMT-Kandidat Eric Chu im Jahr 2016 erhalten hatte, spricht vieles dafür, dass beide Lager angesichts einer höchst aufgeheizten Stimmung im Wahlkampf, ihre Wähler   erfolgreich zu mobilisieren wussten. Vor allem die Gruppe der Neuwähler mit ca. 1.18 Millionen Wahlberechtigten ging in Scharen zum Wählen. Gerade unter jungen Leuten waren in Umfragen im Vorfeld der Wahlen sehr hohe Zustimmungsraten für Präsidentin Tsai gemessen worden.[2] Da es in Taiwan keine Briefwahlen gibt und viele Bürger an dem Ort registriert sind, an dem sie entweder aufgewachsen sind oder noch Familie haben, mussten viele für die Stimmabgabe einen langen Weg auf sich nehmen. So waren am Wahltag selbst zusätzliche Züge und Busse im ganzen Land im Einsatz. Auch reisten viele junge Taiwaner, die im Ausland studieren oder arbeiten, extra für die Wahlen in die Heimat – ein deutliches Signal, welcher Stellenwert den diesjährigen Wahlen beigemessen wurde.

Im Wahlkampf weckte die DPP Erinnerungen an ihre Ursprünge als Wegbereiter für Taiwans Demokratie. Die DPP war in den 1980er Jahren, noch zu Zeiten des Kriegsrechtes auf Taiwan, aus einer losen Demokratie- und Oppositionsbewegung (tangwai) mit dem Ziel hervorgegangen, Taiwan zu demokratisieren und die KMT-Herrschaft zu beenden. An diesen Ton knüpften auch die jüngsten Debatten im Wahlkampf an. Angesichts des mit harten Bandagen geführten Wahlkampfes riefen Tsai und gleichermaßen ihr Herausforderer Han am Abend der Wahl dazu auf, das Land zu versöhnen. Gleichzeitig gelobte die frisch im Amt bestätigte Tsai, stärker auf Kritik aus der Bevölkerung – beispielsweise an der wachsenden Schere zwischen arm und reich sowie der Kluft zwischen dem wohlhabenden Norden und hinterherhinkenden Süden des Landes – eingehen zu wollen.


Schwäche der Opposition genutzt


Der größten Oppositionspartei in Taiwan, der Kuomintang (KMT), gelang es im Wahlkampf nicht, mit eigenen Themen zu punkten. Sie scheint nicht zuletzt an der Nominierung ihres polarisierenden und innerhalb der KMT auch umstrittenen Kandidaten Han Kuo-yu, gescheitert zu sein. Dieser war vor 14 Monaten noch völlig überraschend als Oberbürgermeister in der eigentlich als DPP-Hochburg geltenden Hafenstadt Kaohsiung, Taiwans zweitgrößter Stadt, gewählt und in den Medien zwischenzeitlich wie ein Popstar gefeiert worden. Von diesem Ergebnis und den damals stattfindenden landesweiten Kommunalwahlen im November 2018 schien ein klarer Trend gegen die Regierungspartei DPP auszu-gehen, verlor sie doch alleine sieben von dreizehn Gouverneurs- und Oberbürger-meisterposten, und auch die Mehrheit in vielen Stadtparlamenten an die KMT. Die Spaltung der KMT nahm jedoch ihrerseits erste Züge an, als sich Han Kuo-yu im Juli 2019 im parteiinternen Vorwettbewerb gegen den Foxconn-Gründer und Milliardär Terry Guo als Präsidentschaftskandidaten durchsetzte. Lange Zeit hielten sich Gerüchte, Terry Guo könne nach der Niederlage im KMT-internen Auswahlverfahren als unabhängiger Kandidat antreten und damit im KMT-Lager Wähler abwerben. Auf eine Kandidatur verzichtete Guo zwar, jedoch blieb das KMT-Lager durch die Nominierung von Han Kuo-yu gespalten. Zusätzlich trat nun als dritter Präsidentschaftskandidat der bereits 77-jährige James Soong, Gründer und Vorsitzender der People’s First Party, zum vierten Mal bei Präsidentschaftswahlen an. Letztendlich blieb dieser zwar hinter den Erwartungen zurück, schaffte es jedoch mit knapp 4% der Stimmen durchaus Wähler − klassischerweise aus dem KMT-Lager −  anzuziehen.


Taiwans Legislative Yuan: Mehr Gewicht für die kleinen Parteien?


Die Wahlen des Legislative Yuan, Taiwans Parlament, haben außerdem deutlich gemacht, dass auch alternative Parteien mittelfristig eine größere Rolle spielen könnten. So votierte ein Drittel der Wähler bei den Listenwahlen weder für die DPP noch für die KMT. Wegen der bestehenden Fünf-Prozent-Hürde haben allerdings viele kleine Parteien, darunter auch die von Präsidentschaftskandidat James Soong angeführte People’s First Party, den Einzug ins Parlament verpasst. Dennoch zeigt sich hier ein zunehmender Trend weg von den in der Vergangenheit gerade in ländlichen Gebieten dominierenden lokalen Faktionen, die klassischerweise in der Lage waren, ganze Nachbarschaften für die KMT oder die DPP zu mobilisieren.

Die New Power Party (NPP), die 2016 zum ersten Mal ins Parlament eingezogen war und mit der DPP in einigen Wahlkreisen durch die gemeinsame Unterstützung einzelner Kandidaten kooperiert hatte, verlor nach dem Austritt ihrer charismatischen Führungsfigur, dem Metal Sänger Freddy Lim, etwas an Boden. So wird sie in der neuen Legislaturperiode nur noch mit drei Sitzen (bisher 5 Sitze) im Parlament vertreten sein. Freddy Lim konnte seinen Wahlkreis in Taipei, nun als unabhängiger Kandidat, erfolgreich verteidigen und zog wie vier weitere unabhängige Kandidaten mit einem gewonnenen Direktmandat ins Parlament ein. Ebenfalls ist die erst im August 2019 vom Oberbürgermeister Taipeis, Ko Wen-jie, gegründete Taiwan People’s Party (TPP), die 11% der Stimmen erzielte, ins Parlament eingezogen. Sie verfügt damit über 5 Sitze und wurde auf Anhieb drittstärkste Fraktion. Damit setzt sich der Trend zur Herausbildung eines breiteren politischen Spektrums im progressiven Lager fort, der mit der studentischen Protestbewegung im Jahr 2014, der Sonnenblumen-Bewegung, einen ersten Schub erhalten hatte. Damals war neben dem Unmut gegenüber der Chinapolitik des damaligen Präsidenten Ma Ying-jeou, der Antagonismus der beiden großen Parteien und ein Mangel an politischer Dynamik der Hauptgrund für die wochenlangen Proteste.

Das Ziel der kleinen Parteien, den beiden großen, etablierten Parteien mehr und mehr entgegensetzen zu können, zeigt sich gerade bei den Themen Partizipation und Bürgerrechte, bei denen Taiwans politische Kultur in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Dynamik entfaltet hat. So wurde im Rahmen der letzten landesweiten Kommunalwahlen gleichzeitig ein aus 10 Fragen bestehendes Referendum abgehalten, bei denen über Fragen zur gleichgeschlechtlichen Ehe, wie auch unterschiedliche Ansätze in der Energiepolitik des Landes abgestimmt wurde. Weltweite Aufmerksamkeit erfuhr Taiwan dann im Mai 2019 als Taiwan per Parlamentsentscheidung als erstes asiatisches Land die gleichgeschlechtliche Ehe einführte.

Aufgrund der gemäß Wahlrecht nur geringen Anzahl an Sitzen, die über Listenplätze und nicht über die Mehrzahl an Direktmandaten vergeben werden (34 von 113), ist allerdings gerade im Hinblick auf die erneut erreichte absolute Mehrheit der DPP im Parlament nur begrenzt Durchschlagskraft der neuen Parteien zu erwarten. Die absolute Mehrheit sicherte sich die DPP letztendlich über eine geschickte Nominierung von oftmals jungen Kandidaten für die Direktmandate in den Großstädten. So gewann die DPP in der größten Stadt Kaohsiung alle acht zu vergebenen Direktmandate; in Tainan alle sechs Mandate.

Trends in Taiwan: Wie Tsai Ing-wen und die DPP global relevante Themen erkannt haben


Taiwans Energiemix wird grüner


Tsai Ing-wen und die DPP setzten in ihrer ersten Amtszeit enorm viele Akzente, die zunächst nicht als Erfolge in den Debatten verbucht werden konnten und daher auch im Wahlkampf – zumindest in den öffentlichen Debatten – keine große Rolle spielten. Tsai Ing-wen hat Taiwans Energiesektor, der zu über 98% von Rohstoffimporten abhängig ist, [6] sehr stark in Richtung Förderung erneuerbarer Energien umgebaut, und damit eine Energiewende eingeleitet. Das Energiebüro des Executive Yuan, dem Kabinett Taiwans, will bis 2025 den Anteil erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung auf 20% anheben. Hierzu sind massive Investitionen in den Ausbau der Offshore Windanlagen- und die Solarkapazitäten erfolgt. Innerhalb der nächsten fünf Jahre ist damit eine Erhöhung  der erneuerbaren Energiekapazitäten von derzeit ca. 10 Gigawatt auf über 30 Gigawatt geplant. Gleichzeitig hat man den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, deren Nutzung aufgrund der massiven Gefahr von Erdbeben und Tsunamis in der Region, vor allem in Folge der Katastrophe von Fukushima im benachbarten Japan, als zu unsicher gilt.


Umbau des Sozial- und Rentensystems


Ein Grund für die Abstrafung der DPP bei den Kommunalwahlen 2018 waren die Reformen im Rentensystem gewesen, die vor allem eine Verringerung der monatlichen Bezüge von pensionierten Beamten, Lehrern und Soldaten mit sich brachte. Tsai Ing-wen setzte diese Reformpolitik trotz massiver Widerstände durch. Damit wollte sie ihre Glaubwürdigkeit im Hinblick auf eines ihrer größten Wahlkampfversprechen aufrechthalten, nämlich, eine Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme zu forcieren, die vor allem die jungen Generationen entlasten und den sozial schlechter gestellten Menschen zu Gute kommen sollte. Damit verfolgt die DPP eine Anpassung an die sozioökonomischen Verhältnisse, die aufgrund der demographischen Entwicklung in Taiwan, mit einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt, und den Folgen eines brain drains, der massiven Abwanderung hochqualifizierter junger Menschen in die ostasiatische Nachbarschaft und in die USA, dringender denn je Anreize erfordern, mit denen den langfristigen gesellschaftlichen Herausforderungen angemessen begegnet werden kann.


Wirtschaftspolitik


Im Wahlkampf setzte die KMT vor allem auf das Argument, dass die Regierung kein wirtschaftspolitisches Konzept habe und die enormen Zugangschancen für taiwanische Unternehmen zum chinesischen Markt, durch die Verschlechterung der Beziehungen mit der VR China, leichtsinnig aufs Spiel gesetzt würden. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans kann die Regierung Tsai Ing-wens jedoch durchaus positive Zahlen vorlegen. Mit einem durchschnittlich jährlichen Wachstum von über 2,3% seit Amtsantritt der Regierung im Jahr 2016 hat Taiwan als nach Kaufkraftparität bemessen 22. größte Volkswirtschaft der Welt eine robuste Entwicklung aufzuzeigen. Zwar hat Taiwans Software-industrie im Wettbewerb mit den anderen als „Tigerstaaten“ [9] bezeichneten innovations-getriebenen Ökonomien Korea, Singapur und Hongkong, an Schwung verloren und vergleichsweise wenige international bekannte Marken hervorgebracht, doch zeigen sich gerade in der Halbleiter- und Chipindustrie auch angesichts des US-chinesischen Handelskrieges keine übermäßig großen Auswirkungen auf Taiwans Industrie.  Vielmehr scheint die relativ ausgewogene Streuung der an Taiwans zentralen Industrien hängenden Wertschöpfungsketten die einsetzenden Entkopplungstendenzen der Weltwirtschaft bisher recht gut wegstecken zu können.


Partizipation und Innovation


Auf konsequente Weise versucht die Regierung unter Tsai Ing-wen, neue Formen der Be-teiligung und Transparenz in den politischen Alltag zu bringen. Kern des Ansatzes sind dabei die rasche Entwicklung von e-governance Plattformen, die Schaffung direkter Kommunikationskanäle zwischen politischen Entscheidungsträgern und Bürgern, und die konkrete Einbindung der Bevölkerung bei der Umsetzung und Implementierung von neuen Mechanismen und Gesetzen. Mit der Schaffung eines Postens als Digitalisierungsbeauftragter der Regierung hatte bereits das letzte Kabinett der KMT-Regierung das Thema Digitalisierung in den Mittelpunkt seiner Bemühungen gestellt, um stärker in den Dialog mit den jungen Menschen in Taiwan zu treten. Diese hatten im Rahmen der Sonnenblumenbewegung, als tausende Studenten wochenlang das Parlament besetzt hatten, vor allem ihren Unmut über die mangelnde Regierungskommunikation und die fehlende Berücksichtigung der Interessen junger Menschen geäußert. Mit Antritt von Tsai Ing-wen und dem Regierungskabinett wurde das Amt des Ministers für Digitales geschaffen, das in einem Social Innovation Hub angesiedelt ist und sich im politischen Kontext auf ungewohnte, fast schon radikale Weise mit Fragen auseinandersetzt, wie Defizite demokratischer Willensbildung in digitalen Gesellschaften angegangen werden können. Dabei werden in der Praxis konkrete Schritte ausprobiert, um Transparenz, neue Formen der Bürgerbeteiligung und letzten Endes auch die Identifikation der Bürger mit dem politischen System zu stärken. An wenigen Beispielen zeigt sich so anschaulich, wie stark sich Demokratie von partizipativen Elementen im gesellschaftlichen Alltag nährt. Auch wenn sich der Prozess hin zur Entscheidungsfindung im politischen Kontext mühsam gestaltet, zeigt sich Taiwans Digitalministerin Audrey Tang davon überzeugt, dass Werte wie Glaubwürdigkeit und sozialer Zusammenhalt nur auf diese Weise zentral in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gestellt werden können und die Würde des Einzelnen damit gewährleistet ist. In Taiwan hat man hierfür einen Begriff geprägt: „Breitband ist ein Menschenrecht“.

Implikationen der Wahlen

Der Umgang mit Desinformationskampagnen: Gesteigertes Vertrauen in Taiwans Demokratie?

Die Präsidentschaftswahlen stellen unabhängig ihres Ausgangs einen beachtlichen Erfolg für die taiwanesische Demokratie dar. Ähnlich den Staaten in Mittel- und Osteuropa leitete die taiwanesische Regierung Mitte der 1980er Jahre Reformen hinzu einem liberalen, demokratischen Rechtsstaat ein. Während demokratische Normen und Institutionen in Europa und dem Westen zunehmend erodieren, ist man in Taiwan leidenschaftlich um die Verteidigung der Demokratie bemüht. In Anbetracht einer Flut von Fake News haben sich sowohl die Zivilbevölkerung als auch Taiwans Institutionen dafür eingesetzt, ihre noch junge Demokratie vor externer Einflussnahme zu schützen. Organisationen wie zum Beispiel Gov Zero haben in den letzten Monaten unermüdlich daran gearbeitet, Taiwans Politik transparenter und zugänglicher zu machen. Während des Wahlkampfs haben eine Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Akteuren unentwegt soziale Medien nach Falschnachrichten durchforstet und gemeldet. Anders als in vielen westlichen Staaten, in denen Facebook erwiesenermaßen falsche und irreführende Beiträge häufig nur auf weniger prominente Plätze verweist, hat sich der Tech-Konzern im Vorfeld der Wahlen ungewöhnlich kooperativ gezeigt. Nicht zuletzt ergriff das Parlament die Initiative und verabschiedete im Dezember den Anti-Infiltration Act, der jegliche Einflussnahme durch Personen oder Organisationen verbietet, die von “feindlich gesinnten” Regierungen angeleitet oder finanziell unterstützt werden. Dies hatte die Stimmung in Taiwan im Vorfeld der Wahlen nochmals richtig aufgeheizt, war das Gesetz doch von der DPP mit Hilfe der absoluten Mehrheit im Parlament regelrecht durchgepeitscht worden. Die DPP wurde dafür im Wahlkampf entsprechend von der Opposition mit Vorwürfen konfrontiert, dass mit dem Gesetz generell Kontakte nach China unter Generalverdacht gestellt würden und auf Basis von Anschuldigungen, Personen auch gezielt diffamiert und bloßgestellt werden könnten.

Ausblick: Taiwans Außenpolitik zwischen Stabilität und dem Konflikt in der Taiwanstraße

Noch immer sind die Beziehungen zum Festland das prägende Thema im öffentlichen Diskurs Taiwans. Hierdurch fungieren die Präsidentschaftswahlen immer auch als Abstimmung über den zukünftigen Kurs dem Festland gegenüber – eine Tatsache, die sich auch daran ablesen lässt, dass Tsai ein gutes Drittel ihrer Rede an China adressierte, in der sie das von Peking vorgeschlagene Modell „Ein Land, zwei Systeme“ wie bereits im Wahlkampf als vollkommen inakzeptabel ablehnte. Die Reaktion aus Peking ließ nicht lange auf sich warten. Tsai und die DPP hätten sich „schmutziger Mittel bedient, und durch Repression und Betrug ihre eigene Gier und Bösartigkeit entlarvt“. Überhaupt habe der Westen offen in die Wahlen eingegriffen um die Volksrepublik in Schach zu halten. Dennoch seien die Wahlen nur ein vorüber-gehendes Phänomen, die Wiedervereinigung nicht aufzuhalten. Solche Töne sind weder neu noch leere Drohungen, und werden so in ähnlicher Form auch in den nächsten Monaten zu hören sein. Mit ihrem ersten Wahlsieg 2016 lösten sich Tsai und die DPP von der Politik ihres Vorgängers Ma Ying-jeou, der China gegenüber einen deutlich freundlicheren Kurs eingeschlagen hatte. Seither hat Peking wenig unversucht gelassen, Taiwan auf internationaler Bühne zu isolieren. So hat es Peking geschafft, Taiwan während der ersten Amtszeit Tsai Ing-wens insgesamt sieben diplomatische Verbündete – zuletzt Kiribati und die Salomonen – abspenstig zu machen. Gleichzeitig klagt man in Taipeh darüber, dass Taiwan der Zugang zu internationalen Organisationen wie zum Beispiel der Weltgesundheitsorganisation verwehrt bliebe.

Rhetorische Scharmützel zwischen Peking und Taipeh

Nicht zuletzt hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping Anfang 2019 erklärt, die Wiedervereinigung mit dem Festland sei unausweichlich, falls nötig auch mit gewaltsamen Mitteln – eine Rede, die dem Wahlkampf eine andere Richtung gab und für die bis Mai 2019 in Umfragen deutlich hinter Herausforderer Han Kuo-yu liegende Tsai Ing-wen, letztlich die Kehrtwende einleitete. Doch obgleich man in Peking gut beraten wäre, sich vor Augen zu führen, dass der zunehmende Druck und die dramatische Zuspitzung der Lage in Hongkong Tsais effektivster Wahlkampfhelfer waren, ohne den ihr Rekordsieg sicher nicht zustande gekommen wäre, erscheint ein Festhalten am bisherigen Kurs der KP die wahrscheinlichste Option. Die Bemerkung, laut der Peking sich zwar weiterhin der Stabilität verpflichtet sehe, allerdings den „gesamten Werkzeugkoffer“ politischer Maßnahmen in der Hinterhand habe, verdeutlicht hierbei, dass sich China unter Xi weiter von der Politik des „Status Quo“ entfernt. Doch auch die DPP und Tsai selbst sind sich für kleine Provokationen nicht zu schade. Im Anschluss an den Wahlsieg sprach Tsai nicht wie früher üblich von „Taiwan“, sondern von der „Republik China, Taiwan“, in vollem Bewusstsein, dass diese – einen unabhängigen Staat implizierende – Nuance von den Machthabern auf dem Festland als weiterer Beweis für die Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer Partei aufgefasst würde. Dieses wechselseitige Rütteln ist nicht zuletzt deshalb so gefährlich, weil sich auch das militärische Kräfteverhältnis in den letzten Jahren deutlich verändert hat: In einer 2019 veröffentlichten Studie des International Institute for Strategic Studies argumentiert der australische Politikwissenschaftler Brendan Taylor, dass einerseits Taiwan im Konfliktfall in absehbarer Zeit nicht mehr länger in der Lage sein wird, sich bis zu einem möglichen Eingreifen seitens der USA zu verteidigen; und dass die militärische Dominanz der USA im ostasiatischen Raum in den nächsten Jahren an ihre Grenzen zu kommen droht.

Welche Optionen bleiben Peking also? Eine politische Annäherung zwischen Tsais DPP und der KP und Xi scheint vorerst ausgeschlossen. Und auch wenn die KP militärische Gewalt nicht ausschließt, ist diese sicherlich nicht die bevorzugte Option. Am wahrscheinlichsten scheint es, dass Peking weiterhin versucht, die letzten verbliebenen Partner Taiwans loszueisen und Taipeh somit weiterhin international zu isolieren. Innenpolitisch wird man in Peking sicherlich auch weiterhin versuchen, den öffentlichen Diskurs im Sinne der eigenen Politik zu formen, in traditionellen sowie sozialen Medien. Sollten diese Versuche nicht fruchten – und darauf deutet das Wahlergebnis hin – könnte man in Peking gewillt sein, die engen wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Taiwan und dem Festland zu lockern. Zwar profitiert auch das Festland vom Handel, die Volksrepublik hat jedoch immer wieder gezeigt, dass man im Zweifelsfall gewillt ist, wirtschaftliche Interessen politischen Vorgaben unterzuordnen.

Mit ihrer strategischen Orientierung nach Süden zielt Taiwans Regierung deshalb vor allem darauf ab, die Beziehungen zu den Ländern Süd- und Südostasiens zu festigen, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von der VR China zu reduzieren und damit Taiwans export-getriebene Wirtschaft mittelfristig zu diversifizieren. Während eine Intensivierung der Beziehungen durch die Etablierung von akademischen Partnerschaften in der Region und Initiativen auf Seiten der Zivilgesellschaft stark sichtbar geworden ist, konnte die DPP die anvisierte wirtschaftliche Entflechtung Taiwans von der Wirtschaft der VR China nur bedingt voranbringen. Trotz der gestiegenen Spannungen zwischen Taipei und Peking gehen weiterhin etwa 40% von Taiwans Gesamtexporten nach Festlandchina und nach Hongkong.

Die Europäische Perspektive

Aus Sicht der Europäer bleibt die bestimmende Variable im Verhältnis zu Taiwan das Festland. Änderungen in den Beziehungen zu Taiwan hängen zu einem großen Grad davon ab, welche Reaktion man aus Peking erwartet. Und dass sich der Fokus westlicher China-Debatten seit einigen Jahren von wirtschaftlichen Möglichkeiten zu wirtschafts- und sicherheitspolitischen Risiken verschoben hat, liegt nicht zuletzt an der Bereitschaft Pekings, wirtschaftliche Beziehungen (und Abhängigkeiten) als Druckmittel zu benutzen. Diesem Kontext ist es wohl geschuldet, dass sich die Bundesregierung im Gegensatz zu den Wahlen 2012 und 2016 in diesem Jahr nicht zu einer Reaktion auf die Wahl, geschweige denn Glückwünschen, durchringen konnte. Dennoch sieht man in Taipeh innerhalb Europas vor allem die E3 – zuallererst Frankreich, aber auch Deutschland und Großbritannien – als potentiell gleichgesinnte Partner. Ein möglicher deutscher Sinneswandel hin zur Durchführung oder aktiven Teilnahme an einer ʻFreedom of Navigationʼ-Operation würde in Taipeh jedenfalls begrüßt.


Dabei lohnt sich aus europäischer Perspektive der Blick auf Taiwan nicht zuletzt im Hinblick auf die eigenen Diskussionen, insbesondere in Bezug auf Taiwans Erfahrungen im Bereich 5G: Denn Taipeh hatte bereits 2015 beim Bau der Infrastruktur für das 4G-Netzwerk des Landes auf chinesische Ausrüster verzichtet. Damals regte die von Studenten initiierte Sonnenblumenbewegung zu einer größeren Debatte zum Umgang mit Peking an, in deren Folge ein breiter gesellschaftlicher Konsens, getragen sowohl aufseiten der taiwanesischen Institutionen als auch der Öffentlichkeit hinsichtlich der Sicherheit der kritischen Infrastrukturen entstand. Heute ist man in Taipeh überzeugt, dass dieser Schritt letztendlich die Innovationskraft der eigenen Unternehmen bestärkt habe. Auch bei der aktuellen Ausschreibung der 5G-Lizenzen ist klar, dass chinesische Netzwerkausrüster außen vor bleiben. Bedenken, dass dies zu technologischen Qualitätseinbußen oder einer zeitlichen Verzögerung der Implementierung führen könnte, scheinen unbegründet. Im Gegenteil: Am 16. Januar 2020 endete die offizielle Auktion für die Lizenzen des 5G-Netzes in Taiwan mit einem weltweiten Rekordwert.


Anders als das Deutsche Institut in Taipeh, dessen Kapazitäten mit sieben Mitarbeitern deutlich beschränkt sind, fungiert das American Institute in Taiwan mit 450 Mitarbeitern als diplomatisches Schwergewicht. Aus Sicht Taipehs ist das im Rest der Welt vorherrschende Naserümpfen angesichts der (außenpolitischen) Eskapaden Präsident Trumps ein Luxus, den man sich leisten können muss. Angesprochen auf die deutsch-französische „Allianz der Multilateralisten“ konstatiert man in außenpolitischen Zirkeln, dass man vom Stil des amerikanischen Präsidenten natürlich nicht immer begeistert sei, dass Washington allerdings Ergebnisse liefere. Zwar ist man besorgt, dass Taiwan in den Verhandlungen zwischen China und Amerika zur Verhandlungsmasse werden könnte, insgesamt sei das Verhältnis zu den Amerikanern allerdings besser als je zuvor seit 1979, als Washington seine diplomatische Anerkennung von Taipeh auf Peking übertrug. Der 2018 vom amerikanischen Kongress verabschiedete Taiwan Travel Act erlaubt es den offiziellen Vertretern Washingtons, ihre jeweiligen Pendants zu treffen. Und so sollte es nicht verwundern, dass Tsai Ing-wen am Tag nach ihrem Wahlsieg den Generaldirektor des American Institute, William Brent Christensen, traf. Der mit Abstand wichtigste Partner Taiwans bleibt dementsprechend Washington – zumal ein durch die Volksrepublik kontrolliertes Taiwan es Peking deutlich erleichtern dürfte, seine Machtansprüche im Südchinesischen Meer auch durchzusetzen.

Am 25. Januar 2020 begrüßen die Taiwaner nach dem chinesischen Mondkalender das Jahr der Ratte, welches am Anfang des 12-jährigen Zyklus innerhalb des Tierkreises und damit auch symbolisch für Neuanfänge jeglicher Art steht. Ob die zweite Amtszeit Tsai Ing-wens solch einen Neuanfang mit sich bringt, wird sich zeigen. Jenseits intensiver Debatten, die den innen- und außenpolitischen Kurs Taiwans prägen werden, wird eines jedoch sicherlich bleiben: Taiwans ausgestreckte Hand auf der Suche nach internationalen Partnern und Verbünden.

 

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Referent für Asien und Pazifik (Peking, Shanghai, RECAP)

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