Ausgabe: 3/2025
- Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollte wirtschaftsnäher und strategischer ausgerichtet werden, um ihren gesellschaftlichen Rückhalt zu stärken und deutschen Unternehmen den Zugang zu Entwicklungs- und Schwellenländern zu erleichtern.
- Ein offener und transparenter Umgang mit eigenen Interessen wird von Partnerländern positiv bewertet, da er als respektvoll und legitim gilt, während paternalistische Ansätze, die sich an gesellschaftspolitischen Debatten in Deutschland orientieren, den Rückhalt hier wie in Partnerländern schwächen.
- Entwicklungszusammenarbeit nützt auch der deutschen Bevölkerung, etwa durch Unterstützung anderer Länder bei globalen Herausforderungen wie Migration, Sicherheit, Gesundheitskrisen und Klimawandel.
- Ehrliche Kommunikation über Erfolge und Misserfolge ist entscheidend, um Vertrauen zu schaffen und unrealistische Erwartungen zu vermeiden, die (rechts-)populistischen Kräften Argumente für ihre Pauschalkritik an entwicklungspolitischem Engagement liefern könnten.
- Auch wenn eine Neuausrichtung entlang eigener Interessen wichtig ist, leitet sich Entwicklungszusammenarbeit aus christdemokratischer Sicht weiter auch aus einer ethischen Pflicht zur Armutsbekämpfung ab.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit (EZ) steht unter erheblichem Druck. Nach Kürzungen im Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter der Ampelregierung hat auch die neue Bundesregierung Einsparungen in der EZ angekündigt. Umfragen zeigen, dass der Rückhalt für EZ-Ausgaben in der Bevölkerung abnimmt, auch wenn nach wie vor eine Mehrheit deutsches EZ-Engagement generell unterstützt.1 Während es berechtigte Kritikpunkte hinsichtlich der Ausrichtung und Wirksamkeit der deutschen EZ gibt, versuchen nationalpopulistische Kräfte wie die AfD auf mitunter äußerst polemische Weise, die Legitimität deutscher Entwicklungspolitik ganz grundsätzlich zu untergraben. Dazu kommen massive Umwälzungen auf internationaler Ebene, die sich unter anderem in einem verschärften Systemkonflikt und Unsicherheiten im transatlantischen Verhältnis äußern. Von überragender Bedeutung ist zudem der neue entwicklungspolitische Kurs der USA, der eklatante Lücken bei der Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen reißt und die Bedingungen, unter denen EZ stattfindet, grundlegend verändert.
Außenpolitik aus einem Guss
Die deutsche EZ wird nicht umhinkommen, sich diesen finanziellen und politischen Realitäten zu stellen und entsprechend neu auszurichten. Sie sollte in einem ganzheitlichen Ansatz die Förderung von Entwicklung und Demokratie sowie den Schutz sogenannter globaler öffentlicher Güter wie Klima und Gesundheit deutlich stärker als bisher mit der Verwirklichung strategischer Ziele in den Bereichen Sicherheit, Migration und Wirtschaft verknüpfen. Dafür muss sie enger mit der deutschen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik abgestimmt werden, um die Kohärenz deutschen Außenhandelns zu steigern. Dass sich die neue Regierungskoalition auf die Einführung eines Nationalen Sicherheitsrats verständigt hat, dem vor diesem Hintergrund eine zentrale Koordinierungsfunktion zukommt, ist ein wichtiger erster Schritt hin zu einem Außenhandeln „aus einem Guss“.
Wertegeleiteter Pragmatismus
Handlungsleitend für die zukünftige deutsche Entwicklungspolitik sollte eine pragmatische Haltung sein, die die Wertebindung der EZ nicht aufgibt, geostrategischen und geoökonomischen Erwägungen jedoch mehr Gewicht beimisst. Es bedarf klarer Kriterien bei der Frage, wie und wo sich Deutschland entwicklungspolitisch engagiert, sowie der Bereitschaft, die hiesige Privatwirtschaft stärker einzubeziehen. Dabei lohnt auch ein offener Blick auf das entwicklungspolitische Vorgehen anderer Staaten, die ihre EZ längst auf sehr strategische Weise und unter umfangreicher Einbindung heimischer Wirtschaftsakteure einsetzen. Darüber hinaus sollte innerhalb der deutschen Entwicklungspolitik stärker darauf hingewirkt werden, dass sich EZ-Angebote an den tatsächlichen Bedürfnissen vor Ort und nicht an den Moden deutscher Debatten orientieren. Bei der Kommunikation „nach innen“ wiederum ist es sinnvoll, noch stärker zu verdeutlichen, warum auch Deutschland von einer effektiven EZ profitieren kann und weshalb Entwicklungspolitik ein wichtiges und auch von vielen anderen Ländern gezielt eingesetztes Instrument staatlichen Außenhandelns darstellt.
Realistische Ziele
Ein solcher „wertegeleiteter Pragmatismus“ hat keine Scheu, strategische Interessen Deutschlands offen zu formulieren, und er weiß um die Potenziale, aber auch um die Grenzen entwicklungspolitischen Engagements. Er steht für eine EZ, die sich realistische Ziele setzt. Was er indes nicht macht, ist, jenen Kräften nach dem Mund zu reden, die der Bundesrepublik den Weg in die nationalistisch-protektionistische Wagenburg anempfehlen, multilaterale Kooperation diskreditieren und letztlich eine Politik fordern, die deutschen Interessen diametral zuwiderläuft. Die Bundesrepublik ist als Exportnation und drittgrößte Volkswirtschaft der Welt auf Handel, Kooperation und Vernetzung angewiesen und profitiert von positiven Entwicklungen in anderen Weltregionen, sofern man dort über verlässliche Zugänge verfügt. Das unterstreicht die Bedeutung einer effizienten EZ, die mit ihrer vielfältigen Akteurslandschaft wirksame Verbesserungen herbeiführen und die Außenwirkung und den internationalen Ruf Deutschlands positiv mitprägen kann.
Teil deutscher soft power
Trotz fraglos vorhandener Herausforderungen bei der Zielgenauigkeit deutscher EZ hat sich Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten durch sein entwicklungspolitisches Engagement eine hohe Reputation sowie ein im internationalen Vergleich laut Experten bemerkenswertes Netzwerk aufgebaut, „das die Arbeit der Diplomatie in guten und schlechten Zeiten begleiten kann“2. Eine komplette Abkehr von dieser entwicklungspolitischen Linie würde das internationale Ansehen und die Einflussmöglichkeiten Deutschlands mindern und systemischen Konkurrenten wie Russland und China neue Möglichkeiten eröffnen. Vor dem Hintergrund des Rückzugs der USA aus multilateralen Foren sowie der gravierenden Folgen des Wegfalls großer Teile der US-Entwicklungsgelder nehmen die Erwartungen an Deutschland und Europa zu. Die Bundesrepublik sollte dies auch als Chance sehen: Sie wird die USA naturgemäß nicht ersetzen können, kann sich aber gerade jetzt auch durch eine verlässliche EZ als vertrauenswürdiger Partner zeigen und einen Beitrag dazu leisten, dem durch die aktuelle US-Politik in vielen Regionen massiv beschleunigten Glaubwürdigkeitsverlust westlicher Politik zumindest zu einem gewissen Grad entgegenzuwirken. Deutschland sollte Entwicklungspolitik als relevante Säule eines strategisch ausgerichteten Außenhandelns betrachten. Als Element von soft power kann EZ neben der Förderung von Entwicklung in Partnerländern auch dazu beitragen, der Verwirklichung eigener außenpolitischer Ziele näher zu kommen, da sie – sinnvoll eingesetzt – das politische Gewicht und die Überzeugungskraft der Bundesrepublik auf internationaler Ebene erhöht.3
EZ strategischer ausrichten
Seit etwa einer Dekade haben sich die internationalen Beziehungen stetig von einer regelbasierten Ordnung mit einer vergleichsweise hohen Akzeptanz für multilaterale Institutionen hin zu systemischer Konkurrenz und einem Wiedererstarken der Vorstellung von Einflusssphären und Machtbereichen gewandelt. Zentrale Treiber dieser Entwicklung sind Russland und China, die danach streben, die seit Beginn der 1990er-Jahre errichtete Weltordnung zu unterminieren, die aus ihrer Sicht die Dominanz des „politischen Westens“ garantiert. Während Russland darauf abzielt, NATO und EU zu schwächen, um vor allem in ehemaligen Sowjetrepubliken wieder signifikant an Einfluss zu gewinnen, ist es das Kernanliegen chinesischer Politik, Hegemonie im indopazifischen Raum zu erlangen und binnen der nächsten zwei Jahrzehnte die Vereinigten Staaten als führende Weltmacht abzulösen.
Folglich besteht die gemeinsame Agenda Moskaus und Pekings im „(Wett-)Kampf der Systeme“ darin, westliche Staaten zu entzweien, multilaterale Organisationen zu schwächen beziehungsweise nach ihrem Gusto umzugestalten und liberale Demokratien nicht zuletzt durch Desinformation zu diskreditieren. Dabei werden auch Länder außerhalb der „umkämpften“ Einflusssphären und Machtbereiche in Ost-/Mitteleuropa und Ostasien – also in Lateinamerika, Afrika und im Nahen und Mittleren Osten – umworben. China und Russland setzen dem westlich geprägten liberalen Entwicklungsparadigma Infrastrukturprojekte, Handelsbeziehungen und Militärkooperationen entgegen und versuchen, mit Projekten wie der Erweiterung des Staatenbündnisses BRICS eine „globale Gegenallianz“ und letztlich eine alternative Weltordnung aufzubauen. Dabei finden die Bemühungen Russlands und Chinas inzwischen vor dem Hintergrund tiefgreifender Unsicherheiten im transatlantischen Verhältnis statt, die in Europa nicht nur eine massive Steigerung der Verteidigungsausgaben nötig machen, sondern auch die Frage aufwerfen, inwieweit sich die USA überhaupt noch als Teil eines westlichen Wertebündnisses verstehen.
Angesichts dieser geopolitischen Zuspitzung wird Deutschland als zentraler EU-Akteur international entschiedener für europäische Interessen und Werte eintreten müssen. Dabei sollte auch die Entwicklungszusammenarbeit eine Rolle spielen und gezielt als Gegenmodell zu den autoritären Ansätzen Chinas und Russlands positioniert werden, bei denen Menschenrechte und rechtsstaatliche Standards keine Rolle spielen. Vor dem Hintergrund begrenzter Mittel ist es wichtig, die strategische Bedeutung von EZ stärker zu betonen – ohne zu suggerieren, dass die deutsche EZ allein in der Lage wäre, komplexe Herausforderungen wie globale Migrationsbewegungen, Armutsreduzierung oder die Stabilisierung fragiler Regionen zu lösen. Sie kann immer nur ein Teil eines umfassenderen Ansatzes zur Bearbeitung derartiger Großthemen sein, deren Bewältigung zuvorderst von der Qualität und dem politischen Willen der Regierungen vor Ort abhängt. Diese Feststellung schmälert nicht die Bedeutung von EZ, schützt aber vor überzogenen Erwartungen, wie sie in der deutschen EZ-Debatte laut Kritikern nicht selten anzutreffen sind.4 Eine strategischere Ausrichtung der deutschen EZ sollte folgende Aspekte einbeziehen:
Antiwestlichen Narrativen den Resonanzboden entziehen
Es liegt im strategischen Interesse Deutschlands und Europas, Kräften wie Russland und China gerade in geopolitisch bedeutsamen Entwicklungsländern nicht das Feld zu überlassen. Die vielfältigen Akteure der deutschen (und europäischen) EZ können einen Beitrag leisten, dem aggressiven Vorgehen Moskaus und Pekings etwas entgegenzusetzen und Narrativen den Resonanzboden zu entziehen, die den Niedergang des Westens postulieren, China als solidarischere Alternative preisen und in vielen Entwicklungsländern verfangen.
In diesem Kontext kommt besonders jenen EZ-Projekten ein hoher Stellenwert zu, bei denen Institutionen und Personen die Zielgruppe bilden, die Einfluss auf die öffentliche Diskussion in „systemisch umkämpften Ländern“ haben und dazu beitragen können, Propaganda und Desinformation zu entlarven. Dies sind zum Beispiel akademische Einrichtungen, Ministerien oder Parlamenten zugehörige wissenschaftliche Dienste, Denkfabriken, Medien, Parteien oder herausragende Einzelpersonen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Die deutsche EZ sollte den Fokus vermehrt auf die Bildung und Stärkung derartiger Netzwerkkooperationen legen, die auch eine geopolitische Dividende bringen.5 Mit Blick auf öffentliche Debatten in strategisch wichtigen Ländern ist aufseiten deutscher EZ-Akteure zudem ein ausgeprägteres Bewusstsein nötig, wie die Verbreitung bestimmter Versatzstücke aus dem postkolonialen Theorieumfeld systemischen Rivalen bei dem Versuch in die Hände spielen kann, die regelbasierte Weltordnung zu delegitimieren und antiwestliche Stimmungen zu erzeugen. Die deutsche EZ sollte derlei „postkoloniale Begriffsumdeutungen und Annahmen“6 nicht auch noch leichtfertig selbst verbreiten. Ähnliches gilt für die künstliche und angesichts des enormen Entwicklungssprunges zahlreicher Länder längst nicht mehr zeitgemäße Unterteilung der Welt in einen „Globalen Norden“ und einen „Globalen Süden“.
Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheitspolitik
Krisen in vermeintlich entlegenen Regionen können ausgreifen und – man denke an den sogenannten Islamischen Staat – unmittelbare Konsequenzen auch hierzulande haben. Erfolgreiche Maßnahmen zur Konfliktprävention haben daher positive Auswirkungen auch auf die Sicherheit Deutschlands. Im Sinne des Konzepts der „vernetzten Sicherheit“ kann die EZ einen Beitrag zur Stabilisierung fragiler Staaten und zu besseren Lebensperspektiven leisten und dadurch helfen, beispielsweise terroristischen Akteuren aus dem islamistischen Spektrum die Rekrutierung von Nachwuchs zu erschweren.
Entwicklungszusammenarbeit sollte daher als Teil einer umfassenderen Strategie zur Verwirklichung sicherheitspolitischer Ziele verstanden werden. Eine nachhaltige Sicherheitspolitik setzt nicht nur auf die unabdingbare Stärkung militärischer Fähigkeiten, also auf die Förderung von hard power, sondern ergänzt diese Schritte durch Investitionen in die eigene soft power. Auf die „sicherheitspolitische Dimension“ von EZ haben im Vorfeld der vergangenen Münchner Sicherheitskonferenz erfahrene Politiker und Diplomaten in einem parteiübergreifenden Appell hingewiesen, in dem sie eine auskömmliche Finanzierung der deutschen EZ fordern. „Entwicklungspolitik ist Sicherheitspolitik“7, heißt es dort.
Kooperation und Multilateralismus stärken
Deutschland benötigt für die Umsetzung außenpolitischer Ziele funktionierende multilaterale Organisationen sowie die Bereitschaft anderer Staaten, seine Anliegen – etwa im UN-Kontext – zu unterstützen. Entwicklungspolitik ist ein Instrument, um das Ansehen und die Überzeugungskraft Deutschlands zu mehren, Allianzbildungen zu erleichtern und Einflussmöglichkeiten zu erweitern.8 Es ist ein Mehrwert von EZ, dass sie dazu beiträgt, verlässliche Beziehungen und vielfältige Zugänge in Entwicklungsländern zu etablieren sowie durch die Präsenz vor Ort detailliertes Wissen über lokale Gegebenheiten zu generieren, das außenpolitisch nutzbar gemacht werden kann.9
Es liegt im deutschen Interesse, multilaterale Institutionen und kooperative Elemente der internationalen Ordnung zu stärken, die angesichts der neoimperialen Ambitionen etwa von Russland und des globalen Erstarkens national-protektionistischer Tendenzen unter massiven Druck geraten sind. Eine auf Einflusssphären aufbauende Großmachtordnung, wie sie beispielsweise Moskau durch den Krieg gegen die Ukraine gewaltsam zu erzwingen versucht, missachtet die Souveränität und Selbstbestimmung anderer Staaten und widerspricht deutschen und europäischen Interessen und Werten fundamental.
Auch beim Schutz globaler öffentlicher Güter wie Klima und Gesundheit bedarf es handlungsfähiger multilateraler Organisationen. Entsprechend ist es wichtig, dass Deutschland ein hohes Unterstützungsniveau für UN-Organisationen – darunter nicht zuletzt die WHO – und Initiativen wie die Impfallianz Gavi und den Global Fund aufrechterhält. Dieses Engagement gewinnt auch deshalb an Bedeutung, weil die aktuelle US-Entwicklungspolitik gerade auf dem Feld der globalen Gesundheit bereits gravierende Konsequenzen hat und bedeutende Erfolge der jüngeren Vergangenheit gefährdet. Dies betrifft etwa den Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria sowie Themen wie die Mütter- und Kindergesundheit.10 Deutschland hat laut Experten im Bereich der globalen Gesundheitsförderung eine Führungsrolle inne. Diese sollte es wahren, zumal EZ-Maßnahmen in diesem Bereich als besonders wirksam gelten und offenkundig – Stichwort Pandemieprävention – auch für das Wohlergehen hierzulande von großer Relevanz sind.11
Die Unterstützung multilateraler Initiativen ist dabei längst auch zu einer grundlegenden Frage westlicher Glaubwürdigkeit geworden. Mangelnde Glaubwürdigkeit erschwert Allianzbildungen und kann (potenzielle) Partner dazu animieren, sich anderen Akteuren zuzuwenden, und somit die eigene geopolitische Stellung untergraben. Auch deshalb ist es wichtig, dass sich Deutschland auf multilateraler Ebene weiter aktiv und verlässlich einbringt und die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen als Orientierungspunkt für die eigene Entwicklungspolitik versteht. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips bedarf es gleichwohl auch im multilateralen Kontext einer regelmäßigen Prüfung, welche Aufgaben auf globaler, europäischer oder nationaler Ebene am besten angegangen werden können.
Irreguläre Migration begrenzen
Die irreguläre Migration ist das entscheidende Mobilisierungsthema rechtspopulistischer und rechtsextremer Kräfte in Europa – jener Kräfte also, die zentrale Pfeiler der liberalen Demokratie von innen heraus attackieren, den europäischen Einigungsprozess rückabwickeln wollen und als wichtige Multiplikatoren prorussischer Narrative fungieren. Will man ihr weiteres Erstarken verhindern, ist ein spürbarer Rückgang der irregulären Einwanderung nach Europa zentral.
Die EZ sollte als Baustein einer Strategie zur Reduzierung irregulärer Migration verstanden werden und dazu beitragen, dass sich Menschen nicht auf die oft lebensgefährliche Reise nach Europa begeben. Dabei lassen sich strategische und ethische Erwägungen gut miteinander verbinden: So ist etwa die ausreichende Ausstattung von Einrichtungen und Hilfswerken, die Kriegsflüchtlingen eine heimatnahe und menschenwürdige Unterbringung ermöglichen, sowohl ethisch begründbar als auch im deutschen Interesse, da dadurch die Anreize zur Weiterflucht nach Europa reduziert werden. Dies hat nicht zuletzt die Flüchtlingskrise von 2015 gezeigt, als Kürzungen bei den Lebensmittelhilfen für syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern ein Auslöser dafür waren, dass sich so viele Menschen auf den Weg nach Europa machten.12 Angesichts des aktuell massiven humanitären Bedarfs und hoher Flüchtlingszahlen ist daher eine angemessene finanzielle Ausstattung der entsprechenden Hilfswerke (UNHCR, UNOCHA) notwendig. Wichtig bleibt auch die Unterstützung fragiler Schlüsselländer in Konfliktregionen, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen. Als Teil deutscher soft power kann die EZ zudem in Partnerländern die Bereitschaft zur Rücknahme abgelehnter Asylbewerber erhöhen. Auch Länder wie Großbritannien, Frankreich und Schweden haben das Thema Migration in ihre Entwicklungspolitik integriert. Die deutsche EZ sollte die Reduzierung von Fluchtursachen noch stärker in den Fokus rücken, aber auch kritisch prüfen, inwieweit vergangene Ansätze erfolgreich waren oder sogar Fehlanreize gesetzt haben (etwa in Afghanistan).
Demokratie pragmatisch fördern
Die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bleibt in einer stärker an strategischen Interessen ausgerichteten EZ wichtig. Dass sich eine wertegeleitete Entwicklungspolitik und eigene Interessen nicht widersprechen müssen, zeigen etwa Kanada und Frankreich. Das Beispiel Großbritannien verdeutlicht hingegen, dass es durchaus eine Herausforderung sein kann, dabei eine gute Balance zu finden. Großbritannien hat in den vergangenen Jahren seine Entwicklungspolitik durch die Zusammenlegung von Entwicklungs- und Außenministerium stärker entlang außenpolitischer Prioritäten ausgerichtet, laut Kritikern jedoch durch Budgetkürzungen und eine übermäßige Priorisierung kurzfristiger Ziele an entwicklungspolitischer Relevanz verloren und damit insgesamt an internationalem Ansehen und Einfluss eingebüßt.13
Deutschland tut gut daran, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu fördern. Ein starker Rechtsstaat erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Investitionen nicht versickern, und stabile sowie repräsentative Institutionen verringern die Gefahr von Instabilität. Zudem gilt zumeist die Maxime, dass Demokratien bessere Verbündete abgeben: Die Wahrscheinlichkeit eines guten Verhältnisses zu Deutschland und zur EU ist bei demokratischen Gesellschaften höher („geopolitische Dividende der Demokratieförderung“). Einige Länder – gerade auch in Lateinamerika – präferieren auch wegen übereinstimmender Werte Deutschland und Europa als Partner.
Bei der Demokratieförderung braucht es jedoch eine realistische Grundhaltung und einen langen Atem – in kurzer Zeit weitreichende Fortschritte zu erwarten, führt unweigerlich zu Enttäuschungen. Alle EZ-Bemühungen in diesem Bereich müssen vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass mehr als 70 Prozent der Weltbevölkerung in Regimen mit autokratischen Merkmalen leben. 2021 flossen laut einer OECD-Studie circa 80 Prozent aller öffentlichen Entwicklungsgelder in Autokratien. Entwicklungspolitik kommt nicht umhin, mit Autokratien zu kooperieren, muss sich jedoch bewusst sein, dass EZ-Gelder autokratische Herrschaft indirekt stabilisieren können. Dies macht eine Prüfung der Gewichtung einzelner Instrumente, der Prioritäten, Zielgruppen und Empfängerländer besonders wichtig.
Gerade bei Transformationsländern und fragilen Demokratien sollte der Schwerpunkt deutlich stärker als bisher auf der Stärkung repräsentativer politischer Institutionen liegen (Parlamente und Parteien). Es geht hier ausdrücklich nicht um ein „Überstülpen vorgefertigter (Demokratie-)Schablonen“, vielmehr sollten angesichts der Präsenz illiberaler Geberstaaten EZ-Gelder vermehrt in die Stärkung von Netzwerken und – sofern vorhanden – repräsentativen Institutionen fließen, die als Multiplikatoren fungieren und Überzeugungsarbeit für demokratische Ansätze leisten können. Der Kampf gegen Desinformation sollte zudem einen wichtigeren Platz einnehmen.
Nicht selten hört man zudem aus Ländern, in denen die deutsche EZ aktiv ist, dass deren Angebote an den Bedürfnissen vor Ort vorbeigehen. Für eine gelungene Themensetzung ist es zentral, sich von deutschen gesellschaftspolitischen Debatten zu lösen und sich auf das zu fokussieren, was in Partnerländern nachgefragt wird und gesellschaftlich anschlussfähig ist. Ein belehrender Modus – etwa bei gesellschaftlichen Themen oder in Klimafragen – führt zu Abwehrreflexen und muss in jedem Fall vermieden werden.
Entwicklungszusammenarbeit europäischer denken
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit kann unmöglich allein Lösungen für die Vielzahl der globalen Herausforderungen bieten und wird inhaltlich wie geografisch stärker priorisieren müssen. Die Diskussion über eine Neuausrichtung der deutschen EZ sollte daher den europäischen Kontext einbeziehen und strategische Veränderungen in anderen EU-Mitgliedstaaten und in Brüssel zur Kenntnis nehmen. Die notwendige stärkere innereuropäische Abstimmung ist nicht gleichzusetzen mit einer Abschaffung nationaler Entwicklungspolitiken. Die Voraussetzungen für die von einigen geforderte volle Europäisierung der EZ sind (noch) nicht gegeben: Zu unterschiedlich sind bisweilen Interessen und Schwerpunktsetzungen der EU-Mitgliedstaaten. Zudem wäre die Europäische Kommission mit einer solchen Aufgabe voraussichtlich noch überfordert.
Die deutsche EZ sollte gleichwohl eine stärkere Komplementarität zur EZ der EU und ihrer Mitgliedstaaten aufweisen, um Redundanzen zu vermeiden, Ressourcen sinnvoll einzusetzen und wichtigen Partnern konkurrenzfähige Angebote vorlegen zu können. Es ist sinnvoll, die Abstimmung zwischen den nationalen Entwicklungspolitiken zu verstärken (mit dem mittel- bis langfristigen Ziel einer innereuropäischen Aufgabenteilung), um gezielter die besondere Expertise einzelner Staaten zu nutzen. Während etwa Estland eine stärkere Rolle bei der Unterstützung der Digitalisierung in Partnerländern einnehmen könnte, verfügen Dänemark und Deutschland über ausgeprägte Fähigkeiten im Wassermanagement. Kein anderer EU-Staat besitzt zudem eine so tiefgehende Expertise bei der Stärkung von Rechtsstaatlichkeit, beim Institutionenaufbau (insbesondere in der Arbeit mit Parteien und Parlamenten) sowie in der Demokratieförderung wie Deutschland.
Gleichzeitig liegt es im Interesse Deutschlands, dass die Ende 2021 von der Europäischen Kommission lancierte Global-Gateway-Initiative erfolgreich ist: Diese soll vor allem nachhaltige Infrastrukturprojekte in Partnerländern fördern, verstärkt den Privatsektor einbeziehen und neben einer geopolitischen auch eine ökonomische Dividende für die EU abwerfen. Bislang hat diese Initiative noch nicht die geplante Wucht entfaltet. Deutschland sollte sich zudem aktiv in die Diskussion über eine langfristige Reform der europäischen EZ einbringen und sich bei den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (2028 bis 2035) der EU für eine europäische Entwicklungs- und Partnerschaftspolitik einsetzen, die geopolitisch nicht „blind“ ist, eine gute Balance zwischen Global-Gateway-Projekten, Demokratieförderung und traditioneller Entwicklungspolitik anstrebt, anreizbasierter agiert (unter anderem durch eine Verringerung direkter Budgethilfen für bestimmte autokratische Länder) und die Reduzierung von Fluchtursachen durch eine Strategie gegenüber fragilen Staaten in der erweiterten Nachbarschaft der EU noch intensiver angeht. Auch sollte sich die Bundesrepublik dafür einsetzen, dass die Abänderung oder Aussetzung von Gesetzesakten (zum Beispiel Entwaldungsverordnung, Nachhaltigkeitsberichterstattung), die die Zusammenarbeit mit wichtigen Partnerländern belasten und das Engagement europäischer Unternehmen unverhältnismäßig behindern, erwogen wird.
Klare Kriterien entwickeln
Um die deutsche EZ strategischer auszurichten, sollte als Grundlage für die regierungsseitig vereinbarte EZ, also die von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) implementierten „finanzintensiven“ Vorhaben, ein in der Vergangenheit bereits angemahnter Kriterienkatalog erarbeitet werden. Dieser müsste in der Gruppe der zum Erhalt von Official Development Assistance (ODA) berechtigten Länder politisch oder ökonomisch besonders relevante Staaten priorisieren. Die Begriffe „geostrategisch“ und „geoökonomisch“ können entlang von Kategorien wie Demografie, Lage, Rohstoffvorkommen (vor allem Seltene Erden) und diplomatische Relevanz operationalisiert werden. Ein bereits vorhandener russischer oder chinesischer Einfluss darf kein grundsätzliches Ausschlusskriterium sein – wenngleich Länder, die sich de facto zu Satellitenstaaten Pekings oder Moskaus entwickelt haben, keine Entwicklungsgelder mehr erhalten sollten.
Das Spannungsfeld, in dem der Einsatz von EZ abzuwägen ist – zwischen strategisch relevanten Akteuren, die oft autokratisch verfasst sind, und dem Anspruch, Demokratieförderung zu betreiben –, wird sich nie gänzlich auflösen lassen. Als Beispiel seien das Horn von Afrika und die dortigen Anrainerstaaten am Roten Meer genannt. Zwar lassen die Rahmenbedingungen für EZ in Staaten wie Sudan, Äthiopien, Dschibuti und Somalia vielfach zu wünschen übrig; die Einflussnahme Chinas, Russlands und mittelöstlicher Akteure, das Migrationspotenzial, der Wettbewerb um Rohstoffe und die Lage an einer wichtigen Schifffahrtslinie sind aus Sicht Deutschlands und seiner Verbündeten jedoch gewichtige Argumente für eine Präsenz vor Ort. Nur durch eine solche Präsenz ist es möglich, den Einfluss konkurrierender Akteure zu begrenzen und eigene Zugänge zu erhalten beziehungsweise zu schaffen. Als weitere nicht zuletzt unter sicherheits- und migrationspolitischen Gesichtspunkten strategisch wichtige Region ist die Sahelzone zu nennen. Offensichtlich ist auch das deutsche und europäische Interesse an einem erfolgreichen Stabilisierungsprozess in Syrien.
EZ wirtschaftsnäher gestalten
Wirtschaftliche Entwicklung ist für die Reduzierung von Armut und die Steigerung von Wohlstand von entscheidender Bedeutung. Trotz unbestreitbarer Fortschritte sind die Herausforderungen diesbezüglich vielerorts nach wie vor groß. Es ist daher wenig verwunderlich, dass in vielen EZ-Partnerländern Themen wie die Förderung des Privatsektors, Infrastrukturmaßnahmen, der Ausbau von Handelsbeziehungen, mehr Investitionen sowie bessere Berufsbildung weit oben auf der Agenda stehen.
Auch deutsche Unternehmen können durch die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung vor Ort sowie Technologie- und Wissenstransfer einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung in Partnerländern leisten, zumal sie bezüglich Umwelt- und Sozialstandards sowie Berufsbildung vielfach einen hervorragenden Ruf genießen. Bei der Frage, welche Rolle die EZ in diesem Kontext spielen kann, lohnt der Blick in andere Länder, die eine verstärkte Einbindung heimischer Wirtschaftsakteure als integralen Teil ihrer EZ betrachten. Als Vorreiter gelten die Niederlande, die eine umfängliche Verknüpfung von Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik zur Stärkung von Handel und Nachhaltigkeit umsetzen. Zum Einsatz kommen insbesondere public-private partnerships, bei denen eine Kooperation von Unternehmen und staatlichen Akteuren gefördert wird. Unklar ist jedoch, inwieweit die von der inzwischen zerbrochenen niederländischen Regierung angekündigten Kürzungen die Ausrichtung der dortigen EZ verändern.
Die deutsche EZ sollte wirtschaftsnäher ausgerichtet werden und sich damit der EZ anderer Staaten annähern. Kritiker bemängeln gerade bei der EZ unter der Ampelregierung eine weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen deutscher Unternehmen.14 Das ist auch mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Akzeptanz von EZ fatal. Stattdessen sollte die deutsche EZ durch Akzentsetzungen auf unterschiedlichen Ebenen stärker dazu beitragen, deutschen Unternehmen das Engagement in Entwicklungs- und Schwellenländern zu erleichtern.
Mehr Chancen, gerechter Wettbewerb
Zahlreiche geostrategische Wettbewerber knüpfen Entwicklungsleistungen an die Bedingung, dass eigene Unternehmen bei der Umsetzung von Vorhaben zum Zug kommen (tied aid). Und auch OECD-Staaten verbinden ihr Engagement in Entwicklungsländern stark mit der Einbindung heimischer Wirtschaftsakteure: Laut BDI vergaben Japan, die USA, Frankreich und Großbritannien 2019/2020 zwischen 60 und 85 Prozent ihres Auftragsvolumens an heimische Firmen, obwohl sie den Großteil ihrer ODA-fähigen Ausgaben als ungebunden auswiesen (untied aid). In Deutschland lag der Anteil heimischer Firmen, die von staatlich finanzierten EZ-Projekten profitierten, demnach mit circa 11 Prozent wesentlich niedriger.15 Die deutsche Entwicklungspolitik muss dieses Ungleichgewicht im Sinne eines level playing field adressieren und die Spielräume der OECD-Vorgaben zur Lieferaufbindung ähnlich nutzen, wie es andere OECD-Mitbewerber offensichtlich tun.
Dazu kommt, dass nicht zuletzt Unternehmen aus China bei prioritär auf Kosten ausgerichteten Auftragsvergaben durch staatliche Subventionierung oft bevorzugt sind. Auf mehr Nachhaltigkeit, soziale Aspekte und hohe technische Qualitätsstandards ausgerichtete Vergabepraktiken der durch die KfW umgesetzten EZ-Mittel können die Chancen deutscher (und europäischer) Unternehmen in Entwicklungsländern erhöhen.16 Überdies sollte eine grundsätzliche Diskussion darüber erfolgen, inwieweit die derzeitige Vergabepraxis, von der nicht selten systemische Rivalen profitieren, vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Entwicklungen noch zeitgemäß ist.17
Zudem sollte ein verstärkter Wettbewerb zwischen der GIZ und anderen maßgeblichen Akteuren (Wirtschaftsverbänden, Consultingwirtschaft) durch eine offene Ausschreibung von EZ-Programmen zur Wirtschaftsförderung erfolgen. Dies würde neben zusätzlicher Transparenz auch branchenspezifischen Fachverbänden die Möglichkeit bieten, ihre Expertise bei der Umsetzung von EZ-Maßnahmen im Interesse der deutschen Wirtschaft einzubringen.
Good Governance im Rohstoffsektor
Angesichts der notwendigen Reduzierung sicherheitspolitisch potenziell schädlicher ökonomischer Abhängigkeiten (de-risking) stehen Deutschland und die EU vor der Herausforderung, ihre Beschaffungsmärkte vor allem bei kritischen Rohstoffen breiter aufzustellen. Länder insbesondere in Lateinamerika und Subsahara-Afrika können hier eine wichtige Rolle spielen. Eine Rohstoffstrategie sollte entwicklungspolitisch flankiert werden.18 Neben der Unterstützung von Wirtschaftsakteuren bei der Umsetzung von Lieferkettenvorgaben geht es dabei auch um die Förderung von „Good Governance im Rohstoffsektor“19. Kritisch zu fragen ist indes, inwieweit umfangreiche Lieferkettenrichtlinien, die für Unternehmen einen hohen Aufwand bedeuten, zwar hehre Ziele verfolgen, letztlich aber kontraproduktiv sind – wenn am Ende deutsche Unternehmen aufgrund hoher Hürden von Investitionen in Entwicklungsländern Abstand nehmen und stattdessen Firmen systemischer Rivalen zum Zuge kommen, deren Standards in Bereichen wie Arbeits- oder Umweltschutz niedriger sind, nützt das weder den deutschen Diversifizierungsbemühungen noch den entwicklungspolitischen Zielen.20
Den Nutzen von EZ stärker hervorheben
Ein stärkerer Fokus auf geostrategische und geoökonomische Interessen kann in Zeiten, in denen der gesellschaftliche Konsens für EZ bröckelt, dazu beitragen, dem Politikfeld wieder mehr Akzeptanz zu verleihen. Auch in Partnerländern wird es in der Regel begrüßt, wenn Deutschland eigene Interessen offen kommuniziert, da dies nicht nur als legitim wahrgenommen wird, sondern als Ausdruck eines transparenten und respektvollen Umgangs. Nicht hilfreich sind dagegen Maßnahmen und Konzepte, die in Partnerländern Paternalismusvorwürfe nähren können, auch hierzulande polarisieren und so den Rückhalt für EZ in der deutschen Öffentlichkeit eher schwächen.21
Um den Trend der rückläufigen Unterstützung für die EZ zu stoppen, sollte klarer vermittelt werden, welchen Nutzen entwicklungspolitisches Engagement auch für die deutsche Bevölkerung hat. Neben den Themen Migration, Sicherheit und Wirtschaft ist das nicht zuletzt beim globalen Gesundheits- und Klimaschutz gut möglich. So hat vor allem die Coronapandemie gezeigt, dass in einer vernetzten Welt regionale Entwicklungen potenziell verheerende globale Folgen haben können. Auch beim Klimawandel ist offensichtlich, dass er nicht vor Grenzen haltmacht. EZ-Mittel in diesen Bereichen einzusetzen, ist daher nicht nur inhaltlich sinnvoll, sondern auch einem großen Teil der deutschen Bevölkerung gut vermittelbar, da der Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit und zum eigenen Wohlergehen leicht herzustellen ist. Auch Großbritannien (saubere Energie, Klimaresilienz, Biodiversität), Frankreich (Klimawandel, Epidemievorbeugung), Norwegen (Bekämpfung von Infektionskrankheiten, Umwelt- und Klimaschutz) oder Schweden (Gesundheitsschutz, Klimaanpassung) verfolgen diesen Ansatz.
Zu einer besseren Kommunikation gehört es auch, Misserfolge transparent zu benennen und von unrealistischen Zielen Abstand zu nehmen, die nicht nur den eigenen Einfluss überschätzen, sondern auch aufgrund ihrer Nicht-Realisierbarkeit (rechts-)populistischen Kräften Argumente für ihre Pauschalkritik an entwicklungspolitischem Engagement liefern. Andererseits sollten auch positive Entwicklungen, zu denen EZ laut Experten „maßgeblich und flächendeckend“22 beigetragen hat, klarer benannt werden – etwa mit Blick auf den Rückgang der Kindersterblichkeit, Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung und im Bildungsbereich sowie bei der Nahrungsmittelproduktion.23
Ungeachtet der engeren Verzahnung mit anderen Politikfeldern braucht die EZ eine gewisse Autonomie24, was auch bedeutet, dass Prämissen eine Rolle spielen, die über reine Kosten-Nutzen-Erwägungen hinausgehen. Es bleibt eine gerade auch aus christdemokratischer Perspektive ethisch gebotene Aufgabe, mithilfe der EZ Not zu lindern und zur Reduzierung von Armut und Perspektivlosigkeit beizutragen. Jenen Stimmen im öffentlichen Diskurs, die ethische Erwägungen in der Entwicklungspolitik rundheraus diskreditieren wollen, sollte selbstbewusst entgegentreten werden. Das christdemokratische entwicklungspolitische Narrativ unterscheidet sich indes auch von Diskursen aus dem grünen oder linken politischen Spektrum. Christdemokratische Entwicklungspolitik ist verwurzelt in christlichem Menschenbild und christlicher Verantwortungsethik – gleichzeitig strebt sie nach einem Gleichgewicht aus globaler Verantwortung und pragmatischer Interessenpolitik und sieht sich den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet, zu denen Solidarität, aber auch Freiheit, Eigenverantwortung und Subsidiarität gehören. Entwicklungspolitik ist kein Selbstzweck – ihr Ziel ist es letztlich, sich selbst überflüssig zu machen.
Fazit
Auch die Entwicklungszusammenarbeit gerät zusehends in den Strudel geopolitischer Rivalitäten. Das mag man bedauern, ändern kann man es nicht. Die deutsche EZ muss entsprechend reagieren. Dabei sollte sie einen pragmatischen Ansatz verfolgen, der strategische und ökonomische Interessen stärker berücksichtigt als bislang – auch um den Trend der zurückgehenden Unterstützung für EZ-Maßnahmen hierzulande zu stoppen.
Klar ist: Viele Entwicklungsländer haben wenig Interesse daran, sich einem wie auch immer gearteten geopolitischen Block zuzuordnen. Und sie haben heute die Wahl: Neben China werben auch Akteure wie die Türkei oder die Golfstaaten sehr strategisch um ihre Gunst und begreifen EZ als wichtigen Teil ihres Außenhandelns. Deutschland und die EU werden in (potenziellen) Partnerländern nur dann eine wichtige Rolle spielen, wenn sie Angebote machen, die der tatsächlichen Nachfrage vor Ort entsprechen, und ihre eigenen Interessen nicht verschleiern, sondern transparent kommunizieren.
Ingo Badoreck ist Referent für Wirtschaft und das frankophone Subsahara-Afrika bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Dr. Susanne Conrad ist Referentin für Recht und Sicherheit in Subsahara-Afrika und dem anglophonen Westafrika bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Magdalena Jetschgo ist Referentin für Entwicklungspolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Fabian Wagener leitet das Medienprogramm Asien der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bis April 2025 war er Referent für die Auslandsinformationen.
Dr. Olaf Wientzek ist Leiter des Multinationalen Entwicklungsdialogs der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel.
Nils Wörmer ist Leiter des Regionalprogramms Sicherheitspolitischer Dialog Ostafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung.
- Schneider, Sebastian H. et al. 2024: Meinungsmonitor Entwicklungspolitik 2024. Öffentliche Unterstützung und Kritik im Kontext multipler Krisen und neuer Leitbilder, Deutsches Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), in: https://ogy.de/0yeh [02.07.2025]. ↩︎
- Bonschab, Thomas / Kappel, Robert 2025: Für eine Neujustierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit der Wirtschaft, in: Bonschab, Thomas / Kappel, Robert / Klingebiel, Stephan (Hrsg.) 2025: Deutsche Entwicklungspolitik in der Diskussion, S. 51–54, hier: S. 51, in: https://ogy.de/iwje [31.07.2025]. ↩︎
- Kappel, Robert 2025: Neuaufstellung der Entwicklungspolitik erforderlich, in: ebd., S. 32–37, hier: S. 35; siehe hierzu auch: Klingebiel, Stephan 2024: „Offene strategische Autonomie“: eine entwicklungspolitische Standortbestimmung und Positionierung für die deutsche Entwicklungspolitik, Policy Brief 26/2024, German Institute of Development and Sustainability (IDOS), S. 8, in: https://ogy.de/aa66 [31.07.2025]. ↩︎
- Bonschab, Thomas / Kappel, Robert 2025: Nach den Etatkürzungen: Welche Entwicklungszusammenarbeit will Deutschland?, in: ebd., S. 26–31. ↩︎
- Kappel 2025, N. 3, S. 36. ↩︎
- Jacobs, Andreas 2024: Westuntergang. Über die Ziele postkolonialer Dekonstruktion, Die Politische Meinung, Konrad-Adenauer-Stiftung, 06.12.2024, in: https://ogy.de/5pjj [31.07.2025]. ↩︎
- Zitiert nach: Kormbaki, Marina 2024: Prominente Ex-Politiker fordern mehr Geld für Globalen Süden, Der Spiegel, 15.02.2024, in: https://ogy.de/8u0j [02.07.2025]. Ähnlich argumentieren auch Martin-Shields, Charles / Leininger, Julia 2025: Warum Entwicklungspolitik zentral für den Erfolg deutscher Sicherheitspolitik ist, Table Media, 11.03.2025, in: https://ogy.de/gl8c [02.07.2025]. ↩︎
- Klingebiel 2024, N. 3. ↩︎
- Martin-Shields / Leininger 2025, N. 7. ↩︎
- Strupat, Christoph / Srigiri, Srinivasa 2025: Deutschlands Führungsrolle in der globalen Gesundheit stärken, Die aktuelle Kolumne, IDOS, 07.04.2025 in: https://ogy.de/oxv4 [02.07.2025]. ↩︎
- Ebd. ↩︎
- Gutschker, Thomas 2015: Wie der Hunger die Syrer in die Flucht trieb, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2015, in: https://ogy.de/m15n [02.07.2025]. ↩︎
- Klingebiel, Stephan 2024: Beyond Mergers: Charting Germany’s Development Policy in a Changing World, Global Policy Journal, 28.11.2024, in: https://ogy.de/3cn5 [02.07.2025]. ↩︎
- Bonschab / Kappel 2025, N. 2, S. 52–53. ↩︎
- Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) 2024: Zeit für eine entwicklungspolitische Zeitenwende, 20.02.2024, S. 27, in: https://ogy.de/n3lr [02.07.2025]. ↩︎
- Ebd., S. 15 und S. 28; Deutscher Bundestag 2023: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 20/7485, 27.06.2023, S. 3, in: https://ogy.de/9ynl [02.07.2025]; Subsahara-Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft (Hrsg.) 2017: Mehr Wirtschaft mit Afrika. Was die Politik beitragen kann!, 01.06.2017, S. 9, in: https://ogy.de/l5ax [02.07.2025]. ↩︎
- BDI 2024, N. 15, S. 25 und S. 27. ↩︎
- Carry, Inga / Müller, Melanie / Schulze, Meike 2023: Elemente einer nachhaltigen Rohstoffaußenpolitik, Arbeitspapier 1, Stiftung Wissenschaft und Politik, 01.06.2023, S. 3, in: https://ogy.de/tgaa [02.07.2025]. ↩︎
- Ebd., S. 20. ↩︎
- Wahlers, Gerhard 2024: Editorial, Auslandsinformationen 2/2024, Konrad-Adenauer-Stiftung, 20.08.2024, in: https://ogy.de/9hki [02.07.2025]. ↩︎
- Schneider, Sebastian H. et al. 2025: Die Öffentliche Unterstützung für Entwicklungszusammenarbeit sinkt – Fünf Erklärungsansätze, Policy Brief 1/2025, DEval, in: https://ogy.de/n63l [31.07.2025]; Sassenhagen, Nora / Schneider, Sebastian H. / Bruder, Martin 2023: Feministische Entwicklungspolitik: Was denkt die Bevölkerung? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, Policy Brief 2/2023, DEval, in: https://ogy.de/8f5o [31.07.2025]. ↩︎
- Rauch, Theo 2025: Warum die Welt weiterhin internationale EZ braucht. Und warum diese sich grundlegend ändern muss, in: Bonschab / Kappel / Klingebiel (Hrsg.) 2025, N. 2, S. 39–49, hier: S. 43. ↩︎
- Ebd. ↩︎
- Klingebiel 2024, N. 3. ↩︎
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