Vom 1. bis zum 30. April 2019 saß Deutschland dem UN-Sicherheitsrat vor. Auch wenn die Agenda des Gremiums grundsätzlich durch Mandatsverlängerungen und Annahme von Berichten vorbestimmt ist – und durch aktuelle Krisenentwicklungen geprägt wird – ergibt sich im Monat des Vorsitzes ein stärkerer Gestaltungsspielraum.
Historisch einmalig in der Geschichte der Vereinten Nationen, teilten sich Deutschland und Frankreich die jeweilige Präsidentschaft und führten den Sicherheitsrat im März und April zusammen als Doppelvorsitz. Anstelle der monatlichen Rotation, gab es in beiden Monaten eine gemeinsame Agenda, ein gemeinsames Arbeitsprogramm sowie einen deutsch-französischen Arbeitsstab für die „Zwillingspräsidentschaft“. Möglich wurde dies zwar lediglich durch die Tatsache, dass der Vorsitz in alphabetischer Reihenfolge vergeben wird, nichtsdestotrotz hatte der Doppelvorsitz eine hohe Symbolkraft für die Vertiefung der deutsch-französische Zusammenarbeit, die zuletzt im Vertrag von Aachen im Januar vereinbart wurde. Darüber hinaus sollte dieser Schritt die Einigkeit der Europäer im Sicherheitsrat betonen und ein starkes Zeichen für multilaterales Handeln setzen.
Angesichts der erneuten Eskalation der Gewalt in Libyen kam der Sicherheitsrat unter deutschem Vorsitz am 5. April 2019 zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Dies dürfte bei einigen deutschen Diplomaten Erinnerungen an 2011 geweckt haben, als sich die Bundesregierung in einer umstrittenen Entscheidung im Sicherheitsrat zur Einrichtung einer Flugverbotszone enthielt. Botschafter Christoph Heusgen, der Deutschland bei den Vereinten Nationen vertritt, konnte nach der Sitzung am 5. April lediglich aus einer gemeinsamen Presseerklärung zitieren, die zum Ende der Gewalt in Libyen aufruft. Auch nach erneuten Beratungen Mitte April konnte sich der Sicherheitsrat nicht auf einen von Großbritannien vorgelegten und von Deutschland unterstützten Resolutionsentwurf einigen, der zum sofortigen Waffenstillstand aufruft. Insbesondere Russland kritisiert den Entwurf, da dieser lediglich Khalifa Haftar als Aggressor darstelle. Angesichts des deutschen Vorsitzes im Sicherheitsrat im April sowie des Vorsitzes der Bundesregierung im Sanktionskomitee und der Stellung Deutschlands in Europa habe die Bundesregierung eine besondere Verantwortung Einigkeit der internationalen Gemeinschaft mit Blick auf Libyen herbeizuführen, so der UN-Sondergesandte Ghassan Salamé. Für ein starkes, geeintes Signal vom Sicherheitsrat angesichts der erneuten Eskalation der Gewalt in Libyen wäre es höchste Zeit.
Während des Vorsitzes hat Deutschland insbesondere den Kampf gegen sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten auf die Agenda gesetzt. Bereits die 2013 verabschiedete Resolution 2106 zu Frauen, Frieden und Sicherheit hatte sich dezidiert für eine sexuelle und reproduktive Gesundheit umfassende Versorgung der Opfer ausgesprochen. Allerdings wurden bereits während den Verhandlungen zur Resolution 2467 die durch die Trump-Regierung gesetzten neuen Realitäten deutlich, denen sich die deutschen Verhandlungsführer letztendlich beugen mussten. Um ein amerikanisches Veto zu vermeiden, blieb die am 23. April 2019 verabschiedete UN-Sicherheitsratsresolution (UNSCR) 2467 hinter den bereits gesetzten Standards zurück und verzichtete auf den expliziten Bezug auf reproduktive Gesundheit. Auch der Hinweis auf die Rolle des Internationalen Strafgerichtshof im Kampf gegen die Straflosigkeit von Tätern sexueller Gewalt unterblieb. Nichtsdestotrotz kann und sollte Resolution 2467 als wichtiger Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit sexueller Gewalt gesehen werden. Die Resolution fordert Sanktionen gegen bekannte Täter zu erlassen und insbesondere bei Sicherheitssektorreformen dafür Sorge zu tragen, dass potentielle Täter nicht in neue Positionen gelangen. Erstmals wird der Begriff der sexuellen Gewalt in bewaffneten Konflikten nicht nur in Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen verwendet, sondern schließt bewusst die systematisch verwendete sexuelle Gewalt gegen Jungen und Männer mit ein. Die besondere Betonung eines auf die Opfer fokussierten Ansatzes stellt einen Mehrwert der Resolution dar, wie auch die Aufforderung Reparationsleistungen und eine materielle Unterstützung der Opfer stärker zu bedenken.
Kann der deutsche Vorsitz im Sicherheitsrat als Erfolg bewertet werden? Mit Blick auf diese Frage kann – im Rahmen der limitierten Einflussmöglichkeiten des Vorsitzes und mit der begrenzten Effektivität des Sicherheitsrates insgesamt – ein vorsichtig positives Fazit gezogen werden. Der deutsch-französische Doppelvorsitz sollte in der Bedeutung zwar nicht überbewertet werden, dennoch ist die „Jumelage“ eine erfrischende Neuerung und hat ein wichtiges Zeichen für die deutsch-französische Kooperation und die Rolle Europas im Sicherheitsrat gesetzt. Mit Blick auf rasche Krisenentwicklungen hat sich Deutschland zwar bemüht, eine Einigung des Gremiums angesichts der Eskalation der Gewalt in Libyen herbeizuführen, ist aber letztendlich an der Kritik anderer Mitgliedsstaaten – insbesondere der Vetomacht Russland – gescheitert. Mit UNSCR 2467 konnte unter deutscher Federführung ein Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit in Bezug auf sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten unternommen werden. Allerdings wurde auch in diesem Fall deutlich, dass die bereits einmal errungenen internationalen Standards und Rechte, wie in diesem Fall in UNSCR 2106 verankert, zunehmend einer schleichenden Erosion durch die Verfolgung nationaler Interessen ausgesetzt sind und man durchaus damit beginnen muss, den Preis des Kompromisses zu überdenken.