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Kerstin Sammer

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„Wenn wir diesen Krieg gewinnen, gewinnt ihr auch!“

Gespräch über Freiheit, Heimat, Europa im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland

Gespräch auf Einladung des Politischen Bildungsforums Brandenburg und der Paneuropa-Union Berlin-Brandenburg am 28. Februar 2023 in Berlin.

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Prof. Dr. Ihor Schaloba (59) ist Historiker in Kiew, wo er normalerweise an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine forscht und unterrichtet und sich als Präsident der Paneuropa-Union der Ukraine europapolitisch engagiert. Jetzt kämpft der Vater zweier Töchter aber als einfacher Soldat in den Streitkräften der Territorialverteidigung gegen die Okkupation seines Landes durch Russland und war u.a. bei den harten Kämpfen in Bachmut im Osten eingesetzt. Für seinen Besuch in Deutschland und Brüssel erhielt er Fronturlaub.

Lilia Usik, Anfang 30, stammt aus der mehr russisch geprägten Industrieregion Donbas im Osten der Ukraine, wo im Frühjahr 2014 der nichterklärte Krieg Russlands gegen die Ukraine mit der Intervention von bewaffneten Gruppen begann. Seit 2011 ist die studierte Philologin der deutschen Sprache in Berlin, wo sie gerade für die CDU in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist.

Gemeinsam sitzen die beiden auf Einladung des Politischen Bildungsforums Brandenburg der Konrad-Adenauer-Stiftung im Berliner Forum der Stiftung mit dem Osteuropahistoriker Benedikt Praxenthaler von der Paneuropa-Union Berlin-Brandenburg auf dem Podium, um über die Bedeutung von „Freiheit, Heimat, Europa im Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland“ zu sprechen. Deutlich wird von Beginn an die große Abwehrbereitschaft, die über die unterschiedlichen nationalen Prägungen hinweg der Ukraine das Überleben im ersten Kriegsjahr überhaupt erst ermöglicht hat. Dazu habe bei vielen russischstämmigen Ukrainern die menschenverachtende Brutalität des russischen Angriffs- und Eroberungskrieges beigetragen, aber – wie bei allen Ukrainern – ganz wesentlich die Freiheitsentwicklung im Lande selbst von der Orangenen Revolution 2004/05 ausgehend über die Revolution der Würde: die Proteste des Euromaidans 2013/14 bis heute, wie Prof. Schaloba hervorhob. Die eigene ukrainische Souveränität, selbst zu entscheiden, habe sich im Laufe dieser Entwicklung und Reformen ausgeprägt. Und Lilia Usik fügt auch aus eigener Erfahrung im Donbas hinzu: Eine Unterdrückung der russischsprachigen Ukrainer habe es nicht gegeben. Wohl aber sei der Bevölkerung gerade im Osten der Ukraine nach der von Russland betriebenen Ausrufung der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk deutlich der Unterschied zwischen dem russischen und dem europäischen Modell vor Augen geführt worden: ein Regime der Rechtlosigkeit und Gewalt, leerer Läden und Korruption versus ein Land, dass sich auf den nicht einfachen europäischen Weg von Recht und Freiheit, Prosperität und Vereinigung gemacht hat. Eine früher im Osten tatsächlich verbreitete prorussische Stimmung habe sich so zur großen Abwehrbereitschaft gegen den russischen Angriff gewandelt, zu einem regelrechten „Vaterlandskrieg“, in dem die gewonnene Freiheit, die Reformentwicklung und europäische Perspektive verteidigt werden.

Die Paneuropa-Union in der Ukraine habe durch ihre Kontakte und Begegnungen hierzu ihren Teil beitragen können, erläuterte Prof. Schaloba. Dass dieser Abwehrkampf eine hohe ethische Rechtfertigung hat, sei selbst bei früheren „Pazifisten“ und Kirchenvertretern zweifellos anerkannt, hob Lilia Usik hervor. Nicht alle in Deutschland und Europa verstünden aber, dass es sich bei dem Angriff Russlands um einen echten Krieg handele, einen Krieg zumal von zwei politischen Systemen, betonte Prof. Schaloba. Dafür brauche man jede Unterstützung für alles, was man in einem Krieg eben benötige, um bestehen zu können. „Wenn wir diesen Krieg gewinnen, gewinnt ihr auch!“

Nach der Perspektive einer EU-Mitgliedschaft und der Sicht auf Deutschland in der Ukraine befragt, führte Prof. Schaloba aus, man müsse in der Ukraine realistisch sein, bis zu einer Mitgliedschaft sei es noch ein längerer Weg. Er wünschte sich jedoch, dass auch die EU sich weiterentwickele, flexibler werde, schneller reaktionsfähig auf die neuen strategischen Probleme. Von Deutschland sei er zu Beginn des großen russischen Angriffs zunächst enttäuscht gewesen mit Blick auf die Diskussionen über Helme und Waffenhilfe, dann aber habe ihn die große Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung tief berührt. Das unterstrich auch Lilia Usik: schließlich sei der allergrößte Teil der ukrainischen Kriegsflüchtlinge in Berlin in privaten Unterkünften untergekommen.

Die gut 70 Teilnehmer, die sich aus Berlin und Brandenburg zusammengefunden hatten, gewannen bei diesem von Benedikt Praxenthaler mit viel osteuropäischer Expertise geführten Gespräch anhand der Leitbegriffe Freiheit, Heimat und Europa einen tieferen Einblick in die gesellschaftliche Situation in der Ukraine im Krieg und in die europäische Perspektive des Landes. Die Veranstaltung endete mit einem Appell, sich nicht an diesen Krieg des Putin-Regimes zu gewöhnen, dem Aggressor Russland keinesfalls nachzugeben, aber auch lösungsorient zu bleiben, was der Ukraine und ihren Unterstützern noch einiges abverlangen werde.

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Stephan Georg Raabe

Stephan Georg Raabe bild

Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Brandenburg

Stephan.Raabe@kas.de +49 331 748876-0 +49 331 748876-15

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