Was ist der Élysée-Vertrag, wie kam er zustande und welche Bedeutung hat er im 60. Jahr seines Bestehens? Der Politologe Ingo Espenschied war auf Einladung des Regionalbüros Südbaden der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Gast am Einsteingymnasium Kehl, dem Oberrhein-Gymnasium Weil am Rhein und dem Georg-Büchner-Gymnasium in Rheinfelden. Seine live kommentierte multimediale Zeitreise mit eindrucksvollem Foto und Videomaterial aus der Adenauerzeit erzählte, wie aus den „Erbfeinden“ Frankreich und Deutschland Freunde wurden. Er zeichnete die großen Linien vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart nach und ordnete den Vertrag so in die vielschichtigen historischen, politischen und geografischen Zusammenhänge ein.
Das frühe Mittelalter, die Zeit Karls des Großen (744 n. Chr.) und die fränkische Reichsteilung (843) mögen weit weg erscheinen – sie entfalteten aber bis in die jüngste Vergangenheit hinein durch ihre politische Instrumentalisierung eine besondere Wirkung, wie Espenschied anhand seiner Familiengeschichte erklärte: Seit dem Jahr 843, so habe man seinem 1906 geborenen Großvater noch in der Schule erzählt, bestehe eine Erbfeindschaft zu den Franzosen. Konkret ging es um den Verlust jener Gebiete zwischen Maas, Mosel und Rhein, die gerade seit der frühen Neuzeit mehrfach gewaltsam zwischen deutschem und französischem Herrschaftsbereich wechselten. Hier entwickelte sich der damals in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft verbreitete Franzosenhass. Sein französisches Pendant entstand ab 1870 mit der Annexion von Elsass-Lothringen durch Preußen. Damals schon wurde die Saat der Konflikte des 20. Jahrhunderts, der beiden großen Weltkriege, gesät – eine Zeit, in die die späteren Protagonisten des Élysée-Vertrages, Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, hineingeboren und mit gegenseitigen Vorurteilen sozialisiert wurden.
Schlüsselort Bad Kreuznach
De Gaulle musste im Rahmen seiner Offizierslaufbahn Deutsch lernen. Um die Jahrhundertwende ging man von einem zukünftigen Krieg gegen das Kaiserreich aus. Ein Schüleraustausch 1908 und seine Kriegsgefangenschaft 1916-1918 prägten seine Sicht auf Deutschland. 1917 wurden Vom Kurhaus Bad Kreuznach aus die Feldzüge gegen Frankreich geplant. So stand der General, der im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland gekämpft hatte, der Annäherung beider Länder zunächst skeptisch gegenüber. Der französische Außenminister Robert Schuman, dessen Vater noch gegen preußische Truppen kämpfte, war der maßgebliche Wegbereiter zu den römischen Verträgen und einer der Gründerväter der Europäischen Einigung. Sowohl bei Adenauer als auch bei de Gaulle herrschten jedoch Vorbehalte, die erst durch die einzigartige persönliche Begegnung in de Gaulles in Landhaus in Colombey-les-Deux-Églises, abseits des diplomatischen Protokolls und ohne Presse, beigelegt wurden. Bad Kreuznach wurde nach dem ersten persönlichen Treffen der beiden in der französischen Provinz dann zu dem Ort, an dem sich die Beziehungen beider Länder beim Treffen beider Kabinette konstituierten. Anders als damals üblich trafen nicht nur die Spitzen der Regierung zusammen, sondern eine Runde von Ministern.
Der vor sechs Jahrzehnten, am 22. Januar 1963 in Paris unterzeichnete Vertrag, sei kein Freundschaftsvertrag, betonte Espenschied. Freundschaft, so der Politologe, sei keine Kategorie der internationalen Politik. Er sei ein völkerrechtlicher Vertrag, der die Zusammenarbeit zweier vormaliger Feinde politisch regelte – unabhängig von persönlichen Belangen. Die regelmäßig stattfindenden Ministerrunden, die im Vertrag festgeschrieben wurden, bieten die Möglichkeit, sich frühzeitig abzustimmen und Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. So überstanden die guten Beziehungen der Nachbarländer auch alle Krisen, etwa die gegenseitige Antipathie zwischen de Gaulle und Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard.
"Kein Freundschaftsvertrag. Freundschaft ist keine Kategorie der internationalen Beziehungen"
Die Wiedervereinigung Deutschlands wurde zu einer besonderen Herausforderung, da sie von Francois Mitterand kritisch betrachtet wurde. Zu groß war die Angst vor einem wiedererstarkten Deutschland in der Mitte Europas. Schließlich gelang es Bundeskanzler Helmut Kohl mit einer stärkeren Einbindung Deutschlands in die Europäische Union, die Bedenken der Franzosen und der Briten zu zerstreuen.
Das mit dem Élysée-Vertrag ins Leben gerufene Deutsch-Französische Jugendwerk, habe bis zum heutigen Tage viel zur Freundschaft der Nachbarn beigetragen. Ebenso die zahlreichen Städtepartnerschaften zwischen den beiden Ländern. Mit dem 2019 unterzeichneten Aachener Vertrag, indem es u.a. um die wirtschaftliche Zusammenarbeit und um zivilgesellschaftliches Engagement geht, erfuhr der Élysée-Vertrag ein Update.
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