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Reportajes internacionales

Jugend und Politik in Jordanien

de Dr. Otmar Oehring, Jelena Weber
Die jordanische Jugend befindet sich anscheinend in einer politischen Lethargie, begünstigt durch den Mangel an Teilhabe am politischen System oder die wirtschaftliche Lage. Die Grundstimmung ist zwar resignativ - doch es gibt auch Menschen, die hart daran arbeiten, das zu ändern.

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Im Rahmen einer Kooperation mit der deutschsprachigen Huffington Post, dem „Adenauer-Huffington-Briefing“, hat das Auslandsbüro Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung mehrere Artikel zum Thema „Jugend und Politik“ veröffentlicht. Um ein umfangreiches Bild zu bekommen, wie die Jugend ihre Rolle und ihr Engagement in der Politik sieht, wurden Interviews mit Menschen aus verschiedenen Bereichen geführt. Trotz unterschiedlicher professioneller Hinter-gründe und teilweise unterschiedlichen Altersgruppen, überschnitten sich doch viele Ansichten und so festigte sich ein Eindruck der jordanischen Jugend im Hinblick auf ihr politisches Engagement.

Insgesamt wurde das politische Interesse von den meisten Interviewpartnern als nicht besonders hoch eingestuft. Dies war jedoch nur die erste Reaktion und kann als Pauschalaussage nicht undifferenziert stehengelassen werden. Es gibt nämlich auch viele Beispiele, die beweisen, dass das nicht auf die gesamte junge Bevölkerung zutrifft.

Jordanische Jugend desinteressiert?

Das Urteil, das alle Interviewten fällten, scheint aus einer spürbaren Politikverdrossenheit unter jungen Menschen zu rühren, die vor allem aus dem Gefühl resultiert, nicht in die Politik und nicht in die Planung des eigenen Lebens eingebunden zu werden. Die Journalistin Rana Sweis sieht eines der Probleme in der Struktur der politischen Institutionen. Die jordanische Jugend sei fast komplett ausgeschlossen von politischer Partizipation. Sowohl bei direkten als auch bei indirekten Wahlen. Diejenigen die kandidierten, unter ihnen keine ihrer Altersgruppe, drängten Jugendthemen an den Rand und sähen die Jugend nicht als wichtige Wählerschaft. Es gäbe eine große Kluft zwischen der zivilgesellschaftlichen Partizipation der Jugend und ihrer Partizipation im täglichen Leben und der im politischen Entscheidungsprozess. Das weiß auch Sami Hourani von seiner täglichen Arbeit. Mit seiner ziviligesellschaftlichen Organisation, Leaders of Tomorrow, organisiert er öffentliche Debatten zu aktuellen politisch relevanten Themen. „Es ist oft schwer, Entscheidungsträger für eine Debatte zu gewinnen. Oft blicken Abgeordnete auf die Zivilbevölkerung herab, halten sie für dumm und wollen keine Rechenschaft über ihre Entscheidungen ablegen. Natürlich sind das nicht alle, aber viele“. Schaue man sich die Zusammensetzung des Parlaments, der Minister, der Senatoren, auch nach dem Arabischen Frühling an, dann stelle man fest, dass unter ihnen keine jungen Menschen zu finden seien, so Rana Sweis. Das bestätigt auch Amer Sabaileh. „Die Jugend findet in der Politik nicht statt. Das widerspricht aber völlig der Realität der jordanischen Gesellschaftsstruktur, 70 Prozent der Bevölkerung sind junge Menschen. Wir haben keine richtige Machtverteilung und keine richtige Repräsentation der Jugend im politischen System“. Es würden auch keine Anstalten gemacht, die Jugend in die Politik einzubinden. Wie auch Rana Sweis, sagt er, die Politik würde von Älteren gemacht. „Es sind immer noch die gleichen Menschen an der Macht, die es schon zu Zeiten von King Hussein waren“. Einzig junge Menschen, die durch die Stammesstrukturen, Nepotismus oder eine andere Art persönlicher Kontakte privilegiert seien, schafften es in die Politik. Es sei im Sinne vieler Abgeordneter, meint Parlamentarierin Rula Alhroob, die Jugend der Politik fernzuhalten. „Viele Abgeordnete wollen nicht, dass die Jugend sich mit den Wahlen beschäftigt, sie wollen diese große Masse an potentiellen Wählern von den Urnen fernhalten, weil sie ihre Macht bedroht sehen. Sie wollen, dass alles beim Alten bleibt“. Rana Sweis sagt, dies sei ein Grund für die politische Apathie, die die ganze Region betreffe. Die Jugend habe nicht das Gefühl eine positive Veränderung durch politisches Engagement herbeiführen zu können. „Es gibt kein Vorbildmodell an dem sich die Jugend orientieren kann. Es gibt keine Führungspersönlichkeiten in den Gemeinden, es gibt weder Führungspersönlichkeiten in der Zivilgesellschaft noch in der Politik. Es fehlt ihnen an Vorbildern zu denen sie aufschauen und von denen sie sich inspirieren und ermutigen lassen können“.

All das führt dazu, dass viele junge Menschen der Politik den Rücken kehren und sich in ihr Privatleben zurückziehen. „Die meisten Jugendlichen interessieren sich mehr für Sport, Filme und Popstars, nur wenige verfolgen, was im Parlament passiert. Das Gesamtbild der jordanischen Jugend in Bezug auf Politik ist nicht rosig. Die Parlamentssitzungen sind nur dann im Gespräch, wenn zwischen Abgeordneten die Fetzen fliegen, aber nicht wenn es um ernsthaft wichtige Dinge geht “, sagt Rula Alhroob.

Hind Al-Fayez, auch Parlamentarierin, gelangte genau durch so einen Streit im Parlament Ende 2014 über Nacht zu internationalem Ruhm. Sie wurde von einem Amtskollegen während einer Debatte aufgefordert, sich hinzusetzen, und das Video dieser Szene verbreitete sich innerhalb kürzester Zeit. Es folgte ein Aufschrei über die Frauenfeindlichkeit im jordanischen Parlament. Hind Al-Fayez selbst beschwichtigt diesbezüglich. Nichtsdestotrotz hatte die mediale Aufmerksamkeit zur Folge, dass jungen Jordanierinnen die Rolle weiblicher Parlamentarier ins Bewusstsein gerückt wurde. Hind Al-Fayez sagt, für viele junge Frauen sei sie der Grund, überhaupt erst an Wahlen teilzunehmen. Das sei ein enormer Gewinn, denn generell, sagt sie, wie ihre Vorredner, sei die Jugend frustriert von den Entscheidungsträgern. Auch sie bestätigt die Kluft zwischen den Entscheidungen die im Parlament und von der Regierung getroffen würden und den Menschen außerhalb des politischen Systems. Zwar würden viele Reden über Jugend geschwungen und sich Slogans auf die Fahnen geschrieben, umgesetzt würde aber wenig. „Ich habe den Eindruck, nur der König spricht im Interesse der Jugend“, sagt sie. Doch auch hier seien es Slogans, deren Interpretation und Umsetzung oft wenig mit dem Gesagten zu tun hätten. Das führe zu einer Art politischer Resignation, auch wenn sich die Jugend eigentlich für Politik interessiere.

Der junge Comiczeichner Hamzah Hajjaj bezeichnet Jordaniens Jugend als verlorene Generation. Auch er ist der Ansicht, die Jugend interessiere sich eher für amerikanische Filme, als für das politische Geschehen im eigenen Land. „Es gibt viele ignorante Menschen in unsere Gesellschaft, deswegen beschäftige ich mich mit der Jugend. Viele wollen nicht lesen, Comics sind eine gute Methode um eine kurze, klare Aussage über das aktuelle politische Geschehen zu treffen. Ich habe den Eindruck, die Jugend ist nicht besonders interessiert an der Realität um sie herum. Comics helfen, Denkanstöße zu geben“. Schade findet Hamzeh Hajjaj, dass er außerhalb Jordaniens bekannter ist, als in seinem Heimatland. Er wolle daran arbeiten, ein breiteres Publikum in Jordanien zu erreichen.

Die politische Frustration äußert sich nicht nur in Desinteresse und Resignation. Nicht immer löst das bei jungen Menschen nur den Rückzug ins Privatleben aus. Es gibt auch extremere Reaktionen auf das Gefühl der Machtlosigkeit. Amer Sabeileh, politischer Analyst, der sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik beschäftigt, sagt, immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene wendeten sich einer radikalen Form der Religion zu. Viele schlössen sich terroristischen Gruppierungen an, einige gingen als Selbstmordattentäter oder sogar Gruppenanführer in den Irak und nach Syrien. Zum Glück habe es bis jetzt noch keine terroristischen Anschläge im eigenen Land gegeben, sagt er, doch der Export dieser radikalen Einstellung zeige, dass die Quellen in Jordanien durchaus vorhanden seien. „Manchmal ist die Radikalisierung latent, manchmal offensichtlich, aber es drängt sich der Verdacht auf, dass viele Jugendliche die Chance ergreifen, radikalen Gruppen zu folgen, wo sie sich ihnen bietet, sei es in Afghanistan, im Irak oder in Syrien. Das heißt, wenn sich solche Gruppen in Jordanien formieren, werden sich auch hier viele Jugendliche anschließen“. Die Zuwendung zu einer extremen Form der Religion betrifft bei weitem nicht nur Männer. „Das Phänomen in Jordanien ist, dass sich die meisten Jugendlichen einem der extremen Pole des religiösen Spektrums zuordnen lassen. Die einen interessieren sich nur für Sport und andere Arten der Unterhaltung und haben mit Religion nichts am Hut. Für die anderen ist die Religion das allerwichtigste und sie vertreten radikale Positionen“, sagt Rula Alhroob. Ihrer Meinung nach seien es vor allem Frauen, die sich von religiösen Vorbildern beeindrucken ließen.

Diese Entwicklung reflektiere den Mangel an Optionen, den Verlauf des eigenen Lebens selbst bestimmen zu können, und die Beeinflussung von Geburt an. Der Weg, den man einzuschlagen habe und was gut und was schlecht sei, werde von der Gesellschaft vorgegeben. Es gäbe keinen Anreiz zu kritischem Denken, sagt Amer Sabeileh. Die Gesellschaft habe ein Problem mit Offenheit, damit, andere und deren Meinungen zu verstehen oder zu verstehen, dass wir nicht alle gleich sind und nicht gleich sein sollten.

Einen großen Anteil an dieser Stimmung in Jordanien hätten, so Amer Sabeileh, die sogenannten „Konservativen Mächte“. „Ich persönlich halte sie nicht für konservativ, für mich sind das Radikale, die den Begriff „konservativ“ als Maske für eine radikale Bewegung missbrauchen“. In Bezug auf die Jugend und die Gesellschaft sei hier vor allem der enorme Einfluss der Konservativen auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wichtig, der, so Sabeileh, dieses Klima der Intoleranz und das Sackgassengefühl fördere. „Die Konservativen arbeiten hart daran, eine homogene Kultur zu erschaffen, alles andere ist verboten. Das ist eine der riskantesten Erscheinungsformen radikalen Denkens in Jordanien.“

„Unsere Jugend fühlt sich nicht wertgeschätzt, wir helfen ihnen nicht genug, ihre Zukunft selbst zu gestalten, sie haben keinen Anteil daran, ihre Zukunft zu formen. Wir kommen nicht weiter in unserem Entwicklungsprozess. Im Moment haben wir sowohl ein Vakuum im kulturellen Entwicklungsprozess, als auch in der Entwicklung in den ländlichen Gegenden, ja sogar in den Städten“. Als großes Problem sieht Amer Sabeileh, dass Jordanien eine reine Konsumgesellschaft sei. Die Menschen produzierten nichts mehr selbst, das führe dazu, dass sie sich nicht zu etwas Wertvollem oder Nützlichem zugehörig fühlen“. Radikale Gruppierungen böten Jugendlichen oft genau das, was sie vermissten und seien daher attraktiv. Außerdem habe die Jugend mit einem Identitätskonflikt zu kämpfen, sagt Emad Hajjaj. „Es fällt der jungen Generation schwer sich auszudrücken. Wie keine Generation zuvor haben sie Zugang zum Rest der Welt. Sie haben Einblick in ganz unterschiedliche Lebensstile, können vieles davon aber nicht in ihre eigene Lebenswirklichkeit übertragen. Ich denke, dieses Gefühl der Machtlosigkeit ist mit ein Grund dafür, dass radikale Gruppen wie ISIS immer mehr an Zulauf gewinnen. Dort haben sie das Gefühl, Macht ausüben zu können und ein Actionheld wie in einem amerikanischen Film zu sein und gleichzeitig dem Islam zu dienen“.

Auch abseits der gewaltbereiten Radikalen spielt die Religion oder vielmehr spielen die Traditionen, die von den Konservativen hochgehalten und gefördert werden, eine große Rolle in Zusammenhang mit Politik. Besonders für junge Frauen stellen sie oft ein Hindernis dar. „Mädchen werden in politischen Angelegenheiten oft nicht von ihren Familien unterstützt, weil sie Mädchen sind. Auch aus ökonomischen Gründen. Eltern sind eher bereit, die Wahlkampagnen der Söhne finanziell zu unterstützen als die der Töchter“, sagt Hind Al-Fayez, die genau das selbst erlebt hat. Doch nicht nur innerhalb der eigenen Familie haben es Frauen schwerer. Rana Sweis stellt fest: „Wir brauchen immer noch ein Quotensystem, damit Frauen gewählt werden. Nur selten werden Frauen außerhalb der Quote gewählt. Und auch wenn man sich ansieht, welchen Herausforderungen sich Frauen stellen müssen, wenn sie es ins Parlament schaffen, die Art und Weise wie mit ihnen geredet wird und wie sie gesehen werden, wird das Problem deutlich. Es ist immer noch ein sehr patriarchalisches System“.

Al-Fayez spricht noch ein weiteres Hindernis an, das viele, besonders Frauen, davon abhielt selbst in die Politik zu gehen. Viele hätten Angst benachteiligt zu werden, wenn sie sich einer politischen Partei anschlössen. Die Ängste der Menschen seien, im öffentlichen Sektor keine Anstellung zu finden oder auf einen Studienplatz verzichten zu müssen. Es habe auch tatsächlich viele Fälle gegeben, so Al-Fayez, wo Menschen Rechte eingebüßt hätten, weil sie Teil einer politischen Bewegung oder Mitglied in einer Partei waren. Rana Sweis bestätigt: „Frauen sind besonders vorsichtig und ängstlich, wenn es darum geht, über Politik zu sprechen. Diese Angst wird von allen Ebenen der Gesellschaft eingeflößt, von der Regierung bis hin zur eigenen Familie“. Es hieße oft, man solle sich von der Politik fernhalten, sich nicht einmischen, so Sweis. Es müsse daran gearbeitet werden, diese Haltung zu ändern, sodass politisches Engagement nicht mehr als etwas Negatives angesehen werde. „Mitglied in einer Partei zu sein sollte als etwas gesehen werden, das das Leben der Menschen hier positiv verändern kann“. Rana Sweis und Hind Al-Fayez bedauern, dass nicht nur Männer Frauen politisch Steine in den Weg legten, sondern auch Frauen. Sweis sagt, in Jordanien zögen die Frauen noch nicht genug an einem Strang. Sie unterstützten sich gegenseitig noch nicht genug. Wenn Frauen wählen gingen, so Sweis, so sei es eher unwahrscheinlich, dass sie für Frauen stimmten. Das habe verschiedene Gründe. Einer sei, ähnlich wie auch Hind Al-Fayez sagt, dass Frauen oft weniger zugetraut würde als Männern. Darüber hinaus ließen sie sich oft von männlichen Familienmitgliedern unter Druck setzen, bestimmte Kandidaten zu wählen. „Das Wichtigste ist für uns jetzt, dass Frauen an Frauen glauben. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig nach dem Äußeren zu beurteilen. Leider haben wir dieses Problem. Frauen hier sind sehr verurteilend anderen Frauen gegenüber. Sie sehen sich immer als Konkurrentinnen. Das sollte sich ändern, denn je mehr wir uns gegenseitig unterstützen, desto mehr können wir erreichen. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen.“

Grund zur Hoffnung

Trotz dieser eher düsteren Prognose des Status Quo des jugendlichen Politikengagements gibt es Grund zur Hoffnung. Die beiden Parlamentarierinnen Rula Alhroob und Hind Al-Fayez sehen es vor allem als persönliche Aufgabe, als Vorbild voranzugehen und junge Menschen, insbesondere Frauen, zu ermutigen, es ihnen nachzutun. Das Tabu, dass Frauen sich nicht in Politik einmischen sollten, müsse mit positiven Beispielen gebrochen werden, sagt Hind Al-Fayez. „Natürlich gibt es viele Hindernisse in die Politik zu gehen, aber durch Erfolgsgeschichten können wir zeigen, dass diese Hindernisse überwindbar sind. Junge Frauen sehen mi ch und denken: Seht euch Hind Al-Fayez an, sie hat es gegen alle Widerstände geschafft sich durchzusetzen. Sie ist stark.“ Sie höre von vielen Mädchen, dass sie die Inspiration für sie gewesen sei, wählen zu gehen und ihrem Recht Ausdruck zu verleihen. Es müsse mehr über Erfolgsgeschichten wie ihre gesprochen werden, um junge Frauen für die Politik zu begeistern. Sie selbst ermutigt Frauen, wann immer sie Gelegenheit hat, sich zu informieren, Zeitung zu lesen anstatt der Boulevardpresse. Ihr plötzlicher Ruhm half ihr schnell, ein größeres Publikum zu erreichen, und sie ist stolz, dass sie durch ihren Einfluss etwas bewegen kann. „Es gibt viele, denen Jordanien wirklich am Herzen liegt. Wir brauchen Wandel. Die Menschen sind hungrig nach einer Veränderung“.

Rula Alhroob hat ähnliches zu berichten. „Es gibt durchaus einige junge Männer und Frauen, die von Politikern beeindruckt sind. Ich erlebe das oft in meiner Arbeit. Besonders Mädchen sagen mir, dass sie so sein wollen wie ich, dass sie auch mal Parlamentarierin werden und in den Medien sein wollen“. Das sei die schöne Seite, das ihr überall interessierte Jugendliche begegneten. Das seien diejenigen, die läsen und das politische Geschehen verfolgten, sagt sie. Die Mehrheit der jungen Bevölkerung interessiere sich nicht, aber sie sei froh, dass sie wenigstens einen kleinen Anteil erreichen könne.

Alhroob bestätigt zwar, dass es noch wenig Vertrauen in Frauen als Führungspersönlichkeiten gäbe, doch das ändere sich langsam, sagt sie. Wie auch Hind Al-Fayez, hält sie sich selbst für eine ausschlaggebende Figur für diese Veränderung. Sowohl Männer als auch Frauen aus allen Regionen Jordaniens hätten für sie gestimmt. „Durch meine Leistung im Parlament habe ich Eindruck hinterlassen. Ich verkörpere das Bild, dass Frauen stark und mutig sind, dass sie nicht so korrupt sind wie die meisten Männer im Parlament, dass sie für das richtige kämpfen und für das einstehen, an das sie glauben“. Sie denkt, dass sie viele weibliche Fans habe, weil Frauen das Gefühl hätten, sich durch sie verwirklichen zu können. Sie repräsentiere, was sie selbst nicht könnten. „Die Frauen sehen mich und wollen sein wie ich, aber die Kultur verbietet es ihnen. Die Unterstützung der Frauen helfe ihr bei Wahlen, das sei aber nicht genug. Sie wolle mehr für die Frauen tun, sagt Alhroob. „Ich möchte, dass Frauen mehr Freiheiten in dieser Gesellschaft haben“.

Auch sie betont die Wichtigkeit der Vorbildfunktion. Dadurch würden Vorstellungen und das Gedankengut der Gesellschaft verändert. „Auch wenn sie uns nicht mögen, mittlerweile respektieren uns die männlichen Kollegen, das war nicht von Anfang an so. Das Konzept, dass Frauen Männern unterlegen sind, ist tief im Unterbewusstsein der arabischen Mentalität verankert, es wird Jahre dauern das zu ändern. Es verändert sich schon jetzt etwas und solange wir diese Vorbilder haben, wird es sich auch weiter verändern“. Rula Alhroob ist hoffnungsvoll, dass in Zukunft mehr Frauen außerhalb der Quote gewählt werden.

Auch Rana Sweis stellt eine Veränderung fest und sieht, dass die jordanische Jugend großes Potential hat. „Ich bin immer wieder erstaunt und begeistert von dem Ehrgeiz und der Kreativität der jungen Menschen, mit denen ich an der Uni und bei Leaders of Tomorrow zusammenarbeite“. Es sei schade, dass das Umfeld, sowohl im Privaten, als auch in der Berufswelt den Wenigsten Raum biete, ihr Potential auch auszuschöpfen. Es gäbe keine Organisationen von jungen Menschen für junge Menschen. Leaders of Tomorrow sei möglicherweise die einzige ihrer Art. Darüber hinaus, sagt sie, würde bei Leaders of Tomorrow nicht nur geredet, sondern auch umgesetzt. Auch wenn sie in letzter Zeit mit finanziellen Schwierigkeiten und Restriktionen von Regierungsseite aus zu kämpfen hätten, zeige der unveränderte Erfolg in dieser schwierigen Umgebung die enorme Kreativität und Ambition der Jugendlichen. „Jeden Tag melden sich Freiwillige bei uns. Sie wollen etwas tun, sie wollen Teil von einer Gemeinschaft sein und produktiv sein. Wir wissen nicht, wo wir sie unterbringen können, aber es zeigt, dass der Wille, etwas zu verändern, stark ist“. Sami Hourani, der Gründer der Organisation, sieht das Engagement auch an der zahlreichen Teilnahme an öffentlichen Debatten, die Leaders of Tomorrow organisiert. Die Initiative Diwanieh soll genau das fördern, woran es, nach Amer Sabeileh, in Jordanien mangelt, nämlich eine Kultur der Akzeptanz verschiedener Standpunkte und Meinungen. „Diwanieh ist ein neutraler Ort, wir verstehen die Plattform als ein Medium. Wir als Organisation propagieren keine bestimmte Haltung, wir bringen Menschen zusammen um Meinungen auszutauschen. Ich möchte, dass die Leute sehen, dass es eine Kultur des Redens gibt, ohne Geschrei oder körperlicher Gewalt sondern mit Respekt gegenüber Andersdenkenden.“ Wenn sie es schafften diese Kultur zu verbreiten, sei das schon genug, sagt Hourani. „Auch wenn nur eine kleine Gruppe von Menschen auf der Straße über ein politisch kontroverses Thema diskutieren kann, dann ist das schon ein großer Erfolg“. Der Erfolg der Organisation scheint dieser Strategie Recht zu geben.

Wie Rana Sweis, hat Emad Hajjaj, der erste der Hajjaj Brüder, der anfing Comics zu zeichnen, ein deutlich positiveres Bild von der jordanischen Jugend, als sein jüngerer Bruder. Er habe den Eindruck, dass der arabische Frühling, auch wenn viele von dessen Ausgang enttäuscht seien, eine nachhaltige politische Sensibilisierung ausgelöst habe. „Zwar gehen die jungen Menschen nicht mehr auf die Straße, aber der arabische Frühling hat definitiv ein neues Bewusstsein für Politik und für das, was in der Region geschieht, ausgelöst. Das sieht man vor allem in den sozialen Medien. Vor dem arabischen Frühling ging es dort vor allem darum sich für private Zwecke zu vernetzen. Danach wurden die Inhalte politisch.“ Daran ließe sich ablesen, dass die Jugend in Jordanien sich verändert habe. „Ich glaube, der arabische Frühling wird sich wiederholen, wahrscheinlich in einer anderen Form, aber es ist unsere einzige Chance für einen echten demokratischen Wandel“.

Luft nach oben. Was sollte sich ändern?

Trotz aller positiven Veränderungen, die in Bezug auf das politische Engagement der Jugend wahrgenommen werden, ist noch viel zu tun. Es gibt viele Baustellen und viele Punkte an denen man ansetzen könnte, um einen Wandel herbeizuführen. Der Frustration der Jugend über ihre Stellung und Perspektivlosigkeit in der jordanischen Gesellschaft muss entgegengewirkt werden. Zum einen um einer zunehmenden Radikalisierung vorzubeugen, zum anderen um, ganz pragmatisch, das System und die Wirtschaft nachhaltig zu gestalten.

Amer Sabeileh sieht die einzige Möglichkeit für eine Veränderung in einem radikalen Mentalitätswandel. „Im Moment sehe ich von Seiten der Regierung einen Mangel an Vision im Hinblick darauf, wie das Problem angegangen werden soll und auch einen Mangel an Willen, etwas zu tun“. Es würden alle paar Jahre zwar neue Jugendinitiativen ins Leben gerufen, nachhaltig umgesetzt würde aber wenig, so Sabeileh. Es müsse eine vielfältige, offene Gesellschaft und eine Atmosphäre geschaffen werden, in der Menschen produktiv sein könnten.

Ein Anfang wäre, das Schulsystem von Grund auf zu reformieren, um die Menschen von Kindesbeinen an mit einem offenen, toleranten Gedanken- und Wertesystem auszustatten. Das Bildungssystem sei eines der wichtigsten Organe des öffentlichen Lebens, das den Geist der Menschen forme und ihnen Kultur nahebringe. Das finge bei den Büchern selbst an, hänge aber zu einem großen Teil von den Personen ab, die die Inhalte lehrten. So wie es bisher sei, werde kein Wert darauf gelegt, eigenständig denkende Menschen heranzuziehen, sondern vielmehr würde eine Ideologie, durchzogen vom Islam, als einzige Wahrheit gelehrt. Das System müsse so umstrukturiert werden, dass die Schüler als Menschen mit eigener Meinung ernstgenommen würden. Darüber hinaus sollte es ein System sein, das alle einschließt und mehr eine jordanische Identität vermittle, als eine muslimische. Es reiche nicht aus, die Schulbücher zu ändern, sondern es brauche zudem mutige Menschen, die sowohl im Hörsaal, als auch außerhalb eine Kultur der Vielseitigkeit vorantrieben. Junge Jordanier müssten in die Politik einbezogen werden, um das Gefühl zu schaffen, dass sie ihre Zukunft selbst gestalten können. Auf Seiten der jordanischen Jugend mangele es bis jetzt an einem einheitlichen Ziel und einer konkreten Idee für einen Wandel, sodass keine größere Bewegung entstanden sei. Wenn sich die junge Bevölkerung jedoch organisiert und einen Plan entwickelt um ihre Interessen durchzusetzen, sieht Sabeileh einem überfälligen gesellschaftlichen Wandel positiv entgegen.

Für die Parlamentarierin Rula Alhroob ist es entscheidend, die Jugend darüber zu informieren, was die Politiker im Parlament machen, um sie mehr einzubinden und das Engagement zu fördern. Sie sagt, es sei traurig, dass Politiker, die nicht die Linie der Regierung verträten, sondern oppositionellen Parteien angehörten, nicht an Universitäten vor Studenten sprechen könnten. „Dadurch wird es zur alleinigen Aufgabe der konventionellen und sozialen Medien, die Jugend über Politik zu informieren“. Es gäbe viele falsche Vorstellungen über die Rolle des Parlaments. Zum Beispiel dächten viele, es sei Aufgabe des Parlaments, für Arbeitsplätze zu sorgen oder Geld zu verteilen. „Wir müssen die Aufklärung darüber, was wir tun, verbessern, um die Vorstellung vom Parlament nach der wir Abgeordnete beurteilt werden, in den Köpfen zu verändern“, meint Alhroob. Ein großes Problem bei der Aufklärung sei, dass viele Parlamentsmitglieder sich gegen Aufklärungskampagnen wehrten, weil sie um ihre Macht fürchteten.

Wie Amer Sabeileh, ist auch Rula Alhroob davon überzeugt, es sei höchste Zeit, die zunehmende Radikalisierung vieler Jugendlicher, die meist aus einer Perspektivlosigkeit und einem Ohnmachtsgefühl erwachse, anzugehen. „Wir müssen den Ursachen dieses Phänomens mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Ansatz auf den Grund gehen und nach diesen Erkenntnissen Maßnahmen ergreifen“. Ein Hauptgrund für die Hoffnungslosigkeit sei die hohe Arbeitslosigkeit Diese führe in eine andauernde Abhängigkeit. „Erst brauchen junge Menschen Geld von ihren Familien, um auf eine höhere Schule gehen zu können, danach brauchen sie Geld, weil sie keinen Job finden. Sie haben das Gefühl, sie verschwenden ihre Zeit an der Uni, weil sie wissen, dass 80 Prozent von ihnen nach dem Abschluss arbeitslos sein wird“. Zu dem Gefühl der Abhängigkeit komme das Gefühl der Unmündigkeit. „Wir haben nicht die Meinungsfreiheit und die Freiheit, uns in jeder Form, die wir für richtig halten, auszudrücken, wie die Menschen im Westen. In der arabischen Welt haben wir Regime, die das nicht unterstützen, und deshalb fühlen sich die Menschen und vor allem die Jugendlichen hier unterdrückt. Leider führt das bei vielen dazu, dass sie sich in den vermeintlich sicheren Hafen der Religion zurückziehen“.

Aufklärung ist auch Sami Houranis Strategie, um mehr Jugendliche zu interessieren. „Wir als Organisation haben eine klare Leitlinie. Wir behaupten nicht, dass unsere Initiative Diwanieh Jordanien verändern wird. Wir versuchen aber zu einer Veränderung beizutragen, indem wir Menschen aufklären. Als der arabische Frühling ausbrach, war unser Slogan „Aufklärung vor Revolution“. Leute blind in eine Revolution zu führen, halte ich für ein Verbrechen. Dadurch wird es keinen authentischen, nachhaltigen Wandel geben“. Es habe im arabischen Frühling keine Strategie gegeben, was passieren solle, nachdem die Regime gestürzt waren. Deshalb sei er im Sand verlaufen. Deswegen möchte Sami Hourani die politische Bildung fördern, indem er Plattformen für ein kreatives öffentliches Engagement bereitstellt. Diwanieh sei eine Form des „kreativen Straßenaktivismus“, wie er es nennt, der nicht zu verwechseln sei mit einer Demonstration. „Diwanieh ist keine Protestveranstaltung, es zielt nicht auf das gleiche ab wie eine Demonstration. Wir bringen unterschiedliche Positionen zusammen: Menschen aus der Zivilgesellschaft und Entscheidungsträger oder Interessenvertreter, je nach Thema“. Für politische Aufklärung sei dies ein geeigneterer Rahmen als eine Demonstration, findet Sami Hourani. Besonders Menschen, die noch keine klare Haltung zu einem bestimmten politischen Thema haben und sich erst informieren wollten, bekämen durch die Debatten Denkanstöße in verschiedene Richtungen. Es käme auch vor, dass jemand mit einer vorgefertigten Meinung zu einer Debatte komme, dann aber feststelle, dass seine Argumente nicht stichhaltig seien und seine Meinung daraufhin ändere. Sami Hourani ist der Ansicht, wenn einer Debatte eine Demonstration folge, würde diese ernster genommen, weil sie auf fundierte Information gründe.

Fazit

Die jordanische Jugend befindet sich anscheinend in einer politischen Lethargie, die nur teilweise selbstverschuldet ist. Die äußeren Umstände, wie der Mangel an Teilhabe am politischen System oder die wirtschaftliche Lage, begünstigen, dass sich viele junge Menschen entweder aus Frustration oder durch den Existenzkampf ins Privatleben oder die Religion zurückziehen. Die Grundstimmung, das wurde in den Interviews deutlich, ist eher resignativ als optimistisch. Trotzdem gibt es einige, die hart daran arbeiten, das zu ändern, und sie können Erfolge verbuchen, seien es Vorbilder, die durch die eigene Geschichte Inspiration bieten oder Organisationen, wie Leaders of Tomorrow, die Jugendlichen eine Stimme geben. Solange es Menschen in Jordanien gibt, die etwas bewegen wollen, steht die Gesellschaft nicht still.

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