Hintergründe
Am 5. Juni fand in Bamako die erste große Demonstration gegen den malischen Staatspräsidenten IBK statt. Ein breites Bündnis politischer und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatte dazu aufgerufen. Bei dieser ersten Demonstration kamen etwa 15.000–20.000 Malier auf dem Platz der Unabhängigkeit im Zentrum Bamakos zusammen – eine Anzahl, die für malische Verhältnisse durchaus bedeutend ist. Am 19. Juni folgte eine weitere Demonstration. Der zentrale Auslöser der Proteste waren die jüngsten Parlamentswahlen im April, deren Ergebnisse als hochgradig manipuliert wahrgenommen wurden. Allerdings war dies gewissermaßen nur der berühmte „Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Denn seit Jahren wächst die Unzufriedenheit mit der Regierung von Staatspräsident IBK. Die sich beständig verschlechternde Sicherheitslage im Land, die Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Perspektivlosigkeit breiter Bevölkerungsschichten speisen seit langem den Unmut.
Das neue Oppositionsbündnis vereint unter dem Namen „Bewegung des 5. Juni/Vereinigung der patriotischen Kräfte“ (M5/ RFP) ganz unterschiedliche politische und zivilgesellschaftliche Organisationen. Erklärtes Ziel des Bündnisses ist ein Regimewechsel und die Demission des Präsidenten. Die zentrale Führungsfigur der Opposition ist Imam Mahmoud Dicko, einer der bekanntesten und einflussreichsten muslimischen Führer des Landes. Ihm wird von einigen Beobachtern Nähe zu islamistisch-wahabitischem Gedankengut nachgesagt. Er selbst betont aber in seinen Reden die Offenheit des Islam in Mali.
Während der letzten Wochen gab es eine Reihe von Gesprächen zwischen der Opposition und der Regierung. Auch die internationale Gemeinschaft hatte zum Dialog aufgerufen, eine hochrangige Delegation der westafrikanischen Organisation ECOWAS hatte Vermittlungsvorschläge erarbeitet. Der ehemalige nigerianische Präsident Dr. Goodluck Ebele Jonathan wurde am 14. Juli außerdem offiziell als ECOWAS-Sonderbeauftragter benannt. Auch Staatspräsident IBK hatte in seinen letzten Reden einige Zugeständnisse angekündigt, u. a. die Auflösung des Verfassungsgerichtshofs, dessen Entscheidungen zu den Ergebnissen der Parlamentswahlen hochumstritten waren. Letztlich blieben aber alle Gespräche ohne Ergebnis, zu weit auseinander liegen die Positionen beider Seiten.
Ausbruch der Gewalt
Am Freitag, dem 10. Juli kam es im Rahmen der dritten Großdemonstration auf dem Unabhängigkeitsplatz in Bamako zur Ausrufung des zivilen Ungehorsams. Vor allem junge Demonstranten attackierten u. a. das Parlament und den Sitz des Rundfunks, während andere damit begannen, die zentralen Achsen der Hauptstadt zu blockieren und Straßensperren im gesamten Stadtgebiet zu errichten. Darauf reagierten die Sicherheitskräfte am Freitag und Samstag mit großer Härte; es wurde auch scharf geschossen, u. a. als Samstagabend Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in der Nähe der Moschee des Imam Dickos im Stadtteil Badalabougou vorgingen. Mehrere Führer der Oppositionsbewegung wurden in den letzten Tagen verhaftet. Diese befinden sich aber mittlerweile wieder auf freiem Fuß. Nach den letzten, aber womöglich unvollständigen Berichten gibt es bisher bereits 11 Tote und weit über 100 Verletzte. Getragen werden die teilweise nun auch gewaltsamen Proteste überwiegend von der perspektivlosen Jugend des Landes.
Was sind mögliche Konsequenzen?
Mali, dessen Sicherheitslage sich im Norden und Zentrum des Landes über die letzten Jahre stetig verschlechtert hat, gleitet damit weiter ins Chaos ab. Neben der Bedrohung durch bewaffnete Gruppen, Terrorismus, organisierte Kriminalität und den Herausforderungen der Ernährungssicherung einer ständig wachsenden Bevölkerung tritt nun noch eine sozio-politische Krise in den bevölkerungsreichen Städten im Süden des Landes auf.
Leider ist dies auch ein Sinnbild des Scheiterns des internationalen Engagements, dem es bisher nicht gelungen ist, den malischen Staat seit dem Beinahe-Zusammenbruch in den Jahren 2012/2013 ausreichend zu stabilisieren und nachhaltig zu stärken. Ganz im Gegenteil: Mittlerweile gleitet der gesamte Sahelraum in eine Spirale der Gewalt ab. Diese Entwicklungen werfen bei zahl- reichen Akteuren und Beobachtern die Frage auf, ob es einen Neuanfang, sowohl in Mali selbst wie auch bei der internationalen Unterstützung für die Region braucht, um eine wirkliche Trendwende zu erreichen.