Am 26. Mai 2024 fand der zweite Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Litauen statt. Gitanas Nausėda trat gegen Ingrida Šimonytė an und konnte sich in der Stichwahl mit 74,43 Prozent gegen sie (24,06 Prozent) durchsetzen, nachdem er im ersten Durchgang knapp an der nötigen direkten Mehrheit scheiterte. Šimonytė trat für die konservative Tėvynės sąjunga – Lietuvos krikščionys demokratai, kurz TS-LKD (deutsch: Vaterlandsbund – Christdemokraten Litauens) an, während Nausėda als parteiloser Kandidat auftrat. Er ist für fünf Jahre, bis 2029 gewählt.
Der gesamte Wahlkampf verlief etwas schleppend, Nausėdas dauerhaft hohe Umfragewerte ließen wenig Zweifel daran aufkommen, dass er eine zweite Amtszeit antreten würde. Die Wahlbeteiligung war in der ersten Runde vergleichsweise hoch, mit über 59 Prozent, der höchste Wert im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen seit 1997. In der Stichwahl hingegen gaben nur 49,61 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab, ein deutlicher Rückgang um rund vier Prozent, im Vergleich zur letzten Wahl vor fünf Jahren.
Die ganze Situation erinnert stark an die letzten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2019, als Šimonytė und Nausėda erstmalig gegeneinander antraten. Auch damals konnte er sich im zweiten Wahlgang deutlich gegen seine Konkurrentin durchsetzen, mit 66,5 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Name | Ergebnis |
Gitanas Nausėda |
43,95 Prozent |
Ingrida Šimonytė | 20,05 Prozent |
Ignas Vėgėlė | 12,35 Prozent |
Remigijus Žemaitaitis |
9,21 Prozent |
Eduardas Vaitkus |
7,31 Prozent |
Dainius Žalimas | 3,57 Prozent |
Andrius Mazuronis | 1,38 Prozent |
Giedrimas Jeglinskas | 1,37 Prozent |
Insgesamt standen acht Kandidaten zur Wahl. Darunter einige altbekannte Gesichter in der litauischen Politik, aber auch Newcomer und Rückkehrer in das politische Spotlight, wie Ignas Vėgėlė. Der Anwalt machte sich in der Vergangenheit einen Namen durch seine Anti-Establishment Positionen während der Pandemie und kritisierte die in seinen Augen intransparente Wahl. Sein politischer Glanz verflog etwas, nachdem die Corona-Pandemie keine wichtige Rolle mehr in der Öffentlichkeit spielte. Mit dem dritten Platz kann er dennoch zufrieden sein. Über seine politische Zukunft will er im Sommer nachdenken.
Der pro-russische Kandidat Eduardas Vaitkus kam auf 7,4 Prozent der Stimmen. Seine Plattform warb für eine Aufhebung aller Sanktionen gegenüber Russland, dem Einstellen sämtlicher Militärhilfen für die Ukraine und einer generellen Normalisierung der Verhältnisse mit Moskau und Minsk. Diese Positionen kamen besonders gut bei der polnischen und russischen Minderheit im Südosten des Landes an, hier gewann er sogar die Mehrheit der Stimmen und war der populärste Kandidat. Im Vergleich zu den anderen beiden Baltischen Staaten, Lettland und Estland, beherbergt Litauen eine relativ kleine Anzahl an russischsprachigen Menschen (etwa 7 Prozent; im Vergleich zu knapp 25 Prozent in den beiden anderen Staaten). Einen Großteil seiner Stimmen sammelte Vaitkus in Südostlitauen. Im Bezirk Salcininkai holte er gar mehr Stimmen als alle andere sieben Kandidaten, inklusive Präsident Nauseda.
Bislang gab es keine offen pro-russischen Kräfte im litauischen Parlament (Seimas). Laut dem amtierenden Verteidigungsminister, Laurynas Kasčiūnas, ist dies das Ziel Vaitkus‘, eine politische Kraft im Parlament zu gründen. Die Behörde für Staatssicherheit wurde beauftragt Vaitkus‘ Aussagen nunmehr genauer zu bewerten.
Gründe für die erneute Niederlage Šimonytės
Šimonytė hat in allen 60 Gemeinden verloren. Selbst in ihrem eigentlich stärksten Bezirk Vilnius unterlag sie mit 55,10 Prozent.
Als derzeitige Regierungschefin ist Šimonytė die eigentliche Entscheidungsträgerin in allen innenpolitischen Fragen, trägt somit auch die Verantwortung für Misserfolge. Die Position des Präsidenten ermöglicht es, über alle Bereiche der öffentlichen Politik zu sprechen, und zwar aus der Sicht eines Bewerters, eines Kritikers, und nicht aus der Sicht eines Umsetzers, was für die Teilnahme an diesen Präsidentschaftswahlen günstiger ist. Konkret sprach Nausėda mehr über Themen wie den Wohlfahrtsstaat und soziale Probleme, was attraktiver für die Wähler war als Šimonytės Kampagne. Zusätzlich rechneten viele Wähler mit der Politik Šimonytės und ihrer Regierung ab. Einige wählten daher nicht zwingend für Nausėda, sondern gegen Šimonytė.
Als Šimonytė 2019 von der Partei TS-LKD nominiert wurde, galt sie offiziell trotzdem als parteilos. In dieser Wahl tritt sie allerdings als Mitglied dieser Partei an. Somit wird sie mit ihr identifiziert, was als Nachteil zu werten ist, vor allem im Hinblick auf die Mobilisierung der Wählerschaft. Parteilose Kandidaten haben hier einen Vorteil.
Diese politische Neutralität spielte dem amtierenden Präsidenten Nausėda wahrscheinlich in die Karten. Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass er trotzdem die Unterstützung vieler etablierter Parteien genoss. So waren die Sozialdemokraten von der Lietuvos socialdemokratų partija, kurz LSDP, sein wohl wichtigster Unterstützer. Die Partei stellte dafür keinen eigenen Kandidaten zur Wahl. Ein politisches Novum in den letzten Jahrzenten, aber ein entscheidender Vorteil für den amtierenden Präsidenten.
Inhaltliche Unterschiede
Der Wahlkampf wurde von den Themen rund um Sicherheitspolitik und die von Russland ausgehende Bedrohung dominiert. Inhaltlich gab es Überschneidungen bei außenpolitischen Positionen und Fragen der nationalen Sicherheit, aber deutliche Unterschiede bei Themen wie z.B. der gleichgeschlechtlichen Ehe.
Hier ist es Šimonytė, welche einen offeneren Umgang damit befürwortet, während Nausėda weiterhin gegen eine Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe ist.
Im Blick auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik befürworten beide eine Erhöhung des litauischen Verteidigungshaushalts auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aktuell stehen die Ausgaben für Verteidigung bei 2,75 Prozent, eine Erhöhung der Ausgaben würde die Modernisierung der litauischen Armee und der Infrastruktur im Vorfeld der Stationierung einer deutschen Truppenbrigade in Litauen finanzieren, die ab 2027 kampffähig sein soll.
In der Russlandpolitik ähneln sich die beiden ebenfalls sehr, lediglich im Falle Chinas kommen Unterschiede hervor, da sich Nausėda für eine Normalisierung der Beziehungen der beiden Länder einsetzt. Diese waren zuletzt sehr angespannt, nachdem die litauische Regierung der Errichtung einer taiwanesischen Botschaft in Vilnius zugestimmt hatte. Nausėda bezeichnete die Entscheidung der Regierung, die Eröffnung der Vertretung im Jahr 2021 unter dem Namen Taiwan, statt Taipeh zuzulassen als „Fehler“.
Auswirkung auf zukünftige Wahlen in Litauen
Die anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament stehen stark im Schatten dieser Präsidentschaftswahl und der kommenden Parlamentswahl im Oktober dieses Jahres.
Letztere werden eine weitere harte Bewährungsprobe für Šimonytė und ihre Partei. Die aktuelle Koalition aus Mitte-Rechts-Parteien liegt in den Umfragen hinten, auch bei den Europawahlen im Juni könnten sie einen Sitz an die Sozialdemokraten verlieren.
Die Wahl des Präsidenten ist aber nicht direkt in dieses politische Bild einzuordnen. Nausėdas einzigartige Position als parteiloser Politiker ist kein zuverlässiges Stimmungsbarometer, wenngleich seine wichtigsten Unterstützer in Form der Sozialdemokraten auch in den nächsten Monaten an Einfluss gewinnen könnten.
Das Amt des Präsidenten umfasst die Festlegung der Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam mit der Regierung, Mitsprache bei der Festlegung wichtiger Posten wie Richter, Generalstaatsanwalt, Verteidigungsminister und Zentralbankchef, sowie neue Gesetze zuzulassen oder ein Veto dagegen einzulegen.
Er hat eine halb-exekutive Funktion, welche die Leitung der Streitkräfte und den Vorsitz des obersten Gremiums für Verteidigung und nationale Sicherheitspolitik umfasst, und vertritt das Land auf Gipfeltreffen der Europäischen Union und der NATO. Letzteres führte in der Vergangenheit immer mal wieder zu Unstimmigkeiten, da sich Šimonytė eher in der Position sah, das Land auf den internationalen Gipfeltreffen zu vertreten.
Ausblick
Die deutliche Wahlniederlage der amtierenden Premierministerin ist auch eine Niederlage für die Partei. Trat sie dieses Mal explizit für diese an. Diese konkrete politische Zuschreibung hat sie Stimmen gekostet. Sie vermochte es nicht, Themen anzusprechen, die auch für eine andere Wählergruppe wichtig sind. Dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Arbeit innerhalb der Partei sehr geschätzt wird. Der amtierende Vorsitzende Gabrielius Landsbergis schlug Šimonytė nach der Präsidentschaftswahl vor, die Wahlliste für die Parlamentswahlen im Herbst anzuführen.
Der große Zuspruch zu Anti-System-Kandidaten bzw. Kandidaten mit pro-russischem Einschlag ist auch im Hinblick auf die Nationalität von deren Wählern erstaunlich. Kamen Stimmen für solche Kandidaten in der Vergangenheit vor allem aus der polnischen Minderheit, kamen sie dieses Mal auch von Litauern. Die regionale Zuspitzung der Stimmen für Eduardas Vaitkus sollte allerdings nicht überinterpretiert werden.
Nausėda hingegen versteht es einen großen Teil der Gesellschaft anzusprechen und von sich als oberstem Repräsentanten des Landes zu überzeugen.
Die Regierungspartei steht vor besonders schwierigen Wahlen zum Europäischen Parlament und den Parlamentswahlen im Oktober.
Voraussichtlich wird die Sozialdemokratische Partei gestärkt aus diesen hervorgehen, wahrscheinlich sogar als stärkste Kraft, glaubt man den aktuellen Umfragen. Die Wahl zum Präsidenten hätte Nausėda höchstwahrscheinlich auch ohne die Hilfe der Sozialdemokraten gewonnen. Dennoch zeigt diese Positionierung und das nicht Aufstellen eines eigenen Kandidaten eine Trendwende in der litauischen Politik, gegen die aktuelle Regierung.
Nausėda betonte im Nachgang der Wahl, dass er sein Team teils umbauen möchte, um noch mehr Fokus auf die Themen Außen- und Sicherheitspolitik zu legen. Er möchte die „Führungsrolle“ (Nausėda) Litauens weiter stärken. Die EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2027 stellt hierfür eine weitere Wegmarke dar.
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