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Afghanistan vor der Präsidentenwahl

par Dr. Karl-Heinz Kamp

Internationale Gemeinschaft ohne überzeugendes Konzept?

Manuskript für die NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien", gesendet am 2. Oktober 2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit Genehmigung des NDR.

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Heute in fünf Tagen jährt sich zum dritten Mal der Angriff auf Afghanistan und die Beseitigung des Taliban-Regimes in Kabul. Gern wird derzeit auf die Erfolge verwiesen, die seither in der Region erzielt wurden. In einer Woche werden erstmals Präsidentschaftswahlen stattfinden, für die sich bereits mehr als 10 Millionen Afghanen haben registrieren lassen – 41,7 % davon Frauen. Die NATO erhöht ihre internationalen Friedenstruppe ISAF auf fast 10 000 Mann um den Wahlgang abzusichern, während amerikanische Streitkräfte unter dem Titel "Enduring Freedom" weiter Taliban und Al-Kaida Kämpfer jagen. All das, so heißt es, dient Afghanistan und der internationalen Stabilität, weil ja – wie Verteidigungsminister Struck sagte – deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde.

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, sieht doch die Wirklichkeit eher trüb aus. Außerhalb der Hauptstadt Kabul ist von Sicherheit und Stabilität nicht viel zu spüren. Regionale Warlords haben das Land unter sich aufgeteilt und herrschen weitgehend unbeeindruckt von den Beschlüssen der Zentralregierung. Nicht umsonst wird Präsident Hamid Karzai häufig als "Bürgermeister von Kabul" bezeichnet. Der Drogenanbau und damit die organisierte Kriminalität nehmen dramatische Formen an.

Viele Probleme gehen auf die komplizierte Situation im Land und die leidvolle Geschichte Afghanistans zurück. Einen Teil der Verantwortung für die Fehlentwicklungen muss sich aber auch die vielzitierte "internationale Gemeinschaft" an die Fahnen heften. Grob vereinfacht lassen sich drei Hauptursachen nennen: fehlende Mittel, fehlende konzeptionelle Klarheit und fehlende internationale Abstimmung.

Um bei den Mitteln zu beginnen: im letzten Jahr veröffentlichte die renommierte RAND-Corporation in den USA eine Untersuchung über die amerikanische Rolle im "Nation Building" in den letzten fünfzig Jahren. Zu Afghanistan heißt es dort lapidar: "Zu geringe Investitionen bei militärischen und zivilen Mitteln führen zu schlechten Ergebnissen bei der Sicherheit und Demokratieentwicklung". So einfach ist das: man bekommt nur so viel Sicherheit, wie man zu investieren bereit ist. Die bittere Wahrheit dieser Binsenweisheit zeigt sich in Afghanistan jeden Tag. Die europäischen NATO Partner stimmen ehrgeizigen Streitkräfteeinsätzen zu, verweigern aber selbst grundlegende Ausrüstungen. NATO-Generalsekretär und NATO-Oberbefehlshaber mussten um wenige Hubschrauber förmlich betteln gehen. Auch die Supermacht USA gibt kein gutes Bild ab. Wie auch immer man über die Rechtmäßigkeit des Irak-Krieges denkt – amerikanische Militärs geben unumwunden zu, dass die im Irak gebundenen Mittel in Afghanistan bitter fehlen.

Aus der Not wurde flugs eine Tugend gemacht – die Stabilisierung des Landes sollte mit Hilfe regionaler Wiederaufbauteams gelingen, in denen Soldaten die Arbeit ziviler Aufbauhelfer schützen. Fünf dieser sogenannten Provincial Reconstruction Teams (PRT) gibt es bereits – eines davon betreibt die Bundeswehr in Kunduz und ein weiteres deutsches Team befindet sich in der Region Faizabad im Aufbau. Die Idee dieser "Stabilisierungsoasen" hat sicher einiges für sich. Das Missverhältnis von Einsatz und Aufgabe wird aber deutlich, wenn man sich das deutsche Beispiel anschaut. Das PRT in Kunduz umfasst knapp 300 Soldaten und soll allen Ernstes eine Region von der Größe Hessens und Bayerns überwachen.

Zu den fehlenden Mitteln gesellt sich die mangelnde konzeptionelle Klarheit. Was verbirgt sich hinter den Schlagwörtern "Stabilisierung" und "Demokratisierung", mit denen die Aufgabe in Afghanistan gemeinhin umschrieben wird? Kann man etwa ernsthaft den Wiederaufbau fördern, ohne das Drogenproblem anzugehen? Heute ist die Anbaufläche von Mohn etwa 36 mal größer, als im letzten Jahr des Taliban-Regimes. In diesem Jahr erwartet man eine Rekordernte von 4.600 Tonnen Rohopium. Mittlerweile stammt 80 % des in Deutschland konsumierten Heroins aus Afghanistan. Auf seinem Weg aus den Anbaugebieten hin zu den Abnehmerländern verseucht das Rauschgift ganze Regionen. So hat der Iran mittlerweile ein ernstes Drogenproblem und auch andere Transferstaaten werden in den Strudel hinein gerissen. Gleichzeitig untersagt das Mandat für die Bundeswehrmission in Afghanistan aber nach wie vor die Drogenbekämpfung. Das heißt: Anbau, Produktion und Handel von Rauschgift finden unter den Augen deutscher Soldaten statt. Dagegen vorzugehen, sei zu gefährlich – heißt es von Seiten der Politik. Aber, schickt man nicht deshalb Streitkräfte nach Afghanistan, gerade weil es gefährlich ist?

Internationale Ansätze zur Eindämmung des Drogenproblems waren bislang weitgehend erfolglos. Das großflächige Verbrennen der Mohnernte ist kaum noch praktikabel, da die Bauern mittlerweile Mohn und Getreide in eng nebeneinander liegenden Abschnitten anbauen. Auch diente bisher die Zerstörung der Ernte vor allem den Drogenhändlern im Westen. Sie profitierten vom Ansteigen der Heroinpreise, die durch die Überproduktion in den vergangenen beiden Jahren erheblich gesunken waren.

Präsident Karzai hofft, das Drogenproblem bis zum Jahr 2013 in den Griff bekommen zu haben. Glaubt die internationale Gemeinschaft wirklich, so lange warten zu können und bis dahin den Wiederaufbau mit Drogenbaronen und Vertretern des organisierten Verbrechens zu leisten?

Schließlich zum dritten Problem, der mangelnden Abstimmung zwischen der NATO und den USA: Was nach außen als Erfolg verkauft wird – das Nebeneinander der amerikanischen Mission zur Terrorbekämpfung, der NATO-Mission zum Stabilisierung Afghanistans und den Aktivitäten der Vereinten Nationen zum Wiederaufbau, ist in der Praxis nur schwer zu vereinbaren. Zu unterschiedlich und teilweise sogar gegensätzlich sind die Ziele der verschiedenen Ansätze. Nur ein Beispiel für Wirrwarr und Frustration: unter der Federführung Japans bemühen sich die Vereinten Nationen um die schrittweise Entwaffnung der afghanischen Warlords. 300 Millionen US-Dollar stehen bereit, um die Provinzfürsten zur Abgabe ihrer Waffen zu bewegen. Rund ein Drittel der geschätzten 5000 schweren Waffen im Lande konnte auf diese Weise bislang aufgekauft werden. Zur gleichen Zeit nutzen die amerikanischen Streitkräfte das Militärpotential einiger Warlords, um Vertreter der Taliban oder Al Kaida zu jagen. Es ist den regionalen Herrschern nur schwer zu vermitteln, dass die USA für deren Militärdienste – und damit auch Waffen - zu zahlen bereit sind, währen die UNO sie entwaffnen möchte und dafür ebenfalls Geld anbietet.

Erstaunlich an all diesen Mängeln ist weniger, dass es sie gibt, sondern dass sie nach drei Jahren immer noch auftreten, obgleich sich alle Beteiligten klar sind, dass man sich ein Scheitern in Afghanistan nicht leisten kann.

Was muss also geschehen? Zunächst wird man um eine Erhöhung der Präsenz internationaler Streitkräfte nicht herumkommen, wenn sich langfristig ein Erfolg einstellen soll. Hier geht es nicht nur um die Absicherung der Wahlen, sondern um dauerhaft ausreichend Soldaten, um dem eigenen Anspruch nach Präsenz in der Fläche auch Geltung zu verleihen.

Das Drogenproblem muss als internationale Herausforderung gesehen werden, bei dem Resultate nur langfristig erzielt werden können. In Kolumbien hat man in der Vergangenheit gute Erfolge mit der Kombination von Erntevernichtung aus der Luft und gezielten Schlägen gegen Drogenschmuggler mit von den USA ausgebildeten nationalen Polizeieinheiten erzielt. Auch müssen die Nachbarländer und Transferstaaten in die Bemühungen einbezogen werden. Selbst mit Hilfe der Religion kann man auf die Mohnfarmer einwirken, wird doch Drogenproduktion und –konsum im Islam als schwere Sünde angesehen.

All das erfordert ein stärkeres internationales Engagement und damit auch die Bereitstellung der erforderlichen Mittel. Wie gesagt, deutsche Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt – das ist aber nicht zum gleichen Preis zu haben, der einst für die Verteidigung Hindelangs aufgewendet wurde.

Die Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" des NDR setzt sich kritisch mit aktuellen Fragen der Sicherheits- und Militärpolitik auseinander. Zu hören ist die Sendung alle 14 Tage, jeweils in der geraden Woche, sonnabends um 19.20 Uhr.

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Contact Dr. Michael A. Lange
Dr. Michael A. Lange Portrait
Kommissarischer Leiter des Rechtsstaatsprogramms Nahost/Nordafrika
Michael.Lange@kas.de +361 1 385-094 +361 1 395-094

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