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Reaktionen und Erwartungen im Nahen Osten und Nordafrika

Geiselfreilassung, Waffenruhe und Friedensgipfel

Zwei Jahre nach dem brutalen Überfall der Terrororganisation Hamas und anderer islamistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023 und nach dem darauffolgenden Gaza-Krieg, trat am 10. Oktober 2025 eine Waffenruhe in Kraft. Dies gelang vor allem auf Basis von Trumps 20-Punkte-Plan und wurde von Verhandlungen und einem Abkommen zwischen den USA, Katar, Ägypten und der Türkei flankiert. Wie blicken die Staaten im Nahen Osten und Nordafrika auf diesen wichtigen Fortschritt in der krisengeschüttelten Region: die Freilassung der lebenden israelischen Geiseln und die Waffenruhe im Gazastreifen? Welche Erwartungen sind an den Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh geknüpft und welche Forderungen werden an die EU und insbesondere Deutschland gestellt, vor allem im Hinblick auf die Zukunft des Gazastreifens? Dazu geben die Leiterinnen und Leiter der Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Nahen Osten und Nordafrika einen Überblick.

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Während nahezu alle Regierungen der arabischen Welt die Freilassung der lebenden israelischen Geiseln begrüßten und insbesondere die Waffenruhe im Gazastreifen feierten, zeigt sich mehrheitlich ein verhaltender Optimismus über den weiteren Weg hin zu einem dauerhaften Frieden in der Region. Es bleiben auch nach dem Friedensgipfel in Ägypten zu viele offene Fragen über die Ausgestaltung der nächsten Phasen des Trump-Plans. So bleibt unklar, wie die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen tatsächlich entmachtet und demilitarisiert werden und wie eine zukünftige Verwaltung des Küstenstreifens aussehen könnte. Unisono wird in der arabischen Welt eine realistische Perspektive hin zu einem palästinensischen Staat gefordert und in manchen Kreisen der Türkei ebenso wie in Mauretanien sowie in islamistischen und linksextremen Kreisen die Waffenruhe gar als Sieg des palästinensischen Widerstands gegen Israel verbucht.

Auffällig ist erneut die Rolle der Golfstaaten, die inzwischen diplomatisch und wirtschaftlich immer einflussreicher in der Region werden. Katar hat einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Friedensplans geleistet und seine regionale Bedeutung, auch für die USA, erneut unter Beweis stellen können. Die Verlautbarungen des Königsreichs Saudi-Arabien waren hingegen eher von einer gewissen Zurückhaltung geprägt. Beachtenswert ist, dass sich im Libanon möglicherweise eine Öffnung für Gespräche mit dem Nachbarn Israel abzeichnen könnte. Im Zuge der Entwaffnung der Terrororganisation Hisbollah wäre dies ein weiterer bedeutender Schritt für die Sicherheit Israels in der Region.

Die Erwartungen an die Europäische Union (EU) und Deutschland sind vor allem auf den Wiederaufbau des Gazastreifens, die humanitäre Hilfe und die allgemeine finanzielle Unterstützung ausgerichtet. Politisch schreibt man der EU und Deutschland in der Region eine eher geringe Relevanz zu und erkennt, dass vor allem die USA mit Präsident Trump zur Freilassung der lebenden israelischen Geiseln beitragen konnten.

 

Israel

von Dr. Michael Rimmel und Pascal Franz

 

Die israelische Regierung hat am 10. Oktober 2025 die erste Phase des vom US-Präsidenten Donald Trump vorgestellten Plans beschlossen. Einzelne Regierungsmitglieder wie Itamar Ben-Gvir oder Bezalel Smotrich haben jedoch gegen dieses Abkommen gestimmt. Sie kritisieren den Abzug aus Teilen des Gazastreifens, obwohl die Hamas nicht zerstört wurde. Ebenso wird die Freilassung von über 1.700 Häftlingen aus israelischen Gefängnissen kritisiert, darunter Terroristen und zu lebenslanger Haft verurteilte Mörder. Eine große Mehrheit der israelischen Bevölkerung begrüßt Trumps Plan und die Freilassung der Geiseln ausdrücklich. Die Berichterstattung über die Rückkehr der noch 20 lebenden Geiseln wurde am Tag deren Befreiung, am 13. Oktober 2025, im ganzen Land verfolgt. In Tel Aviv, Jerusalem und in anderen Städten feierten Israelis das Ende der Geiselhaft.

Gleichwohl besteht weiterhin große Unsicherheit über die nächsten Phasen von Trumps Plan, vor allem bezüglich der Entwaffnung der Hamas und der Sicherung des Gazastreifens durch internationale Truppen. Gerade die Rolle der Türkei und Katars wird mit Sorge verfolgt. Die israelische Regierung kündigte an, bei der Gewährleistung der eigenen Sicherheit keine Kompromisse einzugehen. Daher blickte die Regierung mit großer Aufmerksamkeit auf den Gipfel in Ägypten. Verwirrung entstand, da Premier Netanjahu zunächst nicht eingeladen war, nach einem Telefonat mit Präsident al-Sisi jedoch eingeladen wurde, was er nach Auskunft seines Büros wegen der jüdischen Feiertage jedoch ablehnte. Später gab es einige Meldungen, dass der türkische Präsident Erdogan seine Teilnahme im Falle der Anwesenheit Netanjahus abgesagt hätte. Unabhängig davon erwartete Israel, dass die teilnehmenden Staaten sich geschlossen hinter den Plan des US-Präsidenten stellen und ihren Beitrag leisten, um – nach der Übergabe aller Leichen von Geiseln – die Hamas zu entwaffnen und den Gazastreifen neu aufzubauen.

Während US-Präsident Trump am 13. Oktober 2025 in der Knesset gefeiert wurde, spielen Deutschland und die EU in Israel aktuell keine wahrnehmbare Rolle. Die vergangenen Monate haben das Verhältnis zwischen Israel und Europa stark belastet. Die nächsten Phasen von Trumps Plan – vor allem die Entwaffnung der Hamas und der Aufbau neuer Strukturen im Gazastreifen, die die Sicherheit Israels nicht gefährden – könnten eine Chance bieten, wieder enger zusammenarbeiten.

 

Die Palästinensischen Gebiete

von Simon Engelkes

 

In den Palästinensischen Gebieten wird das Waffenstillstandsabkommen mit gedämpfter Freude aufgenommen. Im Gazastreifen herrscht Erleichterung über das Ende der Kampfhandlungen und die ersten israelischen Truppenrückzüge. Im Westjordanland zelebrierten hunderte Palästinenser die Freilassung ihrer Familienangehörigen aus israelischer Haft. Zugleich bleibt das Misstrauen groß, dass ohne klare politische Anschlusslösung und internationale Garantien der Krieg bald wieder aufflammen könnte. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) sieht die Vereinbarung als strategische Chance und pocht auf eine führende Rolle in der zukünftigen Übergangsverwaltung in Gaza. Die Teilnahme von Mahmud Abbas am Gipfel gilt in Ramallah als Symbol seiner diplomatischen Rückkehr. Die Hamas hingegen feiert die Gefangenenfreilassung als „Sieg des Widerstands“.

Aus palästinensischer Sicht diente der Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh vorrangig dazu, den Waffenstillstand politisch abzusichern und den Druck auf die Hamas und Israel zu erhöhen, das Abkommen einzuhalten. Auch nach der Veröffentlichung von Trumps 20-Punkte-Plan bleiben zentrale Fragen weiterhin unbeantwortet. Aus Sicht der palästinensischen Führung wird eine externe Verwaltung des Gazastreifens „über die Köpfe der Palästinenser hinweg“ strikt abgelehnt. Für einen Großteil der Bevölkerung käme der Einsatz einer nicht mandatierten, ausländischen Friedenstruppe einem Austausch der Besatzungsmächte gleich. Während international eine Entwaffnung der Hamas gefordert wird, gilt diese in inner-palästinensischen Diskussionen als unrealistisch und nur schwierig umsetzbar. Neben der Sicherheitsarchitektur sind weitere administrative Fragen offen, etwa die Kontrolle über Grenzen und Häfen oder die Wiederherstellung politischer Legitimität.

Von der EU erwarten die Palästinenser eine aktive Rolle in der humanitären Unterstützung und dem Wiederaufbau: Ein europäischer Einfluss in der US-Vision für eine Nachkriegsordnung wäre etwa durch einen Sitz in einem möglichen internationalen Friedensrat, durch den Ausbau bestehender Missionen wie der European Union Border Assistance Mission (EUBAM) Rafah und der European Union Mission for the support of Palestinian Police and Rule of Law (EUPOL COPPS) sowie durch Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel möglich. Vonseiten der palästinensischen Führung wird gefordert, dass die EU nicht nur Geldgeber, sondern auch politischer Akteur sein müsse, um Zugang zu humanitärer Hilfe zu sichern, um die Rolle der PA vis-a-vis den USA und Israel zu stärken und um den Druck aufrechtzuerhalten, dass der Waffenstillstand eingehalten wird. Deutschland gilt aufgrund der engen Beziehungen zu Israel dabei als zentraler Akteur.

 

Ägypten

von Steffen Krüger

 

Ägypten spielte gemeinsam mit den USA, Katar und der Türkei eine zentrale Rolle als Vermittler des jüngsten Waffenstillstands im Gazastreifen. Die Freilassung der verbliebenen israelischen Geiseln und die Anerkennung des Abkommens wurden in Ägypten positiv aufgenommen. Präsident Abdel Fattah al-Sisi leitete den Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh, bei dem er für seine Vermittlungsbemühungen vom US-Präsidenten ausdrücklich gelobt wurde. Gleichzeitig herrscht in Regierung und Öffentlichkeit vorsichtiger Optimismus. Die ägyptische Regierung betont, dass der Waffenstillstand dauerhaft sein müsse, verbunden mit klaren Garantien für humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und Sicherheit. Medien und Experten äußern Skepsis hinsichtlich der Umsetzung, insbesondere über die Frage der Entwaffnung der Hamas, der künftigen Verwaltung des Gazastreifens und der Zusammensetzung eines möglichen internationalen Friedensrats, in dem Ägypten laut Präsident al-Sisi eine aktive Rolle übernehmen will.

In der ägyptischen Öffentlichkeit gilt die Freilassung der israelischen Geiseln als humanitäres Signal und notwendiger Schritt zur Linderung des Leidens, jedoch begleitet von Zweifeln, ob daraus nachhaltige politische Fortschritte entstehen. Der Gipfel in Sharm el-Sheikh wird als diplomatisch bedeutsamer Moment gesehen, der über symbolische Gesten hinaus konkrete Verpflichtungen schaffen soll: einen stabilen Waffenstillstand, ungehinderten humanitären Zugang, Wiederaufbauinitiativen und den Schutz der Zivilbevölkerung. Ägypten positioniert sich dabei als zentraler Akteur und Garant für Stabilität in der Region. Es sieht seine Rolle darin, den Übergang von Gewalt zu Versöhnung und Wiederaufbau zu unterstützen und internationale Verantwortung zu koordinieren. Kairo erwartet von den teilnehmenden Staaten verbindliche Zusagen, sowohl moralischer als auch materieller Art, und eine langfristige internationale Beteiligung an der Umsetzung des Friedensprozesses.

Von der Europäischen Union erwartet Ägypten eine aktivere Rolle: diplomatische Initiativen zur Sicherung des Waffenstillstands, verstärkte humanitäre Hilfe, Beteiligung am Wiederaufbau sowie Überwachung sensibler Grenzübergänge wie der von Rafah. Von Deutschland erwartet man, dass es mit gutem Beispiel vorangeht, durch konsequentes Eintreten für Völkerrecht und Menschenrechte, finanzielle Unterstützung und eine nachhaltige Friedenspolitik, die über symbolische Solidarität hinausgeht.

 

Türkei

von Dr. Ellinor Zeino und Dr. Markus Hildebrand

 

Die türkische Regierung wertet das Waffenstillstandsabkommen als eine einzigartige Möglichkeit für langfristigen Frieden in der Region. Präsident Recep Tayyip Erdoğan betont, mit der Vereinbarung hätten die Palästinenser, insbesondere die Hamas, ihre Friedensbereitschaft zum Ausdruck gebracht. Zu Israel findet die türkische Regierung kritische Worte. Trotz des Abkommens mahnte Präsident Erdoğan, Israel dürfe keinen Rückzieher aus der Vereinbarung machen. Die türkische Bevölkerung hatte sich seit Beginn des Konflikts mit dem menschlichen Leid in Gaza solidarisiert und begrüßt daher den Waffenstillstand. Über die Freilassung israelischer Geiseln wird zwar berichtet, im Vordergrund steht allerdings die Entlassung palästinensischer Gefangener, die in der Türkei als Geiseln und nicht als Straftäter oder Terroristen bezeichnet werden.

Im Verhandlungsprozess vermittelte die Türkei zwischen den USA und der Hamas und unterzeichnete mit den USA, Katar und Ägypten die gemeinsame Friedenserklärung für den Gazastreifen. Im Fokus der türkischen Berichterstattung standen aber insbesondere Präsident Trumps Lobeshymnen auf Präsident Erdoğan.

Für die Türkei ergeben sich aus dem Abkommen drei zentrale Handlungsfelder. Zum einen steht kurzfristig die humanitäre Hilfe für die Palästinenser im Vordergrund. Dafür stünden türkische Schiffe mit humanitären Hilfsgütern am Hafen von al-Arish bereits bereit. Zum anderen sei die Türkei bereit, die Implementierung der Friedensvereinbarungen auch vor Ort zu überwachen und zu unterstützen. Zudem gibt es erste Berichte, wonach die Türkei zu einem Schlüsselakteur bei der langfristigen politischen Reorganisation der palästinensischen Gebiete und dem Wiederaufbau Gazas werden will.

In der türkischen Berichterstattung werden Deutschland und die EU kaum thematisiert. Vielmehr verfestigt sich dort das Bild, Europa sei im Inneren gespalten und politisch zu kraftlos. Die Türkei geht nicht davon aus, dass Deutschland oder die EU - abgesehen von humanitärer Hilfe - einen entscheidenden politischen Einfluss in Gaza werden nehmen können.

 

Golfstaaten

von Philipp Dienstbier

 

Die Regierungen von Katar, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) haben in erster Linie die Waffenruhe im Gazastreifen positiv hervorgehoben, wenn auch die Freilassung der israelischen Geiseln in offiziellen Statements ebenfalls begrüßt wird. Von allen Hauptstädten wird allerdings auch betont, dass diese Schritte nun zu einem vollständigen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen und zu einer Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung führen müssten. Katars Mediatorrolle wird von den Regierungen seiner Nachbarstaaten besonders gelobt, doch auch Trumps essenzielle Bemühungen, den Deal zum Abschluss zu bringen, finden Anklang in den arabischen Golfstaaten.

In der Bevölkerung der Golfstaaten wird ebenfalls grundlegend positiv auf die Waffenruhe reagiert, dennoch ist gerade in öffentlichen Reaktionen aus Saudi-Arabien wenig Optimismus zu spüren. Vielmehr wird bemängelt, dass die Waffenruhe nicht die grundlegenden Ursachen des Konflikts beseitige. Diese Skepsis vermischt sich in der Bevölkerung mit der Befürchtung, dass die USA sich nach den jetzigen Anfangserfolgen schnell wieder aus dem Prozess zurückziehen und die schwierige Umsetzung sowie ungelösten Streitpunkte des 20-Punkte-Plans damit mittelfristig vernachlässigen könnten.

Aus den drei einflussreichsten Golf-Staaten war mit Katars Scheich Tamim nur ein Staatschef auf dem Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh anwesend. Saudi-Arabien wurde lediglich von seinem Außenminister vertreten. Die VAE nahmen zwar nur mit einem ihrer Vize-Präsidenten teil, dieser war aber gleich mit einer ganzen Delegation aus insgesamt drei Ministern sowie dem einflussreichen Nationalen Sicherheitsberater angereist. Die prominente Teilnahme Katars als einer der Unterzeichnerstaaten ist wenig überraschend. Dass Saudi-Arabien nicht durch seinen Kronprinzen vertreten wurde, könnte auch an Spekulationen im Vorfeld gelegen haben, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu teilnehmen würde.

Abseits der spärlichen Teilnahme von Staats- und Regierungschefs positionieren sich die Golfstaaten grundlegend positiv zum Friedensgipfel: vor allem Katar, das als Mediator ein inhärentes Interesse am Gelingen des Abkommens hat, aber auch die VAE, welche ein Fortbestehen der Abraham-Abkommen absichern möchten und neben Katar der einzige andere Golfstaat ist, der Truppen entsenden wird. Saudi-Arabien unterscheidet sich davon durch seine relative Zurückhaltung. Insgesamt besteht aber bei allen Golfstaaten die grundlegende Hoffnung, dass mit dem Gipfel und dem Waffenstillstand eine Stabilisierung der gesamten Region einhergeht und dass die Eskalationsrisiken für die Golfregion, die jüngst sogar in Angriffen auf Katar gipfelten, künftig abnehmen werden. Saudi-Arabien ist insbesondere die Konsolidierung des Waffenstillstands und der Übergang in einen politischen Prozess mit einer zentralen Rolle der palästinensischen Autonomiebehörde wichtig. Die VAE sind darüber hinaus daran interessiert, den Zugang für humanitäre Hilfe sowie die internationalen Bemühungen für den Wiederaufbau des Gazastreifens nun zu forcieren.

Hinter der am Golf dominierenden Sichtweise, dass die USA zentraler Akteur für die Aushandlung des Waffenstillstands waren, fällt die wahrgenommene Relevanz Deutschlands und der EU für die jüngsten Ereignisse sowie für die Zukunft des Gazastreifens zurück. Innerhalb der EU erhält noch Frankreich die größte Anerkennung, unter anderem durch die gemeinsam mit Saudi-Arabien angeführte Initiative zur Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung und dessen New Yorker Erklärung, welche konkrete Lösungsvorschläge dazu ausgearbeitet hatte. Im Hinblick auf die Zukunft des Gazastreifens erwartet man sich von Europa die Unterstützung eines palästinensischen Staates. Die Erwartung an die Bundesrepublik ist insbesondere, dass sie als Geber beim Wiederaufbau des Gazastreifens eine zentrale Rolle spielen wird – ebenso wie möglicherweise auch die finanzstarken Golf-Anrainer.

 

Iran

von Philipp Dienstbier

 

Das Regime in Iran äußert zwar vorsichtige Unterstützung für die Beendigung der israelischen Kampfhandlungen, verurteilt diese in seiner offiziellen Erklärung aber deutlich als „Verbrechen“. Öffentliche Statements der Regierung in Teheran sind überwiegend kritisch und fordern, dass Israel trotz Waffenruhe nun zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Die Freilassung der israelischen Geiseln findet keinerlei Erwähnung.

Die Einladung zum Friedensgipfel nach Sharm el-Sheikh lehnte Iran vollständig ab – vor allem weil man erklärte, man könne nicht am selben Tisch wie die USA sitzen, welche die Islamische Republik angegriffen hatten. Trotz zurückhaltender Unterstützung für den Waffenstillstand sind weitere Inhalte des 20-Punkte-Plans, insbesondere die Entwaffnung der von Iran unterstützen Hamas, problematisch für die iranische Einflusspolitik in der Region. Diese hat mit der Schwächung der Hisbollah im Libanon und dem Sturz des syrischen Assad-Regimes bereits erhebliche Rückschläge erlitten. Insbesondere die Entwaffnung der Hamas wird daher von Teheran abgelehnt.

Der Anführer der mit Iran verbündeten Huthi-Miliz im Jemen hat unterdessen laut Medienberichten infolge des Abkommens zur Waffenruhe angewiesen, dass Angriffe auf mit Israel in Verbindung stehende Schiffe im Roten Meer, welche in vergangen Jahren die Handelsschifffahrt in der Region erheblich beeinträchtigten, eingestellt werden sollen. Ob dies zu einer nachhaltigen Verbesserung der maritimen Sicherheit und einer Erholung internationaler Handelsrouten sorgen wird, ist angesichts immer wieder aufflammender Auseinandersetzungen im Roten Meer über die letzten Jahre aber offen.

 

Libanon

von Christina Baade

 

Die libanesische Regierung begrüßt das von US-Präsident Donald Trump vermittelte Waffenstillstandsabkommen, insbesondere im Hinblick auf die zu erhoffende Verbesserung der humanitären Lage sowie auf die Freilassung der palästinensischen Gefangenen. Die Freilassung der israelischen Geiseln spielt in der libanesischen Berichterstattung hingegen kaum eine Rolle.

Präsident Joseph Aoun erklärte am Montag, in der Region herrsche derzeit eine allgemeine Atmosphäre der Versöhnung und Einigung. Daher sei nun der Zeitpunkt gekommen, Verhandlungen zwischen Libanon und Israel aufzunehmen, um die noch offenen Fragen zu klären – insbesondere die Grenzziehung. Voraussetzung dafür sei allerdings die vollständige Einstellung der israelischen Militäroperationen gegen den Libanon. Parlamentspräsident Nabih Berri (Amal) begrüßte ebenfalls den Waffenstillstand, äußerte jedoch Zweifel daran, dass die israelische Seite ihre eingegangenen Verpflichtungen tatsächlich einhalten werde.

In den sozialen Medien machte sich spürbare Erleichterung breit, doch gleichzeitig besteht weitverbreitete Skepsis, ob das Abkommen tatsächlich von Dauer sein wird.

Aus libanesischer Sicht verbindet sich mit dem Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh die Hoffnung auf ein fortgesetztes Engagement der US-Administration, insbesondere von Präsident Trump, bei der Vermittlung zwischen Israel und dem Libanon zur Umsetzung des Waffenstillstandsabkommens zwischen der Hisbollah und Israel. Denn die Einstellung der israelischen Militäroperationen und der Rückzug der israelischen Truppen von den Militärposten im Süden würden der libanesischen Regierung die Entwaffnung der Hisbollah erleichtern und zugleich den Beginn eines Wiederaufbauprozesses in den zerstörten Regionen des Südlibanon ermöglichen.

Aus libanesischer Sicht spielen die EU und insbesondere Deutschland vor allem eine Rolle beim Wiederaufbau im Gazastreifen. Die Funktion eines politischen Vermittlers wird hingegen in erster Linie der US-Administration zugeschrieben.

 

Jordanien

von Dr. Edmund Ratka

 

Jordanien war vom Gaza-Krieg stark betroffen, von wachsenden innenpolitischen Spannungen bis hin zu wirtschaftlichen Verlusten, allen voran im Tourismus-Sektor. Die Verflechtungen mit den Palästinensern sind in Jordanien traditionell eng und das humanitäre Leid im Gazastreifen ist allgegenwärtig. Entsprechend wurde die Ankündigung des Waffenstillstandes mit großer Erleichterung aufgenommen.

König Abdallah II. war beim Friedensgipfel in Sharm El-Sheikh präsent. Jordanien ist ein logistischer Hub für humanitäre Hilfe für den Gazastreifen und ist auch als möglicher Standort für die Ausbildung palästinensischer Polizeikräfte im Gespräch. Zugleich betonte der jordanische König, der Waffenstillstand könne nur dann in ein einen echten Frieden münden, wenn „Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Ko-Existenz“ gewährleistet seien und er forderte erneut einen „politischen Horizont.“

Während die politische Führung vorsichtigen Optimismus an den Tag legt, zeigen sich unter Analysten und in den Sozialen Medien in Jordanien auch zahlreiche skeptischere Stimmen. Das Misstrauen gegenüber Israel, dem oftmals eine expansionistische Agenda zugschrieben wird, und gegenüber seinem gegenwärtigen Regierungschef Netanjahu ist groß. Die Versuche seitens den Muslimbrüdern nahestehender Gruppen, den Waffenstillstand als Erfolg des bewaffneten Widerstandes zu interpretieren, scheinen aber bisher in der jordanischen Bevölkerung nicht zu verfangen.

Der Blick der Jordanier richtet sich vor allem auf die USA und US-Präsident Trump. Dass mit dem neuen Friedensplan die Umsiedlungspläne von Palästinensern unter anderem nach Jordanien („Riveria-Plan“) jedenfalls seitens der Amerikaner erst einmal vom Tisch sind, ist für Jordanien eine große Erleichterung. Von Deutschland und Europa erwartet man weitere Schritte in Richtung Zwei-Staaten-Lösung, humanitärer Hilfe und Wiederaufbau des Gazastreifens. In der öffentlichen Debatte spielt das jedoch eine untergeordnete Rolle. 

 

Algerien

von Steffen Krüger

 

Die algerische Regierung begrüßt das Abkommen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen als notwendigen Schritt, um „das Leid des palästinensischen Volkes zu lindern“ und betont, der Waffenstillstand müsse nun den Weg für Wiederaufbau, die Vereinigung der palästinensischen Gebiete und die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt ebnen.

Die nationale Presse äußert allgemeine Erleichterung über die Waffenruhe, betont jedoch Misstrauen gegenüber der Umsetzung. Viele befürchten, dass der Waffenstillstand symbolisch bleibt, wenn keine konkreten Maßnahmen wie weitere Freilassungen palästinensischer Gefangener, humanitäre Hilfe oder Wiederaufbau folgen. Die Unterbrechung humanitärer Hilfe im Gazastreifen wird als „moralisches Verbrechen“ bezeichnet. In den sozialen Netzwerken herrscht große Solidarität mit den Palästinensern, verbunden mit dem Ruf nach einer aktiveren Rolle Algeriens. Insgesamt wird der Waffenstillstand positiv, aber ohne Illusionen aufgenommen: als fragiler Zwischenschritt, der jederzeit scheitern kann.

Bezüglich des Friedensgipfels von Sharm el-Scheich gehen die Meinungen auseinander. Einige sehen darin einen wichtigen diplomatischen Moment und hoffen auf konkrete Verpflichtungen für einen dauerhaften Waffenstillstand und humanitäre Hilfe. Andere bleiben skeptisch und sehen den Gipfel als symbolisches Ereignis ohne reale Wirkung. Mehrere Artikel in der Presse verweisen darauf, dass Algerien an dem Gipfel nicht teilnahm, was Fragen zur Einbindung der Maghreb-Region in die weiteren Prozesse aufwirft.

Hinsichtlich der EU und Deutschland erwartet Algerien unter anderem ein Eintreten für die Bindung von Kooperationen an Menschenrechtsstandards und die Ablehnung einer möglichen Wiederbesetzung Gazas. Von Deutschland wird ein ausgewogenes Handeln erwartet, im Sinne eines gerechten und nachhaltigen Friedensprozesses im Nahen Osten.

 

Tunesien

von Michael Bauer

 

Die tunesische Regierung begrüßte die jüngste Waffenruhe und die Freilassung der israelischen Geiseln als dringend notwendige Schritte, um die humanitäre Lage im Gazastreifen zu mildern. Gleichzeitig äußerte sie deutliche Skepsis gegenüber Israels Absichten und warnte vor möglichen Vertragsbrüchen. Offizielle Erklärungen bezeichneten die israelischen Angriffe wiederholt als Verstöße gegen das Völkerrecht und als Kriegsverbrechen. Tunesien fordert, dass die Verantwortlichen für diese Taten international zur Rechenschaft gezogen werden. In der Bevölkerung wird die Waffenruhe ebenfalls begrüßt, jedoch als unzureichend angesehen, solange keine dauerhafte Lösung und kein Ende der Blockade erreicht sind. Zivilgesellschaftliche Akteure und Medien betonen die Notwendigkeit internationaler juristischer Schritte und warnen davor, dass die Feuerpause keine Straffreiheit bedeuten dürfe.

Tunesien betrachtet den Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh als wichtigen Test für die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft. Die Regierung fordert konkrete Mechanismen zur Umsetzung und Überwachung der Vereinbarungen sowie Sanktionen bei deren Verletzung. Sie betont, dass jede nachhaltige Lösung nur Bestand haben kann, wenn die Einhaltung des humanitären Völkerrechts garantiert wird. Die tunesische Position konzentriert sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung, die Sicherung des humanitären Zugangs und die Unterstützung des Wiederaufbaus in Gaza.

Von der EU und Deutschland erwartet Tunesien eine aktive Rolle bei der Sicherung und Überwachung des Waffenstillstands, beim Wiederaufbau sowie bei der Stärkung humanitärer Hilfe. Beide sollen zudem sicherstellen, dass internationale Rechtsnormen respektiert werden und Verstöße Konsequenzen haben. Deutschland wird für seine finanziellen Hilfszusagen positiv in der tunesischen Presse positiv erwähnt. Jedoch wird dies mit der Erwartung verbunden, diese Hilfen an Transparenz und politische Verantwortlichkeit zu knüpfen. Insgesamt dominiert in Tunesien eine Haltung des vorsichtigen Pragmatismus: Zustimmung zur Waffenruhe – verbunden mit der Forderung nach Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und langfristiger internationaler Verpflichtung gegenüber Gaza.

 

Marokko

von Steven Höfner

 

Die marokkanische Regierung begrüßte die Freilassung der Geiseln und die international vermittelte Waffenruhe im Gazastreifen. In einer Erklärung des Außenministeriums rief sie alle Parteien auf, das Abkommen voll umzusetzen. Die marokkanische Führung bekräftigte dabei ihre langjährige Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung.

Die islamisch-konservative Oppositionspartei Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) äußerte sich gegenüber Israel kritisch und feierte das Abkommen als „historischen Sieg“ der Palästinenser. Landesweit versammelten sich am Wochenende zehntausende Menschen in zahlreichen Städten zu Solidaritätskundgebungen und Feiern, organisiert von islamistischen sowie linken Gruppen. Auch dort wurde die Waffenruhe als Sieg für Gaza gewertet. In den sozialen wie auch traditionellen Medien wird häufig betont, dass die Palästina-Solidarität ein fester Bestandteil der marokkanischen Bevölkerung sei. Gleichzeitig bemüht sich die Regierung um Balance und hält an den normalisierten Beziehungen zu Israel fest.

Insgesamt werden die Ereignisse im Nahen Osten zwar medial aufmerksam begleitet. Sie nehmen derzeit allerdings kaum Raum in den politischen Diskussionen Marokkos ein. Das Land ist intensiv mit seiner eigenen Reform- und Investitionsagenda sowie den damit seit Ende September in Zusammenhang stehenden GenZ-Protesten beschäftigt. Außenpolitisch stehen die anstehenden Debatten im UN-Sicherheitsrat zu neuen Resolutionen bezüglich der Sahara-Frage sowie Kooperationsformate in Afrika im Vordergrund. Marokko setzt weiterhin seine außenpolitischen Schwerpunkte Richtung Süden und nicht Richtung (Naher) Osten.

Der Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh wird in Marokko als Chance gesehen, den aktuellen Waffenstillstand zu festigen, Wiederaufbau zu ermöglichen und einen Frieden zu etablieren, der zu einer umfassenden Stabilisierung im Gazastreifen und zu einer Zwei-Staaten-Lösung führen könnte. Mit konkreten Anmerkungen zur Implementierung eines Friedensplans oder zur neuen Ordnung im Gazastreifen hält sich Marokko weitgehend zurück. Marokkanische Regierungsvertreter waren beim Gipfel nicht zugegen. Die marokkanische Regierung hat jedoch eine mögliche Unterstützung, vor allem humanitärer Art, bereits in Aussicht gestellt.

Marokko hofft, dass die EU ihre Rolle als wichtiger Akteur im Nahost-Friedensprozess stärkt, insbesondere durch finanzielle Beiträge zum Wiederaufbau Gazas. Deutschland wird in diesem Rahmen hin und wieder in den Medien adressiert. So erachtet man eine deutsche Führungsrolle innerhalb der EU als unabdingbar. Besonders hervorgehoben werden dabei die humanitäre Hilfe und die angekündigte Wiederaufbaukonferenz in Ägypten. Die Erwartungen an sicherheitspolitische Garantien gegenüber Deutschland sind hingegen nicht vorhanden. Dies ist allerdings wenig verwunderlich, da diese Debatte in Marokko auch nicht geführt wird. Ein eigenes militärisches Engagement gilt als ausgeschlossen. 

 

Mauretanien

von Steven Höfner

 

Die mauretanische Regierung begrüßte das Waffenruhe-Abkommen im Gazastreifen sowie die Freilassung der israelischen Geiseln und die Entlassung palästinensischer Häftlinge im Gegenzug. Sie lobte die internationalen Vermittlungsbemühungen und forderte die Wiederaufnahme des Friedensprozesses mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.

In Mauretanien gilt die Solidarität mit den Palästinensern traditionell als nationaler Konsens. So bekundeten in den sozialen Medien viele Mauretanier ihre Unterstützung für den Gazastreifen und übten scharfe Kritik an zu israelfreundlich empfundenen internationalen Akteuren, insbesondere den USA und der EU. Teile der Zivilgesellschaft, oppositionelle Kräfte sowie einige Religionsführer riefen am Wochenende an mehreren Orten zu Kundgebungen und Feiern auf, die mitunter auch den Jahrestag des 7. Oktober 2023 als „Tag des Widerstands“ deklarierten. So wurde das Abkommen zur Waffenruhe vielerorts als „Sieg Gazas“ deklariert. Trotz der deutlich pro-palästinensischen Mehrheit im Land, bemüht sich die politische und wirtschaftliche Führung in Mauretanien allerdings um eine Wiederannäherung an Israel. Die diplomatischen Beziehungen wurden 2009 eingestellt. Zuletzt gab es jedoch Gerüchte, dass es wieder zu Kontakten zwischen den beiden Staaten kommen könnte. Für die mauretanische Regierung spielen dabei die guten Beziehungen zu den USA eine wichtige strategische Rolle. Daher sind die Reaktionen der regierenden Akteure deutlich nuancierter als die öffentliche Meinung.

An den Friedensgipfel von Sharm el-Sheikh werden hohe Erwartungen geknüpft, hinsichtlich einer Stabilisierung der Waffenruhe und der humanitären Versorgung. Darüber hinaus hofft man, dass der Gipfel Startpunkt ist für politische Schritte hin zur Zwei-Staaten-Lösung. Allerdings wird in den Medien auch die kritische Frage gestellt, inwiefern dies überhaupt erreicht werden könne. Trotzdem gilt der Gipfel als ein Symbol für eine gemeinsame arabische Position als Ausgangspunkt für Frieden in der Region.

Die EU wird aus mauretanischer Perspektive primär als unverzichtbarer Akteur für humanitäre Hilfe und dem Wiederaufbau im Gazastreifen gesehen. Von Deutschland wird hierbei ein signifikanter Beitrag erwartet. In einigen mauretanischen Medienbeiträgen geht es dabei nicht nur um humanitäre Hilfe oder Wiederaufbau, sondern um einen ganzeinheitlichen Ansatz von Entwicklungszusammenarbeit. Da Mauretanien selbst von solchen Erfahrungen profitiert, wird einerseits auf die positiven Aussichten solcher Investitionen verwiesen, andererseits aber auch auf eine Gefahr der langfristigen Abhängigkeit des Gazastreifens von internationalen Zusagen und damit einer Verstetigung von Fremdbestimmung.

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Kontakt Dr. Thomas Volk
Portrait
Abteilungsleiter der Abteilung „ Naher Osten und Nordafrika“
thomas.volk@kas.de

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