Der Ausgang der Kommunalwahlen
Gewählt wurde in England und Wales, nicht aber in den Landesteilen Schottland und Nordirland. Der Sieger der Lokalwahlen war die Labour Party, die klare und bedeutende Gewinne einfahren konnte. So gewann die Partei die Kontrolle über acht Councils (kommunale Gebietskörperschaften) mit einem Zugewinn von 186 Councillors (Kommunalabgeordnete). Die Conservative Party hingegen erlitt herbe Verluste, verlor über 470 Councillors und die Kontrolle über 10 Councils.
Labour gewann zudem insgesamt 10 der 11 Metro-Mayors (Regionalbürgermeister), die zur Wahl standen, darunter auch Siege in den neu geschaffenen Metropolregionen North East, East Midlands sowie York & North Yorkshire, wo sich der Wahlkreis von Rishi Sunak befindet. In London konnte der amtierende Bürgermeister Sadiq Khan (Labour) sein Amt verteidigen und gewann insgesamt 43,8% der Stimmen.
Damit konnte er sich deutlich gegen seine konservative Herausforderin Susan Hall (32,7%) durchsetzen. Khan ist damit der erste Bürgermeister von Greater London, der sein Amt zum dritten Mal in Folge verteidigen konnte.
In Greater Manchester und der Liverpool City Region fielen die Ergebnisse sogar noch deutlicher pro Labour aus. Die jeweiligen Kandidaten holten hier jeweils mehr als 60% der Stimmen. Lediglich im Tees Valley konnte der amtierende Regionalbürgermeister Ben Houchen von der Conservative Party sein Amt verteidigen. Das Tees Valley war im Vorfeld der Wahlen zu einem der beiden Schlüsselbezirke ernannt worden, da in diesem traditionell konservativ gewählt wird. Eine Niederlage hier hätte die Lage für die Tories noch einmal immens verschlechtert. Im anderen Schlüsselbezirk West Midlands hat der konservative Amtsinhaber Andy Street knapp gegen den Labour-Kandidaten verloren.
Der Leader of the Opposition im britischen Unterhaus und Labour-Parteivorsitzende Sir Keir Starmer betrachtete diesen Sieg als klare Botschaft der Wählerinnen und Wähler für Veränderung im Hinblick auf die nationalen Wahlen. Allerdings hat Labours Haltung zu Israel und Gaza in Gebieten mit einem hohen muslimischen Bevölkerungsanteil auch zu Rückschlägen geführt. Premierminister Rishi Sunak versuchte hingegen die Bedeutung der enttäuschenden Ergebnisse der Kommunalwahlen für die späteren Nationalwahlen herunterzuspielen und drückte seine Entschlossenheit aus, weiterzukämpfen.
Kleinere Parteien wie die Liberalen Demokraten (LibDems) und die Grünen verzeichneten bemerkenswerte Zugewinne, was auf sich ändernde politische Dynamiken hinweist. Die LibDems sicherten sich Councils in Gebieten, die bereits für die Parlamentswahl im Blick waren. Die Grünen gewannen über 70 Sitze, darunter allein 10 im Stadtparlament von Bristol. Die populistische Reform UK konnte nur zwei Councilllors dazugewinnen, hatte aber dafür in Blackpool South ihren bisher besten Auftritt bei einer Unterhaus-Nachwahl.
Auch wenn einige Institute einen Berechnungsschlüssel verwenden, der angeblich aus den Ergebnissen in England und Wales eine nationale Hochrechnung statistisch zuließe, haben diese zugegebenermaßen eine nur limitierte Aussagekraft für die wahrscheinlich später in diesem Jahr anstehenden Parlamentswahlen. Nicht wegzudiskutieren ist gleichwohl, dass die Tories im entscheidenden Wahljahr eine herbe, gar historische Niederlage einstecken mussten.
Die Nachwahl in Blackpool South
Gleichzeitig zu den Lokalwahlen fand im Wahlkreis Blackpool South eine Nachwahl für einen Unterhaus-Sitz statt, ausgelöst durch den Rücktritt eines konservativen Abgeordneten im Zuge eines Lobbyismus-Skandals. Auch hier hat Labour triumphiert und den Sitz von den Tories erobert. Es ist damit die elfte verlorene Nachwahl seit Beginn der Legislaturperiode 2019 - für die Tories ein negativer Nachkriegsrekord. Besorgniserregend für die traditionsreiche konservative Partei waren beim Wahlausgang im nordenglischen Blackpool South vor allem zwei Aspekte: Zum einen der massive Wählerwechsel von Conservative zu Labour von 26% im Vergleich zur letzten Wahl. Zum anderen das starke Abschneiden der populistischen Partei Reform UK, deren Kandidat mit 16,9 % fast gleichauf mit dem Tory-Vertreter lag – in absoluten Zahlen gab es einen Unterschied von nur 117 Wählerstimmen. Damit sind zwei Drittel der ehemaligen Tory-Stimmen in das Labour-Lager gewechselt, ein Drittel zu Reform UK.
Sir John Curtice, Politik-Professor an der Strathclyde University und Wahlexperte, vermutet, dass der hohe Stimmenanteil von Reform UK vor allem bei den Tory-Strategen zu Kopfzerbrechen führe, da die Partei um ihre Ikone Nigel Farage ihre Zugewinne hauptsächlich von enttäuschten Tory-Wählern erhielte. Während diese bei den anstehenden Parlamentswahlen wohl nicht zum Gewinn von Parlamentsmandaten für Reform UK führen werden, werden sie gleichwohl den Konservativen etliche Stimmen und den Verlust von Mandaten kosten. Das ist auch eine Folge des „first past the post“, des reinen Mehrheitswahlrechts in Großbritannien.
Die Ausgangslage für die Wahlen zum britischen Unterhaus
Derzeit wird im Vereinigten Königreich noch darüber spekuliert, wann genau die general elections stattfinden, also die Wahlen für das britische Unterhaus. Am 17. Dezember 2024 löst sich das Unterhaus nach Ablauf der fünfjährigen Legislaturperiode automatisch auf, 25 Tage danach (Feiertage und Wochenenden nicht mitgezählt) müssten die Wahlen stattgefunden haben, also spätestens Ende Januar 2025. Die amtierende Regierung kann aber auch früher die Wahlen ausrufen. Regierungschef Rishi Sunak hat zwar bereits Anfang des Jahres 2024 angedeutet, dass die Wahlen wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte stattfinden werden, hat sich aber noch nicht öffentlich festgelegt und weicht bisher allen Fragen dazu aus. In Westminster, dem Londoner Regierungsviertel, wird ein Termin Mitte November 2024 als die wahrscheinlichste Variante bezeichnet.
Labour steht in Umfragen bei 43% und hat damit einen nahezu 20%-Vorsprung vor den Tories mit derzeit 24 %. An diesen Umfragewerten hat sich in den letzten Monaten nicht viel verändert, sie scheinen stabil zu sein. Sollte sich der Abstand bis zur nächsten Wahl nicht weiter verringern, könnten die Tories laut einer aktuellen YouGov-Projektion (April 2024) lediglich 155 ihrer aktuell 348 Sitze im Unterhaus halten, während Labour seinen Anteil von 203 auf über 400 Sitze ausbauen könnte.
Geht es nach Professor John Curtice, werden diese Wahlen mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% von Labour gewonnen. Auch wenn die Erhebungsmethode dieser harschen Prognose sicherlich hinterfragt werden kann, dreht sich die Debatte in der britischen Hauptstadt nicht mehr darum, ob Labour siegt bzw. die Tories verlieren, sondern nur noch um das Ausmaß. Die entscheidende Frage ist, ob Labour es tatsächlich zu einer absoluten Mehrheit schafft. Wenn es bei einem 20%-Abstand in den landesweiten Umfragen bleibt, ist davon auszugehen. Falls die Conservative Party aber doch noch ein paar Prozentpunkte aufholt, kann es zu einem sogenannten hung parliament kommen, das heißt, dass keine Partei im Unterhaus eine absolute Mehrheit stellen kann und daher auf Koalitionsbildungen angewiesen wäre. Dazu würde es aber aller Voraussicht nicht kommen, da die LibDems als möglicher Koalitionspartner ihre Lehren aus der letzten Koalition mit den Tories gezogen haben, an der die Partei beinahe zugrunde gegangen wäre. Im Falle eines hung parliaments ist daher eher mit einer Art Unterstützungsabkommen zu rechnen, das Labour die notwendigen Mehrheiten bei Einzelabstimmungen garantieren würde.
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage ist mit einem Wahlkampf zu rechnen, in dem Labour versucht, ihn vor allem als eine Abwahl der seit vierzehn Jahren regierenden Conservative Party zu orchestrieren. Die seit knapp anderthalb Jahren stets stabilen Umfrageergebnisse sind grundsätzlich auch als eine Abstrafung der Tories zu interpretieren und nicht unbedingt eine Folge der personellen und programmatischen Aufstellung der Labour Party. Das wissen auch die Labour-Strategen um Keir Starmer, der seine Partei mit strenger Kontrolle führt und absolute Disziplin in den eigenen Reihen einfordert. Die Conservative Party hingegen setzt zum einen darauf, dass Keir Starmer doch noch Fehler unterlaufen. Zum anderen auf die Hoffnung, dass es vor dem Wahlgang noch zu spürbaren positiven Ergebnissen vor allem in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und bei der Bekämpfung der illegalen Migration kommt.
Folgen für die Conservative Party
Chancen, die Wahlen doch noch offenzuhalten, können die Tories sich nur bewahren, indem sie zumindest jetzt geschlossen in den Wahlkampf ziehen. In der Woche nach den Lokalwahlen lud Premierminister und Parteiführer Sunak seine Abgeordneten in die Downing Street No 10, dem britischen Regierungssitz, ein. Das Thema war eine elections presentation, durchgeführt von seinem Kampagnenchef Isaac Levido. Unter vielen konservativen Abgeordneten herrscht eine Stimmung, die das Hauptstadtmedium “Politico” so beschrieb: „Now Tory MPs find themselves locked in a death embrace with their leader: they know he’s leading them to defeat, but believe it’s too late to change course“. Es gibt aber auch andere Stimmen aus dem Lager der Conservative Party die betonen, dass Sunaks Kurs richtig sei und der Premierminister einfach mehr Zeit brauche. Außerdem wird die Projektion der lokalen Wahlergebnisse auf die landesweiten Wahlen auch grundsätzlich in Frage gestellt, da bei lokalen Wahlen unterschiedlich abgestimmt werde, insbesondere zugunsten kleinerer Parteien.
Auch wenn der Abwärtstrend der Tories durch die Lokalwahlen bestätigt wurde, ist es dennoch zu keinem innerparteilichen „Putschversuch“ gegen Sunak gekommen. Es ist offensichtlich, dass bei seinen Kritikern innerhalb der Partei die Erkenntnis gewachsen ist, dass ein weiterer Wechsel an der Spitze die Glaubwürdigkeit der Partei nur noch mehr beschädigen würde. Sunak ist bereits der vierte Regierungschef innerhalb der letzten fünf Jahre. Selbst seine schärfste Widersacherin, die von ihm entlassene ehemalige Innenministerin Suella Braverman attestierte lapidar „changing leader now won’t work“. Hinzu kommt, dass durch das britische Direktwahlsystem nun jeder Abgeordnete vorrangig an sich selbst denkt und versucht seinen Wahlkreis zu gewinnen. Es existieren keine Landeslisten, nur wer seinen Wahlkreis gewinnt, kommt ins Parlament – das gilt auch für den Premierminister und das gesamte Kabinett.
Ein erheblicher Teil der innerparteilichen Debatten zielt daher bereits auf die Zeit nach den Wahlen ab. Es gibt Forderungen, die Conservative Party weiter in das nationalkonservative und marktliberale politische Spektrum zu ziehen, während andere sich für einen modernen und mitfühlenden („compassionate“) Konservatismus aussprechen. Ausschlaggebend ist daher, wer die Führung der Partei dann übernehmen wird. Im Fokus steht dabei Penny Mordaunt, die in ihrer Funktion als Leader of the House of Commons bereits eine führende Rolle in der konservativen Unterhausfraktion hat. Sie ist beliebt in der Parteibasis aufgrund ihrer Schlagfertigkeit in parlamentarischen Duellen und lässt sich bewusst nicht einem der vielen Lager in der Conservative Party zuordnen. Eine andere Option wäre die Ministerin für Wirtschaft und Handel Kemi Badenoch, die aus dem rechtskonservativen Lager stammt, aber durch ihren einvernehmlichen politischen Stil wohl auch im moderaten Parteiflügel vermittelbar wäre. Genannt wird oft auch Verteidigungsminister Grant Shapps, der bereits zahlreiche Ministerposten innehatte und als Kommunikationsgenie gilt. Letztendlich hängt die Frage nach dem zukünftigen Tory-Vorsitz vor allem von der Zusammensetzung der neugewählten Fraktion im Unterhaus ab. Denn wenn es zu einer sogenannten leadership challenge kommt, hat die Parlamentsfraktion das erste Vorschlagsrecht. Nach einem fraktionsinternen Ausscheidungsverfahren blieben zwei Kandidaten übrig, die der Parteibasis dann zur Wahl vorgeschlagen werden. Der renommierte Parteienexperte Tim Bale wies in einer Studie darauf hin, dass Unterstützer Sunaks in einem disproportional hohen Ausmaß zu denen gehören, die ihren Parlamentssitz wahrscheinlich behalten könnten. Es wäre daher nicht unwahrscheinlich, dass der neue Leader der Conservative Party aus dem jetzigen Kabinett Sunak stammt.
Thèmes
Mis à disposition par
Auslandsbüro Vereinigtes Königreich und Irland
À propos de cette série
La Fondation Konrad-Adenauer est présente avec son propre bureau dans 70 pays du monde sur les cinq continents. Les collaborateurs locaux peuvent rapporter de première main les événements actuels et les évolutions à long terme dans leur pays d'accueil. Leur « rapports nationaux » présentent en exclusivité aux utilisateurs du site Internet de la Fondation Konrad-Adenauer des analyses, des informations de fond et des évaluations.