Gleichgewicht zwischen links und rechts
In seinem Impulsvortrag mahnte der Schriftsteller und Journalist Simon Strauß zwei zentrale Punkte an, um die politische und gesellschaftliche Polarisierung abzuschwächen. Zum einen müsse sich die Mitte mit Blick auf Zielkonflikte zwischen staatspolitischem Zentrum und lebensweltlicher Peripherie – beispielsweise in der Migrationspolitik – als Vermittler behaupten. „Nicht das berüchtigte Sorgenernstnehmen ist dafür wichtig, sondern die Bereitschaft, politische Entscheidungen genau dort zu rechtfertigen, wo sie einschlagen.“ Um ihrem Anspruch als Volksvertretung gerecht zu werden, müsse die repräsentative Demokratie Mehrheiten schaffen.
Zum anderen, erklärte Strauß, müsse die Mitte darauf achten, dass sie Normen bestimmter Bewusstseinsgruppen nicht zur Norm für alle erklärt. Um ihrer Stellung gerecht zu werden, müsse die Mitte Entscheidungen daher immer auf der Waage mit einem linken und einem rechten Gewicht prüfen. Das linke Übergewicht der vergangenen Jahre habe dazu geführt, dass die politische Mitte als „linksliberal“ wahrgenommen werde. Dieser Eindruck müsse korrigiert und die Gewichte wieder gleichmäßiger verteilt werden.
Der Begriff „Mitte“ wurde auch von den nach dem Vortrag weiter diskutiert. Während die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter die Existenz einer „Mitte“ anzweifelte, betonte Bundesministerin a.D. Annegret Kramp-Karrenbauer, dass „Mitte“ niemals statisch sei: „Durch das abnehmende Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen ist etwas ins Rutschen geraten.“ Dies Position teilte Strauß, nach dessen Auffassung die Mitte beispielsweise in Fragen der Migrationspolitik in Bewegung sei.
Keine Verdrängung von Problemen durch Identitätspolitik
Allgegenwärtig war der Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023, der die Aktualität des Themas verdeutlichte. „Der Zeitpunkt der Tagung ist wichtig und richtig. Denn der Krieg in Israel ist ebenso wie der Krieg in der Ukraine ein großer systemischer Konflikt und zeigt, dass die liberale Demokratie von innen und außen unter Druck steht“, so die Kramp-Karrenbauer. Vor dem Hintergrund der Bilder jubelnder Hamas-Anhänger in Deutschland und der ausbleibenden Verurteilung des Angriffs von Seiten islamischer Verbände kritisierte Schröter den Umgang der Politik mit dem islamischen Antisemitismus. Aus Angst, des Rassismus und der Islamophobie bezichtigt zu werden, würden Probleme verdrängt. Mit Blick auf relativierende Äußerungen über die Ursachen des Konflikts erklärte Kramp-Karrenbauer: „Nichts rechtfertigt diesen Terror. Das muss Konsens sein.“
Die realen Probleme der Menschen in den Blick nehmen
Doch welche Wege führen aus dieser Polarisierung? Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, dass die Gemeinsamkeiten der demokratischen Kräfte oft größer seien, als man zugeben wolle. Zudem sei es wichtig, dass die Politik die Funktionalität des Staates garantiere. Dies sei maßgeblich, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Diese Position bekräftigte auch Kramp-Karrenbauer: So sei die schon von Hannah Arendt beklagte „deutsche Realitätsflucht“ auch heute noch problematisch: „Mit Tatsachen so umzugehen, als seien es bloß Meinungen, ist falsch. Für die Menschen sind ihre eigenen Probleme real.“ Identitätsfragen gingen dabei oft an der Realität der gesellschaftlichen Mitte vorbei. Stattdessen müsse sich die Politik mit Themen befassen, die die Bürger konkret berühren.Kompromissbereitschaft und respektvolle Debattenkultur
Kontrovers wurde die Rolle der Medien von den Diskutanten bewertet. Während Strauß beklagte, dass Parteien mit Sacharbeit in der Öffentlichkeit oft nicht durchdrängen, entgegnete Schröter, dass die Polarisierung nicht allein eine Frage der politischen Kommunikation sei: „Wenn die Menschen sehen, dass sich für sie konkret etwas verbessert, dann wirkt das.“ Dafür müssten die Parteien der Mitte selbst Positionen beziehen und nicht nur Themen, die von den Rändern aufgebracht werden, „wegmoderieren“.
Abschließend betonten Nouripour und Kramp-Karrenbauer die Bedeutung politischer Kompromisse. Auch die Frage der persönlichen Haltung und des Umgangs miteinander seien für das politische Klima wichtig. Harte Auseinandersetzungen gehörten dazu, solange man sich respektvoll behandle.
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Hauptabteilung Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik
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